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INTERVIEW/424: Treff für den Frieden - geostrategisches Inselschicksal ...    Hanayo Oya im Gespräch (SB)


Interview mit der japanischen Journalistin und Friedensaktivistin Hanayo Oya 18. November 2018 in Dublin


Es gibt kaum eine Gruppe Menschen, die mehr unter ausländischer Militärpräsenz zu leiden hat, als die eineinhalb Millionen Einwohner Okinawas. Die südjapanische Inselgruppe bildet lediglich 0,6 Prozent der Landmasse Japans. Dort sind jedoch 74 Prozent der rund 50.000 US-Militärangehörigen in Japan stationiert. Das Areal der 14 US-Militärstützpunkte auf der Hauptinsel Okinawa beansprucht mit 233 Quadratkilometern 18 Prozent der gesamten Bodenfläche. Seit 2014 wehren sich die Bewohner Okinawas energisch gegen das Vorhaben, den Flughafen der US-Marines vom dichtbesiedeltem Futenma nach Henoko, einem Naturreservat mit vielen bedrohten Pflanzen- und Tierarten an der Bucht Oura, zu verlegen. Gegen den Willen der Verwaltung Okinawas setzt die japanische Zentralregierung in Tokio das Projekt rigoros durch. Über die Problematik der Stützpunkte auf Okinawa und die Remilitarisierung Japans vor dem Hintergrund der zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA sprach der Schattenblick auf der "International Conference Against US/NATO Military Bases" Mitte November in Dublin mit der japanischen Journalistin und Filmemacherin Hanayo Oya.


Demonstranten halten Transparent mit der Aufschrift 'Okinawans their Gov. Say No - Stop the U. S. Base in Henoko' - Foto: © 2018 by Ellen Davidson (stopthesewars.org)

Demonstranten aus Okinawa vor Dublins General Post Office (GPO)
Foto: © 2018 by Ellen Davidson (stopthesewars.org)

Schattenblick: Frau Oya, könnten Sie uns die Gründe Ihrer Teilnahme an der internationalen Anti-NATO-Basen-Konferenz in Dublin erläutern?

Hanayo Oya: Ich bin gekommen, um über die Konferenz für eine Lokalzeitung auf Okinawa sowie gleichzeitig für die Nachrichtenagentur Yahoo Japan, die landesweit japanische Medien mit Material beliefert, zu berichten. Persönlich erhoffe ich mir, durch die Berichterstattung über die Konferenz in der japanischen Öffentlichkeit das Thema ausländischer Militärstützpunkte hervorzuheben und den Status quo ins Wanken zu bringen, denn meines Erachtens denken viel zu wenige Japaner darüber nach. Die meisten meiner Landsleute halten die amerikanische Militärpräsenz für völlig selbstverständlich. Dabei übersehen sie die Tatsache, daß sich von den rund 130 US-Militärstützpunkten in Japan Dreiviertel auf der Insel Okinawa befinden, die weniger als ein Prozent der japanischen Landmasse ausmacht. Seit Jahren protestieren die Menschen auf Okinawa gegen die übermäßige Belastung durch die US-Basen, doch ihre Beschwerden werden von der eigenen Regierung in Tokio und der US-Administration in Washington weitgehend ignoriert.

SB: Woher rührt Ihr Interesse an der Problematik der
US-Militärstützpunkte auf Okinawa?

HO: Ich komme aus der Präfektur Chiba, die östlich der japanischen Hauptstadt am Eingang zur Tokioter Bucht liegt. Dort habe ich die ersten 25 Jahre meines Lebens verbracht. Nach Abschluß meines Journalistikstudiums an der Hochschule bin ich nach Okinawa gezogen. Ich wollte mehr über die US-Militärpräsenz und wie die Menschen darunter leiden erfahren. Alle großen japanischen Medien haben ihre Hauptquartiere in Tokio. Dort leben und arbeiten auch die meisten Korrespondenten asiatischer Medien in Japan. Das heißt, wenn über Okinawa berichtet wird, denn in der Regel von Journalisten, die für eine bestimmte Geschichte oder wegen eines bestimmten Ereignisses dorthin gekommen sind, um nach einem oder zwei Tagen wieder nach Tokio zu verschwinden. Das bedeutet, daß sie als Außenseiter berichten, was dort vor sich geht. Mit dem Umzug nach Okinawa wollte ich mich in die Lage versetzen, durch meine journalistische Tätigkeit die Perspektive der Menschen auf der Insel einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anfangs habe ich eine Stelle als TV-Reporterin bekommen. In dieser Position habe ich sehr viel über die Problematik der Stützpunkte auf Okinawa, über die geplante Verlegung des Hauptquartiers der U. S. Marines von Futenma nach Henoko, über die vielen Unfälle und Rechtsbrüche, welche sich die US-Soldaten leisten, sowie über den umstrittenen Bau eines weiteren Stützpunkts der japanischen Selbstverteidigungskräfte berichten können.


Hanayo Oya im Porträt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Hanayo Oya
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Sie sprachen davon, daß sich die meisten Japaner nicht sonderlich für die Vorgänge auf Okinawa interessieren und keine Gedanken darüber machen, worunter die Menschen dort leiden. Ist das Desinteresse vielleicht darauf zurückzuführen, daß sie die Bewohner Okinawas nicht als vollwertige Japaner, sondern als untertäniges Volk ansehen, dessen Insel irgendwann im 19. Jahrhundert vom japanischen Kaiserreich erobert wurde?

HO: Das gilt vielleicht für einige ältere Japaner, für die jüngeren dagegen nicht. Was die Geschichte betrifft, so darf man nicht vergessen, daß Okinawa erst 1972 wieder formell ein Teil Japans wurde. Die 37 Jahre davor, also seit Ende des Zweiten Weltkriegs, war die Insel ein Sonderverwaltungsgebiet des US-Militärs. Wegen dieser Periode der US-Militärhoheit auf Okinawa betrachtet die Generation meiner Großeltern die Insel nicht als normalen Teil Japans, sondern eher als Sonderzone. Weil man als Japaner in den fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahren einen Reisepaß benötigte, um Okinawa betreten zu dürfen, halten solche Leute die Inselgruppe quasi für fremdes Territorium.

Die Generation meiner Eltern hingegen hat vom Kampf gegen die US-Militärbesatzung etwas mitbekommen und sympathisiert mit den Inselbewohnern. Die Menschen meiner Generation wiederum interessieren sich wenig für das Geschehen auf Okinawa. Das hat mehrere Gründe. Erstens erfahren die japanischen Schüler wenig über die Insel; die Schlacht von Okinawa 1945 zum Beispiel, die mehrere Monate dauerte und extrem blutig war, gehört nicht zum Unterrichtsstoff im Fach Geschichte. Zweitens müssen die meisten jungen Japaner für wenig Geld lange Stunden arbeiten. In ihrer Freizeit suchen sie deshalb in erster Linie Zerstreuung. Für schwierige politische Themen sind sie nur bedingt aufnahmefähig. Sie haben selbst genügend Probleme, den Alltagsstreß zu bewältigen, und wollen sich nicht noch zusätzlich mit denjenigen der Menschen auf Okinawa befassen.

SB: Irgendwann haben Sie sich entschieden, nach Amerika zu gehen. Wie ist es dazu gekommen?

HO: Nach fünfjähriger Arbeit in Okinawa bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß die Quelle der dortigen Probleme nicht auf der Insel selbst und auch nicht in Japan, sondern in den USA zu finden ist. Will man etwas verändern, muß man folglich die amerikanischen Bürger für das Thema sensibilisieren.


Luftaufnahme des US-Militärflughafens mitten im dichtbesiedelten Futenma - Foto: © 2010 by Sonata(talk/Contributions), freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share-Alike 3.0 Unported

Flughafen der US-Marineinfanterie in Futenma auf Okinawa
Foto: © 2010 by Sonata(talk/Contributions), freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share-Alike 3.0 Unported

SB: Also arbeiten Sie aktuell als Reporterin in den USA?

HO: Ja und zwar auf Grundlage eines Stipendiums des Fulbright Fellowship Program, das ausländische Studenten, Akademiker und Nachwuchskräfte fördert. Es hat mich wirklich überrascht, daß sie ein solches Stipendium an eine Radikalpazifistin wie mich, die so vehement gegen die US-Militärbasen auf Okinawa ist, vergeben haben.

SB: Die wollen Sie vermutlich über kurz oder lang auf ihre Seite ziehen. Das Stipendium ist der Köder. (lacht)

HO: Können sie ruhig versuchen. (lacht ebenfalls)

SB: Also besteht Ihre Hauptarbeit derzeit darin, Medienprodukte über die USA für die japanische Öffentlichkeit herzustellen?

HO: Genau. Doch gleichzeitig arbeite ich nebenbei an einem Dokumentarfilm, der den Amerikanern zeigen soll, was auf Okinawa los ist und wogegen die Menschen dort protestieren. Mein Ziel ist es, die amerikanischen Zuschauer dazu zu bringen, den Status quo im eigenen Land, den Glauben, US-Soldaten müßten überall auf der Welt "Frieden" schaffen oder garantieren, in Frage zu stellen. Zu diesem Zweck sollen sie zum Beispiel im Film mit den Problemen, die US-Stützpunkte in Übersee mit sich bringen wie Prostitution, Rechtsbrüche der Soldaten und Umweltverschmutzung konfrontiert werden. Dadurch, daß ihnen die negativen Folgen des US-Basenimperiums in Übersee vor Augen geführt werden, sollen die amerikanischen Bürger, die den Film sehen, zum Nachdenken angeregt werden. Ein weiterer Aspekt, der im Film nicht zu kurz kommen soll, ist das schwere Erbe, das viele US-Soldaten nach einem Kriegseinsatz in Afghanistan, im Irak oder wo auch immer nach Hause mitbringen. Die Rede ist von schweren physischen Leiden, zum Beispiel wenn sie verkrüppelt worden sind, aber auch von Post-Traumatischer Belastungsstörung.

SB: Und wie hängt Ihr Besuch der Konferenz in Dublin mit dem Filmprojekt zusammen? Wollten Sie den Auftritt der Friedensaktivisten aus Okinawa in Dublin dokumentieren?

HO: Ja, und zwar in zweifacher Hinsicht. Das Material, das ich hier in Dublin geschossen habe, geht erstens als aktueller Minibericht an die japanischen Medien und fließt zweitens, natürlich geschnitten, in die längere Dokumentation, an der ich schon eine Weile arbeite. Der Bericht, der in den japanischen Medien in den nächsten Tagen über die Konferenz in Dublin ausgestrahlt wird, soll den Menschen in Japan zeigen, daß die Basenproblematik kein ausschließliches Thema Okinawas ist, sondern Menschen auf der ganzen Welt betrifft.


Hanayo Oya richtet ihre Kamera samt Stativ im Sitzungssaal ein - Foto: © 2018 by Ellen Davidson (stopthesewars.org)

Hanayo Oya bei der Arbeit
Foto: © 2018 by Ellen Davidson (stopthesewars.org)

SB: Liegt Ihnen auch daran, mit Ihrer Arbeit die Japaner zu einer skeptischeren und kritischeren Haltung gegenüber den Plänen von Premierminister Shinzo Abe zu bewegen, die pazifistische Verfassung Japans zu lockern, um die Selbstverteidigungskräfte leichter für Militärinterventionen im Ausland einsetzen zu können?

HO: Absolut. Abe ist eine mächtige Figur. Er hat bereits zwei Amtszeiten als Premierminister hinter sich und wird aller Voraussicht nach auch für eine dritte Regierungschef in Tokio sein. Gelingt ihm das, wird er von allen japanischen Premierministern seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die längste Zeit im Amt gewesen sein. Dabei verfolgt Abe langsam und damit geschickt einen aggressiven militaristischen Kurs, den meines Erachtens die Mehrheit der Japaner nicht unterstützt. Er will Japan wieder zu einer militärischen Großmacht machen und die von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg auferlegte Beschränkung der militärischen Handlungsoptionen Tokios abschütteln. Viele japanische Wähler haben die Gefahr nicht erkannt. Sie haben Abe und seine Liberaldemokratische Partei (LDP) gewählt oder wiedergewählt, weil sie wollen, daß der Status quo einigermaßen erhalten bleibt und sich die Dinge, besonders in der Wirtschaft, nicht rasant zum Schlechteren entwickeln. Sie sehen in Abe einen Garanten für Stabilität. Doch seine Großmachtsvision führt schnurstracks in Richtung Instabilität und Krieg. Hinzu kommt, daß viele Japaner glauben, daß die neue amerikanische Asien-Politik, speziell die Eindämmung Chinas, eine gute Sache ist. Dabei übersehen oder ignorieren sie vollkommen die von der Konfrontation zwischen Washington und Peking ausgehende Gefahr eines Dritten Weltkriegs.

SB: Als Donald Trump im November 2016 überraschend Hillary Clinton besiegte, machte sich Abe berechtigte Hoffnungen, der wichtigste ausländische Kumpel des neuen Mannes im Weißen Haus zu werden. Schließlich war Japans Premierminister der erste Auslandspolitiker, den der neue US-Präsident in spe nach der Wahl im November jenen Jahres in seinem Luxus-Apartment im New Yorker Trump Tower empfing. In der Zwischenzeit haben sich Abes Erwartungen nicht erfüllt, denn Trump pflegt keine Freundschaften, sondern ist ausschließlich an kurzfristigen Nutzverhältnissen, die ihn eindeutig bevorteilen, interessiert. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Annäherungsgespräche zwischen Japan und China keine wirkliche Überraschung. Offenbar wollen Peking und Tokio stärker zusammenarbeiten, um nicht von den USA gegeneinander aufgehetzt zu werden. Was sagen Sie zu den Bemühungen um bessere bilaterale Beziehungen zwischen der Volksrepublik und Japan? Ist das nur ein kurzes Strohfeuer oder entsteht eine tragfähige Freundschaft?

HO: Die Beziehungen der beiden Nachbarstaaten sind auf mehreren Ebenen zu betrachten. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind sehr stark. Japanische Unternehmen gehören schon länger zu den größten ausländischen Investoren in China. Die Länder sind wirtschaftlich so eng miteinander verflochten, daß ein Krieg beide wirklich sehr schwer treffen würde. Deswegen sind es in Japan vor allem Wirtschaftsvertreter und Konzernchefs, die vor einer allzu aggressiven China-Politik Tokios an der Seite der USA warnen. Doch auf der politischen Ebene gibt es Persönlichkeiten wie Abe, die von der Konfrontation mit China profitieren, indem sie sich als vermeintliche Patrioten und Verteidiger japanischer Interessen profilieren. Mir machen vor allem die Kriegspläne der USA für die Region Asien-Pazifik große Sorgen. Haben Sie schon von "AirSea Battle" gehört?

SB: Selbstverständlich. Das ist doch der Name des aktuellen Operationsplans des Pentagons für einen eventuellen Krieg gegen China.

HO: Ganz genau. Und in diesem Plan spielt Japan - neben Südkorea und Australien - die entscheidende Rolle als "unsinkbarer Flugzeugträger" vor der Küste der Volksrepublik. Man muß das Dokument nur einmal gelesen haben, dann stehen einem die Haare zu Berge.

Wie man weiß, stehen wirtschaftliche Gründe hinter den meisten Kriegen. Von daher habe ich wirklich große Angst, daß die Amerikaner mit China einen Mini-Krieg anzetteln werden, um alle ihre vorhandenen Waffen in der Region verballern zu können. Der Konflikt würde dann einige Tage oder Wochen dauern, bevor man schließlich die Pattsituation erkennt und einen Waffenstillstand beschließt. Bis dahin dürfte Okinawa völlig zerstört sein, aber immerhin werden sich Amerikas Rüstungsproduzenten wieder über volle Auftragsbücher freuen können.

SB: Glauben Sie das wirklich?

HO: Ja, klar.


Luftaufnahme von Henoko an der Bucht Oura im Norden Okinawas - Foto: © 2017 by Kugel-commonswiki, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share-Alike 4.0 Unported

Henoko - geplanter Standort des neuen Stützpunkts der US-Marineinfanterie auf Okinawa
Foto: © 2017 by Kugel-commonswiki, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share-Alike 4.0 Unported

SB: Wenn Sie die Kriegsgefahr für Okinawa so akut sehen, was halten Sie von der These, daß die Bedrohung für die Insel aus der Nähe zu Taiwan resultiert?

HO: Das stimmt natürlich. Aber in letzter Zeit kommen sich Taiwan und die Volksrepublik China immer näher.

SB: Aber gerade das ist es, was den Geostrategen in Washington Unbehagen bereitet. Sie erkennen zwar das Anfang der siebziger Jahre zwischen Henry Kissinger und Chou En-Lai vereinbarte "Ein-China-Prinzip" weiterhin an, wollen jedoch nicht wirklich, daß es jemals zu einer Wiedervereinigung Taiwans mit dem Festland kommt, weil China dann die US-Marine aus seinen Küstengewässern herausdrängen und seine weitgehenden Ansprüche im Südchinesischen Meer geltend machen könnte. Was meinen Sie dazu?

HO: Der Streit um Taiwan ist sehr bedauerlich für Japan, aber insbesondere für Okinawa. Früher haben die Menschen auf Okinawa engste Beziehungen zu Taiwan und China unterhalten. Während der Ära des Ryukyu-Inselreichs wurde der größte Teil des japanischen Handels mit dem chinesischen Kaiserreich über Okinawa abgewickelt. Eine weitere Belastung für die Beziehungen zwischen China und Japan ist der Besitzstreit um die Senkaku/Diaoyu-Insel im Ostchinesischen Meer. Vielleicht bringt die jüngste Begegnung zwischen Abe und dem chinesischen Präsident Xi Jinping beide Seiten einem Kompromiß näher, der auf eine gemeinsame Ausbeutung der dortigen Fischgründe sowie eine Zusammenarbeit bei der Erkundung und Erschließung der dort vermuteten Öl- und Gasreserven hinausläuft.

SB: Was halten die Menschen in Japan von den jüngsten Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel, von den Gesprächen zwischen dem US-Präsidenten Trump mit dem nordkoreanischen Staatsratsvorsitzenden Kim Jong-un und der Vermittlungsrolle des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in?

HO: Persönlich hoffe ich, daß die Friedensverhandlungen erfolgreich verlaufen und zu einer Beendigung der Kriegsgefahr führen. Ich habe niemals Nordkorea als eine Bedrohung Japans empfunden. Es gibt jedoch japanische Politiker - Abe ist das beste Beispiel -, die an der These von der nordkoreanischen Bedrohung festhalten, weil sie damit ihre eigenen Ziele - Stichwort Wiederbewaffnung Japans - besser verfolgen können. Die angeblich von Nordkorea ausgehende Bedrohung nutzt auch den USA, um den Fortbestand ihrer große Militärpräsenz in Japan und Südkorea zu begründen.

Interessanterweise hat die Aufnahme bilateraler Friedensverhandlungen zwischen Nordkorea und den USA Japans politische Führung in Panik versetzt. Die Abe-Regierung weiß nicht so recht, was die neue Situation für Japan bedeutet und wie sie sich in bezug darauf verhalten soll. Soll Tokio gegenüber Pjöngjang weiterhin die harte Tour fahren oder vielleicht Entgegenkommen signalisieren? Die Verantwortlichen ringen derzeit um die richtige Antwort. Das erklärt vielleicht die jüngste Annäherung an Peking. Scheinbar will Abe mit Chinas Präsident Xi die verschiedenen Szenarien durchspielen und sich auf eine Lösung verständigen, welche den beiden asiatischen Großmächten dient.

Einen weiteren Zankapfel stellt in diesem Zusammenhang die nordjapanische Inselgruppe der Kurilen dar, die Rußland seit 1945 besetzt hält und Japan nicht zurückgeben will. Es hat in den letzten Jahren mehrere Verhandlungen zwischen Tokio und Moskau geben. Wladimir Putin hat seine Bereitschaft zur Rückgabe der Inseln oder zu einer gemeinsamen japanisch-russischen Verwaltung signalisiert. Doch der Grund, warum es bisher keinen Durchbruch bei den Gesprächen gegeben hat, ist die Angst Rußlands, nach der Rückgabe der Kurilen könnten die USA dort Militärstützpunkte errichten und sogar Teile ihres Raketenabwehrsystems installieren.


Demonstranten halten Transparent mit der Aufschrift 'Stop U. S. Base Henoko Okinawa' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Aktivisten aus Okinawa auf der Anti-NATO-Basen-Konferenz
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Wie stehen die Japaner zur Möglichkeit der Wiedervereinigung Koreas? Würden sie sie begrüßen oder stehen sie dem Szenario eher ablehnend gegenüber?

HO: Ich denke, die meisten Japaner hätten gegen eine Vereinigung von Nord- und Südkorea zu einem einheitlichen Staat nichts einzuwenden, sie halten jedoch die Chancen ihrer Realisierung derzeit eher für gering, weil die politischen und wirtschaftlichen Systeme beiderseits des 38. Breitengrads so unterschiedlich sind. Die Mehrheit der jungen Japaner verfolgt die Vorgänge auf der koreanischen Halbinsel nicht sonderlich. Sie sind politisch ziemlich desinteressiert. Es sind hauptsächlich die älteren Generationen, die sich an den Koreakrieg erinnern können, die Interesse am Geschehen auf der Halbinsel zeigen.

SB: Nahmen Japans Selbstverteidigungskräfte am Koreakrieg - und sei es nur bei der logistischen Unterstützung der US-Armee - überhaupt teil?

HO: Nein. Ganz und gar nicht. Der Koreakrieg fand zwischen 1950 und 1953 statt. Erst 1954 wurden die japanischen Selbstverteidigungskräfte gegründet. Davor verfügte Japan aufgrund der Niederlage im Zweiten Weltkrieg lediglich über eine sogenannte Nationale Polizeireserve. Es ist schon eine traurige Geschichte, wie die USA, nachdem sie Japan mit Artikel 9 der Nachkriegsverfassung zum Verzicht auf militärische Gewalt bei der Konfliktregulation gezwungen haben, später die Wiederbewaffnung des Landes förderten. Das hing damals mit dem Kalten Krieg zusammen. Heute unterstützt Washington die Remilitarisierung Japans unter Verweis auf den Aufstieg Chinas, das angeblich aufgehalten oder gebändigt werden muß. Bis heute ist der Widerstand der japanischen Bevölkerung gegen die Wiederbewaffnung ihres Landes enorm groß. Deswegen wird der Prozeß langsam und so schleichend wie möglich von der politischen Führung in Tokio vorangetrieben.

SB: Wo sind die japanischen Selbstverteidigungskräfte im Ausland bisher militärisch aufgetreten?

HO: In Dschibuti haben sie einen Stützpunkt. Die Mission findet dort im Rahmen der UN-Operation zum Schutz des internationalen Schiffsverkehrs vor Piraterie rund um das Horn von Afrika statt. 1992 halfen japanische Militärs bei der UN-Mission zur Durchführung von Wahlen in Kambodscha mit. Nach dem Einmarsch der US-Streitkräfte in den Irak 2003 wurden ein Jahr später einige hundert japanische Soldaten zur Unterstützung der angloamerikanischen Besatzung in das Zweistromland entsandt. 2008 wurden sie wieder abgezogen. Bei der Bekämpfung radikalmuslimischer Rebellen in Mindanao stehen die japanischen Selbstverteidigungskräfte den Philippinen beratend zur Seite. Sie nehmen an den Kämpfen aber nicht aktiv teil.

SB: Wie ist der aktuelle Stand beim Versuch Abes, die pazifistische Ausrichtung der japanischen Verfassung abzuschwächen bzw. Artikel 9 gänzlich zu streichen?

HO: Die LDP, die seit dem Zweiten Weltkrieg die dominierende Kraft in der japanischen Politik gewesen ist, arbeitet seit Jahrzehnten auf eine Schwächung oder eine Streichung von Artikel 9 hin, um Tokio wieder die volle militärische Handlungsfreiheit zu verschaffen. Das Streben gibt es schon lange und hat nicht erst mit Shinzo Abe begonnen. Als jedoch vor einigen Jahren die Abe-Regierung feststellen mußte, daß eine Streichung von Artikel 9 wegen des Widerstands der Bevölkerung politisch nicht durchzusetzen war, hat sie zu einem naheliegenden Trick gegriffen. Sie hat Artikel 9 uminterpretiert und im eigenen Sinne neu ausgelegt. Zwar verbietet Artikel 9 den Rückgriff Japans auf militärische Gewalt zur Regelung internationaler Streitigkeiten, doch behaupten Abe und seine Minister, der Beitrag Tokios zur "kollektiven Sicherheit" erlaube die Beteiligung der Selbstverteidigungskräfte an ausländischen Militäreinsätzen überall auf der Welt, unabhängig davon, ob diese ein UN-Mandat haben oder man lediglich den USA im Konfliktfall zur Seite stehen will.

SB: Vielen Dank, Hanayo Oya, für dieses Gespräch.


Antikriegstransparente am Zaun des Areals des neuen US-Stützpunkts in Henoko auf Okinawa - Foto: © 2013 by Vitalie Ciubotaru, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share-Alike 3.0 Unported

Umweltschützer und Kriegsgegner vereint gegen Stützpunktbau in Henoko
Foto: © 2013 by Vitalie Ciubotaru, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share-Alike 3.0 Unported


Bericht und Interviews zur ersten "International Conference Against US/NATO Military Bases" in Dublin im Schattenblick unter:
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12. Dezember 2018


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