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FAMILIE/250: Auf der Suche nach Balance (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 129/September 2010
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Auf der Suche nach Balance

Frauen und Männer zwischen Beruf, Familie und Engagement

Von Mareike Alscher


Verschiedene Lebensbereiche in Balance zu bringen ist eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe. Wenn es um das Gleichgewicht von Beruf, Familie und freiwilligem Engagement geht, sind Frauen stärker herausgefordert als Männer. Bestimmte Lebensphasen begünstigen die freiwilligen Aktivitäten von Frauen. Viele sind in der Familienphase, wenn sie sich etwa in Schulen und Kindergärten engagieren. Es ist naheliegend, dass teilzeitbeschäftigte Mütter hier aktiver sind als Mütter, die Vollzeit arbeiten. Mehr Zeit für ehrenamtliches Engagement haben Männer. Trotz Vollzeitjobs und Familie gelingt es ihnen, sich in höherem Maße als Frauen zu engagieren.


Die Vereinbarkeit verschiedener Lebensbereiche ist zu einer wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgabe geworden. Bei Familie und Beruf etwa geht es darum, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Männern und insbesondere Frauen ermöglichen, beides nach ihren individuellen Vorstellungen zu verbinden. Ein ausschließlicher Fokus auf diese beiden Bereiche klammert jedoch andere Tätigkeiten aus, die für die Lebensentwürfe von Männern und Frauen und für die Gesellschaft von Bedeutung sein können. Dazu zählt auch das bürgerschaftliche Engagement.

Wie sich Arbeit und andere Lebensbereiche miteinander vereinbaren lassen, wird mittlerweile ganzheitlich thematisiert - zum Beispiel mit dem Konzept der Work-Life-Balance. In diesem Konzept ist Geschlechtergerechtigkeit wichtig, es setzt eine familienfreundliche Organisation der Arbeitswelt voraus und plant Zeit für andere sinnstiftende Tätigkeiten wie beispielsweise ehrenamtliche Aktivitäten mit ein. Der Begriff "Balance" macht bereits klar, dass ein Gleichgewicht der verschiedenen Aktivitäten aus unterschiedlichen Lebensbereichen angestrebt wird. Wie gelingt es nun Frauen und Männern, Arbeit, Familie und freiwilliges Engagement in Balance zu bringen? Diese Frage wird hier differenziert nach Alter, Arbeitszeit, Familienstand sowie dem Vorhandensein von Kindern betrachtet.

Bürgerschaftliches Engagement, das ist in der Regel individuelles freiwilliges Handeln ohne materielle Gewinnabsichten. Es spielt sich im öffentlichen Raum ab und ist auf das Gemeinwohl ausgerichtet. Wer sich engagieren will, braucht dazu ebenso Zeit wie für die Kindererziehung, die Pflege eines Angehörigen oder den Beruf. Das heißt: Freiwilliges Engagement kostet Zeit, und dies muss mit Ausbildung, Beruf und Familie in Einklang gebracht werden.

Die Forschung zur Ermittlung der Balance von Familie, Beruf und Engagement ist bislang noch nicht ausreichend etabliert. Fest steht jedoch, dass Frauen weniger stark als Männer freiwillig aktiv sind. Aktuellen Zahlen von 2009 zufolge liegt die Engagementquote von Frauen bei 32 Prozent, während die von Männern 40 Prozent beträgt. Ein solches Ungleichgewicht findet sich im gesamten vergangenen Jahrzehnt. Die Frage ist daher, welche Faktoren das geringere freiwillige Engagement von Frauen beeinflussen. Erste Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass das Berufs- und Familienleben sich bei Frauen negativ auf ihr freiwilliges Engagement auswirkt.


Frauen vor allem in der Familienphase engagiert

Bei der Untersuchung von Frauen und Männern nach Altersgruppen fällt auf, dass sich in der Familienphase mit Kindern Frauen stärker als Männer engagieren (vgl. Abbildung). Dabei ist auch das Alter des Kindes relevant: Mit zunehmendem Alter des Kindes steigt das Engagement der Mütter.

Am stärksten engagieren sich Frauen allgemein in der Altersgruppe von 35 bis 44 Jahren: Zwischen 35 und 39 Jahren engagieren sie sich zu 39 Prozent ehrenamtlich (Männer: 45 Prozent), und im Alter von 40 bis 44 Jahren sind sie auf dem gleichen Niveau wie Männer zu 43 Prozent freiwillig tätig. Da Frauen sich heutzutage in diesem Alter häufig in der Familienphase befinden, kann angenommen werden, dass die Lebensphase mit Kindern die ehrenamtlichen Aktivitäten von Frauen begünstigt.

Die Bereiche, in denen sich vor allem Frauen engagieren, zeigen einerseits, dass sich hier die im Privaten und Öffentlichen bestehende Arbeitsteilung der Geschlechter fortschreibt. Andererseits wird klar, dass die eigenen Kinder den Frauen Gelegenheit geben, Zugang zum Engagement zu finden. Frauen sind nämlich stärker als Männer in klassischen Feldern mit Familienbezug aktiv, also Kindergarten und Schule, Familien- und Nachbarschaftshilfe sowie Religion und Kirche. Eigene Kinder sind also offenbar eine Brücke in das Engagement hinein - aber auch wieder hinaus. Mütter engagieren sich zum Beispiel im Umfeld einer Kinderbetreuungs-Einrichtung oder eines Hobbys ihres Kindes, geben diese freiwillige Tätigkeit aber dann auch wieder auf, wenn das Kind die Institution oder den Verein verlässt. So sind Engagierte in Kindergärten und Schulen im Schnitt nur für fünf Jahre in den Einrichtungen aktiv, während Freiwillige in allen anderen Engagementbereichen längere Zeit tätig bleiben.

Die stetig wachsende Frauenerwerbsquote und der Wunsch vieler Frauen, berufstätig zu sein, bringen neben dem Familienleben einen weiteren zeitintensiven Faktor ins Spiel: Arbeit. Wird außer dem Alter und etwaiger Kinder die Erwerbstätigkeit in die Engagement-Analyse von Frauen und Männern einbezogen, zeigt sich, dass Frauen ihre Zeit auf Familie, Arbeit und Engagement verteilen. Männer hingegen scheinen sich oft auf die Felder Arbeit und Engagement zu konzentrieren.

Nach Berechnungen mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), einer seit 1984 in Deutschland jährlich wiederholten repräsentativen Umfrage, verteilten Männer und Frauen in Paarhaushalten mit Kindern und zwei berufstätigen Elternteilen ihre Zeit für Beruf und Engagement im Jahr 2008 unterschiedlich: Von den Frauen, die in Paarhaushalten mit Kindern leben und wöchentlich zwischen 20 bis 25 Stunden arbeiten, sind 82 Prozent engagiert. Bei Arbeitszeiten von 40 und mehr Stunden pro Woche sind es aus dieser Gruppe nur 26 Prozent der Frauen. Erwartungsgemäß verbringen Mütter bei wachsender Arbeitszeit weniger Zeit mit ihrer freiwilligen Tätigkeit. In Teilzeit beschäftigte Mütter sind demnach stärker ehrenamtlich engagiert als vollzeitbeschäftigte Frauen mit Kindern. Bei Vätern ist es umgekehrt: Ihr Engagement wächst mit steigender Arbeitszeit, weil sie - so kann unterstellt werden - weniger familiäre Pflichten haben als Mütter. Als zusätzliche Begründung, wie Männer es schaffen, trotz eines großen Arbeitspensums noch ehrenamtlich tätig zu sein, wird in Untersuchungen die enge Verbindung von beruflichem und freiwilligem Engagement genannt.

Wie stark sich die Zeitbudgets von Männern und Frauen mit Blick auf freiwillige Tätigkeiten unterscheiden, zeigt auch das Beispiel ehrenamtlicher Führungskräfte in gemeinnützigen Organisationen, wenn nach Familienstand differenziert wird. Frauen sind in solchen Führungspositionen nicht nur stark unterrepräsentiert, sondern zeitlich auch mehr gefordert als Männer. Bei verheirateten Frauen stellt sich heraus, dass sie wöchentlich weniger Zeit in ihre ehrenamtliche Führungstätigkeit investieren als verheiratete Männer. Bei einem Engagement von mehr als zehn Stunden wöchentlich sind diese Frauen in geringerem Maße engagiert als verheiratete Männer. Der Familienstand wirkt sich unterschiedlich auf die zeitlichen Kapazitäten beider Geschlechter aus, wobei Frauen ihr Engagement aber nicht ganz aufgeben.


Die Balance: Problem oder Privileg der Mittelschicht?

Wenn hier die Unterschiede zwischen Frauen und Männern beim Arrangement von Beruf, Familie und Engagement betrachtet werden, so geht es um Frauen, die durch gute Integration in den Arbeitsmarkt und ein hohes Bildungsniveau zur Mittelschicht gehören. Frauen mit einem Work-Life-Balance-Problem haben häufig (Fach-)Abitur und ein abgeschlossenes Studium. Frauen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sind in Untersuchungen zur Balance von Beruf, Familie und Engagement derweil deutlich unterrepräsentiert: Weniger gebildete, geringer oder gar nicht berufstätige Frauen sind gleichzeitig weniger engagiert. Dadurch profitieren sie auch nicht von den potenziellen positiven Wechselwirkungen aus den Bereichen Familie, Arbeit, Ehrenamt - etwa dem Ausbau von Netzwerken.

Insgesamt ist es für Frauen eine größere Herausforderung als für Männer, Beruf, Familie und Engagement in Einklang zu bringen. Sie sehen sich Männern gegenüber benachteiligt, wenn es darum geht, die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen aus den einzelnen Bereichen aufeinander abzustimmen. Dennoch schaffen Frauen es, sich zu engagieren. Das Engagement von Frauen insgesamt bzw. von Müttern und Ehefrauen gibt es also nicht nur am Rande. Es ist aber noch ausbaufähig.

Lösungsansätze, die auch Frauen eine - unkompliziertere - Balance von Beruf, Familie und Engagement ermöglichen, sind nach wie vor: die gerechte Aufteilung der Familienarbeit, der Ausbau privater Netzwerke sowie mehr öffentliche, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Unterstützung, beispielsweise durch bessere Möglichkeiten zur Kinderbetreuung.


Mareike Alscher ist seit Mai 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am WZB in der Projektgruppe Zivilengagement. Ihre Forschungsschwerpunkte sind der Dritte Sektor, Engagement, Zivilgesellschaft und Gender.
alscher@wzb.eu


Literatur

Alscher, Mareike/Dathe, Dietmar/Priller, Eckhard/Speth, Rudolf: Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Berlin: BMFSFJ 2009.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Engagiert vor Ort. Einstiegswege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen. Erste Ergebnisse einer bundesweiten quantitativen und qualitativen Befragung von Frauen in der Kommunalpolitik. Berlin: BMFSFJ 2008.

Gensicke, Thomas/Geiss, Sabine: Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004-2009. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010 (im Erscheinen).

Wolf, André Christian/Zimmer, Annette: Balanceakt hoch drei. Expertise zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Engagement bei Führungskräften in Nonprofit-Organisationen. Münster: Westfälische Wilhelms-Universität 2009. Internet: www.wzb.eu/zkd/zcm/zeng/pdf/expertise_wolf-zimmer.pdf (15.7.2010).


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 129, September 2010, Seite 31-33
Herausgeber:
Der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wzb.eu

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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2010