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INTERVIEW/339: Der schleichende Krieg - Steter Tropfen, bevor es kracht ...    Silke und Carsten im Gespräch (SB)


"Krieg beginnt hier - Unser Widerstand auch"

Interview am 11. Februar 2017 in Jagel


Zum sechsten Mal findet im Sommer 2017 ein selbstorganisiertes war-starts-here-Camp beim Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in der Altmark statt. Auf dem 23.000 Hektar großen Truppenübungsplatz, der aufgrund seiner technischen Ausstattung als modernstes Gelände dieser Art in Europa gilt, finden sich viele Gründe und Anlässe dafür, gegen den Krieg schon dort, wo er vorbereitet, geplant und trainiert wird, vorzugehen.

Allein die für die Simulation des modernen Krieges, der immer häufiger in Städten gegen zivile Bevölkerungen und sogenannte irreguläre Kombattanten geführt wird, errichtete Stadt Schnöggersburg erfüllt alle Ansprüche, als Fokus des antimilitaristischen Widerstandes produktiv gemacht zu werden. Rund 520 Gebäude, die für ein urbanes Zentrum üblichen Anlagen administrativer, industrieller und verkehrstechnischer Infrastruktur sowie eine für große Transportflugzeuge taugliche Start- und Landebahn bilden die gebaute Umwelt eines von informationstechnischen Systemen vollständig erfaßten Gefechtsfeldes, auf dem die Kriegführung des 21. Jahrhunderts erprobt wird. In einer von Megacities und urbanen Agglomerationen strukturierten Welt gilt Urban Warfare den Militärstrategen als zentrales Konzept zur Beherrschung ganzer Regionen, wie nicht zuletzt bei der Besetzung des Iraks und den dabei weiterentwickelten Methoden der urbanen Kriegführung erlebt werden konnte.

Von einem Subunternehmen des Rüstungskonzerns Rheinmetall als Public-Private-Partnership (PPP) zwischen Staat und Wirtschaft betrieben, wird mit Schnöggersburg eine Dienstleistung der besonderen Art erbracht. 140 Millionen Euro für eine Kulisse von Stadt auszugeben, in der auch die Armeen anderer NATO-Staaten üben wollen, wie Menschen "zu neutralisieren" sind, die die baulichen Bedingungen des urbanen Raums zu ihrem Vorteil zu nutzen versuchen oder einfach nur im Weg sind, läßt tief blicken. Die Bundeswehr will dort nicht nur Auslandseinsätze vorbereiten, sondern auch die Aufstandsbekämpfung im Inland. Zu wissen, daß es dafür künftig mehr Gelegenheiten geben wird, bedarf in der multiplen Krise der kapitalistischen Metropolengesellschaften keiner besonderen Analyse.

Auf der Mahnwache in Jagel waren mit Silke und Carsten auch zwei Menschen zugegen, die in der war starts here-Kampagne engagiert sind. Der Schattenblick nutzte die Gelegenheit, um einen Blick auf Geschichte und Zukunft des Camps zu werfen, wobei die Gesprächspartner nicht als dessen offizielle Vertreter gefragt wurden. In diesem Jahr wird mit dem Motto "Ohn.Macht durchbrechen!" ein zentrales Hindernis aller gesellschaftlichen Veränderung beim Namen genannt, so viel geht aus dem aktuellen Aufruf [1] jedenfalls hervor.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Silke und Carsten
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Carsten, Silke, an wie vielen Camps der war-starts-here-Kampagne habt ihr schon teilgenommen?

Carsten: Ich war auf dem allerersten war-starts-here-Camp 2011 in Nordschweden, von wo aus die Idee auch nach Deutschland gebracht wurde. An den ersten drei war-starts-here-Camps in der Nähe des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) war ich jeweils nur am Aktionstag, aber die letzten habe ich mitorganisiert, war sozusagen von vorne bis hinten dabei.

Silke: Ich habe die beiden letzten war-starts-here-Camps mit organisiert und auch an Aktionen teilgenommen.

SB: Die antimilitaristische Kampagne war starts here hat zwar nicht mit dem Gefechtsübungszentrum angefangen, wird aber in Deutschland immer bekannter. Wie verhält sich das in den anderen Staaten?

Carsten: Es begann einmal als europäische Vernetzung von Aktionsgruppen, aber die ist inzwischen ziemlich eingeschlafen. Ich glaube, diese kontinuierliche Aktivität wie hier im GÜZ ist relativ einmalig.

SB: Auf der Ausstellung "Störmanöver an der Heimatfront" [2] 2014 in Berlin, die im Rahmen der Vorbereitung des damaligen Camps stattfand, war zu erfahren, daß die meisten Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Autonomen Spektrum kommen. Inzwischen hat man den Eindruck, daß sich immer mehr Leute aus der Friedensbewegung daran beteiligen. Ist das richtig?

Carsten: Ja, das stimmt. Die Orga-Gruppe der ersten drei Camps war sehr engagiert und ambitioniert, auch was das Workshop-Programm betraf. Als sie aber merkte, daß sie sich dabei auspowerte und an dem Camp, das sie organisierte, selber nicht richtig teilnehmen konnte, wurde direkt dazu aufgerufen, auch andere Spektren daran zu beteiligen. Das war einer der Gründe dafür, warum sich die Orga-Gruppe geändert hat. Ein anderer war der Brandanschlag 2013, einige hundert Kilometer entfernt, der in der Region für ziemlich viel Wirbel gesorgt und die lokale Bürgerinitiative OFFENe HEIDe vor eine Zerreißprobe gestellt hat. Dies, weil eine Fraktion schon die ganze Zeit über ein bißchen ablehnend gegenüber den Autonomen stand, während eine andere Fraktion den Brandanschlag im Namen des ganzen Camps bejubelt hat. Später wurde dies jedoch als Fehler eingestanden. Jedenfalls hat der viele Streß unter anderem dazu geführt, daß im Jahr darauf die Initiative "Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen" von AktivistInnen aus dem explizit gewaltfreien Spektrum organisiert wurde.

SB: Die antimilitaristische oder Friedensbewegung operiert in der Regel in einem engen sachbezogenen Zirkel, der etwa antikolonialistische oder Gender-Themen kaum berücksichtigt. Gibt es neuerdings Versuche, auch andere Konfliktfelder stärker als bisher zu integrieren, um so mehr Leute für das Thema zu interessieren?

Silke: Beim Camp im letzten Jahr lautete das Thema: Krieg. Macht. Flucht. Da wurde ganz klar versucht, die Flüchtlingsbewegung in das Thema mit hineinzunehmen. Das ist gut gelungen, zumal an den Vorträgen Leute aus der Flüchtlingsbewegung dabei waren oder selbst Workshops abgehalten haben.

SB: Dieses Camp scheint sich von anderen Teilen der Friedensbewegung durch seine linke Positionierung zu unterscheiden. Auffallend bei der eher bürgerlich orientierten Friedensbewegung ist, daß sie bis in den Bereich des Christlichen hineinreicht und einen Friedensbegriff verfolgt, der die Frage, was Frieden in einer kapitalistischen Welt bedeuten kann, kaum kritisch reflektiert. Wie bewertet ihr das persönlich: Ist es schon Frieden, wenn keine militärische Gewalt ausgeübt wird?

Carsten: Also die Grenze zwischen Linken und Bürgerlichen hat sich schon ein bißchen weiter geöffnet. Jedenfalls war das Camp zu den Anfangszeiten viel stärker links aufgestellt. Die BI OFFENe HEIDe, die das Camp jetzt in diesem Jahr zum dritten Mal mit organisiert, deckt relativ weite Felder von links bis bürgerlich ab. Vorletztes Jahr hatten sich zudem die FriedensreiterInnen am Camp beteiligt, die eher eine bürgerliche Art des Protestes darstellen. Ich finde es jedenfalls gut, daß es jetzt offener zugeht. Aber richtig christlich motivierte Leute standen jetzt nicht so im Vordergrund, vielleicht mit Ausnahme von Berthold Keunecke, dem Vorsitzenden des Versöhnungsbundes, der einmal auf dem Camp war.

SB: Das Camp findet außerhalb des Truppenübungsplatzes Altmark, der als Gefechtsübungszentrum genutzt wird, auf zivilem Gebiet statt. Hat es auf der Straße zum Camp schon Konflikte nicht nur mit der Polizei, sondern auch mit Feldjägern gegeben?

Carsten: Mit Feldjägern außerhalb des GÜZ, nein.

SB: Zu einer solchen Konfrontation käme es also nur, wenn man auf das Gelände des GÜZ selber vordringen würde, etwa für Blockade- oder Störaktionen. Gehört das zum Aktionskonsens dazu?

Carsten: Ja, das wird auch immer wieder gemacht.

Silke: Einmal im Jahr wird das Camp über eine Woche organisiert, und davon ist ein Tag der Aktionstag, wo dann explizit dazu aufgerufen wird, Aktionen auch auf dem Gelände des GÜZ durchzuführen. Es gibt natürlich auch Leute, die drumherum Aktionen, Kundgebungen, Mahnwachen usw. machen.

SB: Gab es in den letzten Jahren seitens der Behörden Versuche, den Zugang zum Camp zu behindern, damit die Leute gar nicht erst dorthin gelangen konnten?

Carsten: Daran kann ich mich nicht erinnern. Es wurden einmal vor Jahren verstärkt Kontrollen von Leuten auf dem Weg dahin vorgenommen, und ein anderes Mal - aber da hatte ich noch nicht mit organisiert, weswegen ich es nicht so genau sagen kann - gab es lange keinen Camp-Ort, weil die Leute in der Umgebung gemauert haben und auch von den beiden lokalen Zeitungen massiv Stimmung gegen die AktivistInnen gemacht wurde.

Silke: Polizei oder Feldjäger haben zwar nicht zu verhindern versucht, daß Leute aufs Camp kommen, das nicht, aber letztes Jahr hatten wir einen Fall, wo AktivistInnen Schwierigkeiten hatten, wegzukommen, darunter waren teilweise Migrantinnen von Women in Exile, die von der Polizei aufgehalten wurden.

SB: Können auch Familien mit Kindern aufs Camp kommen?

Carsten: Auf jeden Fall.

Silke: Es passiert immer wieder, daß Eltern mit ihren Kindern kommen, weil das Camp meistens in der Ferienzeit stattfindet.

Carsten: In den letzten Jahren sind auch Leute aus der Umgebung aufs Camp gekommen. Der Ortsbürgermeister heißt uns schon seit längerem willkommen, aber die Ortsansässigen hatten am Anfang einen diffusen Unmut gegen uns gehegt, weil wir ja angeblich den besten Arbeitgeber verjagen wollten. Die Stimmung gegen uns hatte vielleicht auch ihre Ursache in dem Konfetti-Anschlag auf das Freibad in dem Ort, der medial gut ausgeschlachtet wurde und die Leute hier für die Bundeswehr eingenommen hat, weil die nämlich mit half, das Freibad wieder zu reinigen. Vorfälle dieser Art hatten eine ablehnende Stimmung gegen uns geschürt, aber das hat sich in den beiden letzten Jahren gebessert. Nun kommen die Leute aus dem Dorf auf das Camp und es gibt Gespräche usw.

SB: Medialer Aufhänger für eine Berichterstattung über das GÜZ ist häufig die Übungsstadt Schnöggersburg, in dem die Bundeswehr Häuserkampf und Aufstandsbekämpfung trainiert. Habt ihr über eine solche Kriegführung spezielle Informationsarbeit geleistet?

Carsten: Das hat die alte Camp-Orga sehr gut gemacht, und auf diese Informationen haben wir auch zurückgegriffen. Leider ist die alte Internetseite irgendwann spurlos verschwunden, so daß wir keinen Zugriff mehr auf die Informationen bekommen, aber auf der aktuellen Homepage vom war-starts-here-Camp gibt es Wissenswertes darüber. Auch gehen wir jedes Jahr mit dem Ziel auf den Platz, nach Schnöggersburg durchzukommen, um genau das zu thematisieren.

SB: Ihr werdet hier zwar nicht als offiziellen Vertretung der Camp-Orga gefragt, aber was ist eures Wissens für dieses Jahr geplant, gibt es thematische Schwerpunkte?

Silke: Dazu kann ich selber nicht viel sagen, weil ich bis jetzt nicht in die Camp-Orga eingebunden bin, ich weiß aber, daß das Thema Flucht und Migration im Zusammenhang mit Krieg wieder thematisiert werden soll.

Carsten: Ich hatte bis jetzt leider noch nicht die Zeit, zu den regelmäßigen Ratschlägen zu fahren. Im Moment findet wieder einer in Magdeburg statt, aber ich habe mich für Jagel entschieden. Allerdings habe ich in den Protokollen gelesen, daß das Konzept der vergangenen Jahre mit inhaltlichen Workshops in der Woche und der Fokussierung auf den Sonnabend als Aktionstag aufgebrochen werden soll und nun die ganze Woche über Aktionen gemacht werden können.

SB: Gibt es eurer Ansicht nach einen echten Bedarf an einer kontinuierlichen Aufklärungsarbeit darüber, was Militarismus über den klassischen Friedensgedanken, daß jeder Mensch unter gesicherten Verhältnissen leben möchte, hinaus alles bedeutet?

Silke: Ich denke, daß es auf jeden Fall wünschenswert ist, zumal in der Bevölkerung viel Unklarheit herrscht und über die Medien wenig über die Ursachen und Hintergründe von Kriegen vermittelt wird.

Carsten: Bis jetzt hat jede Camp-Orga den Wunsch und das Ziel gehabt, das Camp zu einer festen Institution werden zu lassen, die von Jahr zu Jahr größer wird. Am letzterem haperte es leider. Sicherlich müssen die Leute, die hierherkommen, nicht mehr groß aufgeklärt werden, aber trotzdem sind gemeinsame Diskussionen vor allem mit Leuten aus den verschiedenen Spektren gut und wichtig.

SB: Silke und Carsten, vielen Dank für das Gespräch und viel Zuspruch für das diesjährige Camp.


Fußnoten:

[1] http://www.war-starts-here.camp/startseite/der-aufruf-2/

[2] http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0184.html


Beiträge zur Protestaktion am Stützpunkt Jagel im Schattenblick unter:
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