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FAMILIE/282: Zur Lebenslage und Lebensführung von kinderreichen Familien (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2014 - Nr. 108

Glücklich trotz Risiken: zur Lebenslage und Lebensführung von kinderreichen Familien

Von Josefine Klinkhardt und Claudia Zerle-Elsäßer


Große Familien sind selten geworden in Deutschland. Nur elf Prozent der Eltern haben drei oder mehr Kinder. Sie stehen zeitlich und finanziell unter größerem Druck. Dennoch sind sie genauso zufrieden wie Eltern mit weniger Nachwuchs.


Noch in den 1970er-Jahren lebten in jeder fünften deutschen Familie drei oder mehr Kinder. Seitdem haben große Familien kontinuierlich an Bedeutung verloren. Im Jahr 2011 lag der Anteil der Familien mit drei oder mehr Kindern in Deutschland nur noch bei 11 Prozent (BMFSFJ 2013a). Davon sind 8 Prozent Familien mit drei Kindern. Familien mit vier Kindern gibt es in Deutschland noch seltener (2 Prozent), ebenso wie Familien mit fünf und mehr Kindern (1 Prozent; ebd.). Familien mit drei oder mehr Kindern werden als "kinderreiche Familien" beziehungsweise als "Mehrkinderfamilien" bezeichnet. Dieser Artikel beschreibt die Besonderheiten dieser Familienform und gibt einen Einblick in den Familienalltag.

Schon die Muster der Familiengründung und -erweiterung unterscheiden sich nach Familiengröße: Kinderreiche Eltern sind bei der Geburt des ersten Kindes vergleichsweise jung und die Geburtenfolge ist dicht (Keddi u.a. 2010). Ein Großteil dieser Eltern hat bereits vor der Familiengründung den Wunsch nach mehreren Kindern. Sie lassen sich auch nicht durch die großen finanziellen Belastungen abschrecken, die mit einer hohen Kinderzahl einhergehen. Bei einem weiteren Teil der Mehrkinderfamilien handelt es sich um Stieffamilien, bei denen mindestens einer der Partner Kinder mit in die neue Beziehung gebracht hat (BMFSFJ 2013a).

Die Eltern der rund 3,5 Millionen Kinder in Mehrkinderfamilien sind weitaus häufiger miteinander verheiratet (83 Prozent) als die Eltern von Einzelkindern (63 Prozent). Sie leben damit seltener in alternativen Familienformen wie nichtehelichen Lebensgemeinschaften oder alleinerziehend. Dies gilt jedoch auch schon für Familien mit zwei Kindern. Familien mit vielen Kindern wohnen zudem häufiger in kleineren Orten mit niedriger Einwohnerzahl als in Großstädten (Statistisches Bundesamt 2013). Während in 15 Prozent der Familien mit Migrationshintergrund drei und mehr Kinder leben, trifft dies auf nur 9 Prozent der Familien ohne Migrationshintergrund zu (BMFSFJ 2013b).


Mütter mit drei und mehr Kindern sind seltener erwerbstätig

Eltern aus Mehrkinderfamilien weisen häufiger einen niedrigen Bildungsabschluss auf als Eltern aus Ein- oder Zweikindfamilien (BMFSFJ 2013a). Dies gilt für Mütter stärker als für Väter. Ein Grund dafür ist das niedrigere Alter der Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes und der damit verbundene Ausstieg aus dem Bildungssystem. Allerdings liegt eine hohe Bildungsqualifikation in Familien mit drei Kindern ähnlich häufig vor wie bei Eltern mit nur einem oder zwei Kindern (ebd.). Erst bei Familien mit vier oder mehr Kindern reduziert sich der Anteil an Müttern und Vätern mit hohem Bildungsniveau deutlich.

Während Mütter von drei oder mehr Kindern seltener als andere Frauen erwerbstätig sind oder in Vollzeit arbeiten, hat die Kinderzahl auf die Erwerbsarbeit der Väter keinen Einfluss: nahezu alle arbeiten in Vollzeit (BMFSFJ 2013a). Daher wird das konventionelle Ernährermodell, bei dem das Haushaltseinkommen nur durch den Mann erwirtschaftet wird, in Mehrkinderfamilien überdurchschnittlich oft gelebt. Erwerbskonstellationen, bei denen beide Elternteile arbeiten, finden sich bei Mehrkinderfamilien seltener als bei anderen Familien (Statistisches Bundesamt 2013).

Kinderreiche Familien haben durch die Anzahl ihrer Kinder überdurchschnittlich hohe finanzielle Belastungen. Da die Aufwendungen mit nur einem mittleren Einkommen nicht hinreichend gedeckt werden können, haben Mehrkinderfamilien ein erhöhtes Armutsrisiko. In Paarhaushalten mit drei oder mehr Kindern ergibt sich für das Jahr 2011 eine Armutsgefährdungsquote von 23 Prozent - die durchschnittliche Gefährdungsquote in Deutschland liegt demgegenüber bei etwa 15 Prozent (BMAS 2013). Die Armutsgefährdungsquote gibt an, welcher Anteil der Bevölkerung weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erreicht.

Auf Basis von Analysen einschlägiger deutscher Datenquellen unterscheiden die Soziologen Bernd Eggen und Marina Rupp (2006) drei spezielle Typen von Mehrkinderfamilien: einerseits gutsituierte Familien mit höher gebildeten Eltern, andererseits Familien mit geringerer schulischer und beruflicher Bildung, die in eher prekären wirtschaftlichen Verhältnissen leben, und drittens kinderreiche Familien mit Migrationshintergrund.

Die Daten der zweiten Befragungswelle des Surveys "Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten" (AID:A II) des Deutschen Jugendinstituts ermöglichen es, neben der Lebenslage auch die Lebensführung von Familien zu untersuchen. Die hier vorgestellten Auswertungen basieren auf den Aussagen, die Aus kunftspersonen - meist die Mütter - von 0- bis 8-jährigen Kindern getroffen haben. In den Daten des DJI-Surveys AID:A II finden sich mehr Kinder, die mit einem (50,7 Prozent) oder sogar zwei oder mehr Geschwistern (23,2 Prozent) zusammenleben. Nur 26,1 Prozent sind Einzelkinder. Die Stichprobe von AID:A II weist die in nicht-amtlichen Surveys übliche Überrepräsentanz von höher gebildeten Eltern auf: Die meisten der befragten Personen haben ein (Fach-)Abitur (65,1 Prozent), 28,6 Prozent verfügen über die Mittlere Reife und nur 6,2 Prozent über einen Hauptschulabschluss. Vor diesem Hintergrund sind alle weiteren Ergebnisse zu interpretieren.

Die meisten Eltern sind glücklich, Kinder zu haben - trotz der hohen zeitlichen und finanziellen Belastungen, die mit drei oder mehr Kindern im Haushalt einhergehen. Fast alle der Befragten stimmten unabhängig von der Kinderzahl der Aussage zu, dass es ihnen Freude bereite, Mutter oder Vater zu sein. Gleichzeitig gibt fast jede vierte kinderreiche Mutter an, mit der Elternrolle auch überfordert zu sein (23,4 Prozent) - bei den Müttern von Einzelkindern ist es nur jede sechste (16,8 Prozent).

Die Zeit, die Eltern aktiv mit ihren Kindern verbringen, wird insgesamt geringer, je mehr Kinder sie haben. Dies gilt für Sonntage ebenso wie für Werktage. Aus Studien wie zum Beispiel dem Kinderpanel des Deutschen Jugendinstituts ist bekannt, dass sich die Kinder mit steigender Geschwisterzahl vermehrt untereinander statt mit Vater und Mutter beschäftigen (Keddi u.a. 2010). Unabhängig von der Familiengröße geben die meisten Mütter an, gerne mit der Familie zusammen zu sein. Allerdings denken mehr Mütter von Mehrkinderfamilien, dass sie zu wenig Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen (40,5 Prozent), als Mütter mit Einzelkindern (31,3 Prozent).


Eine traditionelle Rollenverteilung ist stark verbreitet

Mütter von Mehrkinderfamilien sind häufiger hauptverantwortlich für die Betreuung und Versorgung der Kinder (61,2 Prozent) als Mütter mit Einzelkindern (51,2 Prozent). Auch in diesem Bereich sind sie also traditioneller als Mütter von einem Kind oder zwei Kindern. Gleichzeitig gibt es über alle Familien hinweg eine hohe Zufriedenheit mit dem jeweiligen Arrangement der Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau sowie mit der Partnerschaft an sich. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Familien ihre Lebensumstände nach ihren Vorstellungen gestalten oder sich zumindest gut damit arrangieren.

Den befragten Familien geht es unabhängig von der Kinderzahl gut. Sowohl die Ergebnisse der AID:A II-Studie als auch die in der amtlichen Statistik dokumentierten Erwerbskonstellationen deuten darauf hin, dass Mehrkinderfamilien traditionellere Arrangements leben als kleinere Familien. Allerdings bleibt bisher ungeklärt, ob die Eltern aus Mehrkinderfamilien bereits vor der Familiengründung ein traditionelles Rollenverständnis hatten oder ob sich aufgrund der höheren Kinderzahl eine eher traditionelle Lebensführung herausgebildet hat, um den Familienalltag bewältigen zu können. Um in dieser Hinsicht zu aussagekräftigeren Ergebnissen zu kommen, sind weitere Untersuchungen nötig.


DIE AUTORINNEN

Josefine Klinkhardt war bis August 2014 wissenschaftliche Referentin in der Fachgruppe "Lebenslagen und Lebensführung von Familien" der Abteilung "Familie und Familienpolitik" des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der familialen Lebensführung sowie dem Wandel von Familie und dem Familienalltag.

Claudia Zerle-Elsäßer ist kommissarische Leiterin der Fachgruppe "Lebenslagen und Lebensführung von Familien" in der Abteilung "Familie und Familienpolitik" des DJIs. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Vaterschaft, Familiengründung sowie die Lebensführung von Eltern und Kindern.
Kontakt: zerle@dji.de


Literatur

BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES (BMAS; 2013): Lebenslagen in Deutschland. Der vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Bonn

BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (BMFSFJ; 2013a): Mehrkindfamilien in Deutschland. Dossier. Berlin

BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (BMFSFJ; 2013b): Mütter mit Migrationshintergrund - Familienleben und Erwerbstätigkeit. Monitor Familienforschung. Beiträge aus Forschung, Statistik und Familienpolitik. Berlin

EGGEN, BERND/RUPP, MARINA (2006): Kinderreiche Familien. Wiesbaden

KEDDI, BARBARA/ZERLE, CLAUDIA/LANGE, ANDREAS/CORNELIßEN, WALTRAUD (2010): Der Alltag von Mehrkinderfamilien - Ressourcen und Bedarfe. Im Internet verfügbar unter: www.dji.de/index.php?id=42049 (Zugriff: 13.01.2015)

STATISTISCHES BUNDESAMT (2013): Geburtentrends und Familiensituation in Deutschland 2012. Wiesbaden


DJI Impulse 4/2014 - Das komplette Heft finden Sie im Internet als PDF-Datei unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2014
- Nr. 108, S. 14-16
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-140, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de
 
DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos bestellt und auf Wunsch auch abonniert
werden unter vontz@dji.de.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2015

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