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INTERVIEW/452: Trumps Amerika - zur Staatsfeindschaft getrieben ...    John Kiriakou im Gespräch (SB)


Interview mit John Kiriakou am 13. August 2019 in Washington D. C.


John Kiriakou ist die einzige Person, die wegen der kriminellen Folterpraktiken der CIA ein Gefängnis von innen gesehen hat. Allerdings nicht wegen Beteiligung des ehemaligen Leiters der Antiterrortruppe des US-Auslandsgeheimdiensts in Pakistan - er hatte tatsächlich nichts damit zu tun -, sondern weil er 2007 im landesweiten US-Fernsehen erstmals die Existenz des berüchtigten Programms der "erweiterten Verhörtechniken" bestätigt hat. Deswegen mußte Kiriakou 2013 für zwei Jahre hinter Gitter. Seine Karriere wurde ruiniert. Während der Zeit im Knast hat er einen hochinteressanten Blog über die miserablen Verhältnisse in den amerikanischen Vollzugsanstalten betrieben. Seit der Haftentlassung 2015 betätigt er sich als privater Sicherheitsberater sowie politischer Kommentator bei alternativen Medien wie The Real News Network und Consortium News. Das Gründungsmitglied der antimilitaristischen Gruppe Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) hat inzwischen mehrere Bücher verfaßt, darunter "The Convenient Terrorist: My Secret Life in the CIA's War on Terror" und "Doing Time Like a Spy: How the CIA Taught Me to Survive and Thrive in Prison". Am 13. August traf der Schattenblick in der Firehook Bakery am Farragut Square im Lobbyisten-Viertel Washingtons mit Kiriakou zusammen.


John Kirikou im Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

John Kiriakou
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Kiriakou, nach dem Ausstieg bei der CIA 2004 haben Sie eine gutdotierte Stelle als Berater beim Finanzberatungsunternehmen Deloitte & Touche angenommen. Was hat Sie Ende 2007 dazu motiviert, die Existenz des Programms der "erweiterten Verhörtechniken" öffentlich zu bestätigen, wo Sie doch hätten wissen müssen, daß Sie damit ihre berufliche Zukunft aufs Spiel setzten? Bereuen Sie angesichts der schwerwiegenden Folgen heute Ihre damalige Entscheidung?

John Kiriakou: Der zweite Teil Ihrer Frage ist leicht zu beantworten. Nein, ich bereue meine Entscheidung keineswegs. Ich bereue natürlich einige Dinge, die seitdem passiert sind. Die Auswirkungen sind schwer zu verkraften gewesen - bis heute. Ich bereue den Schritt deshalb nicht, weil ihn irgendwann jemand tun mußte. Man darf nicht vergessen, daß ich das schreckliche Geheimnis jahrelang für mich behalten und niemandem davon erzählt habe. Als ich 2002 aus Pakistan heimkehrte, wurde ich von der CIA gefragt, ob ich in "erweiterten Verhörtechniken" - so der Euphemismus - ausgebildet werden möchte. Bis zu dem Moment hatte ich den Begriff noch nie gehört. Als ich erfuhr, was dahintersteckte, habe ich das Angebot ausgeschlagen. Es waren vierzehn von uns, die gefragt wurden, und ich bin der einzige, der verzichtete. Dreizehn Kollegen sagten ja; ich sagte nein. Zwei Jahre später bin ich aus der CIA ausgeschieden und Sicherheitsberater in der Privatwirtschaft geworden.

Ich habe angenommen, daß irgendwann jemand, der am Programm aktiv teilnahm, auspacken würde. Ich wartete darauf, aber die große Enthüllung blieb aus. Im Dezember 2007 bekam ich einen Anruf von Brian Ross, einem Reporter bei der Nachrichtenredaktion des großen Fernsehsenders ABC, der sagte, er habe von einer Quelle erfahren, daß ich Abu Zubaydah gefoltert hätte, nachdem wir ihn im März 2002 im pakistanischen Faisalbad gefangengenommen hatten. Ich sagte Ross, seine Quelle irre sich, die Informationen seien vollkommen falsch. Ich war gegenüber Abu Zubaydah immer korrekt, sogar freundlich gewesen. Ich habe weder ihm noch irgendeinem anderen Gefangenen jemals ein Haar gekrümmt. Entweder sei die Quelle falsch informiert oder sie lüge, sagte ich Ross. Worauf dieser erklärte: "Nun, wenn es so ist, sind Sie herzlich eingeladen, bei uns im Fernsehen aufzutreten, um sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen." Damals habe ich den Vorschlag als journalistischen Trick nicht durchschaut. Also sagte ich ihm, ich würde es mir überlegen.

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, in der ABC-Sendung aufzutreten. Doch einige Tage später schaltete ich die Fernsehnachrichten an und sah, wie Präsident Bush auf einer Pressekonferenz direkt in die Kameras schaute und kategorisch erklärte: "Wir foltern nicht." Ich wußte, daß das eine Lüge war. Ein paar Tage danach sah ich ihn in den Abendnachrichten wieder, diesmal auf dem Weg zum Präsidentenhubschrauber auf dem Rasen des Weißen Hauses, als ein Reporter ihm eine Frage, die im Fernsehen nicht rüberkam, hinterherrief. Da drehte sich Bush um und erklärte, wenn es zur Folter in einer US-Militäreinrichtung gekommen sein sollte, dann nur wegen irgendeines außer Kontrolle geratenen CIA-Offiziers. In dem Moment fiel bei mir der Groschen. Ich drehte mich zu meiner Frau um und sagte ihr: "Sie werden mir, dem einzigen, der niemanden gefoltert hat, das anhängen!"

SB: Wie sind Sie zu dieser Schlußfolgerung gekommen?

JK: Weil die Frage, die Brian Ross mir am Telefon gestellt hatte, so spezifisch gewesen ist und weil die Äußerungen Bushs mich zu der Annahme verleitet hat, daß Ross' Quelle im Weißen Haus sitzen mußte. Es waren fünfeinhalb Jahre seit dem Auftakt des großen Antiterrorkriegs verstrichen und die Suche nach einem Sündenbock war in vollem Gange. Ich war der einzige, der das Folterprogramm nicht gutgeheißen und sich nicht daran beteiligt hatte.

SB: Und dennoch hatte Ross behauptet, Sie wären aktiv darin verwickelt gewesen.

JK: Weil er das von seinem Informanten im Weißen Haus zu hören bekommen hatte, nämlich "Kiriakou - der ist es gewesen". Ich dachte mir in dem Moment: "Einen Scheißdreck werde ich mich zum Sündenbock für deren Verbrechen machen lassen!"

SB: Also sind Sie in die Offensive gegangen, statt Ihren Gegnern die Initiative zu überlassen.

JK: Ganz klar. Wie ich 2012 vor Gericht erklären sollte, war das Programm der erweiterten Verhörmethoden moralisch, ethisch und rechtlich falsch.

SB: Aber alles, was Sie bei ihrem Fernsehauftritt bei ABC taten, war die Existenz des Programms, das inzwischen längst bekannt war, zu bestätigen. Weder sind Sie auf die Details eingegangen noch haben Sie einen der Beteiligten genannt oder ihm einen Gesetzesverstoß angelastet.

JK: Das habe ich alles nicht getan. Und der einzige CIA-Offizier, den ich namentlich nannte, arbeitete nicht verdeckt. Deswegen mußte der eine Anklagepunkt, die Identität eines verdeckten CIA-Offiziers preisgegeben zu haben, im Laufe des Strafprozesses fallengelassen werden. Beim Fernsehauftritt bei ABC habe ich drei Feststellungen getroffen, die vor allen Dingen politischer Natur waren. Ich erklärte erstens, daß die CIA Kriegsgefangenen folterte, zweitens, daß dies die offizielle Politik der USA sei, und drittens, daß diese Politik vom Präsidenten selbst abgesegnet worden war.

SB: Lassen Sie mich raten - die dritte Feststellung hat Ihnen den meisten Ärger eingehandelt? (lacht)

JK: (lacht) Das kann man wohl sagen. Als ein Journalist am darauf folgenden Tag den Präsidenten um eine Stellungnahme zu meinen Beschuldigungen bat, erklärte Bush, er kenne mich nicht, er kenne meine Motive nicht und habe keine Ahnung, warum ich solche schweren Vorwürfe erhebe.


Schild mit der Aufschrift 'Farragut Square', dazu Rasen, Bänke und Bäume mit Bürogebäuden im Hintergrund - Foto: © 2019 by Schattenblick

Farragut Square im Herzen Washingtons
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Trotz alledem ist die republikanische Bush-Regierung nicht rechtlich gegen Sie vorgegangen. Dies geschah erst, nachdem der Demokrat Barack Obama 2009 ins Weiße Haus eingezogen war. Zu dem Zeitpunkt waren Sie inzwischen leitender Ermittler des außenpolitischen Ausschusses des Senats, damals unter der Führung John Kerrys, geworden. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Sie unter Bush das Justizministerium in Ruhe ließ, unter Obama dagegen nicht? War es unter Bush politisch nicht opportun? Hatte es mit irgendwelchen größeren politischen Zusammenhängen zu tun?

JK: Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens war Obama in einem Ausmaß, das die USA seit den Tagen Richard Nixons nicht mehr erlebt hatten, auf die Bekämpfung von Lecks in der eigener Administration fixiert. Zweitens war einer meiner Erzfeinde bei der CIA John Brennan, einer der Hauptverfechter des Folterprogramms, gewesen. Bei der Präsidentenwahl und den Vorwahlen bei den Demokraten 2008 gehörte Brennan praktisch als einzige ehemalige CIA-Führungsperson zum Wahlkampfteam Obamas. Alle anderen machten beim Team Hillary Clinton mit. Nach dem Wahlsieg belohnte Obama Brennan für seine Unterstützung mit dem Posten des Präsidentenberaters für innere Sicherheit und Terrorbekämpfung. Nach dem Einzug ins Weißes Haus im Januar 2009 fing Brennan an, offene Rechnungen mit seinen Feinden zu begleichen.

SB: Und welche Rechnung hatte er mit Ihnen offen?

JK: Anfang 2001 war Brennan der stellvertretende leitende Direktor und damit Nummer drei bei der CIA geworden. In dieser Funktion war er für die Terrorismusbekämpfung zuständig und nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September hatte er die Oberaufsicht über die Behandlung von gefangengenommenen "illegalen feindlichen Kombattanten" im globalen Antiterrorkrieg der Bush-Regierung. Er stand quasi dem ganzen Folterkomplex vor.

Obama behauptete zu Beginn seiner Präsidentschaft, die dunklen Seiten der Ära von Bush jun. und Dick Cheney hinter sich lassen zu wollen. Er räumte ein, die USA hätten "einige Leute gefoltert", behauptete aber, dies gehöre der Vergangenheit an, die amerikanischen Bürger sollten ihren Blick in die Zukunft richten und über die Fehltritte von einst hinwegsehen. Aber wie sollte das möglich sein, wo doch Obamas eigener Berater in Sachen Heimatschutz und Terrorismusbekämpfung, den er später selbst zum CIA-Chef fördern sollte, das Folterprogramm geleitet hatte? Dort liegt doch der Hund begraben.

SB: Waren Sie und Brennan früher bei der CIA irgendwie
aneinandergeraten?

JK: Ich habe John Brennan vom erstem Moment an, als ich ihn 1989 kennenlernte, nicht gemocht.

SB: Wie haben die persönlichen Erfahrungen der letzten Jahren Ihre Perspektive auf die CIA, das Strafrechtssystem sowie die Politik der USA verändert?

JK: Ich habe lange, lange Zeit bei der CIA geglaubt, daß wir die Guten waren. Ich habe als politisch interessierter Schüler Ende der siebziger Jahre mitbekommen, wie es nach dem Watergate-Skandal und der Veröffentlichung des Church-Berichts zu weitreichenden Reformen bei der CIA gekommen ist. Später als Mitarbeiter der "Firma" habe ich in den neunziger Jahren unter Bill Clinton miterlebt, wie wir ein Drittel unserer informeller Mitarbeiter im Ausland in die Wüste geschickt haben, weil sie in Menschenrechtsverbrechen und andere Missetaten verwickelt waren. Ich glaube heute noch, daß die damaligen Reformansätze gegriffen hatten - bis zum 11. September 2001. In Reaktion auf die schockierenden Anschläge auf die New Yorker Zwillingstürme und das Pentagon in Arlington griff man bei der CIA wieder auf die "altbewährten" Methoden wie politische Attentate, Regimewechsel, Folter et cetera zurück und fügte neue wie Drohnenangriffe und "außergewöhnliche Überstellungen" hinzu.

SB: Die Uhr zurückzudrehen, die "guten alten Zeiten" wiederauferstehen zu lassen, war von vornherein das erklärte Ziel von Bushs Vizepräsident Cheney und seinem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die einst unter Nixon im Weißen Haus gearbeitet hatten. Den beiden reaktionären Militaristen kamen die Flugzeuganschläge extrem gelegen.

JK: So ist es. Cheney, Rumsfeld und Konsorten hatten sogar den Einmarsch in den Irak lange vor dem 11. September 2001 geplant. Die Anschläge auf die Symbole der finanziellen und militärischen Macht der USA haben ihnen den ersehnten Vorwand geliefert.

SB: Sie waren im Februar 2002 als Leiter der Antiterroroperationen der CIA in Pakistan an der Festnahme Abu Zubaydahs, der damals als Nummer drei in der Führungshierarchie des Al-Kaida-"Netzwerks" Osama Bin Ladens galt, unmittelbar beteiligt. Wann haben Sie das erste Mal erfahren, daß "Terrorverdächtige" gefoltert wurden? Als Sie noch in Pakistan Jagd auf mutmaßliche "Terroristen" machten oder nachdem Sie in die USA zurückgekehrt waren?

JK: Nach der Festnahme Abu Zubaydahs blieb ich weitere drei Monate in Pakistan. Ich hatte keine Idee, wohin man ihn gebracht hat. Ich mußte es nicht wissen, und sie haben es mir auch nicht gesagt.

SB: Ihre Aufgabe bestand also lediglich darin, die Leute zu schnappen. Was danach mit ihnen geschah, hatte Sie nicht zu interessieren?

JK: Genau. Als ich Abu Zubaydah dem für seine Überstellung verantwortlichen Kollegen übergab, fragten sie mich nach seiner Identität. Ich sagte ihnen, daß ich das nicht sagen dürfe. Ihre Aufgabe bestand nicht darin, seine Identität zu erfahren, sondern ihn schnell und sicher von A nach B zu transportieren.


Imposanter Haupteingang des St.-Regis-Hotels samt Blumenbeet und Vordach - Foto: © 2019 by Schattenblick

Das Washingtoner Nobelhotel St. Regis, wo 2003 Dick Cheneys Stabschef 'Scooter' Libby beim Frühstück mit der NYT-Journalistin Judith Miller die Identität der verdeckt arbeitenden CIA-Ermittlerin Valerie Plame illegal preisgab
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Die Aufgaben sind also derart streng unterteilt, daß die für die Logistik zuständigen Leute nicht einmal wissen, wen oder weshalb sie jemanden überführen?

JK: So strikt wird das gehandgehabt. Einer der an der Transportmission beteiligten Kollegen war ein guter Kumpel von mir. Er fragte mich: "Wer ist der Typ?", worauf ich erwiderte: "Das darf ich dir nicht sagen." Als ich ihn dann fragte: "Wo bringt ihr ihn hin?", konterte er konsequent, das dürfte er umgekehrt mir nicht sagen. Wir lachten beide, verabschiedeten uns und gaben uns die Hand. Wir konnten nicht anders handeln, denn wir hatten unsere Befehle zu befolgen.

Ich kehrte im Mai 2002 in die USA zurück, wo ich wegen der Festnahme von Abu Zubaydah zum Executive Assistant des Stellvertretenden Leiters der Operationsabteilung bei der CIA befördert wurde. In dieser Position hatte ich die höchste Sicherheitsfreigabe und bekam Einblick in alles, was die CIA rund um die Welt machte. Lediglich die Unterlagen der internen CIA-Spionageabwehr, die eine eigene Welt für sich bildet, blieben für mich geschlossen. Also war es im Mai jenes Jahres, daß ich erfuhr, wohin man Abu Zubaydah brachte und was man mit ihm machte.

Als ich ihn zuletzt gesehen hatte, war er schwer verletzt. Bei der Festnahme und der damit einhergehenden Schießerei hatte ein pakistanischer Polizist ihn dreimal getroffen. Ihm mußte zunächst medizinisch das Leben gerettet werden. Ungeachtet der kurzen Gespräche, die der FBI-Ermittler Ali Soufan in den ersten Stunden und Tagen nach der Festnahme mit Abu Zubaydah führen konnte und bei denen er sich kooperativ zeigte, war offenbar der Plan der CIA von Anfang an, ihn zu foltern.

SB: Was sagen Sie den Kritikern, die der Überzeugung sind, daß es beim Überstellungs- und Folterprogramm der CIA mitnichten um die Gewinnung irgendwelcher Erkenntnisse zur Vermeidung weiterer "Terroranschläge" à la 9/11, sondern ausschließlich darum ging, erstens nach außen hin für die ganze Welt sichtbar die brutale Macht Amerikas zu demonstrieren und nach innen eine Art Präsidialdiktatur zu errichten, zweitens falsche Geständnisse aus Leuten wie Abu Zubaydah und Ibn Al Scheich Al Libi zur Begründung des ohnehin längst beschlossenen Irakkriegs herauszuprügeln und drittens die Opfer des Programms physisch und psychisch derart zugrunde zu richten, daß sie niemals als glaubwürdige Zeugen vor Gericht auftreten können?

JK: Ich stimme der Formulierung voll und ganz zu. Sie haben die drei wichtigsten Ziele des Folterprogramms genannt. Und so ist es auch gekommen.

SB: Wie kann man dann überhaupt etwas aus den Geständnissen von Khalid Scheich Mohammed, dem angeblichen "Architekten" der Flugzeuganschläge, dessen Angaben die Grundlage sowohl des gemeinsamen Berichts der Geheimdienstausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat aus dem Jahr 2002 als auch des Berichts der "unabhängigen" 9/11-Kommission aus dem Jahr 2004 bilden, glauben, wo doch KSM 183mal der Wasserfolter, dem sogenannten Waterboarding, unterzogen worden sein soll?

JK: Können wir gar nicht. Das Waterboarding ist derart grausam, daß das Folteropfer, um dem nicht noch einmal unterzogen zu werden, praktisch alles von sich gibt und gesteht, was seine Peiniger von ihm hören wollen. KSM hat ziemlich bald nach seiner Festnahme im März 2003 in Pakistan gestanden, im Jahr davor den Wall-Street-Journal-Reporter Daniel Pearl ermordet zu haben. Dabei wußten wir in der Führungsetage der CIA-Operationsabteilung, daß er den Mord nicht begangen hatte.

SB: Moment. Das ist nach wie vor die offizielle These, daß die Hand, die in dem Al-Kaida-Video Daniel Pearls Kehle aufschlitzt, Khalid Scheich Mohammeds ist.

JK: Das mag sein, aber nur, weil er es behauptet hat. Ich habe niemals geglaubt, daß KSM der Mörder von Daniel Pearl war. Der Belutsche hat unter Folter eine ganze Menge Verbrechen gestanden, die er nicht begangen hat. Das macht doch jeder in der schrecklichen Situation. Nehmen wir Abu Zubaydah zum Beispiel. Auch er hat Informationen abgeliefert, die mehr als offensichtlich falsch waren. Das gleiche gilt für Ramsi Binalschibh, den früheren Weggefährten Mohammed Attas. Wir wissen aus diversen Quellen, was diese Leute getan haben und was nicht. Von Abu Zubaydah wissen wir, daß er zwei Ausbildungslager in Afghanistan und das Gästehaus namens Haus der Märtyrer in Pakistan geleitet hat und daß er dort für die Dschihadisten Reisen oder Telefonate nach Hause organisierte, Bargeld und falsche Reisepässe et cetera besorgte. Gleichzeitig wissen wir, daß er mit vielen der Verbrechen in Europa, Südostasien und anderswo, die er unter Folter gestanden hat, nichts zu tun hatte. Dasselbe gilt für die anderen Opfer des Folterprogramms. Mammar Al Baluchi, dem Neffen von KSM zum Beispiel, wurde in einer "black site" der CIA der Kopf dermaßen heftig und häufig gegen die Wand geknallt, daß er bleibende Gehirnschäden davontrug und sich deswegen heute vor dem Militärgericht in Guantánamo Bay nicht verteidigen kann. Man kann also den Angaben, die diese Menschen unter Folter gemacht haben, in keiner Weise trauen, so daß sie weder als Geheimdiensterkenntnisse noch als Beweismittel vor Gericht benutzt werden können.


Das Weiße Haus aus 150 Meter Entfernung - Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Amtssitz des US-Präsidenten
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: 2002 hat ein Gericht in Pakistan Omar Scheich, einen mutmaßlichen Doppelagenten des britischen Auslandsgeheimdiensts MI6, der Verschleppung und Ermordung von Daniel Pearl schuldig gesprochen und ihn zum Tode verurteilt. Wegen Rücksicht auf die geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen London und Islamabad wurde weder die Strafe vollstreckt noch Scheichs Antrag auf ein Berufungsverfahren bewilligt.

JK: An dem Tag Mitte Januar 2002, an dem Daniel Pearl entführt wurde, habe ich ihn im US-Konsulat in Karachi getroffen, aber nur kurz mit ihm gesprochen. Ich war mit anderen Sachen voll belegt und hatte keine Zeit. Er arbeitete damals an einer Geschichte über die Verbindungen zwischen dem britischen Schuhbomber Richard Reid und dem pakistanischen Geheimdienst Inter-Services Intelligence (ISI) und war auf dem Weg, einen Informanten in der dschihadistischen Szene zu treffen. Er hat sich bei uns hauptsächlich mit Tom McHale, einem Ermittler der Hafenbehörde von New York und New Jersey, der damals dem FBI assistierte, unterhalten. McHale hat ihm davon abgeraten, das Interview zu machen, weil der Ort, wo es stattfinden sollte, gefährlich war und weil wir für seine Sicherheit nicht garantieren konnten. Pearl spielte das Risiko herunter, erzählte, wie lange er bereits an dem Interview arbeite, daß die Kontaktleute für seine Sicherheit garantiert hätten et cetera. Er war von dem Interview nicht abzubringen, was ihn letztlich das Leben kostete.

SB: Ist Ihnen jemals aufgefallen oder hat es Sie je zum Nachdenken veranlaßt, daß es teilweise dieselben Mitarbeiter der für die Bekämpfung von Al Kaida zuständigen Alec Station bei der CIA waren, die einerseits im Vorfeld des 11. September dem FBI hochwichtige Informationen vorenthielten, die zur Abwendung der Anschläge auf die Twin Towers und das Pentagon hätten führen können, wie zum Beispiel die Einreise der beiden mutmaßlichen Flugzeugentführer Chalid Al Hasmi und Nawaf Al Midhar im Januar 2000 in die USA, und die andererseits später eine führende Rolle bei der Folter der vermeintlich führenden "Terrorverdächtigen" gespielt haben? Für den Außenstehenden riecht eine solche personelle Übereinstimmung nach Vertuschung, nach dem Motto, diejenigen, die den USA die Katastrophe eingebrockt haben, durften später die eigenen Spuren beseitigen.

JK: Ich sehe da keine Vertuschung, sondern Inkompetenz. Die CIA stellt eine riesige Bürokratie dar, und ihre leitenden Mitarbeiter sind lange nicht so schlau, wie sie aller Welt weismachen wollen. Ich kenne diese Leute; sie sind nicht die hellsten Lichter am Weihnachtsbaum. Vertuschung ist ein schwerer Vorwurf. Das sind einfach Idioten.

SB: Moment mal. Nach den Anschlägen lautete die Parole, man habe über sämtliche Teile verfügt, aber wegen bürokratischen Wirrwarrs das vollständige Puzzle nicht zusammensetzen können. Aber so kann das nicht stimmen. Bereits im August 2001 wurde Zacarias Moussaoui nach verdächtigem Verhalten an einer Flugschule in Eagan, Minnesota, festgenommen. Die Mitarbeiter des FBI-Büros in Minneapolis, darunter die Anwältin Coleen Rowley, wähnten sich einem großen Komplott auf der Spur. Sie haben untereinander sogar von der Möglichkeit eines Flugzeuganschlags auf die New Yorker Zwillingstürme gesprochen. Nachdem ihr Vorschlag, beim geheim tagenden FISA-Gericht einen Antrag auf die Untersuchung von Moussaouis Laptop und seine Telefonverbindungen einzureichen, von den Verantwortlichen in Washington zurückgewiesen wurde, haben die FBI-Mitarbeiter in Minnesota selbsttätig Kontakt zu den Polizeikollegen in Paris aufgenommen und seitenweise Erkenntnisse des französischen Geheimdiensts über die Kontakte Moussaouis zur dschihadistischen Szene in Frankreich und Großbritannien erhalten. Nachdem sie diese Informationen wiederum an das Antiterrorzentrum in der FBI-Zentrale geschickt hatten, wurde ihr nochmaliges Ersuchen, einen Antrag auf Genehmigung eines Durchsuchungsbefehls beim FISA stellen zu dürfen, mit dem Argument zurückgewiesen, sie hätten sich nicht an die Franzosen wenden dürfen, denn dafür sei allein das Büro in der US-Hauptstadt zuständig.

JK: Ich glaube, Sie unterschätzen, wie schlecht es damals um die Beziehungen zwischen der CIA und dem FBI bestellt war. Die Mitarbeiter beider Behörden haßten sich gegenseitig. Dazu kamen technische Unzulänglichkeiten. Die Computersysteme dieser Behörden waren nicht miteinander kompatibel. Der Datenaustausch funktionierte nicht, was jede effektive Zusammenarbeit blockierte. In der Zeit vor 9/11 gab es im Antiterrorzentrum der CIA lediglich einen Verbindungsbeamten des FBI und umgekehrt. Zudem hatte weder der CIA-Verbindungsmann beim FBI noch der FBI-Kollege bei der CIA Zugang zu den Archiven und den Computersystemen des anderen Diensts. Beide Behörden arbeiteten quasi aneinander vorbei. Sie teilten keine Informationen untereinander, sondern behielten die eigenen Erkenntnisse, Hinweise, Verdachtsmomente et cetera für sich.

SB: Also würden Sie sagen, daß die Katastrophe vorprogrammiert war?

JK: Hundertprozentig.


Blick vom Willard Hotel die Pennsylvania Avenue hinauf zum eineinhalb Kilometer entfernten Capitol Hill - Foto: © 2019 by Schattenblick

Die berühmte Pennsylvania Avenue, die Weißes Haus und Kongreß verbindet
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Kommt es Ihnen auch als mehr als nur ein Zufall vor, daß der damalige Chef der Abteilung für verdeckte Operationen der CIA, José Rodriguez, und seine enge Mitarbeiterin Gina Haspel, heute CIA-Direktorin, die Videobänder der "erweiterten Vernehmungen" von KSM und den anderen 9/11-Verdächtigen nur wenige Stunden, nachdem im November 2005 Leonie Brinkema, die Richterin im Fall Zacarias Moussaoui vor dem Bundesgericht in Alexandria, Virginia, von allen staatlichen Stellen die Übergabe sämtlichen entlastenden Material an die Verteidigung angeordnet hatte, vernichteten?

JK: Absolut. Als die Vernichtung der Folter-Videobänder zwei Jahre später bekannt wurde, habe ich als erster strafrechtliche Folgen für Rodriguez und Haspel wegen Behinderung der Justiz und der Vernichtung von Beweismitteln gefordert. Sie sind beide Verbrecher aus meiner Sicht. Ich denke schon, daß bei der CIA die Anordnung Brinkemas im Moussaoui-Fall in der Tat der Anlaß für die rasche Beseitung der Foltervideos gewesen ist.

SB: In der Frage zu dem Vorfall steckt auch die unausgesprochene Unterstellung, Rodriguez und Haspel hätten die Aufzeichnungen nicht nur zerstören lassen, um die Beweise für Folter zu vernichten, sondern eventuell auch dafür, daß die offizielle Theorie zum 11. September von vorne bis hinten gelogen ist. Möglicherweise wäre auf den Bändern KSM zu hören gewesen, wie er zwischendurch jede Beteiligung von Moussaoui als auch eventuell von sich selbst an den Flugzeuganschlägen abstreitet.

JK: Möglich ist es, wenngleich ich zugegeben muß, von einer Spekulation in dieser Richtung bislang niemals gehört zu haben. Ich glaube, Rodriguez und Haspel haben die Aufzeichnungen deshalb zerstören lassen, weil die dort zu sehenden Vernehmungen extrem brutal waren und bei einer Veröffentlichung deshalb zahlreiche CIA-Offiziere in ganz große Schwierigkeiten mit der Justiz geraten wären.

SB: Aktuell liegt dem Kongreß ein Gesetzesentwurf vor, der 2020 Intelligence Authorization Bill, der darauf abzielt, die Strafe für die Preisgabe der Identität ehemaliger oder noch im Dienst befindlicher, verdeckter CIA-Offiziere drastisch zu erhöhen. Woher rührt der Impuls zu der Initiative, und warum findet sie zu diesem Zeitpunkt statt?

JK: Hinter dem Gesetzentwurf steckt der unverhohlene Versuch der CIA, die Missetäter in den eigenen Reihen, Agenten, die gefoltert oder andere schwere Kriegsverbrechen begangen haben oder so etwas in der Zukunft tun könnten, rechtlich abzusichern und sie vor juristischer Verfolgung zu schützen. Wenn der Gesetzentwurf durchkommt, womit zu rechnen ist, könnten sich alle Whistleblower, die an die Presse Informationen über Verbrechen verdeckter CIA-Offiziere weitergeben, und sogar die Journalisten und ihre Chefredakteure, welche die Geschichte bringen und die mutmaßlichen Täter benennen, später wegen der Preisgabe geheimdienstlich relevanter Daten auf der Anklagebank wiederfinden. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, dürfte das Interesse der Presse an derartigen Stoffen gegen Null tendieren. Die CIA wird schalten und walten können, ohne die Schnüffelei oder Anprangerung durch die Medien allzu sehr befürchten zu müssen. Vor diesem Hintergrund halte ich den Gesetzesentwurf für einen schweren Angriff auf die Pressefreiheit und damit auf den ersten Zusatz der US-Verfassung, der sie schützen sollte.

SB: Wie ist Ihre Meinung zu den Bestrebungen, den WikiLeaks-Gründer Julian Assange aus Großbritannien ausgeliefert zu bekommen, um ihm wegen Geheimnisverrats vor dem Bundesgericht in Alexandria, Virginia, den Prozeß zu machen, und in dem Zusammenhang zu der monatelangen Inhaftierung von Chelsea Manning, weil sie sich weigert, sich über das hinaus, was sie bei ihrem eigenen Prozeß 2013 bereits ausgesagt hat, in Bezug auf ihre früheren Kontakte zu dem australischen Verleger vor einer Grand Jury befragen zu lassen?

JK: Nicht nur das - Manning ist rechtliche Immunität versprochen worden für den Fall, daß sie irgend etwas zugibt, das sie noch weiter belastet und eventuell zu einer erneuten Haftstrafe führte, solange sie nur Assange in die Pfanne haut. Als jemand, der als Whistleblower zwei Jahre hinter Gittern verbracht hat, kann ich es kaum in Worte fassen, wie sehr mich das Handeln von Chelsea Manning und ihre moralische Stärke im Fall Assange beeindruckt. Die Position, die sie eingenommen hat, ist unglaublich. Hier haben wir es mit einer Person zu tun, von der die Presse uns weismachen wollte, sie sei in der Frage ihrer Sexualität verirrt - deshalb die Geschlechtsumwandlung -, gebrechlich, psychisch schwach mit mindestens einem Selbstmordversuch - im Verlauf einer siebenjährigen Inhaftierung wohlgemerkt, darunter ein nicht geringer Teil in Isolationshaft. Das hat sich alles als Legende erwiesen. Chelsea Manning ist stärker als neunundneunzig Prozent der Männer, die ich kenne.

Sie hätte verschiedene Wege nehmen können, um eine erneute Inhaftierung zu vermeiden. Sie hätte vor der Grand Jury auftreten und Assange ans Messer liefern können. Dazu war sie aber nicht bereit. Sie hätte die Aussage verweigern und auf ihr Recht nach dem fünften Zusatz der US-Verfassung, sich nicht selbst belasten zu müssen, berufen können. Auch damit wäre sie aus dem Schneider gewesen. Doch auch diese Option hat sie nicht gewählt. Sie hätte sich vor der Grand Jury befragen lassen und konsequent auf jede Frage antworten können, daß sie sich an nichts mehr erinnere. Wäre auch gegangen, hat sie aber nicht getan. Statt dessen hat sie sich unter Berufung auf den vierten und sechsten Zusatz der US-Verfassung - Schutz vor willkürlicher Festnahme sowie Recht auf zügigen Prozeß - komplett geweigert, mit der Grand Jury zu kooperieren und deren Einsatz gegen Assange als Machtmißbrauch und staatliche Willkür angeprangert.

Bestimmte Kreise im Sicherheitsapparat waren über die von Obama Anfang 2017 angeordnete Freilassung Mannings auf Bewährung - quasi seine letzte Amtshandlung als Präsident - unglücklich und wollen sie wieder in den Knast stecken. Wenn es Staatsanwaltschaft und Justizministerium ausschließlich um Assange gegangen wäre, hätten sie vor dem zuständigen Bundesbezirk in Virginia einfach die Einlassungen Mannings aus ihrem eigenen Prozeß als Beweismittel in den neuen Fall einfließen lassen können. Das hätte gereicht. Aber nein, sie wollten Manning vor die Grand Jury bringen, um sie in Widersprüche zu verwickeln und sie dann eventuell wegen Meineids und Falschaussage im ersten Prozeß erneut anklagen und einkerkern zu können. Manning hat das abgekartete Spiel, bei dem sie nur verlieren konnte, durchschaut und sich deshalb geweigert mitzuspielen. Deswegen hat der Richter sie mit dem Ziel ins Gefängnis gesteckt, sie zur Aussage zu zwingen. Doch Manning kriegen sie nicht klein. Sie hat selbst gesagt, ihre Ideale zu verraten wäre schlimmer als der Tod im Gefängnis.


Der große Springbrunnen von zahlreichen Granitsäulen umgeben, die jeweils mit einem Ehrenkranz aus Metall bestückt sind - Foto: © 2019 by Schattenblick

Das World War II Memorial mit dem Washington Momunent im Hintergrund
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Ist der Fall Assange Ihrem insofern nicht unähnlich, als daß die US-Regierung auch an ihm für alle Welt sichtbar ein Exempel statuieren will?

JK: Absolut. Sie wollen an ihm unbedingt ein Exempel statuieren und tun es auch. Das ist doch offensichtlich. Ich stehe seit einiger Zeit mit Julian in Kontakt. Seit er im vergangenen März aus der ecuadorianischen Botschaft in London herausgeholt und in den Hochsicherheitstrakt Belmarsh gesteckt wurde, kommuniziere ich aber hauptsächlich mit seinen Anwälten, allen voran Gareth Pierce.

SB: Sie ist ziemlich berühmt. Emma Thompson hat sie in dem 1993 erschienenen Kinofilm "The Name of the Father" über den Justizskandal um die Guildford Four, die jahrelang zu Unrecht wegen eines IRA-Bombenanschlages in Großbritannien im Gefängnis saßen, gespielt.

JK: Ich habe vor kurzem hier mit ihr Kaffee getrunken und mit ihr über Julians Aussichten gesprochen. Sie und seine anderen Anwälte, die Australierin Sarah Harrison und der Spanier Baltasar Garzón, sind nicht optimistisch. Das hängt damit zusammen, wie das US-Justizsystem funktioniert. Ich habe Julian die wichtigste Lehre aus meinen eigenen Erfahrungen mit jenem System mitgeteilt. Sie stammt aus dem Gespräch, das ich mit meinem juristischen Beistand führte, nachdem ich das letzte Angebot des Justizministeriums erhalten hatte. Er sagte mir: "Wissen Sie, was Ihr Problem ist? Sie wollen glauben, daß es hier um Gerechtigkeit geht. Aber es geht hier überhaupt nicht um Gerechtigkeit, sondern ausschließlich um Schadensbegrenzung." Als ich das begriff, willigte ich in das Angebot ein und kam mit dem kleinstmöglichen Schaden davon.

Lange Zeit glaubten Julian und seine Unterstützer auch, daß es für sie in seinem Fall auch um Gerechtigkeit ging bzw. gehen müßte. Sie dachten, daß sie nur die amerikanische Öffentlichkeit über die gute aufklärerische Arbeit, die Assange seit der Gründung von WikiLeaks im Jahre 2006 geleistet hat, informieren müßten und seine Probleme mit der US-Justizbehörden würden sich praktisch von selbst lösen. Das war natürlich ein Trugschluß. WikiLeaks hat sich für behördliche Transparenz eingesetzt, Korruption bekämpft und viele Kriegsverbrechen publik gemacht. Doch davon erfährt die Öffentlichkeit nichts mehr, seit WikiLeaks 2016 mitten im Wahlkampf um die Präsidentschaft Emails veröffentlichte, welche die demokratische Parteiführung um Hillary Clinton belastete und dadurch dem Republikaner Donald Trump zum Einzug in das Weiße Haus verhalf.

SB: Wegen dieser Episode gilt Assange aus Sicht der "liberalen" Medien der USA als Erfüllungsgehilfe Wladimir Putins, weil die fraglichen Emails angeblich vom russischen Geheimdienst gehackt und WikiLeaks zur Verfügung gestellt wurden - eine These, deren Beweislage extrem dürftig ist. Jedenfalls hat Assange stets bestritten, die Emails des Democratic National Committee von den Russen erhalten zu haben, und immer wieder beteuert, sie stammten nicht von einem Hack, sondern aus einem Leck und zwar begangen von Mitarbeitern des DNC, die unglücklich darüber gewesen sein sollen, wie Clintons ärgster Rivale, Senator Bernie Sanders, von der demokratischen Parteiführung um einen eventuellen Sieg bei den Vorwahlen betrogen wurde.

JK: Julians größter Fehler ist es gewesen, sich von seiner Animosität Hillary Clinton gegenüber leiten zu lassen.

SB: Das kann man ihm kaum verdenken. Schließlich hatte er ihr zu verdanken, daß er jahrelang in der Botschaft Ecuadors festsaß.

JK: Natürlich. Genau wie die Tatsache, daß Edward Snowden wegen John Kerry bislang in Moskau sitzt und Rußland nicht verlassen darf.

SB: Seit dem Sieg Trumps bei der Präsidentenwahl im November 2016 beherrscht das Thema Russiagate die Schlagzeilen und die innenpolitische Diskussion in den USA. Hinter dem Begriff Russiagate verbirgt sich die Verschwörungstheorie der Demokraten, der Politneuling Trump habe die ehemalige First Lady, Senatorin und Außenministerin Clinton nur mit russischer Hilfe besiegen können; irgendwie hätte der Kreml die Wahl manipuliert und die heilige Demokratie Amerikas besudelt. Schaut man jedoch hinter die Kulissen, entpuppt sich Russiagate als ein gnadenloser Machtkampf verschiedener Teile der US-Geldelite, die mit ihren jeweiligen Getreuen im Sicherheitsapparat und in den Medien zusammenarbeiten, um der anderen Seite zu schaden. Hauptleidtragender ist jedoch das politische System und die Zusammenarbeit von Kongreß und Weißem Haus, die durch die unversöhnliche Haltung von Republikanern und Demokraten nicht mehr richtig zu funktionieren scheint. Halten Sie diese Bestandsaufnahme für treffend, und haben Sie vielleicht eine Erklärung, wie es zu dieser Zerrüttung der politischen Verhältnisse in Washington kommen konnte?

SB: Von Anfang an gab es keinerlei Beweise, daß Rußland oder irgendwelche mit dem Kreml verbundene Akteure den Ausgang der US-Präsidentenwahl 2016 maßgeblich beeinflußt hätten. Bevor ich zur Operationsabteilung der CIA ging, habe ich jahrelang als Analytiker gearbeitet. Auf der Basis dessen, was ich damals gelernt habe, kann ich eines sagen: Ohne Beweismittel, ohne ausreichende Erkenntnisse kann man kein vernünftiges Urteil über irgend etwas fällen. Bei Russiagate hat es viele Gerüchte und viele Behauptungen, aber keine eindeutigen Beweise für eine russische Verwicklung gegeben. Doch die meisten Angehörigen der liberalen Elite hat das Fehlen eindeutiger Beweise nicht gestört. Die Beschuldigungen gegen Trump reichten ihnen völlig aus, und sie haben sie ohne Unterlaß in Umlauf gebracht. Die Demokraten von heute sind quasi zu den Republikanern der fünfziger Jahre mutiert und haben eine neue Rote Angst entfacht. Damit haben sie in erster Linie von der eigenen Mitverantwortung am politischen Aufstieg Trumps erfolgreich ablenken können. Inzwischen können sie von diesem Unsinn nicht mehr lassen. Ich kann zum Beispiel, wie sehr viele Menschen, Mitch McConnell nicht ab. Wer kann das schon? Aber ihn als "Moscow Mitch" zu beschimpfen und zu behaupten, der republikanische Mehrheitsführer im Senat sei ein russischer Doppelagent, ist doch reine Hysterie. So tief ist das Niveau der parteipolitischen Auseinandersetzung in den USA inzwischen gesunken. Das ist doch beschämend.


Abenddämmerung über dem berühmten, im altgriechischen Stil errichteten Säulenbau - Foto: © 2019 by Schattenblick

Das Lincoln Memorial mit dem Reflecting Pool im Vordergrund
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Aber wenn man die zum Teil unverantwortliche und sprunghafte Politik des amtierenden US-Präsidenten in Fragen der Einwanderung, des Klima- und Umweltschutzes, des Handels mit China u. v. m. betrachtet, könnte man zu der Schlußfolgerung kommen, daß Leute im Sicherheitsapparat wie diese beiden FBI-Agenten, Peter Strzok und Lisa Page, vielleicht durchaus Recht hatten, als sie sich Gedanken machten, wie man die Wahl Trumps irgendwie verhindern könnte und sei es mit unzulässigen Mitteln.

JK: Ich würde die Suggestion eines ehrenwerten Motivs nicht gelten lassen wollen. Für mich sind das zwei Ehebrecher aus der mittleren Ebene des Staatsapparats, die bei der illegalen Verwendung polizeilicher Informationen zu politischen Zwecken ertappt wurden.

SB: Es waren im Sommer 2026 aber weit über Strzok und Page hinaus auch Führungspersonen beim FBI und im Justizministerium daran beteiligt, mittels manipulierter Geheimdiensterkenntnisse vom zuständigen FISA-Gericht die Genehmigung für einen großangelegten Lauschangriff gegen Mitarbeiter von Trumps Wahlkampfteam zu erwirken. Glauben Sie wirklich, daß die Beteiligten an dieser Operation nicht in erster Linie den Schutz des Staates vor möglichen Gefahren im Sinne hatten, sondern tatsächlich nur eine parteipolitische Intrige verfolgten?

JK: Ja, das glaube ich.

SB: Aber warum mußten alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um die Wahl Trumps zu verhindern oder seinen Sieg als Betrug am amerikanischen Volks zu diskreditieren? Vier Jahre später gäbe es die nächste Präsidentenwahl, zwei Jahre später bereits Zwischenwahlen zum Kongreß. Die Demokraten wären immer noch im Spiel. Irgendwann würden sie wieder die Regierungsmacht zurückbekommen. Warum das ganze staatsdestabilisierendes Spektakel?

JK: Weil es um die Macht geht.

SB: Wohl wahr, aber es scheint, als würde der politische Kampf in Washington seit der Konfrontation Trumps mit Clinton weitaus erbitterter ausgetragen als zu Zeiten von Gore gegen Bush oder Carter gegen Reagan. Warum ist die politische Atmosphäre so vergiftet, so angeheizt?

JK: Wissen Sie, ich lebe seit 37 Jahren in Washington. Ich bin eine Woche nach meinem achtzehnten Geburtstag hierher gezogen, um mein Studium anzufangen. Bis auf einige Auslandsaufenthalte im Dienste der CIA habe ich Washington nie verlassen. Ich stamme ursprünglich aus einem Ort in der Nähe von Pittsburgh, Pennsylvania. Als ich vier Jahre alt war, habe ich meinen Eltern erklärt, daß ich in Washington leben wolle. Ich liebe Washington, aber auch ich muß eingestehen, daß die politische Atmosphäre in der Stadt extrem vergiftet ist. Es herrscht dermaßen viel Neid, Mißgunst und offene Feindseligkeit, daß ich die Stadt kaum wiedererkenne. Erinnern Sie sich an Vincent Foster?

SB: Klar. Das ist doch der Rechtsberater von Präsident Bill Clinton gewesen, der sich erschoß und um dessen Ableben es bis heute wildeste Spekulationen gibt.

JK: In seinem Abschiedsbrief schrieb Foster, der wie die Clintons aus Arkansas kam, er habe nie zuvor eine Stadt erlebt, in der sich die Menschen aus purer Lust gegenseitig zugrunde richteten. Diese Worte verfaßte er 1993, also vor mehr als 26 Jahren. Seitdem ist das gegenseitige Hauen und Stechen ins Unerträgliche gestiegen.

SB: Am 18. März 2011 ist es in Datta Khel, im pakistanischen Nordwasiristan, nahe der afghanischen Grenze, zum blutigsten Drohnenangriff in der Geschichte der CIA gekommen. 44 Teilnehmer eines Treffens von Stammesältesten sind dabei getötet worden. Der spektakuläre Vorfall ereignete sich nur Stunden, nachdem der mutmaßliche CIA-Agent Raymond Davis, der seit Januar jenes Jahres wegen der Ermordung zweier Männer auf offener Straße in Lahore in Untersuchungshaft gesessen hatte, gegen die Zahlung einer Entschädigung an die Hinterbliebenen Pakistan in Richtung USA verlassen durfte. Die Affäre Raymond Davis hat damals zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen Washington und Islamabad geführt. Die Freilassung von Davis, die auf Druck Hillary Clintons und Barack Obamas erfolgte, hat heftige Straßenproteste in Pakistan ausgelöst.

Fünf Monate später, im August 2011, zitierte die Nachrichtenagentur Associated Press anonym eine Quelle in der Obama-Regierung, derzufolge der Angriff auf Datta Khel "Vergeltung für Davis" gewesen sei, weil "die CIA zornig" wegen dessen vorübergehender Verhaftung war. Bezeichnenderweise erregte diese Offenbarung nicht die geringste Empörung seitens Politik, Medien oder Öffentlichkeit in den USA. Niemand rief nach Einsetzung einer Untersuchungskommission. Die Getöteten von Datta Khel hätten genauso gut Ameisen gewesen sein können, so wenig interessierte sich jemand im Land der Täter für ihre Auslöschung. Als ehemaliger Leiter der Antiterroroperationen der CIA in Pakistan - was ist Ihre Meinung zur Raymond-Davis-Affäre? Warum hat er die zwei Männer getötet? Waren sie vom pakistanischen Geheimdienst oder Al Kaida? War er selbst an der Suche nach Osama Bin Laden beteiligt?


Der weißschimmernde Kongreß mit dem Ulysses S. Grant Memorial im Vordergrund - Foto: © 2019 by Schattenblick

Das Kapitol, Sitz von Repräsentantenhaus und Senat der USA
Foto: © 2019 by Schattenblick

JK: Ich kann nur spekulieren. Doch bevor ich irgend etwas zu dem Fall sage, möchte ich eine Sache klarstellen. Nichts, was ich jetzt erkläre, soll als Bestätigung dafür aufgefaßt werden, daß Raymond Davis während seines Aufenthalts in Pakistan für die CIA, sei es als privater Sicherheitsdienstmitarbeiter oder sonstwie, gearbeitet hat. Vor dem Hintergrund meiner eigenen Ausbildung und beruflichen Erfahrungen als Geheimdienstler kann ich sagen, daß sich Raymond Davis, sollte er im Dienst der CIA in Pakistan gestanden haben, extrem unprofessionell verhalten und grobe, unverzeihliche Fehler begangen hat. Sein Verhalten an dem Tag in Lahore steht im krassen Widerspruch zu allem, was mir bei der CIA dazu beigebracht wurde, wie man in schwierigen Situationen zu agieren habe.

Nach den Presseberichten zu urteilen, die ich genau wie jeder andere gelesen habe, scheint Davis Angst um seine Sicherheit gehabt zu haben. Er reiste mit dem Auto allein. Weder scheint er sich abgesichert noch besondere Mühe gegeben zu haben, als Ausländer nicht aufzufallen. Bei seiner Verhaftung trug er mehrere Ausweise bei sich. Wegen der gefährlichen Situation, in der er sich durch Mißachtung der einfachsten Spähregeln befand, hatte er Angst um sein Leben, als sich an der Kreuzung die beiden Männer auf einem Motorrad seinem Auto näherten. Ich gehe davon aus, daß ihn die beiden Typen nicht töten oder entführen, sondern lediglich ausrauben wollten, wie das alle fünf Sekunden irgendwo in Pakistan geschieht. Davis hat Panik bekommen und die beiden gleich umgenietet.

Sein nächster Fehler bestand darin, daraufhin das Konsulat anzurufen, um Hilfe zu bitten und am Ort des Geschehens auf die Kavallerie zu warten. Dabei hätte er so schnell wie möglich von dort verschwinden müssen. Das ist das erste, was in der CIA-Ausbildung über schiefgegangene Operationen gelehrt wird. Die haben sogar einen Lehrsatz dafür, der lautet: "Verlasse X" - wobei mit X der Tatort gemeint ist. Lauf weg oder spring ins Auto und gib Gas. Begib dich zur nächsten US-Botschaft oder zum nächsten sicheren Haus, falls es eines in der Nähe gibt.

SB: Oder gehe zur nächsten Botschaft eines alliierten Staates der USA wie Großbritannien oder Australien.

JK: Sie sagen es. Jedenfalls sollte man keinesfalls am Ort des Geschehens bleiben und warten, bis die Ortsansässigen versuchen, dich zu lynchen, wie es Raymond Davis getan hat. Zu seinem Glück hat die pakistanische Polizei ihm durch die Verhaftung noch rechtzeitig das Leben gerettet.

Damals, 2011, litt die CIA unter Personalmangel. Viele Mitarbeiter der Agentur hatten bereits Einsätze in Pakistan, im Irak, in Afghanistan und im Jemen hinter sich, keine Lust mehr auf den Auslandseinsatz und wechselten deshalb den Beruf. Ich hatte auch keine Lust, in eines der genannten Länder zurückzukehren, und war deshalb Jahre zuvor aus der CIA ausgeschieden. Deswegen war die CIA verstärkt auf private Sicherheitsdienstleister angewiesen, die keine Regelausbildung genossen und deshalb keine Ahnung hatten, wie sie mit Problemsituationen fertigwerden sollten.

SB: Also würden Sie sagen, daß die Raymond-Davis-Affäre und ihre Folgen ein Paradebeispiel für die Gefahren darstellen, die entstehen, wenn man die Durchführung wichtiger staatlicher Aufgaben privaten Akteuren überantwortet?

JK: Auf jedem Fall.

SB: Besten Dank, John Kiriakou, für das erhellende Gespräch.


Außenansicht von Farragut Bakery im neogothischen Gebäude mit roten Markisen - Foto: © 2019 by Schattenblick

Firebook Bakery am Farragut Square
Foto: © 2019 by Schattenblick


Beiträge zur Serie "Trumps Amerika" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/346: Trumps Amerika - Liegenschaftskriege ... (SB)
BERICHT/347: Trumps Amerika - Angriffsspitze der Demokraten ... (SB)
INTERVIEW/445: Trumps Amerika - The Squad, Rebellion im Kongreß ...    Eric Josephson im Gespräch (SB)
INTERVIEW/448: Trumps Amerika - Besitzstreben und Krieg ...     Ellen Cantarow im Gespräch (SB)
INTERVIEW/449: Trumps Amerika - Rüstung und Kriege ...    William Hartung im Gespräch (SB)
INTERVIEW/451: Trumps Amerika - die sterbenden Rüstungskontrollen ...    Matt Korda im Gespräch (SB)


24. September 2019


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