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INTERVIEW/472: Die Linke - Struktur Bewegung Massenwirkung ...    Gabi Lenkenhoff im Gespräch (SB)



Die Dortmunderin Gabi Lenkenhoff ist im Sprecherinnenrat der LAG LISA (Linke sozialistische Arbeitsgemeinschaft Frauen) in NRW aktiv. Am Rande der Gründungsversammlung der BAG Bewegungslinke hatte der Schattenblick Gelegenheit, Gabi Lenkenhoff einige Fragen zur Bedeutung feministischer Anliegen für die neue Bundesarbeitsgemeinschaft in der Partei Die Linke zu stellen.


Vor zwei Plakaten der Ausstellung 'frauen macht politik' des Archivs Demokratischer Sozialismus bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung - Foto: © 2019 by Schattenblick

Gabi Lenkenhoff
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Der Feminismus scheint neben der Klimaschutzbewegung zu den wichtigsten und größten sozialen Bewegungen weltweit zu gehören, wie etwa die massenhaften feministischen Proteste in Spanien, Argentinien, den USA oder der Schweiz gezeigt haben. Das gilt natürlich insbesondere für die politische Linke. Würdest du dem zustimmen?

Gabi Lenkenhoff (GL): Doch, in jedem Fall! Bei den weltweiten Frauen*streikkämpfen, bei Fridays for Future, beim Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus sind überall Frauen, vielfach auch junge Frauen, aktiv. Ich gehöre auch zum Koordinierungskreis Frauen*streik in NRW. Wir werden immer mehr, das ist ein Prozeß. Wir stehen in Deutschland am Anfang, weil wir ganz andere Bedingungen haben als die Frauen in Spanien, Chile oder sonstwo. Auch in der Auseinandersetzung mit dem rechten Rand haben feministische Aspekte eine wichtige Bedeutung. Denn die Rechte ist nicht nur rassistisch und homophob, sondern auch zutiefest von Frauenhass geprägt, wie die Anschläge in Halle und Christchurch zeigen. Hier zeigt sich die Verbindung der Handlungsfelder und hier ist es wichtig, den Kampf gegen Rechts auch als einen feministischen Kampf zu begreifen. Viel zu viele Männer fühlen sich von frauenhassenden Parolen usw. angesprochen und wählen auch deshalb die AFD.

SB: 1994 gab es schon einmal einen Auftakt zum Frauen*streik. Woran liegt es deiner Ansicht nach, daß sich das damals nicht zu einer dauerhaften Bewegung verstetigt hat?

GL: Ich glaube, daß '94 kein Auftakt war, sondern das Ende des Prozesses nach dem Mauerfall! Die Frauen aus dem Osten mußten feststellen, daß sie nichts, aber auch gar nichts in die BRD herüberretten konnten. Die Frauen in Ost und West waren miteinander ins Gespräch gekommen und mußten feststellen, daß nichts geht, nichts funktioniert, keine Chance auf die Streichung der Paragraphen 218 und 219 bestand. So war 1994 ein Versuch, der aber kein Auftakt wurde, sondern ein Ende. Er ist ja wahrgenommen worden, aber eigentlich aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Ich habe jetzt recherchiert und gesehen, daß auch in Dortmund 1994 Verkäuferinnen ihre Stühle mittags rausgestellt und protestiert hatten. Danach durchlebten wir ein ganz tiefes Tal, ein "Es geht nicht weiter". Das hat sich in den letzten Jahren zum Glück geändert.

SB: Wie wirken sich Impulse aus Lateinamerika wie Ni una menos auf die Frauenbewegung in Deutschland aus? Hat die Entwicklung dort großen Einfluß auf die Bedingungen des Protestes hier?

GL: Ja, aber wir hier haben andere Bedingungen. Wir in Deutschland sind im Alltag nicht so bedroht wie die Frauen in Lateinamerika, wir werden nicht erschlagen, wenn wir Kokosnüsse aus dem Wald holen, aber wir haben hier andere Probleme. Und wir müssen uns über das Wort Streik an jeder Stelle streiten, weil manche Gewerkschaftsfrauen Angst haben, daß dieser Begriff verwässert wird. Aber uns geht es eben um den Frauen*streik, der sagt, es geht auch um unbezahlte Arbeit, um Care-Arbeit, um das, was Frauen alles machen. Und das kann, da sind wir guter Hoffnung, dazu führen, daß wir ein Stück dieses Rollbacks aufhalten können.

SB: In Deutschland ist der politische Streik verboten. Habt ihr im Sinn, den Frauenstreik auch in diese Richtung zu entwickeln?

GL: Das würden wir gerne, möchten aber die Frauen aus den Gewerkschaften mitnehmen. Wir haben in NRW im Januar ein Treffen, am 18. Januar gibt es in Jena ein bundesweites Treffen, an dem auch Gewerkschafterinnen teilnehmen, die gucken, was sie tun können, um sich so weit einzubringen, daß es okay ist, daß aber auch klar ist, daß wir nicht aufhören dürfen. Die IG BAU-Frauen haben sich deutschland-, österreich- und schweizweit zusammengeschlossen in ihrem Kampf der Gebäudereinigerinnen, sie sagen, das muß weitergehen, wir müssen dann auch über Rekommunalisierungen und all diese Dinge reden. Damit greifen Kämpfe ineinander, werden verbindend und damit größer und stärker.

SB: Welches Gewicht hat die BAG Lisa in der Linken, sind viele Frauen darin organisiert?

GL: Da sind viele Frauen organisiert. Was wir derzeit nicht haben, ist eine wirklich eigene festgelegte Frauenstruktur innerhalb der Linken, so wie es Solid als Jugendstruktur gibt. Jetzt hat sich eine Bewegung von Frauen in der Partei formiert, die sagen: Diesen Anlauf nehmen wir noch einmal, wir brauchen es.

SB: Ist das Thema Frauenkämpfe hier in der Bewegungslinken angemessen repräsentiert? Von außen betrachtet scheint es keine so große Rolle zu spielen.

GL: Das mag jetzt nicht im Gründungspapier so einen großen Bereich haben, deswegen haben wir auch diesen Erweiterungsantrag gestellt, aber wir müssen das ja auch mit den Genossen und Genossinnen vor Ort als Bewegungslinke leben, da wird das natürlich alles eine Rolle spielen. Wir haben heute auch noch die Arbeitsplanung, und da kommt das einfach rein.

SB: Es gibt innerhalb der feministischen Bewegung einige Diskrepanzen zwischen den stärker antikapitalistisch orientierten Frauen der 70er Jahre und den Queerfeministinnen, etwa auch um die Frage, inwiefern queere Menschen Zugang zu Frauenzusammenhängen haben oder auch nicht. Spielt das für euch eine Rolle, da Position zu beziehen?

GL: Das spielt vor allen Dingen eine Rolle, das zu leben und damit umzugehen. Auch da braucht es innerhalb der Linken im Rahmen der Satzung eine Festlegung. Was ist mit Transmenschen, auf welchen Listen kandidieren sie? Das muß berücksichtigt werden, das kann ja nicht angehen, daß unsere Regierung das dritte Geschlecht als Möglichkeit festlegt, und wir in der Partei reagieren nicht schnell genug. Aber das hat manchmal mit Parteistrukturen zu tun, man muß es ja in den Satzungen ändern und einbauen. Gestern zum Beispiel haben wir hier gemeinsam als Ergänzung queere sexuelle Identitäten mit reingenommen, das ging völlig ohne Probleme. Das ist auch ein Lernprozeß, natürlich. Die jungen Menschen sind uns oft einen Schritt voraus, weil das für sie alles schon viel selbstverständlicher ist.

SB: Mein Eindruck ist, daß die TeilnehmerInnen an der Gründungsversammlung aus NRW daran interessiert waren, eine strukturell etwas weniger stark an die Partei angelehnte Form der Bewegungslinken zu erhalten. Trifft das zu?

GL: Ja, weil wir als Bewegungslinke anders sein wollen, anders handeln wollen, hätten wir uns gewünscht zu warten, bis wir wirklich mehr sind, bis wir auf Länderebene Gründungen haben, um erst dann nach den ersten Erfahrungen zu sehen, was wir benötigen und dies nicht sofort festzuschreiben. Denn Satzungen im nachhinein zu ändern ist ein ganz ermüdender Prozeß und paßt auch nicht zu einer Bewegungslinken. Deswegen hätten wir uns gewünscht, das kleiner zu machen am Anfang und auf das Allernotwendigste zu beschränken.

SB: Gibt es denn inhaltliche Vorstellungen etwa von Rätestrukturen oder anderen sozialrevolutionären Ansätzen, die man möglicherweise in der Partei Die Linke zu verwirklichen versuchen könnte?

GL: Na klar, das ist immer unser Ziel, und die Bewegungslinke bietet dafür eine Chance. Das können wir in den Ländern auch so leben und so machen, wie wir wollen, in der Hoffnung, daß diese Satzung nie eine Rolle spielen muß, weil alles über Konsens geregelt wird und sich da alle einig sind. Und man sieht es ja, es gibt so viele junge Menschen, die alle ein Interesse haben, nicht in diesen verkrusteten Parteistrukturen zu versacken, sondern andere Dinge zu machen.

SB: Gabi, vielen Dank für das Gespräch.


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17. Januar 2020


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