Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FAMILIE/292: Aktive Väter - Gefangen in traditionellen Rollenmustern (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112

Gefangen in traditionellen Rollenmustern

von Johanna Possinger


Die viel beschriebenen »aktiven Väter« sind bislang nur einsame Vorreiter. Zwar wünschen sich viele Männer mehr Zeit mit der Familie, in der Realität bleiben sie aber meist der alten Ernährer-Rolle verhaftet. Warum ihnen der Wandel so schwer fällt.

Seit der Einführung des Elterngelds im Jahr 2007 ist sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik viel von »aktiven Vätern« die Rede. Was genau darunter zu verstehen ist, variiert dabei stark. In manchen Studien bezeichnen sich Männer selbst aufgrund ihrer Einstellung als »aktiven Vater« (Jentsch u.a. 2016). In anderen Untersuchungen gelten jene Männer als »aktiv«, die überdurchschnittlich viel Zeit in die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder investieren (Li u.a. 2015). Häufig bezieht sich der Begriff auf die Nutzung der Partnermonate des Elterngelds. Das Elterngeld erweist sich als Erfolgsgeschichte, was die Beteiligung von Vätern anbelangt: Ein Drittel der Väter nehmen inzwischen Elternzeit in Anspruch (Statistisches Bundesamt 2015). In manchen Regionen Sachsens und Bayerns bleibt mittlerweile sogar jeder zweite Vater nach der Geburt zu Hause.

Im Forschungsprojekt des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Landshut »Care-Praxen von Vätern in Bayern« werden derzeit deren Motive und die langfristigen Effekte der Inanspruchnahme von Elterngeld untersucht. Auch wenn die Nutzung dieser sogenannten Vätermonate allein kein Gradmesser für eine »aktive Vaterschaft« ist (Possinger 2013), ist die steigende Quote Ausdruck eines bemerkenswerten gesellschaftlichen Wandels. Rund drei Viertel der Männer favorisieren ein Leitbild »aktiver Vaterschaft«, bei dem der Vater die Erziehung nicht allein der Mutter überlässt und zum Teil auch dazu bereit ist, für seine Familie beruflich kürzer zu treten (BIB 2013).


Zwei Drittel der Eltern wollen beides: Kinder betreuen und Geld verdienen

Die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht Umfragen zufolge bei Eltern hoch im Kurs: 60 Prozent der Väter und Mütter mit Kindern unter drei Jahren finden es ideal, wenn sich beide Partner gleichermaßen im Familien- und im Erwerbsleben engagieren (Müller u.a. 2013). Wenn sie auf nichts Rücksicht nehmen müssten, würde knapp die Hälfte der Eltern eine Erwerbskonstellation präferieren, in der beide Partner gleich viel arbeiten (IfD Allensbach 2015). Dieser Trend ist vor allem für die Kinder eine gute Nachricht, denn die väterliche Fürsorge leistet einen wichtigen Beitrag zur emotionalen, motorischen und kognitiven Entwicklung der Kinder und kann sich äußerst positiv auf ihren Bildungserfolg auswirken (Lamb 2010).

Diese hohen Ansprüche an eine partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden im Alltag jedoch nicht eingelöst. Trotz des Elterngelds leben in Deutschland die meisten Eltern nach der Geburt eines Kindes das traditionelle Familienmodell: Die Frau kümmert sich um das Kind und der Mann verdient das Geld. In den ersten drei Lebensjahren des Kinds ist mehr als die Hälfte der Mütter nicht erwerbstätig (Li u.a. 2015). Anschließend praktizieren mehr als drei Viertel der westdeutschen und über die Hälfte der ostdeutschen Eltern während der Kindergarten- und Grundschulzeit ihrer Kinder ein Ernährer-Zuverdiener-Modell (IfD Allensbach 2015).

Teilzeitarbeit ist nach wie vor eine Bastion der Mütter. Von den knapp 6 Prozent der in Teilzeit beschäftigten Männer haben nur 1,5 Prozent aus familiären Gründen ihre Arbeitszeit reduziert (Groll 2014). Aufgrund ihrer Funktion als Haupternährer der Familie verbringen Väter sogar mehr Zeit am Arbeitsplatz als ihre kinderlosen männlichen Kollegen (Meier-Gräwe/Klünder 2015). Die Hälfte der Väter gesteht zudem ein, Zeitkonflikte bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Regel zugunsten ihrer beruflichen Verpflichtungen zu lösen (»Bild der Frau« 2013). Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass mehr als 60 Prozent der Frauen die tägliche Haus- und Familienarbeit weitgehend alleine leisten (ebd.).

Auch die steigende Nutzung des Elterngelds muss differenziert betrachtet werden: Wenn Väter die Partnermonate in Anspruch nehmen, dann in 80 Prozent der Fälle nur für zwei Monate. Damit sich Väter auch nach dem Elterngeldbezug weiter in die Kinderbetreuung einbringen, wäre jedoch eine längere Bezugsdauer erforderlich (Pfahl u.a. 2014). Entscheidend ist hierbei die Abwesenheit der Mutter. Denn ist die Mutter dauerhaft zu Hause präsent, bleibt die Rolle des Vaters meist auf die eines »Assistenten« der Partnerin beschränkt (Possinger 2013). Erst die eigenverantwortliche Bewältigung des Familienalltags in der Elterngeldphase fördert die »aktive Vaterschaft«.

Wieso aber hält sich so hartnäckig die Diskrepanz zwischen dem weitverbreiteten Wunsch nach »aktiver Vaterschaft« und der überwiegend traditionellen Wirklichkeit? Die Gründe dafür sind vor allem ökonomische, familiäre und betriebliche Hürden.

Für 60 Prozent der Eltern hat die Frage, wer von beiden mehr beziehungsweise weniger Einkommen erwirtschaftet, einen großen Einfluss auf die Arbeitsteilung in der Familie (IfD Allensbach 2015). Je mehr Väter im Vergleich zur Partnerin verdienen, desto irrationaler wird aus finanzieller Sicht ihr Engagement in der Kinderbetreuung. Durch den geschlechtlich segregierten Arbeitsmarkt (Müller 2016) und die großen Unterschiede bei der Bezahlung von Frauen und Männern (»Gender Pay Gap«), die dazu führen, dass selbst in Führungspositionen Frauen zu 27 Prozent schlechter bezahlt werden als Männer (Holst u.a. 2015), verdienen Väter meist mehr als ihre Partnerinnen.


Politik und Arbeitgeber fördern die traditionelle Arbeitsteilung

Diese Ungleichheit wird staatlich durch steuerliche Rahmenbedingungen verstärkt - insbesondere das Ehegattensplitting und die Kombination der Steuerklassen III und V fördern die traditionelle Arbeitsteilung: Das Nettogehalt des Ehemanns wirkt unverhältnismäßig und das Einkommen der Frau wird durch den Lohnsteuervorabzug so stark reduziert, dass es innerfamiliär als leicht entbehrlicher Zuverdienst wahrgenommen wird (Eckstein 2009). Diese »Logik des Geldbeutels« (Hochschild 1989, S. 221) allein erklärt jedoch nicht die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung.

Mehr noch als das Einkommen fällt der Wunsch vieler Mütter ins Gewicht, ihr Kind in den ersten Jahren selbst zu betreuen (IfD 2015). Eine Rolle spielen hierbei auch traditionelle Geschlechternormen. Sich um Kinder zu kümmern, wird als weibliche Fähigkeit betrachtet, die sich Männer erst mühsam aneignen müssen. Knapp 40 Prozent der deutschen Bevölkerung sind der Meinung, Frauen seien besser für die Kindererziehung geeignet als Männer. Mehr als 60 Prozent schreiben Frauen höhere Kompetenzen beim Putzen, Wäschewaschen und bei der Pflege kranker Kinder zu (»Bild der Frau« 2013). Nur 11 Prozent der Männer finden es »sympathisch«, wenn Frauen Karriere machen. 77 Prozent der Frauen wünschen sich umgekehrt einen beruflich kompetenten Mann, der die Familie gut versorgen kann (BMFSFJ 2014). Eng verbunden mit solchen Vorstellungen ist das bereits beschriebene Phänomen des mütterlichen »gatekeepings« (Pleck/Masciadrelli 2004): Frauen sehen die Sorgearbeit als ihr »Revier« an und wachen über die Beteiligung des Vaters, den sie oft nur als Mithelfer akzeptieren.

Eine Schlüsselrolle nehmen zudem die Arbeitgeber ein. Zwar entdeckt auch die Wirtschaft zunehmend die Väter als Zielgruppe einer familienfreundlichen Personalpolitik (Roland Berger 2014). Im täglichen Berufsalltag klafft aber auch hier eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Selbst wenn familienfreundliche Angebote vorhanden sind, nutzen viele Väter diese nicht aus Angst vor beruflichen Nachteilen (Possinger 2013). Die meisten Arbeitgeber erwarten insbesondere von männlichen Beschäftigten, dass sie in Vollzeit arbeiten und jederzeit verfügbar, mobil und flexibel sind. Physische Präsenz am Arbeitsplatz wird mit Leistungsbereitschaft und Produktivität gleichgesetzt. Durch Verstöße gegen dieses ungeschriebene Gesetz (Oechsle 2014) können sich männliche, aber auch weibliche Beschäftigte ins berufliche Aus katapultieren. Der Anspruch auf die Verfügbarkeit der Angestellten durch die Arbeitgeber begünstigt so Erwerbskonstellationen, bei denen die Väter ihre Familie zugunsten der Arbeit zurückstellen, während sich die Mütter neben ihrer Teilzeitstelle vorrangig um die Kinder kümmern. Die Folge ist häufig Unzufriedenheit: Während viele Mütter gerne ihre Arbeitszeit aufstocken würden (BMAS 2014), möchten die meisten Väter weniger Zeit am Arbeitsplatz und mehr mit ihren Kindern und der Partnerin verbringen (Li u.a. 2015). Insofern sind es neben traditionellen Geschlechternormen vor allem strukturelle wirtschaftliche und politische Gründe, die dazu führen, dass sich Väter und Mütter häufig unfreiwillig in traditionellen Rollenbildern gefangen fühlen.


Familienbewusstes Denken und Handeln belohnen

Angesichts dieser ernüchternden Befunde stellt sich die Frage, welche Maßnahmen es Eltern erleichtern würden, Erwerbsarbeit und Familie partnerschaftlicher miteinander zu vereinbaren. Gefragt sind hierbei in erster Linie die Politik und die Arbeitgeber. Der Politik stünden mehrere Stellschrauben zur Verfügung: Eine Verlängerung der Partnermonate beim Elterngeld würde Väter dazu ermutigen, längere berufliche Auszeiten zu nehmen, in denen sie sich hauptverantwortlich um ihre Familie kümmern könnten. Darüber hinaus muss die Politik endlich den Mut beweisen, das seit den 1950er-Jahren bestehende Ehegattensplitting zumindest für neu geschlossene Ehen zu reformieren. Das Ziel sollte eine Steuergesetzgebung sein, die Fürsorgeleistungen fördert und Modelle partnerschaftlicher Vereinbarkeit von Familie und Beruf begünstigt, statt diese abzustrafen.

Ein Quantensprung zu mehr Partnerschaftlichkeit könnte auch mit der Einführung einer von der Bundesfamilienministerin bereits propagierten Familienarbeitszeit erreicht werden. Diese sieht einen Arbeitszeitkorridor von 28 bis 32 Stunden Teilzeit für beide Eltern mit staatlichem Lohnausgleich vor, der insbesondere Familien mit geringem Einkommen zugutekommen soll (von Bullion 2015). Darüber hinaus müssen Arbeitgeber mehr in die Pflicht genommen werden. Die bloße Bereitstellung familienbewusster Angebote, wie etwa vollzeitnahe Teilzeitmodelle mit circa 30 Stunden Arbeitszeit, ist unzureichend. Es muss an der Veränderung der Betriebskultur gearbeitet werden, weg von der bloßen Präsenz der Arbeitskräfte hin zu einer ergebnisorientierten Arbeitsweise. Dies kann etwa dadurch gefördert werden, dass Führungskräfte auf der Ebene des mittleren und hohen Managements finanziell belohnt werden, wenn sie familienbewusst denken und handeln.


Die Autorin

Dr. Johanna Possinger leitet bis Juli 2016 die Fachgruppe »Familienpolitik und Familienförderung« in der Abteilung »Familie und Familienpolitik« des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Ab August 2016 wird sie die Professur für »Frauen- und Geschlechterfragen in der Sozialen Arbeit« an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg innehaben. Ihre Forschungsschwerpunkte sind monetäre, infrastrukturelle und zeitpolitische Familienförderung, Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben, Gleichstellungspolitik und Väterforschung.
Kontakt: j.possinger@eh-ludwigsburg.de


Literatur

BULLION VON, CONSTANZE (2015): Nur 28 bis 32 Stunden. In: Süddeutsche Zeitung Online vom 11.11.2015. Im Internet verfügbar unter:
www.sueddeutsche.de/politik/familienarbeitszeit-nur-bis-stunden-1.2732424
(Zugriff: 16.04.2016)

BUNDESINSTITUT FÜR BEVÖLKERUNGSFORSCHUNG (BIB; 2013): Familienleitbilder. Vorstellungen, Meinungen, Erwartungen. Wiesbaden

BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES (BMAS; 2015): Fortschrittsbericht 2014 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung. Bonn

BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (BMFSFJ; Hrsg.; 2014): Jungen und Männer im Spagat: Zwischen Rollenbildern und Alltagspraxis. Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung zu Einstellungen und Verhalten. Berlin

ECKSTEIN, CHRISTIANE (2009): Geschlechtergerechte Familienpolitik. Wahlfreiheit als Leitbild für die Arbeitsteilung in der Familie. Stuttgart

GROLL, TINA (2014): Teilzeit bleibt Frauensache. In: Zeit Online vom 30.7.2014. Im Internet verfügbar unter:
www.zeit.de/karriere/beruf/2014-07/teilzeitquote-maenner-frauen-infografik
(Zugriff: 17.03.2016)

HOCHSCHILD, ARLIE RUSSELL (1989): The second shift. Working parents and the revolution at home. New York

HOLST, ELKE / BUSCH-HEIZMANN, ANNE / WIEBER, ANNA (2015): Führungskräfte-Monitor 2015. Update 2001-2013. Politikberatung kompakt 100. Köln

INSTITUT FÜR DEMOSKOPIE ALLENSBACH (IfD; 2015): Weichenstellungen für die Aufgabenteilung in Familie und Beruf. O.A.

JENTSCH, BIRGIT u.a. (2016): Aspiring to be an active father and the effects on doing family in a German context. Vortrag auf der Konferenz des EU-Projekts »Families and Societies« vom 13.-15.01.2016 in Wien

LAMB, MICHAEL E. (Hrsg.; 2010): The role of the father in child development. 5. Auflage, New York

LI, XUAN u.a. (2015): Väter 2015: Wie aktiv sind sie, wie geht es ihnen und was brauchen sie? Eine aktuelle Studie des Deutschen Jugendinstituts. München

MEIER-GRÄWE, UTA / KLÜNDER, NINA (2015): Ausgewählte Ergebnisse der Zeitbudgeterhebungen 1991/92, 2001/02 und 2012/13. Gießen

MÜLLER, KAI UWE / NEUMANN, MICHAEL / WROHLICH, KATHARINA (2013): Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine neue Lohnersatzleistung bei Familienarbeitszeit. Berlin

MÜLLER, DAGMAR (2016): Was hindert Frauen an der Karriere? Eine Versachlichung von Dagmar Müller. Freiburg

OECHSLE, MECHTHILD (2014): Hidden rules and a sense of entitlement. Working fathers within organizations. Vortrag auf der Konferenz »Work and Family Researchers Network Conference« am 21.06.2014

PFAHL, SVENJA u.a. (2014): Nachhaltige Effekte der Elterngeldnutzung durch Väter. Berlin

PLECK, JOSEPH H. / MASCIADRELLI, BRIAN P. (2004): Paternal involvement by U.S. residential fathers. Levels, sources, consequences. In: Lamb, Michael E. (Hrsg.): The role of the father in child development. 5. Auflage, New York, S. 222-271

POSSINGER, JOHANNA (2013): Vaterschaft im Spannungsfeld von Erwerbsund Familienleben. Neuen Vätern auf der Spur. Wiesbaden

ROLAND BERGER (2014): Die Neue Vereinbarkeit. Warum Deutschland einen Qualitätssprung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie braucht! Im Internet verfügbar unter:
www.rolandberger.de/medien/publikationen/2014-12-12-rbsc-pub-die_neue_Vereinbarkeit.html
(Zugriff 18.04.2016)

*

Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112, S. 4 - 7
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/6 23 06-140, Fax: 089/6 23 06-265
Internet: www.dji.de, www.dji.de/impulse
 
DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Printausgabe von DJI Impulse kann kostenlos bestellt
und auf Wunsch auch abonniert werden unter impulse@dji.de.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang