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INTERVIEW/381: Gegen Krieg und Rüstung - Spiegelrespekt ...    Sabine Will im Gespräch (SB)


Sabine Will ist im Aktionsorchester Lebenslaute aktiv. Am 21. August fand vor dem Fliegerhorst Schleswig-Jagel ein Konzert der Lebenslaute statt [1]. Vor dieser angemeldeten Versammlung hatten die Musikerinnen und Musiker in einer Aktion zivilen Ungehorsams die Tore des Militärgeländes blockiert. Im Anschluß an das Konzert beantwortete Sabine Will dem Schattenblick einige Fragen zur Geschichte und Praxis dieser ungewöhnlichen Form des sozialen Widerstandes und politischen Protestes.



Orchester und Chor - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aktionskonzert der Lebenslaute am Fliegerhorst Schleswig-Jagel
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sabine, seit wann bist du bei der Lebenslaute und was hat dich motiviert, dich dem Orchester anzuschließen?

Sabine Will (SW): Ich habe Lebenslaute Mitte der 90er Jahre durch Leute kennengelernt, die dort mitgemacht haben. Weil ich davor schon in der antimilitaristischen und der Anti-Atom-Bewegung politisch engagiert war und zudem intensiv Musik gemacht habe, paßte das sehr gut zusammen.

Lebenslaute gibt es seit 1986. Sie entstand während der großen Blockaden in Mutlangen. Damals haben sich die Leute gesagt, wenn wir hier schon blockieren und lange herumsitzen, können wir auch etwas machen, was uns Spaß macht. Die Idee war, dem Bedrohungsszenario mit der Musik etwas Schönes entgegenzusetzen. Bei der ersten Aktion in Mutlangen waren es noch über hundert Leute. Als ich Lebenslaute kennengelernt habe, waren meistens 30 bis 40 Leute bei den Aktionen dabei.

2009 sind wir in Gorleben ins Endlager eingestiegen und haben da drin eine Aktion mit 60 Leuten gemacht. Danach kamen bei den großen Jahresaktionen ungefähr 80 Leute zusammen. In manchen Jahren gab es auch zwei Aktionen, aber das sind Ausnahmen. Normalerweise gibt es Anfang Januar ein Treffen, wo Zeitpunkt, Thema und Ort der Aktion für das Jahr festgelegt werden. Als Netzwerk unterstützen wir immer lokale Initiativen, weil wir selber kaum inhaltliche Arbeit machen können. Dann bildet sich eine Vorbereitungsgruppe, die das Projekt vorantreibt. Meistens haben wir vorher noch ein Probenwochenende. Dann, wenige Tage vor der Aktion, gehen wir in die Phase intensiver Vorbereitungen mit Musikproben einerseits und Aktionsplanungen andererseits. In der Regel üben wir zivilen Ungehorsam, so wie heute auch, wo wir alle Tore des Fliegerhorstes, die unserer Meinung nach prinzipiell zugänglich gewesen wären, vier Stunden lang für Fahrzeuge blockiert, also uns davor gesetzt und Musik gemacht haben.

SB: Wie ist die Polizei mit der Sitzblockade umgegangen?

SW: Ich weiß nicht, wie es bei den anderen Stellen war, aber bei uns ist nicht viel passiert. Ich war an einem Nebentor, das nicht direkt an der Straße liegt. Dort hat die Polizei nichts unternommen. Drinnen sind immer mal Fahrzeuge von der Bundeswehr vorgefahren und auch Soldaten ausgestiegen. An einem größeren Tor wurde jedoch viermal geräumt und an einem anderen einmal, als Polizisten einen Bus durchgeleitet haben. Aber nach der Räumung haben sich die Leute wieder hingesetzt und weiter blockiert.


Transparent mit Luftlandetruppen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aus vielen guten Gründen dagegen ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Welche thematischen Vorstellungen bestimmen eure Aktionen?

SW: Antimilitarismus ist auf jeden Fall ein Schwerpunkt. Wir waren insgesamt viermal in der Freien Heide, also dem Bombodrom in Wittstock, was ja schönerweise verhindert wurde. Wir waren auch einmal in der Colbitz-Letzlinger Heide [2]. 2016 richtete sich die Jahresaktion gegen den Drohnenkrieg, dazu wurde die Hauptzufahrt des AFRICOM in Stuttgart, des Oberkommandos der US-Streitkräfte für den afrikanischen Kontinent, blockiert. Anti-Atom und Umwelt waren auch öfters ein Thema. 1994 waren wir im Zwischenlager in Gorleben und sind, wie schon erwähnt, 2009 mit dem Orchester über den Zaun in die Endlagerbaustelle gestiegen und haben dort gespielt.

Zudem gibt es kleinere Aktionen von Regionalgruppen, die auch Dimensionen annehmen können wie die der Lebenslaute-Jahresaktion "Andante an der Kante" im Rheinischen Braunkohlerevier am Hambacher Loch 2015. Dort hatten wir schon ein paar Jahre vorher mit einer kleinen Gruppe einen Bagger blockiert. Letztes Jahr Pfingsten waren wir bei Ende Gelände in der Lausitz und machten mit einer kleineren Gruppe von 20 bis 30 Leuten bei der Schienenblockade mit. Dann gibt es noch ganz lokale Aktionen. So hat zum Beispiel eine Berlin-Brandenburger Gruppe bei Nazi-Aufmärschen in Brandenburg an Blockaden mitgewirkt, manchmal nur zu fünft oder siebt. Zum Thema Flucht und Asyl haben wir 2013 und 2014 mehrere Aktionen in Eisenhüttenstadt gemacht, wo sich in der Erstaufnahmestelle auch ein Abschiebegefängnis befindet. Im Jahr davor haben wir in Berlin das Innenministerium blockiert zur Unterstreichung der Forderungen, die damals das Tribunal gegen Kolonialismus aufgestellt hat. Beim NSU-Tribunal haben wir eine kleinere Aktion gemacht.

SB: Heute sind ganz verschiedene Leute von euch aufgetreten und haben ihren Standpunkt erläutert. Habt ihr euch vorher darüber verständigt, wer für wen spricht?

SW: Wir sind basisdemokratisch organisiert und entscheiden im Konsens. Bei unseren großen Aktionen arbeiten wir mit einem Bezugsgruppensystem, da wechseln auch die Sprecher und Sprecherinnen. Der SprecherInnenrat trifft auch Entscheidungen. Konsens heißt natürlich nicht, daß man in allem einer Meinung ist, sondern daß man sich auf etwas einigt, was die meisten gut und jedenfalls alle okay finden, womit alle leben können. Alle Bereiche sind sozusagen offen. Natürlich ist es so, daß manchen Leuten das eine mehr liegt und manchen das andere. Dadurch sammelt man in bestimmten Bereichen besonders viel Erfahrung. Zudem kommen immer neue Leute dazu. So ist derjenige, der in diesem Jahr den SprecherInnenrat bei uns moderiert hat, das erste Mal dabei.

SB: Ihr arbeitet also mit einer offenen Struktur.

SW: Ganz offen, diesmal sind bestimmt zwanzig neue Leute mit dabei. Uns ist auch die Aktionsunterstützung sehr wichtig. Es nehmen auch Leute teil, die nicht Musik machen, aber ganz gezielt zu uns kommen, um uns zu unterstützen. Sie übernehmen ganz unterschiedliche Aufgaben wie zum Beispiel das Kopieren von Noten, das Anfertigen von Programmheften oder das Aufstellen von Pavillons. Seit wir so viele sind, fällt auch viel technisches Drumherum an.

SB: Euer Schwerpunkt ist die Klassische bzw. Orchestermusik. War das immer so oder gab es auch Überlegungen, auf elektrische Instrumente zurückzugreifen oder Rockelemente einzubauen?

SW: Eigentlich ist das Konzept überwiegend auf Klassische Musik ausgerichtet, um auf diese Weise den Kontrast zu betonen. Wir treten ja auch in schwarz-weißer Konzertkleidung auf, um eben nicht bestimmte Vorurteile zu bedienen. Die Klassische Musik hat natürlich oft eine sehr beruhigende Wirkung.


Das ganze Orchester in Choraufstellung - Foto: © 2017 by Schattenblick

Lebenslaute a capella
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Die Erscheinungsform bürgerlicher Kultur ist für linke Aktionsformen eher ungewöhnlich.

SW: Richtig, aber dies gibt uns oft die Möglichkeit, bei Aktionen weiterzugehen, als es sonst möglich wäre. Die Polizei weiß oft nicht, was sie mit einem Orchester machen soll.

SB: Hat die Strategie, den eher konservativen Anspruch der Hochkultur auf diese aktivistische Weise zu verwenden, auch etwas von einer Provokation?

SW: Genau, unsere Aktionen sind gezielt provokant. Das kann man schon sagen. Wir wollen schon auf etwas zuspitzen, indem wir den zivilen Ungehorsam einsetzen. Das ist durchaus ernst gemeint, denn das, was hier in Jagel passiert, will niemand wirklich haben. Auf diese Weise können wir wenigstens Sand im Getriebe sein und für ein paar Stunden stören.

SB: Sind die Orchestermitglieder auch in anderen Protestbereichen aktiv?

SW: Natürlich, es ist ein breites Spektrum aus politisch wachen Menschen. Viele sind in ihrem Alltag noch auf anderen Feldern engagiert, aber die regionalen Lebenslaute-Gruppen sind ohnehin sehr aktiv, was sich auch an den Vorbereitungen zu den Jahresaktionen [3] zeigt.

SB: Habt ihr schon eine Idee, was ihr nächstes Jahr macht?

SW: Das wird erst im Januar festgelegt. Wir haben eine Mailadresse, wo uns Leute anschreiben können. Bis Januar sind wir immer offen für Ideen und Anfragen. Danach entscheiden wir, was zu unserer Aktionsform paßt.

SB: Sabine, vielen Dank für das Gespräch.


Lebenslaute vor Tor im Fliegerhorst Schleswig-Jagel mit Publikum - Foto: © 2017 by Schattenblick

Alles andere als passiver Musikkonsum ...
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] BERICHT/285: Gegen Krieg und Rüstung - vergeigt wie verjagelt ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0285.html

[2] Gefechtsübungszentrum (GÜZ) der Bundeswehr in der Altmark. Dort wird in einer eigens zu diesem Zweck errichteten Stadt Urban Warfare und Aufstandsbekämpfung geübt. Diesen Sommer fand in der Nähe des Truppenübungsplatzes das sechste antimilitaristische War Starts Here-Protestcamp statt.

[3] http://www.lebenslaute.net/?page_id=30


6. September 2017


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