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INTERVIEW/429: Dem Karl Liebknecht haben wir's geschworen - Kernfunktionen des Staates ...    Michael Hudson im Gespräch (SB)


Interview am 12. Januar 2019 in Berlin


In seinem Vortrag auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz übte der marxistische Ökonom Michael Hudson scharfe Kritik am US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO und der Demokratischen Partei. Sie versuchten mit allen Mitteln, den traditionellen, im Klasseninteresse der Arbeiterschaft verankerten Sozialismus gegen sich selbst zu wenden, indem linke Ideologie als Vehikel eines auf der Vormachtstellung des Dollar beruhenden Imperialismus mißbraucht werde [1]. Der 1939 geborene Wissenschaftler und Publizist ist selbst im sozialistischen Milieu aufgewachsen, war mit führenden Kadern US-amerikanischer Linksparteien persönlich bekannt und kennt die Tradition linker Parteien in den Vereinigten Staaten aus eigener Anschauung. Als Autor diverser Bücher, Herausgeber des wöchentlich erscheinenden Hudson Reports und Verfasser politökonomischer Analysen, die unter anderem auf Counterpunch [2] veröffentlicht werden, gehört Michael Hudson zu den prominentesten Stimmen innerhalb der Vereinigten Staaten, die die nach wie vor führende Stellung der USA im kapitalistischen Weltsystem kritisch untersuchen. Nach seinem Vortrag beantwortete er dem Schattenblick einige ergänzende Fragen.


Am Rednerpult auf der Rosa Luxemburg Konferenz - Foto: © 2019 by Schattenblick

Michael Hudson
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Handelt es sich Ihrer Ansicht nach beim Government Shutdown vor allem um einen Machtkampf oder gibt es womöglich tieferliegende Gründe für diese Auseinandersetzung etwa im Rahmen der Beziehungen zwischen Staat und Kapital?

Michael Hudson (MH): Die verrückte Gruppe in der Republikanischen Partei, die Tea Party, will alle Regierungseinrichtungen schließen. Die größten finanziellen Unterstützer Donald Trumps wollen die Regierung dauerhaft schwächen. Es handelt sich im Grunde genommen um Anarchisten. Sie wissen, daß, wenn die Regierung nicht für Planung und Investition zuständig ist, das von der Wall Street übernommen wird. Je kleiner die Regierung, desto größer der Einfluß der Wall Street. Durch die Schließung der Nationalparks ist es bereits dazu gekommen, daß Unternehmen und einzelne Personen damit begonnen haben, Bäume zu fällen und die Natur zu zerstören.

SB: Wie ist es um die Sicherung der kapitalistischen Eigentumsordnung bestellt, die ohne Staatsgewalt nicht mehr garantiert werden kann?

MH: Sie lassen alle staatlichen Agenturen, die mit Finanz, Kapital und Eigentumsordnung befaßt sind, bestehen. Vor allem staatliche Sozialprogramme sollen beseitigt werden. Diejenigen Teile, die das Finanzkapital benötigt wie zum Beispiel das Militär, werden natürlich erhalten bleiben.

SB: Worin liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Finanzkapital und den alten Industrien wie Stahlproduktion und Kohleabbau?

MH: Heute verfolgen Finanz- und Industriekapital auf verschiedene Weise gegensätzliche Interessen. Das an der Wall Street verwaltete Kapital übernimmt Industrieunternehmen, zerschlägt und verkleinert sie, entläßt die Arbeiterschaft und beutet die Pensionsfonds aus, indem sie sie für die Auszahlung von Dividenden nutzt. Man kann diesen Zerstörungsprozeß am Beispiel von General Electric, Sears und anderer Großunternehmen nachvollziehen, die zerschlagen und im Vollzug dessen US-amerikanische Arbeitskraft durch ausländische, insbesondere in Asien angesiedelte Arbeitskräfte ersetzt wurden. Das tun sie, indem sie die Gewerkschaften schwächen, wie es Macron in Frankreich getan hat.

Laut Obama ist Macron die französische Ausgabe seiner selbst, was, wie ich glaube, den Tatsachen entspricht. Es zeigt, daß die Politik der Demokratischen Partei darin besteht, die staatliche Sozialhilfe der Wall Street zu überlassen, wo sie privatisiert und ausgeplündert wird. Sie will die staatliche Gesundheitsversorgung und andere Sozialausgaben loswerden. Das ist der Sozialismus der Demokratischen Partei in den USA. Die Arbeiterbewegung kämpft um niedrigere Löhne und will die Gewerkschaften zerschlagen. Sie will die Pensionsfonds kapitalisieren, die Arbeitslosigkeit erhöhen, einen Militärstaat schaffen, die öffentliche Krankenversicherung schwächen, das ist das politische Programm der von der Demokratischen Partei vertretenen Arbeiterinteressen in den Vereinigten Staaten, so verrückt sich das anhört.

Die materialistische Vorstellung, daß Menschen in ihrem eigenen Interesse wählen und die effizientesten Gesellschaften erfolgreich sein werden, erweist sich gerade nicht als das Prinzip, das in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und einem großen Teil Europas heute Gültigkeit besitzt.

SB: In Ihrem Vortrag haben Sie ausgeführt, wie der traditionelle Sozialismus zum Sachwalter dieser neoliberal-antietatistischen Doktrin mutiert ist. Besteht denn überhaupt noch eine Verbindung zum klassischen Sozialismus, bei dem es um die Vergesellschaftung des Privateigentums an Produktionsmitteln ging?

MH: All das, für das sozialistische Parteien ein Jahrhundert zuvor gestanden haben, ist der Inversion und Mißrepräsentation des Sozialismus zum Opfer gefallen. Im Großen und Ganzen haben die USA alle linken Parteien in Europa seit 1945 infiltriert und einen proamerikanischen Sozialismus propagiert. Die CIA prahlte über die große Wurlitzer, die sie durch die Medien kontrollieren könnte. Sie bewegten den Sozialismus weg von der Vorstellung, die die Menschen als Lohnabhängige von ihm entwickelt hatten, um sie statt dessen über ihre ethnische, sexuelle und anderen Formen von Identität nachdenken zu lassen. Nur über ihre Identität als Lohnabhängige, die auf ein durch abhängige Beschäftigung erwirtschaftetes Einkommen angewiesen sind, sollten sie nicht nachdenken. Auf diese Weise hat sich der Sozialismus in sein Gegenteil verkehrt.

SB: Was halten Sie davon, wenn heute in Anbetracht der Dominanz großer IT-Akteure von kognitivem oder Plattform-Kapitalismus die Rede ist?

MH: Kapitalismus hat mit Profitmachen zu tun, und Finanzkapitalismus betreibt die Transformation von Unternehmensgewinnen in Gewinne der Finanzwirtschaft. Die Finanzialisierung korporatistischer Industrien zerstört die Produktion. Wenn der industrielle Sektor eines Landes finanzialisiert wurde, entstehen hohe Kosten, die durch die Zinsen für den Schuldendienst, für Managergehälter und Dividendenausschüttungen entstehen und im Preis der Güter abgebildet werden. Daher sind finanzialisierte und privatisierte Infrastrukturen so viel teurer als öffentliche Infrastrukturen. Finanzialisierung ist eine Methode, die Ökonomie des Industriekapitalismus zu zerstören. Der Finanzkapitalismus unterliegt einer anderen Dynamik. In Band 3 des Kapitals führte Marx aus, daß die finanzielle Dynamik dem Kapitalismus, seinem Produktions- und Konsumtionssystem, als solchem äußerlich ist.

SB: US-Präsident Trump ist Geschäftsmann oder inszeniert sich zumindest als ein solcher ...

MH: Donald Trump ist kein Geschäftsmann. Er ist ein Gauner, ein Gangster. Keine Bank in den USA wird ihm Geld leihen, kein Arbeiter für ihn arbeiten, weil er die Verträge nicht einhält. Er ist kein Geschäftsmann, er ist ein Gauner. Seine Unternehmen gingen alle bankrott, und er zahlte seine Schulden an die Banken nicht zurück. Sein Business Plan besteht darin, die Banken zu betrügen. Seine Lieferanten bezahlt er nicht oder besteht darauf, ihnen lediglich 50 Cent vom Dollar zu bezahlen. Daran gingen viele bankrott. Wenn er Arbeitskräfte anstellt, macht er Versprechungen, die er nicht einhält, und sagt dann einfach: Dann müssen Sie mich verklagen. Jeder, der mit ihm Geschäfte tätigt, muß vor Gericht gehen, um seine Forderungen erfüllt zu bekommen. Das ist kein Business, das ist Gangstertum.

SB: Wie erleben Sie als US-Bürger diese Entwicklung in den Führungszirkeln des Landes?

MH: Gott sei Dank. Wenn die Rolle der Regierung darin besteht, die Wirtschaft zu zerstören, dann möchte man eine Regierung, die so schwach wie möglich ist. Wenn die Regierung übel ist, will man eine inkompetente Regierung. Hillary Clinton hat gesagt, bei der Präsidentschaftswahl ging es um das kleinere Übel. Ich denke, die US-amerikanischen Öffentlichkeit hat richtig gewählt, indem sie entschied, daß Donald Trump gegenüber Hillary Clinton das kleinere Übel ist.

SB: Michael Hudson, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:


[1] https://rosa-luxemburg-konferenz.de/de/konferenz-2019/berichte-2019/885-michael-hudson-barbarei-eine-spezialitat-der-usa

[2] https://www.counterpunch.org/2019/02/01/trumps-brilliant-strategy-to-dismember-u-s-dollar-hegemony/


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