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INTERVIEW/454: Trumps Amerika - gesteuerte Konflikte ...    Douglas Valentine im Gespräch - Teil 2 (SB)


Interview mit Douglas Valentine am 2. August 2019 in Longmeadow, Massachusetts - Teil 2


Schattenblick: Herr Valentine, aktuell schlägt der Skandal um den New Yorker Finanzier Jeffrey Epstein sowohl in den USA als auch international hohe Wellen. Epstein steht unter Anklage, jahrelang einen Sexhandelsring mit Minderjährigen betrieben zu haben. Es spricht alles dafür, daß er jahrelang Sexorgien in seiner Stadtvilla in New York und auf seiner Privatinsel in der Karibik veranstaltet hat, um der CIA und/oder dem israelischen Mossad kompromittierendes Bild- und Tonmaterial über Politiker und schwerreiche Geschäftsleute zu verschaffen. Wie man weiß, kamen einige der Mädchen, die er mit seinen Gästen verkuppelt hat, aus Osteuropa. Bereits in den neunziger Jahren kamen Vorwürfe auf, daß Mitarbeiter des US-Sicherheitsunternehmens Dyncorp in den Mädchenhandel auf dem Balkan verwickelt seien. Inzwischen gibt es Hinweise, daß Epstein Dyncorp-Flugzeuge für den Transport seiner Mädchen benutzt haben könnte. Vor diesem Hintergrund die Frage, inwieweit, meinen Sie, ist die CIA in den internationalen Menschenschmuggel und Mädchenhandel verwickelt?


CIA-Siegel mit Adlerkopf, rotem Schiffskompaß auf weißem Hintergrund und Namen der Behörde auf blauem Hintergrund - Foto: © 1950 by the United States Federal Government, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Das offizielle Siegel der CIA aus dem Jahr 1950
Foto: © 1950 by the United States Federal Government, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Douglas Valentine: Wenn Epstein Mädchen von einem Land in ein anderes fliegen ließ, von Europa in die USA oder von New York auf seine Karibikinsel transportierte, dann gehe ich davon aus, daß er das nicht getan haben konnte, ohne daß die CIA zumindest davon wußte. Schließlich ist der private Luftverkehr in den USA ein wichtiger Bereich für die CIA. Genauso wie die CIA den internationalen Drogenhandel kontrolliert, ist sie auch bestrebt, Zugriff auf alle anderen kriminellen Aktivitäten zu bekommen oder zu behalten. Dies trifft auch auf Mädchenhandel und Prostitution zu. Wenn die CIA darin nicht direkt involviert ist, so verfolgt sie doch mittels der elektronischen Aufklärung ganz genau, was in diesem Sektor geschieht.

Einem Gericht in den USA kann man kein Beweismaterial vorlegen, das von der CIA stammt, weil es in der Regel auf dem Weg der illegalen Überwachung entstanden ist. Wenn die US-Bundespolizei zum Beispiel Beweismittel über Mädchenhandel in einem anderen Staat beschaffen will, die in den USA gerichtlich Bestand haben sollen, dann müssen die FBI-Beamten eine entsprechende Genehmigung bei den ausländischen Behörden erwirken. Die CIA dagegen stellt keine Anträge; sie hört einfach illegal ab. Denn die CIA ist keine Justizbehörde, sondern ein Geheimdienst, dessen Hauptaufgabe in der Gewinnung wertvoller politischer und strategischer Erkenntnisse besteht.

Wenn die CIA irgendwelche von ihr gewonnenen Informationen den anderen Behörden in den USA stecken will, muß das über Umwege erfolgen. Deswegen hat die CIA in den verschiedenen Teilen des staatlichen Apparats wie dem Außenministerium und der Drogenbekämpfungsbehörde DEA ihre eigenen Verbindungsleute, die zwar nach außen hin als reguläre Diplomaten oder Polizeibeamte arbeiten, deren Hauptloyalität aber dem US-Auslandsgeheimdienst gilt. Oder die CIA hat vielleicht den einen oder anderen Agenten bei den Vereinten Nationen, der als US-Diplomat im Bereich der Bekämpfung des Menschenhandels tätig ist. Die CIA kann solchen Leuten geheimes Wissen stecken, die ihrerseits später behaupten können, sie seien im Lauf ihrer regulären Arbeit zu der fraglichen Erkenntnis gelangt.

Ich weiß nicht, inwieweit das State Department in der Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels aktiv ist. Man kann davon ausgehen, daß die CIA jeden Aspekt dieses kriminellen Sektors überwacht und kontrolliert, um die gewonnenen Erkenntnisse für politische Zwecke im In- und Ausland einzusetzen. Das leitet sich aus der Kernaufgabe der CIA, nämlich der politischen und psychologischen Kriegsführung, ab. Die CIA ist auf belastende Informationen angewiesen, um Personen zur Mitarbeit oder zu Handlungen, die sie sonst ablehnten, erpressen zu können. Stellen wir uns den Fall vor, die CIA gelangte in den Besitz von Erkenntnissen, die beweisen, daß ein Politiker etwa in Serbien in den Mädchenhandel auf dem Balkan verwickelt wäre. Sie tritt mit dieser Information an besagten Politiker heran und stellt ihn vor die Wahl: Entweder geht das Material an die serbischen Justizbehörden oder er stimmt im Parlament für eine Resolution zur Vergabe des Auftrags zum Bau eines Atommeilers in Serbien an den US-Kraftwerkshersteller Westinghouse Electric. Vorgänge diese Art laufen bei der CIA jeden Tag.

Sexuelle Erpressung ist seit eh und je ein bewährtes Mittel der CIA. Männliche Politiker bei sexuellen Handlungen, die sie lieber geheimhielten - etwa Seitensprünge mit der Sekretärin oder bei Auslandsreisen, homosexuelle Begegnungen oder sogar Sex mit Minderjährigen - zu ertappen, ist für Geheimdienste wie die CIA ein leichtes Spiel. Leute dabei zu erwischen ist vergleichsweise einfacher als beim Konsum illegaler Drogen. Also gehört die sexuelle Erpressung zu den Hauptinstrumenten, derer sich die CIA bedient, um führende Vertreter ausländischer Regierungen und Konzerne zu beeinflussen und zu steuern. Deswegen liegt es auf der Hand, daß die CIA alle Aspekte des internationalen Mädchenhandels kontrolliert und ihn gewähren läßt, denn er ermöglicht es der "Firma", die nationalen Sicherheitsinteressen der USA im Ausland durchzusetzen.


Ein betroffen dreinschauender Bush sen. mit Helm und Tarnweste, von Militärs umgeben - Foto: © 1983 by U. S. Department of Defense, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Vizepräsident und Ex-CIA-Direktor George Bush sen. besucht den Stützpunkt der US-Marines in Beirut zwei Tage nach dem Lastwagenbombenanschlag, der am 23. Oktober 1983 241 amerikanische Militärangehörige das Leben kostete und dessen Urheberschaft bis heute nicht eindeutig geklärt ist
Foto: © 1983 by U. S. Department of Defense, gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: In der Berichterstattung über den Fall Jeffrey Epstein fällt am häufigsten der Name des Mossads als potentieller Anstifter des Sexhandelsrings zum Zweck politischer Erpressung. Epsteins Treiben fand jedoch zum allergrößten Teil im Hoheitsgebiet der USA entweder in New York oder auf den amerikanischen Jungferninseln in der Karibik statt. Müßte man daher nicht annehmen, daß auch die CIA vollends über die Ausschweifungen des zwielichtigen Finanzjongleurs und seiner prominenten Partyfreunde wie Donald Trump, Bill Clinton oder Prince Andrew of England im Bilde war und daß folglich in einem Giftschrank in Langley, Virginia, belastendes Material über den früheren und den amtierenden US-Präsidenten liegt?

DV: Absolut. Nehmen wir einmal den vom Wahlkampfteam Hillary Clintons 2016 in Umlauf gebrachten Vorwurf, Trump habe bei einem Aufenthalt in Moskau 2013 das Bett, in dem das Ehepaar Obama beim Staatsbesuch in Rußland geschlafen hatte, von zwei Prostituierten bepinkeln lassen und sei dabei unbemerkt vom russischen Geheimdienst gefilmt worden. Ich kann mir ein solches Szenario durchaus vorstellen. Wäre die CIA irgendwie darin verwickelt - sei es in die schlüpfrige Situation selbst oder die Verbreitung der Gerüchte darüber - würde sie es kategorisch bestreiten. Denn wie ich es in meinen Büchern immer wieder erklärt habe, läßt sich die CIA auf nichts ein, bei dem sie nicht später die eigene Beteiligung glaubhaft abstreiten kann. Es gehört zu den wichtigsten Kriterien bei der Entscheidung über die Durchführung einer Operation, daß die CIA später gegebenenfalls alles abstreiten kann. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, wird die Operation gar nicht erst genehmigt.

SB: In Ihren Publikationen über die CIA messen Sie dem Prinzip des "glaubhaften Dementis" große Bedeutung bei. Dem steht die Tatsache gegenüber, daß sich die CIA viele schwere Fehler geleistet hat wie etwa im Falle angeblicher Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins, die den Vorwand für den anglomerikanischen Einmarsch in den Irak 2003 lieferten, jedoch niemals existiert haben, weswegen sie für den etwas skeptischeren Teil der Nachrichtenkonsumenten keine glaubwürdige Instanz ist. Wäre es daher nicht besser, statt von "glaubhaften Dementis" von Kontrolle der Medien und der politischen Narrative, die sie verbreiten, zu sprechen?

Millionen von Menschen rund um die Welt demonstrierten damals gegen die bevorstehende Irakinvasion. Keiner von ihnen hat den Unsinn von Bagdads "mobilen Biowaffenlaboren" geglaubt, von denen der damalige US-Außenminister Colin Powell bei seinem berüchtigten Auftritt vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York der Weltöffentlichkeit Nachzeichnungen präsentierte. Powells gesamte Anklageschrift gegen das "Regime" Saddam Husseins war von der CIA erstellt und von deren damaligem Chef George Tenet abgesegnet worden. Bis heute glauben Hunderte Millionen Menschen auf der Welt der von der CIA vertretenen offiziellen Version der Ereignisse des 11. September 2001 nicht.

Oder nehmen wir den Fall des "mutmaßlichen" CIA-Agenten Raymond Davis, der 2011 an einer Ampel im pakistanischen Lahore aus seinem Auto stieg und zwei Männer auf einem Motorrad kaltblütig erschoß. Die Regierung Barack Obamas hat eine schwere diplomatische Krise mit Islamabad angezettelt, um Davis gegen Schmerzensgeld an die Hinterbliebenen freizubekommen. Da wurde nichts abgestritten, der Öffentlichkeit wurde nicht einmal eine vernünftige Erklärung für den sonderbaren Vorfall gegeben. Wie kann man vor diesem Hintergrund überhaupt die beiden Begriffe "CIA" und "glaubhaft" in einem Satz verwenden? Es geht letztlich darum, welche Version der Ereignisse sich durchsetzt, und da sich die Massenmedien der USA und der westlichen Industrienationen im Zweifelsfall von der CIA leiten lassen, erübrigt sich die ganze Frage nach der Plausibilität. Die CIA-Sicht der Dinge wird als Wahrheit verkauft und sei es der größte Unsinn, den ein halbwegs denkender Mensch jemals gehört hat. Könnten Sie dem zustimmen?


Addington spricht; Hayden, Tenet und Gonzales hören zu; alle stehen - Foto: © 2003 by The U. S. National Archives, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Gespräch im September 2003 im Oval Office zwischen NSA-Direktor Michael Hayden, CIA-Chef George Tenet, Justizminister Alberto Gonzales und Dick Cheneys Rechtsberater, dem Folterbefürworter David Addington
Foto: © 2003 by The U. S. National Archives, gemeinfrei via Wikimedia Commons

DV: Selbstverständlich stimme ich Ihnen zu, aber jetzt nähern wir uns der Frage, worum es sich bei der CIA überhaupt handelt. Um das Wesen der CIA verstehen zu können, muß man sich mit ihrer Entstehungsgeschichte und dem, wie sie sich seitdem entwickelt hat, auseinandersetzen. Man muß sich die Erfolge und die Pannen vor Augen führen. Man muß das Ergebnis der Arbeit der verschiedenen Untersuchungenskommissionen und diverser Geheimdienstexperten zu verschiedenen Aspekten der CIA analysieren.

Die CIA wurde ursprünglich von Mitgliedern der gesellschaftlichen Elite der USA ins Leben gerufen. Dazu gehörten Universitätsprofessoren, Industriekapitäne, Wall-Street-Anwälte sowie Journalisten und Schriftsteller. Letztere waren deshalb wichtig, weil sie darin geübt waren, Narrative zu entwickeln, die dem Durchschnittsbürger glaubhaft erscheinen. Das waren durch die Bank sehr gut ausgebildete Menschen, die verstanden, wie man mit den Mitteln der modernen Medien und bestimmter Sprachsignale einen Massenmörder in einen Nationalhelden verwandeln kann. Von daher ist stets das vordringlichste Ziel der CIA, die Kontrolle über das Narrativ zu behalten.

Deswegen bestehen niemals Meinungsverschiedenheiten zwischen der CIA und dem US-Verlagswesen oder zwischen der CIA und der New York Times. Es sitzen überall dieselben Leute. Jeder weiß es. Die Redakteure der New York Times reklamieren für sich, sie überwachten zum Wohl von Volk und Staat die Geheimdienste. Das ist natürlich Humbug. Wenn sich die New York Times und die anderen Konzernmedien für etwas stark machen, dann vor allem dafür, daß die Interessen des Großkapitals gegen die Menschen der Mittel- und Unterschicht durchgesetzt werden.

SB: Das war deutlich in der vierteiligen Dokumentation des Fernsehsenders Showtime von 2018 über die New York Times mit dem Titel "The Fourth Estate" ("Mission Wahrheit - die New York Times und Donald Trump") zu sehen. Während sich gegen Ende des Films der NYT-Chefredakteur Dean Baquet und seine prominenten Reporter mit dem Pulitzerpreis wegen ihrer Berichterstattung über das erste Jahr Trumps im Weißen Haus schmückten, wurden zahlreiche niedriger bezahlte Mitarbeiter der Zeitung im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen entlassen.

DV: Trump redet ständig von der "scheiternden New York Times", aber America's Paper of Record ist immer noch die einflußreichste Zeitung der Welt und fährt Gewinne ein. Man darf auf die vermeintliche Animosität zwischen Trump und der New York Times nicht hereinfallen. Trump hat sich als großer Freund Israels nicht zuletzt durch die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem ausgewiesen. Der Eigner und Herausgeber der New York Times, Arthur Sulzberger jun., ist auch ein glühender Zionist. Beide Seiten vertreten die Interessen des Großkapitals und spielen der Öffentlichkeit mit der gegenseitigen Kritik lediglich etwas vor. Ihre Gegnerschaft ist reines Theater.


Gina Haspel im offiziellen Porträtfoto mit der US-Flagge im Hintergrund - Foto: © 2017 by the Central Intelligence Agency, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Die ehemalige Folteraufseherin Gina Haspel, die Donald Trump 2018 als erste Frau an die CIA-Spitze berief
Foto: © 2017 by the Central Intelligence Agency, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Trump hat mit seinen populistischen Sprüchen bei der Präsidentenwahl 2016 die meisten Arbeiter für sich gewonnen. Sich als deren Interessenvertreter zu verkaufen und sie damit im Sinne des Erhalts des politischen Systems bei der Stange zu halten ist seine Funktion. Erfüllt er diese Funktion nicht mehr, wird er gegen jemand anderen ausgetauscht, der das Geheiß des Establishments umsetzt. So einfach ist das. Die Idee, daß der schwerreiche Trump, der seit seiner Geburt ein behütetes Luxusleben geführt hat, nicht zum Establishment gehört und statt dessen auf der Seite des kleinen Manns steht, ist absolut verrückt. Kaum hatte Trump sein Amt angetreten, als er auch schon die Steuerabgaben der schwerreichen Oberschicht in diesem Lande kräftig von 35 auf 22 Prozent reduzierte. Das Establishment liebt Donald Trump, denn er hat es um Milliarden, wenn nicht sogar Billionen von Dollar reicher gemacht. Die Elite in den USA interessiert sich nicht für die erklärte Politik Trumps, denn sie weiß, daß seine unerklärte Politik darin besteht, sie reicher zu machen. Dazu gehören auch die Eigner der großen Medien wie Jeff Bezos von der Washington Post, Arthur Sulzberger jun. von der New York Times sowie die Chefs der wichtigsten Rüstungskonzerne wie Northrop Grumman und Raytheon. Dem militärisch-industriellen Komplex spielt Trump im nächsten Jahr durch eine kräftige Erhöhung des Wehretats zusätzliche 70 Milliarden Dollar zu. Das sind keine Peanuts.

Die Aufstockung der Verteidigungsausgaben hängt unmittelbar mit dem mythischen Bild zusammen, das die USA von sich selbst propagieren, nämlich das Land des heldenhaften Kriegers zu sein. Dieser Mythos untermauert ideologisch die gesamte Gesellschaftsstruktur der USA. Mit seiner Hilfe kann man Millionen von Menschen aus der Arbeiterschicht dazu verleiten, sich weiterhin patriotisch-stolz als Kanonenfutter für Kolonialkriege der Elite in Übersee zur Verfügung zu stellen. Bei der Heimkehr von der Kriegsfront bedankt man sich bei diesen Soldaten und bleut ihnen ein, sie seien wertvoll, weil sie Gesundheit und Leben für das Gemeinwesen riskiert hätten. Die Kriegsveteranen bilden sich ein, sie seien Helden. Ihre Ehepartner und Familien sind ebenfalls stolz auf sie. Als wäre der Einzelne erst im Krieg zum "richtigen Mann" geworden, der eine Waffe trägt, damit umgehen kann und vielleicht in seiner Freizeit eine Harley Davidson fährt.

SB: Das klingt nach der Hell's-Angels-Fernsehserie "Sons of Anarchy".

DV: So einfach gestrickt ist auch das Narrativ, wenn man es näher anschaut. Die Herrlichkeit des amerikanischen Mythos vom heldenhaften Krieger existiert lediglich in der Fantasie derjenigen, die an den Mythos glauben. Die Aufgabe der Zeitungsreporter der USA und der Drehbuchautoren in Hollywood besteht darin, diesen Mythos vom heldenhaften Krieger fortlaufend zu reproduzieren und damit die existierenden Strukturen einer höchst räuberischen Gesellschaft ideologisch zu festigen.

SB: Wie lautet Ihre Einschätzung dessen, was am 11. September 2001 geschehen und wer daran beteiligt gewesen ist? Stimmen Sie der offiziellen These von den allein handelnden 19 Flugzeugentführern und einem höchst ineffektiven, weil in sich zerstrittenen Sicherheitsapparat der USA zu?

DV: Der offiziellen Version der Ereignisse stehe ich skeptisch gegenüber - und zwar zuallererst aufgrund dessen, was meinem Vater im Zweiten Weltkrieg und danach widerfahren ist. Er wurde von den Japanern gefangengenommen und verbrachte Jahre in einem Kriegsgefangenenlager, dessen Existenz das US-Militär bis heute abstreitet. Das hat sich negativ auf sein ganzes Leben ausgewirkt, weil alle behördlichen Vertreter die Existenz des Lagers leugneten und er dadurch als Spinner oder Lügner dastand. Ich habe an meinem eigenen Vater miterlebt, wie eine solche Geheimnistuerei Menschen belasten kann. Ich gehe soweit zu behaupten, daß das der Grund ist, warum mein Vater später unter Herzkrankheit litt und mit nur 54 Jahren an einem Herzinfarkt starb. Man darf nicht unterschätzen, wie sehr die negativen Folgen von Geheimoperationen nicht nur das Leben einzelner Menschen wie das meines Vaters negativ beeinflussen, sondern die Kultur und Gesellschaft eines Landes prägen können. Meiner Meinung nach bestand die Hauptfunktion von 9/11 darin, das Vietnam-Syndrom ein für allemal zu beerdigen und in der US-Gesellschaft den Geist des heldenhaften Kriegers zu neuer Blüte zu erwecken.

SB: Und die ganze Bevölkerung psychologisch auf kommende Kriege auszurichten?

DV: Ganz genau. Dafür war ein Ereignis notwendig, das so erschütternd ausfiel, daß es die Jugend Amerikas mit dem Verlangen infizierte, sich beim Militär zu melden und sich für das Vaterland in den Krieg gegen irgendwelche ausländischen Feinde zu stürzen. Mir sind natürlich die verschiedenen Thesen bekannt: Handelte es sich um eine Kette unglücklicher Umstände, die den perfiden Anschlag ermöglicht haben, oder wurde die Operation unter Einsatz von "Terroristen" von ranghohen Mitgliedern des US-Sicherheitsapparats inszeniert? [1] Für beide Versionen gibt es zahlreiche Argumente, weshalb für mich die Diskussion, welche den wahren Begebenheiten näherkommt, zweitrangig ist. Für mich steht zweifelsfrei fest, daß ein Geschehen von der politischen, militärischen und geschichtlichen Tragweite wie des 11. Septembers nur vonstatten gehen konnte, solange die eigentlichen Haupttäter jede Verantwortung glaubhaft abstreiten konnten und das offizielle Narrativ bereits vorher feststand, damit alle mittelbar und unmittelbar Beteiligten wußten, was sie nachher zu sagen hatten.


9/11-Brunnen mit New Yorker Hochhäusern im Hintergrund - Foto: © 2013 by Schattenblick

Das 9/11-Denkmal am Ground Zero
Foto: © 2013 by Schattenblick

Ein Jahr vor 9/11 veröffentlichte das neokonservative, unter anderem von Dick Cheney, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz 1998 gegründete Project for a New American Century (PNAC) einen Bericht mit dem Titel "Rebuilding America's Defenses". Das 90seitige Papier war ein flammendes Plädoyer für eine globale Pax Americana dank rüstungstechnologischer Überlegenheit - Stichwort Raketenabwehr - und Militärinterventionen der USA auf allen Kontinenten. Um die Bevölkerung auf eine solche Herkulesaufgabe einzustimmen, sei ein "katastrophales und katalysierendes Ereignis wie ein zweites Pearl Harbor" erforderlich, schrieben die Autoren des Berichts. Als Vizepräsident, Verteidigungsminister und Stellvertretender Verteidigungsminister im Kabinett George W. Bushs saßen Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz an genau den richtigen Schaltstellen, um bei und nach 9/11 das Programm des PNAC in die Tat umzusetzen.

Nach jedem Verbrechen stellen die Ermittler stets die Frage nach Motiv, Mittel und Gelegenheit, um den Kreis der möglichen Täter bestimmen zu können. Beim 11. September 2001 läßt sich seitens der Vertreter des PNAC mindestens ein starkes Motiv feststellen. Da bleibt lediglich die Frage offen, wie die Operation vorbereitet und durchgeführt werden konnte. Nach meinem Dafürhalten wäre für die Leitung der Operation nur eine Handvoll Eingeweihter im Sicherheitsapparat der USA und Israels erforderlich gewesen. Alle anderen Beteiligten hätten am fraglichen Tag die Gesamtsituation nicht durchschaut und wären einfach ihren Befehlen gefolgt, ganz wie sie dazu ausgebildet worden sind. Bei Geheimdienstaktionen ist es ohnehin Usus, daß die verschiedenen Einheiten und Beteiligten strikt voneinander getrennt sind und lediglich den eigenen Zuständigkeitsbereich überblicken.

SB: Die sogenannte Kompartimentierung.

DV: Ganz genau. Und sobald die Sache läuft, gibt es keine Abkehr und keinen Widerspruch. Die Menschen, die eine solche Operation durchziehen, haben tiefgreifende Kenntnisse darüber, wie die amerikanische Gesellschaft funktioniert, wie die Menschen ticken und worauf sie reagieren. Zu den Gründervätern der CIA gehörten Anthropologen, Soziologen, Psychologen, Raketenentwickler, eben Menschen aus allen Schichten und Berufen. Damit wurde ermöglicht, das Wissen um Kultur und Geschichte nicht nur der USA, sondern der meisten Länder der Welt an einem zentralen Ort, in einer einzigen Institution, der Central Intelligence Agency, mit dem Ziel zusammenzutragen, das gesellschaftliche und politische Geschehen nicht nur in ausländischen Staaten zu bestimmen, was die Agentur permanent und größtenteils verdeckt macht, sondern auch hier in den USA selbst. Die Planer von 9/11 wußten ganz genau, wie entsetzt und schockiert die amerikanische Bevölkerung auf die Flugzeuganschläge reagieren würde. Am allerwichtigsten aber war eine amtierende Regierung, welche die Gunst der Stunde zu nutzen wußte und jeden Verdacht einer Insider-Verwicklung weit von sich weisen würde.

SB: Sie haben in Ihren Veröffentlichungen über die CIA und die anderen US-Geheimdienste stets großen Wert auf eine genaue Untersuchung der Strukturen gelegt. In Reaktion auf den 11. September - jenes "zweite Pearl Harbor" -, das zu verhindern die CIA 1947 erklärtermaßen gegründet worden war, wurde das Amt des Director of National Intelligence geschaffen. Dadurch verlor der Chef der CIA seine traditionelle zweite Funktion als Koordinator aller US-Geheimdienste an die neue DNI. Inwieweit war diese bürokratische Umstellung und der Verlust der traditionellen Sonderstellung des CIA-Direktors ein Rückschlag für den US-Auslandsgeheimdienst?

DV: Der Posten des Director of Central Intelligence hat dadurch zwar etwas an Prestige verloren, doch die Übernahme der Koordinierung aller US-Geheimdienste durch den DNI war keine allzu große Veränderung, denn dieser blieb, genau wie der DCI, gegenüber dem Präsidenten und dem Nationalen Sicherheitsrat, der dem Weißen Haus untersteht, rechenschaftspflichtig. Die Hauptfunktion des DNI besteht darin, die Operationen der CIA mit denjenigen des FBI und der verschiedenen US-Polizeibehörden im Innern zu koordinieren. Das ist die große Veränderung nach dem 11. September. 9/11 war der perfekte Vorwand für die CIA, mittels des damals neu geschaffenen Heimatschutzministeriums das Phoenix Program auch in den USA zu etablieren. Der CIA war und ist es ist bis heute verboten, Operationen im Innern der USA durchzuführen. Deshalb mußte eine dafür geeignete Struktur in Form des Office of Homeland Security kreiert werden. Statt den Leuten reinen Wein einzuschenken und offen heraus zu erklären, zur "Terrorbekämpfung" würde die CIA zu Maßnahmen à la Phoenix in den USA greifen, hat man sich dafür entschieden, dasselbe Ziel durch die Schaffung eines Director of National Intelligence und des Office of Homeland Security zu erreichen. Statt sie zu schwächen, haben diese strukturellen Veränderungen die CIA gestärkt, indem sie ihr erstmals Zugriff auf alle Aspekte des Sicherheitsapparats im Innern der USA verschafften. Es geht hier vor allem um die politische Kontrolle nachrichtentechnischer Erkenntnisse.


Schwarzweißfoto von William Colby mit ernster Miene im Nadelstreifenanzug am Konferenztisch - Foto: © 1975 by U. S. National Archives and Records Administration, gemeinfrei via Wikimedia Commons

CIA-Direktor William Colby, geistiger Vater des Phoenix Program, bei einer Besprechung im Nationalen Sicherheitsrat zur Lage in Südvietnam Anfang der siebziger Jahre
Foto: © 1975 by U. S. National Archives and Records Administration, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Viele Wähler in den USA mochten Obama nicht und meinten, er unternehme zu wenig gegen illegale Einwanderung aus Lateinamerika. Die politische Kontrolle, von der in diesem Zusammenhang die Rede ist, ermöglichte es der Obama-Regierung, die Erkenntnisse der CIA über die Lage in Ländern wie Mexiko und El Salvador als Begründung für den eigenen Umgang mit der Einwanderungsproblematik zu verkaufen, damit der Präsident und seine demokratische Partei zumindest in der Wahrnehmung der eigenen Wählerbasis gut dastanden. Seit 2017 tut Donald Trump genau dasselbe, jedoch aus einer weniger humanistischen, viel fremdenfeindlicheren Perspektive zur Befriedigung seines eigenen republikanischen Wählerklientels.

Die Verwendung geheimdienstlicher Erkenntnisse durch die amtierende Regierung in Washington zu parteipolitischen Zwecken hat eine lange Tradition in den USA. Man darf aber nicht außer acht lassen, daß die CIA genau wie das FBI oder die DEA in erster Linie eine ideologische Institution ist. An der Regierungsspitze mögen sich Demokraten und Republikaner aller vier oder acht Jahre ablösen, doch die Ideologie der CIA und der anderen US-Geheimdienste ändert sich nie - sie bleibt konstant. Die personelle Zusammensetzung von Repräsentantenhaus und Senat mag sich laufend verändern, aber eines steht fest: Als echter Linker hat man keine Chance, bei der CIA, dem FBI oder einer der anderen Geheimdienst- oder Polizeibehörden der USA aufgenommen zu werden. Gerade die ideologische Rigidität dieser Institutionen ist es, die sie zu verläßlichen Stützen des kapitalistischen Systems macht. Deswegen hat das, was man in den USA unter Tagespolitik versteht, der Dauerhickhack von Demokraten und Republikanern in Washington, keine Relevanz für die arbeitende Bevölkerung. Sie weiß, daß die Politiker allesamt Marionetten irgendwelcher reichen Wahlkampfspender sind, und hat sich längst von der Politik abgewandt. Deswegen nimmt inzwischen nur noch die Hälfte aller Stimmberechtigten an den Wahlen in den USA teil.

SB: Um 2004, 2005 herum gab es Berichte aus Syrien über schwere, wochenlange Kämpfe zwischen Rebellengruppen, die jeweils von der CIA bzw. dem Pentagon unterstützt wurden. Wie kann man sich so etwas erklären? Hat der massive Ausbau und Einsatz der US-Spezialstreitkräfte rund um die Welt seit 9/11 den Aktionsradius der CIA bei Auslandsoperationen beeinträchtigt? Wenn man Ihre Bücher und Artikel liest, bekommt man den Eindruck, die CIA sei die tonangebende Kraft bei paramilitärischen Operationen der USA im Ausland, während seit dem Beginn des "globalen Antiterrorkriegs" die regulären Medien behaupten, das United States Special Operations Commando (SOCOM) mit Sitz in Tampa, Florida, habe mit seinen 70.000 Mann und laufenden Einsätzen rund um den Globus der "Firma" den Rang abgelaufen. Wie fällt Ihr Urteil hinsichtlich des Kräfteverhältnisses zwischen Pentagon und CIA aus?


Dschihadist feuert eine auf einem Dreifuß montierte TOW-Rakete bei der Schlacht von Hama 2018 ab - Foto: © 2017 by Qasioun News Agency, freigegeben nach Creative Commons Attribution 3.0 Unported license

Einsatz einer hochmodernen amerikanischen Anti-Panzerrakete vom Typ BGM-71 TOW im Sommer 2017 im Syrienkrieg, von denen Al-Kaida-nahe Gruppen wie die Jaish Al-Izza im Rahmen der CIA-Operation Timber Sycamore Tausende Exemplare erhielten
Foto: © 2017 by Qasioun News Agency, freigegeben nach Creative Commons Attribution 3.0 Unported license

DV: Zunächst sprechen die letzten Haushaltsdaten für sich. Für das Fiskaljahr 2020 hat der Kongreß dem Pentagon 770 Milliarden Dollar und der CIA 15 Milliarden bewilligt. Zudem genießt das Verteidigungsministerium die politische Unterstützung großer, enorm einflußreicher Rüstungsbetriebe wie Boeing, Lockheed Martin und Raytheon, die mittels ihrer Wahlkampfspendenempfänger im Repräsentantenhaus und Senat stets die staatliche Ausgabenpolitik mitbestimmen. Man kann sich das Pentagon als die Republikaner und die CIA als die Demokraten vorstellen. Man streitet dauernd miteinander, aber stets über unbedeutende Dinge, denn in den ganz großen Fragen der Geopolitik sind sich beide Institutionen stets einig. Häufig kommt es zu Revierkämpfen. Das Militär verfolgt bestimmte Interessen im Sinne des Selbsterhalts. Es will überall auf der Welt wie zum Beispiel im Irak oder in Syrien Stützpunkte bauen und betreiben. Des weiteren will das Militär jedes Jahr soviel an Bomben und Munition wie möglich verschießen, um das vorhandene Kontingent an solchem Material aufzubrauchen und beim Haushalt für das kommende Jahr mindestens dieselbe Menge bewilligt zu bekommen.

Hin und wieder kollidieren die Interessen des Pentagons mit denen der CIA. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Vietnamkrieg. Die CIA hatte damals einen großen und geheimen Stützpunkt in Laos, dessen Staatsgebiet im Osten an Nordvietnam und in etwas geringerer Länge an Südvietnam grenzte. Der sogenannte Ho-Chi-Minh-Pfad, auf dem die Nordvietnamesen den Vietkong im Süden für den Kampf gegen die pro-amerikanische Regierung in Saigon mit militärischem Nachschub versorgten, verlief größtenteils über laotischem Boden. Um dies zu unterbinden, verfolgten die USA eine Doppelstrategie, wobei beide Aspekte illegal waren, denn Laos galt nicht als Kriegspartei, sondern war offiziell ein neutraler Staat. Erstens warf die US-Luftwaffe Unmengen an Bomben auf die laotische Grenzregion ab und setzte das Entlaubungsmittel Agent Orange ein, um den Urwald zu lichten und den Gegner ausmachen und angreifen zu können. Zweitens führte die CIA ab Mitte der sechziger Jahre von einem streng geheimen Stützpunkt in den Bergen von Laos namens Long Tieng aus Militäroperationen gegen die Soldaten der nordvietnamesischen Armee und die südvietnamesischen Rebellen des Vietkong durch.


Schwarzweißfoto eines zweimotorigen Propellerflugzeugs, umgeben von Bergen und Nebel - Foto: © 2008 by Dr. B. R. Lang, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Air-America-Transportmaschine 1970 auf einem geheimen CIA-Landeplatz in den Bergen von Laos
Foto: © 2008 by Dr. B. R. Lang, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Zu diesem Zweck bildete die CIA mehrere zehntausend Angehörige des Hmong-Bergvolks zu einer eigenen Geheimarmee aus. Finanziert wurde der sogenannte Secret War in Indochina durch den Anbau und Export von Heroin mittels der CIA-eigenen Luftlinie Air America. Gleichzeitig waren US-Bodentruppen in der nordwestlichen Ecke Südvietnams stationiert. Zur Unterbrechung des Nachschubs für den Vietkong drangen US-Militäreinheiten immer wieder über die Grenze nach Laos vor, wo sie sich Kämpfe mit Angehörigen der Nordvietnamesischen Armee (NVA) und dem Vietkong lieferten. Deswegen kam es immer wieder zu Streitereien zwischen den US-Feldkommandeuren an der Grenze zu Laos im Westen und Nordvietnam im Norden und den Verantwortlichen der geheimen CIA in Laos über Kompetenzen und die richtigen Taktiken. Da waren auch starke Egos im Spiel. Aber am Ende des Tages zogen beide Seiten am selben Strang, weil sie von der Ideologie her das gleiche Ziel verfolgten.

Vor diesem Hintergrund ist die Idee mehr als abwegig, daß es in Syrien zwischen dem Pentagon und der CIA keine übergeordnete, gemeinsame Strategie gebe, an die sich beide Seiten hielten, nämlich das Land mit Krieg zu überziehen und das "Regime" Baschar Al Assads zu stürzen. Natürlich haben das US-Militär und die CIA ihre jeweiligen Milizen und Rebellengruppen, die sie protegieren und mit denen sie zusammenarbeiten. Aber eines darf man nicht vergessen. Für die Amerikaner sind diese Leute entbehrlich. Und wenn sich solche Gruppen gelegentlich in die Wolle bekommen und gegenseitig bekriegen, interessiert es niemanden, weder beim US-Verteidigungsministerium noch bei der CIA, solange es sie nicht in ihrer Funktion als Mittel der verdeckten Kriegsführung beeinträchtigt. Den besagten Vorfall zum Beweis für eine ernsthafte Rivalität zwischen Pentagon und CIA aufzubauschen, wie es damals die Presse tat, ist völlig unangemessen. Im Laufe meiner jahrelangen Nachforschungen bin ich noch nie auf Hinweise gestoßen, daß das US-Militär der CIA irgendwie das Wasser abgegraben hätte. Gelegentlich flammen zwar behördliche Streitereien und persönliche Konflikte auf, aber mehr auch nicht. Amerikas Generalität und die CIA-Führung koordinieren alles, was sie tun, fortlaufend, und zwar auf höchster Ebene. Zu suggerieren, es wäre anders, ist einfach Quatsch.

SB: Daß seit 9/11 die Zahl der Operationen der US-Spezialstreitkräfte in Übersee regelrecht explodiert ist - siehe Dutzende neuer Stützpunkte allein in Afrika - deutet nicht auf ein Überflügeln der CIA durch SOCOM auf dem Gebiet der paramilitärischen Einsätze hin?

DV: Nein, denn auch das Kommando für Spezialstreitkräfte ist personell von der CIA infiltriert und wird von ihr kontrolliert. [2] Nehmen wir als Beispiel General Stanley McChrystal, der von 2003 bis 2007 als Kommandeur des Joint Special Operations Command (JSOC) bei der Aufstandsbekämpfung im Irak eine führende Rolle spielte und von 2009 bis 2010 ISAF-Oberbefehlshaber in Afghanistan gewesen ist. Während McChrystal für die New York Times den "Zen-Krieger" repräsentierte, konnte ich in ihm nichts anderes als einen führenden CIA-Offizier sehen. [3] JSOC und SOCOM sind als Organisationen von der CIA aus der Taufe gehoben worden. Dies erfolgte im Zuge jener Strukturreformen, die das Pentagon nach dem verlorenen Vietnamkrieg ergriff, um das US-Militär besser an die Erfordernisse des Guerillakrieges anzupassen. Dies ging mit der Übernahme der CIA-Methodik im Bereich der politischen und der psychologischen Kriegsführung einher.

Es war die CIA, die Ende der 70er Jahre den Militärs sagte, wie sie die Delta Force, die Spezialeinheit der US-Armee, aufstellen sollten. Für die CIA hatte die Umstrukturierung einen Vorteil, denn dadurch konnte sie bei Auslandseinsätzen den US-Spezialstreitkräften den Vortritt lassen und die eigenen Umtriebe dahinter verstecken. Genauso wie die CIA früher die DEA infiltriert und schließlich übernommen hat, sind die amerikanischen Spezialstreitkräfte immer nur Anhängsel der CIA gewesen. Zwar sind die Spezialeinheiten der verschiedenen Teilstreitkräfte Armee, Marine, Marineinfanterie und Luftwaffe über SOCOM in die reguläre Befehlsstruktur des Verteidigungsministeriums integriert, doch die CIA bleibt die bestimmende Kraft. [4] Überall beim US-Militär hat man Generäle, Oberste, Kapitäne und Majore, bei denen sich ein CIA-Offizier hinter der Fassade des Soldaten verbirgt. Die Infiltrierung ist total. [5]


Schwarzweißfoto eines jungen Vernon Walters in Armeeoffiziersuniform beim Besuch in Brasilien in den sechziger Jahren - Foto: © 1989 by Nationalarchiv Brasiliens, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Der legendäre kalte Krieger Vernon Walters, der als Militärattaché, Diplomat und Stellvertretender CIA-Direktor in die Watergate-Affäre, mehrere Staatsstreiche in Lateinamerika sowie die Strategie der Spannung - Stichwort 'Gladio' - in Westeuropa tief verwickelt gewesen ist
Foto: © 1989 by Nationalarchiv Brasiliens, gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: In Ihren Schriften haben Sie den Begriff Central Cover Staff für CIA-Mitarbeiter verwendet, die jenseits des eigentlichen US-Auslandsgeheimdiensts etwa in der Privatwirtschaft, im Hochschulbetrieb oder in einer anderen staatlichen Behörde der USA beruflich tätig sind. In einem Artikel von 2006 über den damals tobenden Krieg im Irak sprachen sie vom Central Cover Staff als "Kern der CIA", der "ein weltweites Netzwerk verdeckter Agenten und Tarnfirmen steuert, das außerhalb der regulären CIA-Bürokratie existiert". Könnten Sie uns das näher erläutern?

DV: Wenn man das Organisationsdiagramm der CIA betrachtet, sieht man, daß die Agentur in fünf Direktorate unterteilt ist. Das sind die Abteilungen Administration, Analytik, verdeckte Operationen, Wissenschaft & Technologie sowie digitale Innovation. Letztere Abteilung, die neu ist, befaßt sich mit Dingen wie dem Lahmlegen staatlicher Elektrizitätswerke per Knopfdruck, wie es Venezuela in den letzten Monaten immer wieder erleben mußte.

SB: Oder das Einschleusen feindlicher Software-Bots in die Computersysteme des russischen Stromnetzwerks für den Kriegsfall, wie es die New York Times noch im Juni enthüllte.

DV: Ganz genau. Der Central Cover Staff ist keinem der fünf CIA-Direktorate unterstellt, denn er koordiniert die Arbeit von Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden Tarnfirmen mit unzähligen Mitarbeitern weltweit.

SB: Siehe die Scheinanwaltskanzlei Brewster Jennings & Associates, für die Valerie Plame als Non-Official-Cover-Agentin (NOC) gearbeitet hat, bis sie im Juli 2003 die Regierung George W. Bush als Racheakt gegen ihren Mann, den Ex-Diplomaten Joseph Wilson, wegen dessen öffentlicher Kritik an der Begründung für den Irakeinmarsch enttarnte. [6]

DV: Brewster Jennings ist ein klassisches Beispiel aus jüngster Vergangenheit. Man darf jedoch nicht außer acht lassen, daß die CIA seit 72 Jahren existiert. Kleine Flugunternehmen, welche die CIA in den fünfziger, sechziger Jahren für den Drogenschmuggel und ähnliche Zwecke gegründet hat, haben sich in der Zwischenzeit zu regelrechten Luftlinien oder Logistikunternehmen entwickelt. Die Legenden und Tarngeschichten für all diese Unternehmen aufrechtzuerhalten obliegt dem Central Cover Staff. Die Aufrechterhaltung dieser enormen Infrastruktur ist den offiziellen fünf Abteilungen vorgelagert. Nur so kann das von mir immer wieder erwähnte "glaubhafte Dementi" gewährleistet werden.

SB: Vorhin haben Sie den offiziellen Haushalt des Pentagons in Relation zu dem der CIA gestellt. Bedenkt man jedoch, daß die CIA die führende Kraft hinter dem internationalen Drogenhandel ist, der von der Menge des umgesetzten Geldes her zu den größten Industrien der Welt gehört, dann stimmt der Vergleich von 770 Milliarden Dollar zu 15 Milliarden nicht ganz. Verfügt die CIA nicht über viel mehr Geld als mickrige 15 Milliarden Dollar?

DV: Zweifelsohne. Der CIA gehört ein wahres Firmenimperium, das vom Central Cover Staff geleitet wird. Deswegen unterliegt dieser keinem der fünf Direktorate, sondern einzig dem CIA-Direktor und seinem Stellvertreter. Das ist eine Art geheime Parallelstruktur innerhalb der CIA. Der CIA steht selbstverständlich sowohl aufgrund ihrer legal-geschäftlichen als auch ihrer illegal-kriminellen Aktivitäten und Verbindungen weit mehr Geld zur Verfügung, als der Etat, der ihr jedes Jahr vom Kongreß offiziell zugeteilt wird. Diese Entwicklung hat sehr früh angefangen. 1949, nur zwei Jahre nach der Gründung der CIA, gewannen in China die Kommunisten den Bürgerkrieg gegen die Nationalisten. In Washington machte man sich Sorgen über den weiteren Vormarsch des Kommunismus in Asien. Ein Teil der nationalistischen Kuomintang-Armee hat sich in den Norden Thailands nahe der Grenze zu Birma und der Volksrepublik abgesetzt. Die CIA hat sich entschieden, diese Leute und die Bergvölker der Region als antikommunistisches Bollwerk in Thailand und für Guerillaaktionen in China zu nutzen.

Doch sofort stellte sich die Frage nach der Finanzierung eines derart ehrgeizigen Unternehmens. Da kam man schnell auf den Mohnanbau. Für den Export des daraus produzierten Heroins war die CIA mit ihren Flugzeugen zuständig. Daneben gab es für die Leute in der Bergregion des Goldenen Dreiecks Entwicklungshilfe. Die CIA gründete Nicht-Regierungsorganisationen, die sich um die reguläre Landwirtschaft kümmerten, die wiederum als Tarnung für das einträglichere Geschäft mit den Drogen diente. Dieses Modell der gleichzeitigen Selbst- und Fremdfinanzierung von CIA-Projekten ist seitdem in leichter Variation an zahlreichen Schauplätzen, wo sich der Auslandsgeheimdienst engagierte, zur Anwendung gekommen.


CIA-Gründer Allen Dulles, den praktisch alle unabhängigen Forscher für den Hauptdrahtzieher der Ermordung John F. Kennedys halten
Foto: © 2002 by Prologue Magazine, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Die Verbindungen des Sicherheitsapparats der USA zur kriminellen Unterwelt reichen sogar in die Zeit vor der Gründung der CIA zurück, wenn man an die umfangreiche Hilfe denkt, welche die New Yorker Mafia unter der Leitung von Lucky Luciano nachweislich den Westalliierten bei der Eroberung Siziliens und Italiens geleistet hat. [7] Nicht zufällig war Allen Dulles, später der erste CIA-Direktor, Lucianos Anwalt. [8] Bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren stand das US-Militär in China dem nationalistischen Kuomintang-Anführer Tschiang Kai-shek beratend zur Seite und hat dessen Opiumgeschäfte geduldet. Weil das Militär in solche Umtriebe nicht verwickelt sein durfte, hat man nach dem Zweiten Weltkrieg die CIA gegründet. Doch wenn die CIA im Rahmen irgendeiner Operation Flugzeugtransport benötigt, stellt ihr das Pentagon die nötigen Maschinen und Piloten zur Verfügung. Man greift dann auf die Kapazitäten des Air Force Special Operations Command zurück. Dafür sind die Spezialstreitkräfte der US-Luftwaffe schließlich da.

Die CIA und das US-Militär arbeiten eng zusammen. Man darf sie nicht als völlig voneinander getrennte Organisationen betrachten. Nehmen wir als Beispiel Edward Lansdale, eine der berühmtesten Persönlichkeiten in der Geschichte der CIA, der eine große Rolle beim antikommunistischen Feldzug der USA in den Philippinen und Indochina der fünfziger und sechziger Jahre gespielt hat. Mit seinen Destabilisierungsmaßnahmen in Vietnam gilt Lansdale als Vorbild der Titelfigur von Graham Greenes berühmtem, von Hollywood verfilmten Spionageroman "Der stille Amerikaner". Vor seiner offiziellen Ernennung zum Leiter der CIA-Operationsabteilung 1963 war Lansdale als hochdekorierter Offizier des Nachrichtendiensts der US-Luftwaffe, zuletzt als Generalmajor, unterwegs.

SB: Lansdale war ursprünglich Journalist und hatte vor dem Zweiten Weltkrieg in der Werbung gearbeitet, wenn ich mich nicht irre.

DV: So ist es. Ich erwähne Lansdale deshalb, weil sich anhand seiner Karriere gut zeigen läßt, wie die CIA-Offiziere häufig getarnt als reguläre Soldaten oder Militärberater verdeckte Operationen in ausländischen Krisengebieten unternehmen können.


Porträtfoto von Edward Lansdale in Generalmajoruniform - Foto: © 1963 by the U. S. Air Force, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Die berühmte CIA-Aufstandsbekämpfungskoryphäe Edward Lansdale
Foto: © 1963 by the U. S. Air Force, gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: Seit 2016 tobt in Washington einen brutalen Machtkampf, in den FBI und CIA, vor allem deren frühere Chefs James Comey und John Brennan, tief verstrickt sind. Mit der hysterisch anmutenden Behauptung, Rußlands Spione hätten Donald Trump zum Sieg bei der Präsidentenwahl über Hillary Clinton verholfen, spricht man dem amtierenden US-Präsidenten die Legalität ab. Können Sie sich aus der Gemengelage an Beschuldigungen einen Reim machen? Warum konnten die Demokraten ihre Niederlage vor drei Jahren nicht einfach akzeptieren und ihre Energie dafür aufwenden, mit einem besseren Kandidaten oder einer besseren Kandidatin Trump 2020 zu besiegen und das Weiße Haus zurückzuerobern? Arbeiten die Geheimdienste gegen Trump im Sinne von Obama und Clinton?

DV: Ich glaube nicht, daß die US-Geheimdienste für Obama arbeiten. Für alle Mitarbeiter der CIA und des FBI gibt das jeweilige behördliche Regelwerk vor, wie man sich in allen erdenklichen Situationen zu verhalten hat. In den Anfangsjahren der CIA, als noch der Geist der Draufgängergeneration des Office of Special Services (OSS) um Leute wie "Wild" Bill Donovan herrschte, waren Vorschriften nicht so wichtig. Die OSS-Weltkriegsveteranen wurden einfach nach China oder sonstwohin mit dem Auftrag entsandt, die Lage vor Ort zu beurteilen und nach eigenem Ermessen die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Zur großen Bürokratisierung kam es erst in den sechziger Jahren, als John F. Kennedys und Lyndon Johnsons Verteidigungsminister Robert McNamara im Pentagon das Managementmodell des Autokonzerns Ford, wo er zuletzt Vorstandsvorsitzender gewesen war, einführte. Parallel dazu übernahmen die Leitungen von CIA und FBI ebenfalls Ideen und Konzepte aus der Systemtheorie und legten sich auf zahlreiche Kontrollmechanismen fest. In allen drei Behörden ging es um Effizienzsteigerung, Kostensenkung und Bekämpfung der Korruption. Bei der CIA sollten die neuen Regeln denjenigen Mitgliedern des Managements, die vielleicht keine Erfahrung in verdeckten Operationen vorzuweisen hatten, helfen, die Arbeit der Agenten "im Felde" zu kontrollieren.

Um zu Russiagate zurückkommen, darf man sich das nicht so vorstellen, daß Obama, als Trump 2016 zunehmend zur Gefahr für die Wahl Hillary Clintons zur Präsidentin wurde, einfach das FBI auf den republikanischen Kontrahenten seiner demokratischen Parteikollegen und ehemaligen Außenministerin ansetzte. Eher dürften die zahlreichen geschäftlichen Beziehungen Trumps zu zwielichtigen Personen und Firmen aus Rußland beim FBI, das als Inlandsgeheimdienst für die Bekämpfung ausländischer Spionage im Innern zuständig ist, die Alarmglocken ausgelöst haben. Schließlich benutzt der russische Auslandsgeheimdienst SVR bei der Durchführung seiner Operationen genauso wie die CIA Scheinfirmen und schickt seine Agenten als reguläre Geschäftsleute getarnt in die Welt hinaus. Von daher ist die Vorstellung, daß Trump im Verlauf seiner jahrelangen Geschäfte mit russischen Partnern mit dem einen oder anderen SVR-Agenten in Berührung gekommen ist, ohne es vielleicht zu wissen, nicht von der Hand zu weisen. Doch um einer solchen Frage nachzugehen und sie aufzuklären, muß das FBI laut Vorschrift eine offizielle Gegenspionageermittlung eröffnen. So dürfte es sich im Falle Trumps abgespielt haben. Daß sich dabei einige an der Ermittlung beteiligte FBI-Agenten in ihrem Email-Verkehr extrem negativ über Trump geäußert und seine mögliche Wahl zum Präsidenten als Katastrophe bezeichnet haben, die unbedingt verhindert werden müsse, ist für mich nicht von allzu großer Bedeutung.

SB: Und wie ist zu bewerten, daß das FBI, um eine Abhörgenehmigung für den Trump Tower und mehrere Mitglieder des Wahlkampfteams des New Yorker Baulöwen zu erwirken, dem geheim tagenden FISA-Gericht einen Antrag vorlegte, der nicht aus soliden geheimdienstlichen Erkenntnissen, sondern aus Gerüchten und Klatschgeschichten aus Rußland bestand, die im Rahmen einer bezahlten Recherchearbeit der Demokraten über Trump zusammengetragen worden waren? Daß das FBI die im Dossier gegen Trump vorgebrachten Verdachtsmomente nicht selbst sorgfältig überprüft hatte, wurde den FISA-Richtern vorenthalten, was eindeutig gegen die Vorschriften verstößt und deshalb illegal ist.

DV: Wir müssen leider abwarten, was die laufenden Untersuchungen des Kongresses und des Justizministeriums zu diesen Vorgängen ergeben. Das von Ihnen erwähnte Dossier mit der "opposition research" der Demokraten war von einem ehemaligen Mitglied des britischen Auslandsgeheimdiensts MI6 namens Richard Steele, der für eine private Sicherheitsfirma in London arbeitet, erstellt worden.

SB: Was natürlich eine Involvierung der Five-Eyes-Spionageallianz der englischsprachigen Länder Australien, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und USA in Russiagate möglich erscheinen läßt.

DV: Eines steht fest. Sollte die Untersuchung des Komplexes auf laufende Antispionageoperationen stoßen, werden wir Normalsterbliche niemals erfahren, was wirklich vor sich gegangen ist. Die eigentlichen Hintergründe von Russiagate werden geheimgehalten und vertuscht. Daher wundert es mich überhaupt nicht, daß der Abschlußbericht des Sonderermittlers und Ex-FBI-Chefs Robert Mueller über die Rußland-Verbindungen Trumps dessen Gegnern so wenig Munition lieferte, daß der FBI-Chef James Comey vom Vorwurf, sich im Wahlkampf fehlverhalten zu haben, mehr oder weniger freigesprochen worden ist oder daß praktisch niemand nach der Rolle des damaligen CIA-Chefs John Brennan fragt. [9] Alle Beteiligten befinden sich in der glücklichen Situation, schlimmstenfalls sagen zu können, "die Briten sind schuld; sie haben uns Falschinformationen geliefert", und damit ist die Sache endgültig gegessen.


Nahaufnahme John Brennans beim Vortrag - Foto: © 2018 by Jay Godwin, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Ex-CIA-Direktor John Brennan beim Auftritt 2018 an der LBJ Presidential Library in Austin Texas
Foto: © 2018 by Jay Godwin, gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: In den sechziger und siebziger Jahren, während der Präsidentschaften Lyndon Johnsons und Richard Nixons, hat die CIA unter ihrem damaligen Direktor Richard Helms im Rahmen der illegalen Operation Chaos die Bürgerrechts- und die Antikriegsbewegungen unterwandert und ausspioniert. Bis zu 300.000 Menschen standen als mutmaßliche sowjetische Agenten auf einer schwarzen CIA-Liste. Als dies 1974 in Verbindung mit der Aufklärung der Watergate-Affäre bekannt wurde, löste es eine Welle der Empörung aus. Bereits Ende der sechziger Jahre war auch die Existenz von Operation Mockingbird bekannt geworden, bei der die CIA über eigene Verbindungsleute bei den großen Zeitungen und Rundfunkanstalten der USA über Jahre die Öffentlichkeit mit den eigenen Propagandanachrichten versorgte und sie damit manipulierte. In ihrem 1999 erschienenen Buch "Who Paid the Piper?" hat die britische Historikerin Frances Stonor Saunders das wahre Ausmaß, in dem die CIA im Kalten Krieg den Kunst- und Literaturbetrieb in Nordamerika und Westeuropa heimlich mitfinanzierte und ihn dadurch ideologisch im Sinne des Antikommunismus steuerte, freigelegt. Vor diesem Hintergrund die Frage, ob der Einfluß der CIA auf die Massenmedien heute noch so groß wie auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ist, als sie intellektuelle Zeitschriften wie Encounter herausgab und das Werk abstrakter Maler wie Jackson Pollock förderte.

DV: Ich denke, daß der Einfluß der CIA auf die Massenmedien seit 9/11 sogar stärker als damals ist. Die vielleicht wichtigste Lehre, welche die politische Elite in Washington aus dem Vietnamkrieg zog, war, daß im amerikanischen Fernsehen keine US-Soldaten sterbend oder verletzt bei Militäroperationen im Ausland gezeigt werden durften, weil sich das absolut negativ auf die Kriegsmoral an der Heimatfront auswirkt. Genausowenig durfte man jemals wieder eine unabhängige Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet zulassen, weil dadurch Fälle wie das Massaker von My Lai aufgedeckt werden könnten. Folglich sind seit dem 11. September 2001 und der Ausrufung des "globalen Antiterrorkrieg" alle Reporter, welche die US-Truppen im Einsatz begleiten, "eingebettet". Das heißt, sie unterstehen quasi dem Befehl der Militärkommandeure vor Ort und dürfen nur das berichten, was diese erlauben. Damit ist eine unabhängige Berichterstattung von vornherein ausgeschlossen. Sie ist auch nicht gewünscht. In meinem Buch "The CIA as Organized Crime" zitiere ich aus einem Artikel der Marine Corps Gazette von 1982, in dem es heißt, daß "der nächste Krieg im Kopf des Bürgers ausgetragen" wird und daß das US-Militär deshalb stets darüber zu befinden hat, welche Informationen an die amerikanische Öffentlichkeit gelangen und welche Bilder sie im Film und Fernsehen zu sehen bekommt. [10]

Die Art und Weise, wie sich das US-Militär in den Massenmedien präsentiert, ist extrem ausgeklügelt. Das Pentagon hat Amerikas Kriegskorrespondenten zu Stenographen, die lediglich die Presseerklärungen der PR-Abteilung des Verteidigungsministeriums in leicht veränderter Form wiedergeben, degradiert. Das Konzept einer unabhängigen Presse als einer vierten Gewalt im Staat, die Exekutive, Legislative und Judikative im Sinne des Bürgers kontrolliert, ist längst passé. Nach 9/11 haben die Vertreter aller großen Medien in den USA jeder kritischen Haltung abgeschworen, denn sie wollten bloß nicht als unpatriotisch gelten und haben sich deshalb widerspruchslos den neuen Bedingungen des Militärs unterworfen. Hinzu kommt, daß Pentagon und CIA die Möglichkeiten des Internets und der sozialen Medien voll ausschöpfen und ihre Version der Realität als die alleingültige installiert haben. Folglich haben die allermeisten Menschen in den USA und den westlichen Industrienationen keine Ahnung, was in Syrien, Nordkorea, Venezuela, Jemen oder Iran wirklich los ist. Sie werden mit der Desinformation der CIA und ihrer Medienpartner gefüttert. Seit Trump Präsident wurde, ist alles an den verschiedenen Kriegsfronten wie Syrien, Afghanistan oder Jemen nur noch schlimmer geworden. Die Zahl der Luftangriffe des US-Militärs sowie der Drohnenangriffe und verdeckten Aktionen der CIA schießt in die Höhe, während gleichzeitig die Geheimhaltungsregeln angezogen werden.

SB: Macht die niemals abreißende Destabilisierungsstrategie der CIA gegenüber China - Protestwelle in Hongkong - und Rußland - Unterstützung der "demokratischen" Opposition - jeden Versuch, eine vernünftige, multipolare Zusammenarbeit der Weltgemeinschaft gegen die Bedrohung, die vom Klimawandel, Ressourcenschwund und Artensterben für das Überleben der Menschheit ausgeht, nicht schlicht zunichte?

DV: Als Altlinker kann ich dazu nur sagen: Der Kampf bleibt derselbe. Man darf sich nicht zu sehr von den heutigen Bedrohungsszenarien leiten lassen. Für die Menschheit ist nach wie vor die wichtigste Frage die Eigentumsfrage und wie man die Kluft zwischen Arm und Reich beseitigt. Mit der Modernisierung Chinas und dessen Aufstieg zur Supermacht nimmt der Kampf an Ressourcen weltweit spürbar zu. Deswegen versuchen die USA, diesen unterschwelligen Krieg als Kampf zwischen den autoritären Systemen in China und Rußland und dem westlichen Demokratiemodell um Hegemonie zu verkaufen. Die These ist etwas fadenscheinig, denn in der Volksrepublik gibt es zwar eine Ein-Parteien-Herrschaft der Kommunisten, doch in den USA besteht ideologisch zwischen Demokraten und Republikanern kein nennenswerter Unterschied. Von daher haben wir es mit der reinen Rivalität unter Großmächten zu tun, die sich gegenseitig um den Zugang zu den Märkten bekämpfen und jeweils das Wohlergehen der eigenen Großkonzerne im Blick haben. Vor diesem Hintergrund kommt der Zugang zu den Ressourcen in den nicht-industrialisierten Regionen der Welt wie beispielsweise in Afrika und Lateinamerika große Bedeutung zu - und da kommt für die USA natürlich die CIA ins Spiel.

SB: Vielen, vielen Dank, Douglas Valentine, für das ausführliche Gespräch.


Schwarzweiße Propagandaufnahme der Gotteskrieger der CIA in Afghanistan - Foto: © 1988 by U. S. Department of Defense, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Afghanischer Mudschahid hantiert 1987 im Rahmen von Operation Cyclone der CIA mit einer sowjetischen SA-7-Boden-Luft-Rakete
Foto: © 1988 by U. S. Department of Defense, gemeinfrei via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] REZENSION/413: L. Wright - Der Tod wird euch finden (Al-Qaida) (SB), 10. Oktober 2007
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar413.html

[2] REZENSION/377: Peter Lance - Triple Cross (Spionage/Terrorismus) (SB), 27. März 2007
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar377.html

[3] REZENSION/510: W. Blum - Zerstörung der Hoffnung (US-Außenpolitik) (SB), 9. April 2010
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar510.html

[4] REZENSION/441: Daniele Ganser - NATO-Geheimarmeen in Europa (SB), 4. Juni 2008
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar441.html

[5] REZENSION/306: Eichner, Langrock - Der Drahtzieher Vernon Walters (SB), 3. März 2006
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar306.html

[6] REZENSION/436: Tim Weiner - CIA. Die ganze Geschichte (SB), 29. April 2008
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar436.html

[7] REZENSION/375: Regine Igel - Terrorjahre (CIA & Mafia in Italien) (SB), 6. März 2007
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar375.html

[8] REZENSION/705: James Douglass - JFK and the Unspeakable (SB), 13. Oktober 2018
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar705.html

[9] REZENSION/640: Wolfgang Neskovic (Hg.) - Der CIA-Folterreport (SB), 31. März 2015
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar640.html

[10] REZENSION/702: Douglas Valentine - The CIA as Organized Crime (SB), 22. September 2018
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar702.html


Beiträge zur Serie "Trumps Amerika" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/346: Trumps Amerika - Liegenschaftskriege ... (SB)
BERICHT/347: Trumps Amerika - Angriffsspitze der Demokraten ... (SB)
INTERVIEW/445: Trumps Amerika - The Squad, Rebellion im Kongreß ...    Eric Josephson im Gespräch (SB)
INTERVIEW/448: Trumps Amerika - Besitzstreben und Krieg ...     Ellen Cantarow im Gespräch (SB)
INTERVIEW/449: Trumps Amerika - Rüstung und Kriege ...    William Hartung im Gespräch (SB)
INTERVIEW/451: Trumps Amerika - die sterbenden Rüstungskontrollen ...    Matt Korda im Gespräch (SB)
INTERVIEW/452: Trumps Amerika - zur Staatsfeindschaft getrieben ...    John Kiriakou im Gespräch (SB)
INTERVIEW/453: Trumps Amerika - die wahren Absichten verschleiern ...    Douglas Valentine im Gespräch - Teil 1 (SB)


13. Oktober 2019


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