Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


INTERVIEW/459: Rojava - zu wenig Kritik ...    Reinhardt Schwandt im Gespräch (SB)


Reinhardt Schwandt ist bei Ver.di organisiert und dort Mitglied im Arbeitskreis Frieden. Auf der Demonstration für Solidarität mit dem von der Türkei angegriffenen Rojava am 12. Oktober in Hamburg [1] hielt er die abschließende Rede. Danach beantwortete der Aktivist und Gewerkschafter dem Schattenblick einige Fragen.



Zum Abschluß der Solidaritätsdemonstration in der Mönckebergstraße - Foto: © 2019 by Schattenblick

Reinhardt Schwandt
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wie finden Sie die Politik des DGB zur Thematik Türkei und Rojava?

Reinhardt Schwandt (RS): Eher verhalten. Es gibt im DGB einen Arbeitskreis Frieden und Demokratie, in dem wir als Ver.di-Arbeitskreis auch vertreten sind. Wir sind dabei, den DGB-Vorstand in Hamburg für bestimmte Forderungen zu gewinnen. Zu Rojava und Türkei haben wir noch nicht diskutiert, da kenne ich jetzt keine explizite Forderung. Ansonsten wollen wir die Waffenexporte über den Hamburger Hafen stoppen, wofür wir den DGB noch nicht gewinnen konnten. Wir fordern auch, daß Hamburg sich dafür einsetzt, daß die Bundesregierung den Atomwaffen-Verbotsvertrag unterzeichnet. Dazu ist der DGB inzwischen bereit.

Der DGB ist aus seiner Sicht in der schwierigen Lage, daß auch viele türkische Arbeiter bei ihm organisiert sind. Wir selber haben in unserem Haus mehrere türkische Familien, mit denen wir befreundet sind und die unterschiedliche politische Einstellungen haben. Aber fast alle schauen türkisches Fernsehen, und das ist gleichgeschaltet, also erhalten sie fast nur diese nationalistischen Informationen. Insofern ist es leider so, daß ein großer Teil der türkischen Community auf dieser Erdogan-Welle mitschwimmt, was sehr traurig ist. Der DGB ist auch keine Organisation, die schnell auf etwas reagieren kann. Das liegt an der Struktur. Im Vorstand sind praktisch die Vorsitzenden der jeweiligen Einzelgewerkschaften vertreten, die tagen nur in großen Abständen, so daß es zwischendurch auch kein ausführendes Organ in diesem Sinne gibt.

SB: In Ihrer Rede kritisierten Sie den geplanten Bau einer Fabrik von Volkswagen in der Türkei, das ist doch zumindest teilweise ein staatliches Unternehmen?

RS: Ja, es gehört zum Teil dem Land Niedersachsen, das hält mindestens 20 Prozent Anteile und kann entscheidenden Einfluß auf VW nehmen. Die Bundesregierung hätte das natürlich stoppen oder mindestens auf Eis legen können [2]. Aber genau in den drei Tage zwischen der Androhung des Krieges und dem Einmarsch haben sie diese Entscheidung bekanntgegeben und als ganz großen Erfolg gefeiert, daß dort eine Volkswagen-Fabrik errichtet wird, in der der Passat für die Türkei gebaut werden soll. Erdogan hat im Gegenzug schon versprochen, daß alle staatlichen Angestellten als Dienstwagen jetzt einen Passat bekommen sollen. Ein toller Erfolg für unsere Regierung.

SB: Bei Ver.di ist ja auch der Fachbereich Medien organisiert. Wie empfinden Sie die Berichterstattung über das Verhältnis Deutschland-Türkei?

RS: Das ist etwas besser und ausführlicher geworden, als es noch bei Afrin vor anderthalb Jahren war. Es ist natürlich immer noch unzureichend. Das Thema ist auf die Seiten fünf bis neun der Zeitungen gewandert, und es wird auch umfassender berichtet. Ich bin jemand, der noch Printmedien liest, so die Frankfurter Rundschau, ab und zu fällt mir auch das Hamburger Abendblatt in die Finger. Das hat gerade relativ gut darüber berichtet, daß der IS im Prinzip ein Partner der Türkei ist und Erdogan quasi sein Pate, das wurde im Abendblatt sehr deutlich ausgesprochen. Das ist eine neuere Entwicklung in den Zeitungen. Wir haben das schon vor Jahren gesagt, jetzt aber wurde das von einem Geheimdienstler, der übergelaufen ist, sehr detailliert geschildert. Die Morgenpost ist, glaube ich, die einzige Zeitung, die auf die heutige Demo hingewiesen hat. Im Abendblatt habe ich nichts dazu gefunden, und die Blödzeitung gucke ich mir nicht an, die wird kaum darüber berichtet haben.

SB: Gibt es bei Ver.di eine Position zum PKK-Verbot?

RS: Nein, bei Ver.di gibt es dazu keine Position. Ich habe eine Position dazu. Zum PKK-Verbot haben wir uns im Arbeitskreis bei Ver.di nicht ausdrücklich verhalten und auch keine Beschlußlage. Ich selber halte das für katastrophal. Ich weiß noch genau, wie ich 1993 aus Kuba wiederkam und im Zug Leute getroffen habe, die bei den Freunden des kurdischen Volkes waren und gesagt haben, daß die PKK verboten worden ist. Das hatte Kanther damals erlassen, und alle Innenminister, egal welcher Couleur, haben das beibehalten, das ist völlig wahnsinnig. In anderen europäischen Ländern ist die PKK auch nicht mehr verboten. Es gibt seit mindestens 15, 20 Jahren keinerlei Anschläge mehr auf öffentliche Einrichtungen oder Auseinandersetzungen untereinander, wie sie es in den 80er Jahren ja wirklich gegeben hat. Es ist ein Gefallen an Erdogan, dieses Verbot aufrechtzuerhalten. Das ist meine Position.

SB: Herr Reinhardt, vielen Dank.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0351.html

[2] Drei Tage nach diesem Interview hat der Vorstand der Volkswagen AG bekanntgegeben, daß die Entscheidung über den Bau des Werkes in der Türkei vertagt wurde.


17. Oktober 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang