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ARMUT/222: Eine Frage des Lebensverlaufs (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 153/September 2016
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Eine Frage des Lebensverlaufs

Das Risiko arm zu werden ist nicht für alle Alleinerziehenden gleich

von Sabine Hübgen


Kurz gefasst: Alleinerziehende in Deutschland sind keine homogene Gruppe. Ihr Armutsrisiko hängt von der bisherigen Biografie und insbesondere von den Partnerschaftsverläufen ab. Dabei ist jedoch unklar, ob zuerst das Armutsrisiko oder das Alleinerziehen eintritt. Die Ergebnisse zeigen: Zuvor verheiratete Mütter werden häufig durch das Alleinerziehen stark von Armut bedroht. Dagegen war ein Fünftel der Mütter in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die dann alleinerziehend wurden, schon zwei Jahre zuvor von Armut bedroht. Bei zuvor partnerlosen Frauen scheint das Alleinerziehen in den ersten beiden Jahren keinen signifikanten Einfluss auf das Armutsrisiko zu haben.


In Deutschland sind alleinerziehende Mütter besonders stark durch Einkommensarmut gefährdet (das heißt, sie müssen mit weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens auskommen). Die Erklärung dafür liegt nahe: Die starke Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Kindererziehung wirkt sich auch wirtschaftlich aus. Diese Erklärung halte ich in zwei Punkten für zu einfach: Erstens sind die Alleinerziehenden keine homogene Gruppe. Und zweitens ist bei genauerer Betrachtung der Biografien festzustellen, dass Alleinerziehende das erhöhte Armutsrisiko teilweise schon mitbringen, dass also von Armut bedrohte - oder betroffene - Frauen umgekehrt eher alleinerziehend werden. Will man den tatsächlichen Effekt des Lebens als Alleinerziehende kennen, muss man die Lebensverläufe genauer betrachten.

Während früher die allermeisten Frauen durch den Tod des Ehepartners alleinerziehend wurden, sind heute die Hauptgründe die Trennung einer nicht ehelichen oder die Scheidung einer ehelichen Partnerschaft; eine mittlerweile weitere wichtige Gruppe der Alleinerziehenden bringt ein Kind außerhalb einer Partnerschaft zur Welt. Diese unterschiedlichen Partnerschaftsverläufe sind mit unterschiedlichen soziodemografischen Merkmalen wie Alter, Bildungsstand, aber vor allem auch Erwerbsverläufen verknüpft. Beispielsweise hat eine geschiedene Mutter Mitte vierzig mit zwei Schulkindern und einer lange unterbrochenen Erwerbsbiografie andere Herausforderungen zu meistern als eine junge alleinlebende Frau, die seit ein paar Jahren in Vollzeit erwerbstätig ist und dann ohne Partner ein Kind bekommt.

Die empirischen Analysen, die diesem Artikel zugrunde liegen, basieren auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) für die Jahre 1984 bis 2014, einer jährlich stattfindenden Langzeitstudie mit ca. 30.000 Befragten. Berücksichtigt werden Frauen zwischen 20 und 59 Jahren in der Gruppe der verheirateten und kohabitierenden Mütter sowie zwischen 20 und 45 Jahren in der Gruppe der partnerlosen Frauen. Von jeder Alleinerziehenden wird immer nur die erste beobachtete Alleinerziehendenphase in den Analysen berücksichtigt. "Alleinerziehend" ist folgendermaßen definiert: Eine partnerlose Frau, die mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren in einem Haushalt zusammenlebt. Somit werden einerseits Frauen ausgeschlossen, die zwar mit einem Partner ein gemeinsames Kind haben, allerdings nicht mit dem Partner zusammen leben ("Living Apart Together"-Paare); andererseits werden Frauen berücksichtigt, die keinen Partner haben, aber mit anderen Personen (meist sind das hier die eigenen Eltern) einen Haushalt teilen.

In einem ersten Schritt betrachte ich die verschiedenen Wege in eine Alleinerziehendenphase: Welche Frauen wählen welches Partnerschaftsverhältnis, und welche Frauen scheiden aus diesem dann wieder aus? Zunächst zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Alleinerziehenden, je nachdem, ob sie zwei Jahre vor der Alleinerziehendenphase verheiratet waren, in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder ohne Partner lebten: Die zuvor Verheirateten sind im Durchschnitt mindestens 35 Jahre alt und leben mit zwei oder mehr Kindern im Schulalter zusammen. Die meisten von ihnen weisen ein mittleres Bildungsniveau (mittlerer Schulabschluss und berufliche Ausbildung) auf und sind entweder gar nicht erwerbstätig oder aber in Teilzeit. Diese Frauen erwirtschaften mit 24 Prozent den geringsten Anteil am Haushaltseinkommen, verglichen mit den beiden anderen Gruppen von zukünftigen Alleinerziehenden.

Mütter, die vor der Alleinerziehendenphase in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft lebten, tragen deutlich mehr zum gesamten Haushaltseinkommen bei (43 Prozent). Allerdings sind die männlichen Partner in dieser Gruppe auch doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen (16 Prozent). Weiterhin sind diese Mütter im Durchschnitt häufiger erwerbstätig und auch vollzeiterwerbstätig als zuvor verheiratete Mütter. Ihre Kinder sind jünger, und ein nicht zu vernachlässigender Anteil von 23 Prozent bekommt das erste Kind circa ein Jahr vor der Trennung. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Trennung der Partnerschaft mit Konflikten rund um die Kindesgeburt zusammenhängt. In dieser Gruppe ist der Anteil an ostdeutschen Frauen mit 32 Prozent am höchsten - in den neuen Bundesländern ist das nicht eheliche Zusammenleben mit Kindern deutlich weiterverbreitet.

Frauen, die hingegen über den dritten Weg alleinerziehend werden, heben sich deutlich von den beiden anderen Gruppen ab: Sie bekommen ihr erstes Kind, ohne in einer Partnerschaft zu leben - auch nicht zwei Jahre vor der Geburt des Kindes. Die Hälfte dieser Frauen ist noch recht jung (unter 25 Jahren) und zwei Drittel von ihnen sind Vollzeit erwerbstätig. Gleichzeitig verfügen sie mit knapp 9 Euro über den niedrigsten Bruttostundenlohn unter den Alleinerziehenden, erwirtschaften damit allerdings 70 Prozent des Haushaltseinkommens. Gut die Hälfte dieser Frauen lebt in einem Einpersonenhaushalt, während die andere Hälfte im Familienkontext - meistens mit den Eltern - lebt. Etwa 69 Prozent verfügen entweder über ein mittleres oder hohes Bildungsniveau. Die Frauen befinden sich aber in der Regel noch in der Ausbildung oder am Beginn ihrer Karriere, was das niedrige Einkommen erklärt.

Stellt man diese soziodemografischen Profile nun in Zusammenhang mit Armutsrisiken, so fällt Folgendes auf: Zwei Jahre, bevor sie alleinerziehend werden, sind noch verheiratete Mütter mit rund 16 Prozent am wenigsten von Armut gefährdet, während 20 Prozent der partnerlosen (noch) kinderlosen Frauen und sogar 29 Prozent der zuvor in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft lebenden Mütter ein Armutsrisiko aufweisen. Auffällig ist, dass das Armutsrisiko der zukünftig Alleinerziehenden aus Ehe und nicht ehelicher Lebensgemeinschaft bereits zwei Jahre vor Eintritt in die Alleinerziehung deutlich höher ist als das der jeweiligen Kontrollgruppe (verheiratete/kohabitierende Mütter, die sich nicht trennen). Interessanterweise unterscheiden sich die verheirateten Mütter ohne Alleinerziehendenphase in soziodemografischer Hinsicht gar nicht so stark von den verheirateten Müttern, die alleinerziehend werden. Allerdings weisen die Ehemänner der zukünftigen Alleinerziehenden eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeitsrate auf.

Arbeitslosigkeit des männlichen Partners ist zumindest für den amerikanischen Kontext ein etablierter Risikofaktor für Familientrennung. Ebenso sind die Partner von noch kohabitierenden Müttern doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie die von kohabitierenden Müttern ohne Trennung. Allerdings kommt in dieser Gruppe noch verstärkend hinzu, dass zukünftige Alleinerziehende niedrigere (Vollzeit-)Erwerbsraten sowie ein niedrigeres Bildungsniveau kennzeichnet. Die zuvor schon partnerlosen Alleinerziehenden hingegen unterscheiden sich zwei Jahre vor Eintritt in die Alleinerziehung nicht im Armutsrisiko von den partnerlosen Frauen, die kein Kind bekommen. Generell sind hier nur geringfügige Unterschiede in der soziodemografischen Zusammensetzung festzustellen.

Der Eintritt in die Alleinerziehung scheint sich sehr unterschiedlich auf das Armutsrisiko der drei Gruppen auszuwirken: Während das Armutsrisiko bei den zuvor partnerlosen Alleinerziehenden "lediglich" um 8 Prozentpunkte auf 28 Prozent steigt, ist ein starker Anstieg bei den zuvor kohabitierenden (um 11 Prozentpunkte auf 40 Prozent), aber vor allem bei den zuvor verheirateten Alleinerziehenden (um 14 Prozentpunkte auf 30 Prozent) zu verzeichnen. Dies deutet auf eine große Abhängigkeit der zuvor verheirateten Mütter von dem Einkommen des Ehepartners aufgrund geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung hin.

Welches Armutsrisiko entsteht, wenn eine Frau alleinerziehend wird? Will man diese Frage beantworten, begegnet man einem methodischen Problem: Dieselben Faktoren, die das Armutsrisiko erhöhen (also etwa niedrige Bildung oder Arbeitslosigkeit), erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit, alleinerziehend zu werden. Was ist also zuerst da - das Armutsrisiko oder die Situation als Alleinerziehende? Oder, anders gefragt: Was ist der tatsächliche Effekt dieser Situation? Lässt sich statistisch korrigieren, dass die betreffenden Frauen schon ein erhöhtes Armutsrisiko mitbringen?

Dafür habe ich ein quasiexperimentelles Design gewählt: Frauen, die eine Alleinerziehendenphase erleben, werden solchen Frauen gegenübergestellt, die ihnen in den relevanten Merkmalen sehr ähnlich sind, aber nicht alleinerziehend werden. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass sich diese beiden Gruppen von Frauen aufgrund ihrer Ähnlichkeit nur in diesem einen Aspekt - der erlebten oder nicht erlebten Alleinerziehendenphase - unterscheiden und somit potenzielle Unterschiede im Armutsrisiko auf diesen ursächlich zurückgeführt werden können. Die Gruppe der Nicht-Alleinerziehenden zeichnen also den Pfad weiter, den die Alleinerziehenden gehabt hätten, wenn sie nicht alleinerziehend geworden wären. Da sich Frauen, die alleinerziehend werden, allerdings (wie oben beschrieben) je nach Gruppe mehr oder weniger stark von Frauen ohne Alleinerziehendenphase unterscheiden, wird anhand eines Matching-Verfahrens für jede Alleinerziehende im Datensatz ein statistischer Zwilling - mit den gleichen Merkmalen, aber ohne Alleinerziehung - gesucht.

Die darauf basierende Analyse zeigt, dass auch unter Berücksichtigung des selektiven Eintritts in Alleinerziehung das Bild der deskriptiven Analyse insgesamt bestätigt werden kann: Die Wahrscheinlichkeit, von Armut gefährdet zu sein, steigt bei den zuvor Verheirateten durch den Eintritt in die Alleinerziehung um 24 Prozentpunkte. Im zweiten Jahr der Alleinerziehendenphase sinkt der Anstieg in der Wahrscheinlichkeit, arm zu sein, bereits auf 17 Prozentpunkte. Die zuvor kohabitierenden Alleinerziehenden weisen im ersten Jahr der Alleinerziehung einen Anstieg in der Wahrscheinlichkeit, von Armut gefährdet zu sein, um 16 Prozentpunkte gegenüber kohabitierenden Müttern auf, die keine Alleinerziehendenphase erleben. Hier bleibt der Effekt im zweiten Jahr stabil. Der Effekt auf das Armutsrisiko, alleinerziehend zu werden, ist für die dritte Gruppe, die zuvor partnerlosen Frauen, mit einem Anstieg um 4 Prozentpunkte sehr klein und darüber hinaus statistisch nicht signifikant. Dieser Effekt bleibt auch im zweiten Jahr der Alleinerziehendenphase bestehen.

Die Ergebnisse zeigen, wie unterschiedlich sich der Eintritt in eine Alleinerziehendenphase auf das Armutsrisiko alleinerziehender Mütter auswirkt, je nachdem, wie die vorherigen Lebensumstände ausgestaltet waren - vor allem die Partnerschaftsverhältnisse. Verheiratete Mütter sind während der Ehe finanziell ziemlich gut abgesichert, tragen allerdings - zumindest kurzfristig - das größte Armutsrisiko im Falle einer Familientrennung. Zuvor in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft lebende Alleinerziehende sind doppelt benachteiligt: Sie sind bereits zwei Jahre vor der Familientrennung einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, das sich weiter verschärft, wenn die Frauen alleinerziehend werden. Dagegen scheinen zuvor partnerlose Alleinerziehende zumindest kurzfristig am wenigsten von Armut aufgrund des Übergangs in die Alleinerziehung gefährdet zu sein. Dieser Umstand kann folgendermaßen erklärt werden: Diese Frauen waren vor der Geburt des ersten Kindes vorrangig vollzeiterwerbstätig und dadurch finanziell abgesichert und unabhängig. Weiterhin ist die finanzielle Mehrbelastung für Kinder in den ersten beiden Jahren nach der Geburt noch verhältnismäßig niedrig. Darüber hinaus sind diese Frauen häufig noch stärker in Familienstrukturen eingebunden, von denen sie Unterstützung erwarten können.

Je nachdem, an welchem Punkt in ihrem Lebensverlauf Frauen alleinerziehend werden und in welchen Partnerschaftsverhältnissen sie vorher lebten, stellt sie eine Alleinerziehendenphase vor unterschiedliche finanzielle Herausforderungen. Dabei spielt der Grad der vorherigen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung eine zentrale Rolle, weil Mütter dadurch häufig finanziell abhängig werden. Deshalb sollte der Staat politische Maßnahmen abschaffen, die Anreize für eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung setzen (zum Beispiel das Ehegattensplitting), und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken sowie alle Familien mit Kindern gleichermaßen unterstützen.


Sabine Hübgen arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Ungleichheit und Sozialpolitik an einem Forschungsprojekt zur Erklärung von Armut spezifischer demografischer Risikogruppen im Ländervergleich.
sabine.huebgen@wzb.eu


Literatur

Cooke, Lynn Prince/Gash, Vanessa: "Wives' Part-time Employment and Marital Stability in Great Britain, West Germany and the United States". In: Sociology, 2010, Vol. 44, No. 6, pp. 1091-1108.

Hübgen, Sabine: "Only a Husband away from Poverty? Lone Mothers' Poverty Risks in a European Comparison". In: Laura Bernardi/Dimitri Mortelmans (Eds.): Lone Parenthood. New Insights in the Life Courses of Single Mothers and Fathers. New York: Springer Publishing 2016 (forthcoming).

Bröckel, Miriam/Hans-Jürgen Andreß: "The Economic Consequences of Divorce in Germany: What Has Changed since the Turn of the Millennium?" In: Comparative Population Studies Vol.40, No. 3, 2015 S. 277-312

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 153, September 2016, Seite 20-23
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2016

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