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INTERVIEW/440: Afrika - für fairen Handel kämpfen ...    Andreas Fischer im Gespräch (SB)



Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Andreas Fischer
Foto: © 2019 by Schattenblick

"Der CFA-Franc ist der alte, aber heute noch existierende Kolonialismus, die EPAs sind der neue Kolonialismus, und beide gemeinsam bewirken, daß die afrikanischen Länder im primären Sektor verbleiben", sagt Andreas Fischer, Mitglied der Arbeitsgruppe gerechter Welthandel der Organisation Attac Berlin. Sie seien zu Rohstoff- und Agrarexporteuren abgestempelt, wodurch der Aufbau einer eigenen Industrie verhindert werde. Die Attac-AG, die unter anderem eine Filmreihe zu Afrika veranstaltet, hatte am 8. Juni 2019 zu einem vierstündigen Infotreffen ins Kino der Regenbogenfabrik in Berlin Kreuzberg geladen, um anhand von CFA-Franc und EPAs über die Afrikapolitik der Europäischen Union zu berichten.

Der CFA-Franc ist eine nach dem Zweiten Weltkrieg von Frankreich in seinen Kolonien installierte Währung, die noch heute Zahlungsmittel in 15 afrikanischen Ländern ist und diese zu billigen Ressourcenlieferanten für Frankreich gemacht hat. Bei den EPAs (Economic Partnership Agreements) handelt es sich um Freihandelsabkommen, die die Europäische Union mit der Gruppe der AKP-Staaten (aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum) zum Abschluß bringen will und die der europäischen Wirtschaft erhebliche Handelsvorteile verschaffen dürften. Im Anschluß an die Veranstaltung stellte sich Andreas Fischer für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Was hat Sie und Ihre Gruppe motiviert, heute diese beiden Diskussionsrunden zu veranstalten?

Andreas Fischer (AF): Unsere Arbeitsgruppe gerechter Welthandel von Attac-Berlin geht auf die Initiative NoTTIP aus dem Jahr 2014 zurück. Damals war noch das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU in aller Munde; das ist inzwischen von Trump abgeschossen worden. Aber es gibt so viele andere Freihandelsabkommen, die sich seitdem weiterentwickelt haben, so daß wir als Kinogruppe über die Auswirkungen der europäischen Handelspolitik auf Afrika informieren wollten. Das Thema läuft normalerweise weitgehend unter dem Schirm der Öffentlichkeit hindurch.

Wenn wir einen Film zeigen oder eine Veranstaltung wie heute organisieren, erfahren wir Dinge, die wir bis dahin nicht gewußt haben. Daher ist es eines der Ziele, solche Informationen zu erhalten und sie weiterzuverbreiten. Wir wollen aber auch mit Afrikanerinnen und Afrikanern ins Gespräch kommen, wenn sie ihre Länder hier bei uns vorstellen. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß ein großes Informationsbedürfnis hinsichtlich der Entwicklungen in Afrika besteht, und unser Beitrag dazu soll eben genau nicht unterm Schirm hindurchlaufen.

SB: Beim heutigen Treffen wurde viel Kritik an der Europäischen Union und ihrer Afrikapolitik geübt. Was sollte Ihres Erachtens mit der EU geschehen - halten Sie sie für reformierbar?

AF: Attac-Österreich hat dazu ein kleines Büchlein herausgegeben, das einen Titel trägt, der das ganze Dilemma treffend beschreibt: "Warum die EU nicht zu retten und ein Austritt keine Lösung ist" [1]. Die EU ist in dieser Beziehung, gerade was den Handel betrifft, eindeutig auch Täter. Aber jetzt zu sagen, wir gehen raus, ähnlich wie die Briten mit ihrem Brexit, würde zu einem neuen Nationalismus führen, den wir auch nicht haben wollen. Deshalb ist eine schwierige Frage, ob diese EU noch umzugestalten ist in eine Richtung, damit sie akzeptabler wird, indem sie beispielsweise auch die Menschenrechte stärker berücksichtigt. Ob das möglich ist, wissen wir nicht. Wir können uns nur darum bemühen, daß es klappt. Ich befinde mich da in dem gleichen Dilemma wie viele andere. Auch Jeremy Corbyn, Vorsitzender der Labour Party in Großbritannien, sagt: Diese EU hat keine Zukunft. Aber da jetzt rauszugehen, führt auch zu nichts. Ich denke, wir müssen trotz dieses Dilemmas weiter daran arbeiten.

SB: Einmal rein hypothetisch angenommen, die EU würde sich von den EPAs verabschieden, würden dann andere Akteure in die Lücken vorstoßen?

AF: Wahrscheinlich, denn die entsprechenden Interessen sind ja vorhanden. Der Nachteil der EU ist, daß sie als Wirtschaftsunion gegründet wurde und dies bis bis heute geblieben ist. Wir haben über die Verträge von Lissabon praktisch eine kapitalistische Verfassung. Das deutsche Grundgesetz gibt diese Festlegung auf Marktwirtschaft nicht her, aber hinter den EU-Verträgen stehen immer Interessen. Einige der Bauern hierzulande werden das vermutlich anders sehen, aber von den Großexporten, die nach Kenia und in andere afrikanische Länder gehen, profitieren nicht die Kleinbauern, sondern die Hühnerbarone und Schweinekönige. Die lassen ihre Schmutzarbeit von mies bezahlten Menschen verrichten. Das sind keine Bauern im eigentlichen Sinne, sondern Industrialisten - daß es um sie so richtig schade wäre, würde ich nicht sagen. Jedenfalls bringt die EU den kleinen und mittelständischen Landwirtschaftsbetrieben zu wenig oder nichts. Sie tun besser daran, ihre Produkte lokal oder regional zu verkaufen.

Was die Absurditäten der Handelspolitik der EU betrifft, so steht dafür beispielhaft die Produktion von Krabben. Die werden in der Nordsee gefangen, mit dem Flugzeug nach Marokko gebracht, weil die Frauen sie da für billiges Geld pulen, und dann mit dem Flugzeug wieder zurück nach Europa transportiert. Solche Unsinnigkeiten gibt es viele.

Es ist noch so viel zu tun, da weiß man manchmal gar nicht, wo man anfangen soll. Das Ausmaß der Probleme und wie sehr sie zusammenhängen, wurde vorhin bei den Diskussionsbeiträgen deutlich. Wenn man sich allerdings um alle Probleme gleichzeitig kümmern wollte, schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen und macht frustriert gar nichts mehr. Also haben wir uns den Bereich Handel ausgesucht, um Kontakte zu knüpfen und für einen gerechteren Welthandel zu kämpfen.

SB: Wenn zwei wirtschaftlich so unterschiedlich gewichtige Partner wie Afrika und die EU Handelsabkommen beschließen, dürfte das für die schwächere Seite schlecht ausgehen. Doch wie verhält es sich mit den Arbeitsbedingungen hierzulande? Wird nicht auch ein Konkurrenzdruck in der EU aufgebaut, wenn es den europäischen Unternehmen leichter gemacht wird, in Afrika billige Arbeit in Anspruch zu nehmen?

AF: Das spielt mit Sicherheit eine größere Rolle bei den Freihandelsverträgen der Industrieländer untereinander. Beispielsweise erwähnte Helga Reimund vorhin die "regulatorische Zusammenarbeit", die beim Freihandelsabkommen TTIP der EU mit den USA vereinbart werden sollte. Die regulatorische Zusammenarbeitet war direkt gegen die Demokratie gerichtet, denn es sollte eine Einrichtung geschaffen werden, bei der im Vorfeld politischer Entscheidungen bereits Absprachen mit den Konzernen getroffen werden, so daß möglicherweise sinnvolle Vorschläge - beispielsweise zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen - gar nicht erst im Parlament aufgetaucht wären.

Bei den EPAs sind ganz eindeutig die Hauptbetroffenen immer die armen Länder, zumal die EU die eigene Wirtschaft subventioniert. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Der Handel mit Afrika hat ein zu kleines Volumen, als daß das besonders auf die Arbeitsbedingungen in der EU rückwirkte. Im übrigen wird hierzulande per Massenproduktion gearbeitet, es sind also nicht allzu viele Arbeitsplätze daran beteiligt. In den letzten Jahren ist das Handelsvolumen mit Afrika sogar gesunken. Selbst die weitgehenden Zollfreiheiten, die heute noch die am wenigsten entwickelten Länder genießen, haben nicht dazu geführt, daß sie richtig auf die Beine gekommen sind.

Nur zehn Prozent der in Afrika hergestellten Produkte sind hier überhaupt konkurrenzfähig und würden nachgefragt. Nur verschlimmert man jetzt die Situation noch weiter, anstatt dafür zu sorgen, daß sich dort eine verarbeitende Industrie entwickelt, die dann Mehrwert schafft und den Leuten zu gut bezahlter Arbeit verhilft. Oder in der die kleinteilige Landwirtschaft Afrikas aufgefangen wird, so daß die Bäuerinnen und Bauern ihre Produkte auf den Markt bringen können. Da gäbe es noch ungeheuer viel zu tun.

SB: Bruno Watara (siehe unten) hatte vorhin das Problem angesprochen, daß wenig zur Sprache kommt, was sich die Afrikaner selbst eigentlich wünschen. Wie sollte man mit dem Problem beispielsweise beim Ressourcenabbau umgehen, daß sich auch dann ausbeuterische Strukturen entwickeln, wenn nicht Frankreich oder die EU ihre Finger mit im Spiel haben?

AF: Es gibt natürlich kein reines Gut und Böse. Sicherlich bestehen in vielen afrikanischen Ländern unhaltbare Zustände, die hausgemacht sind. Stichworte dazu sind Korruption, Vetternwirtschaft, ewige Präsidenten. Das kann man nicht unter den Tisch kehren. Aber unser Ansatz besteht eben darin, mit unserer Filmreihe afrikanischen Communities, von denen es in Berlin sehr viele gibt, ein Sprachrohr zu bieten. Im kleinen könnte auch das etwas bewirken.

Doch wie es vorhin gesagt wurde, wenn die weitaus meisten Präsidenten im frankophonen Bereich Hätschelkinder der französischen Regierung sind und ohne deren Einfluß gar nicht an die Macht gekommen wären, hat man tatsächlich ein großes Problem. Da ist noch ein langer Weg zu gehen. Wir wollen diese Dinge bekanntmachen, so daß mehr Menschen wissen, was in den afrikanischen Ländern passiert und wer dahinter steckt.

Zum Glück geht die Entwicklung manchmal auch in die andere Richtung. Wenn Leute an die Macht kommen, wie im vergangenen Jahr Abiy Ahmed Aly in Äthiopien, ein Präsident, auf den die Äthiopier große Hoffnungen setzen, dann bewegt sich ja doch etwas. Aber, vorhin wurden die Namen genannt: Thomas Sankara, Patrice Lumumba, Sylvanus Olympio - es kann für einen afrikanischen Präsidenten, der sich mit den Interessen der Industrieländer anlegt, lebensgefährlich sein.

SB: Dann paßt das Stichwort "Panafrikanismus von unten" sehr gut zu dem, was Attac macht?

AF: Ja, ich halte das für einen tollen Ansatz von Bruno Watara und wünsche ihm viel Glück. Es wird sehr mühsam werden, seine Pläne in die Tat umzusetzen und einen Panafrikanismus von unten aufzubauen. Denn wie heißt es so treffend: Afrika ist kein Land - Afrika ist ein Kontinent. Der ist dreimal so groß wie Europa und niemand würde behaupten, daß beispielsweise die Türkei und Deutschland dasselbe sind. Das heißt, innerhalb Afrikas sind selbstverständlich auch Widerstände zu überwinden. Aber wenn es gelingt, die Leute ins Gespräch zu bringen, einen Kontakt zwischen den afrikanischen Communities herzustellen und ihnen zu zeigen, daß in ihren Heimatländern ähnliche Probleme bestehen, dann ist man einen Schritt weiter.

Wir laden zu unseren Veranstaltungen möglichst Referenten aus Afrika ein, die sich nicht wie ich ihr Wissen angelesen haben, sondern die sagen können: "Ja, ich habe das selbst erlebt." Oder die davon berichten, was Leute aus ihrem Heimatland ihnen erzählt haben. Bruno war schon mehrfach bei unseren Veranstaltungen, und ich hoffe, daß er unsere Filmreihe auch weiter begleiten kann. Wenn es uns gelingt, seine Idee vom Panafrikanismus von unten zu unterstützen, dann haben wir dazu etwas Gutes und Wichtiges beigetragen.

SB: Das ist ein passendes Schlußwort. Vielen Dank, Andreas Fischer.


Blick durch Hofzufahrt auf die Regenbogenfabrik - Foto: © 2019 by Schattenblick

Einblick, Durchblick, Überblick - Attac Berlin informiert im Kino der Regenbogenfabrik über den alten und neuen Kolonialismus der EU-Afrikapolitik
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Fußnote:


[1] https://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/entzauberte-union-warum-die-eu-nicht-zu-retten-und-ein-austritt-keine-loesung-ist/


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT zur Attac-Veranstaltung über die EU-Afrikapolitik am 8. Juni 2019 in Berlin erschienen:

BERICHT/342: Afrika - wirtschaftskoloniale Methoden ... (SB)
BERICHT/344: Afrika - Dienstleistungs- und Wirtschaftskolonialismus ... (SB)
INTERVIEW/438: Afrika - Flucht und Gegenwehr ...    Bruno Watara im Gespräch (SB)


9. Juli 2019


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