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FAMILIE/297: Gemeinsam Risiken vermeiden (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112

Gemeinsam Risiken vermeiden

von Christoph Liel und Andreas Eickhorst


Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts analysiert, wie unterschiedlich Väter und Mütter mit psychosozialen Belastungen umgehen: Wie wirkt sich darauf eine eher traditionelle oder gleichberechtigtere Rollenverteilung zwischen den Paaren aus?


Bei der Prävention von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung ist es wichtig, Erkenntnisse darüber zu haben, welche Faktoren im täglichen Familienleben das diesbezügliche Risiko für Kinder beeinflussen. Um die Entwicklungschancen von Familien mit kleinen Kindern einschätzen und positiv beeinflussen zu können, muss man vor allem psychosoziale Belastungen kennen (Eickhorst u.a. 2015) - diese wirken sich auf das Verhalten von Eltern in besonderer Weise aus (Rudolf u.a. 2015).

Väter und Mütter sind gleichermaßen kompetent im Umgang mit Kleinkindern und als Bindungspersonen (Borke u.a. 2011). Für Kinder in westlichen und eher individualistisch geprägten Kulturkreisen ist die gemeinsame Interaktion mit Vater und Mutter in der sogenannten primären Triade bedeutsam, um erste Erfahrungen zu sammeln. Als »primäre Triade« wird die erste Dreierbeziehung im Leben eines Kindes bezeichnet: Säugling, Mutter und Vater. In dieser für das Kind wichtigen und prägenden Konstellation erfährt es den Umgang mit mehr als einer Person ebenso wie das Erleben von Kooperation und Konkurrenz der Eltern untereinander. Ob die Eltern in der Lage sind, diese triadischen Erfahrungen entwicklungsfördernd zu gestalten, hängt unter anderem von den Lebensumständen der Familie ab (Schwinn/Frey 2012).

Im Forschungsbereich der frühen Kindheit werden immer mehr Studien zu Risikofaktoren für eine Kindeswohlgefährdung durchgeführt (Stith u.a. 2009), wobei genderspezifische Unterschiede bisher allerdings kaum untersucht wurden. In einer Literaturanalyse ermittelten die Psychologinnen Jenny Juliane Kuntz, Franka Metzner und Silke Pawils (2013) spezifisch für die Gruppe der Väter 14 Risikofaktoren für Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. Dazu gehören unter anderem die Abhängigkeit von Drogen oder anderen Substanzen, psychopathologische Auffälligkeiten (etwa Depressionen oder Ängste), Partnergewalt oder eine geringe Selbstwirksamkeit bei der Erziehung. Letzteres bezieht sich auf Eltern, die sich selbst im Umgang mit dem Kind als eher unsicher empfinden.


Beide Eltern können eine Gefährdung kompensieren oder verschärfen

In einer belasteten Familie können Väter (wie auch Mütter) als Träger des Risikos familiäre Gefährdungslagen verschärfen, oder sie können kompensierend wirken, wenn einer der beiden Partner risikobelastet ist. Für die Bedeutung von Risikofaktoren ist nicht nur das »objektive« Vorliegen entscheidend, sondern auch die subjektive Wahrnehmung durch den Elternteil (Matzner 2004). Im Folgenden soll an einer Teiluntersuchung der Studie »KiD 0-3: Kinder in Deutschland« (siehe Infokasten) gezeigt werden, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten des väterlichen und mütterlichen Belastungserlebens bestehen. Dabei handelt es sich um eine Befragung von Eltern mit Kindern von null bis drei Jahren, die unterschiedlichen Belastungsgruppen zugeordnet werden können. Hochbelastete Familien wurden überproportional zum Bevölkerungsdurchschnitt an der Untersuchung beteiligt.


KiD 0-3: Kinder in Deutschland

Die Studienfolge »KiD 0-3: Kinder in Deutschland« hat das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) am Deutschen Jugendinstitut (DJI) im Rahmen der Bundesinitiative Frühe Hilfen zwischen den Jahren 2013 und 2015 durchgeführt. Dabei ging es um psychosoziale Belastungen in Familien mit Säuglingen und Kleinkindern. An einem Subsample von 197 Familien mit einem ein- oder eineinhalbjährigen Kind wurden Risikomechanismen vertieft untersucht.


In diesem Artikel steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit sich Väter und Mütter durch die Elternrolle in der frühen Kindheit ihres Nachwuchses belastet fühlen und wie sich dies auf die Eltern-Kind-Interaktion auswirkt. Zudem wird analysiert, inwiefern sich das Belastungserleben von Müttern und Vätern durch die Kindererziehung bei einer gleichberechtigten und bei einer traditionellen Rollenverteilung unterscheidet und inwieweit die Beteiligung des Vaters an der Erziehung die Mutter entlasten kann.

In der Studie wurden die Familien als gering belastet (38 Prozent), mittel belastet (36 Prozent) und hochbelastet (26 Prozent) eingestuft. Dafür wurde die Hauptbezugsperson des Kindes (meist die Mutter) und die zweite Bezugsperson (meist der Vater) schriftlich befragt. Eingesetzt wurden validierte Messinstrumente zur Rollenaufteilung (»Who Does What Scale«; Cowan/Cowan 1988), Selbstwirksamkeit in der Erziehung (»Self Efficacy Nurturing Role Questionnaire«; Pedersen u.a. 1989), zur Ärgerneigung (aus dem »Child Abuse Potential Inventory«; Milner 1986), Depression und Ängsten (»Patient Health Questionnaire«; Löwe u.a. 2010) sowie zum Kindesmisshandlungsrisiko (»Brief Child Abuse Potential Inventory«; Ondersma u.a. 2005). Eine hohe Selbstwirksamkeit in der Erziehung, das heißt empfundene Sicherheit im Umgang mit dem Kind, ist ein Schutzfaktor. Gefühle innerer Wut, die sich häufig in einer Neigung zu Ärger und Impulsivität ausdrücken, sind ebenso wie psychopatholgische Auffälligkeiten (etwa Depressionen und Ängste) Risikofaktoren, die zu Kindesmisshandlung und -vernachlässigung führen können (Kuntz u.a. 2013). Die Teilnahmequote der Väter lag bei 97 Prozent (bei 3 Prozent bestand kein Kontakt zum Vater). Bei 89 Prozent war der in der Familie lebende Vater die zweite Bezugsperson, bei 3 Prozent die Hauptbezugsperson des Kindes. In 5 Prozent der untersuchten Familien war der Vater die zweite Bezugsperson und lebte von der Familie getrennt.

Väter sind zufriedener mit der Rollenverteilung bei der Erziehung Väter gaben im Mittel eine größere Zufriedenheit mit der Rollenverteilung in der Partnerschaft an und schätzten das Risiko, dass sie ihr Kind misshandeln könnten, geringer ein als die Mütter. In den Bereichen Selbstwirksamkeit in der Erziehung, Ärgerneigung sowie Depression und Ängste zeigten sich hingegen kaum Unterschiede zwischen den Eltern.

Mütter schätzten die Aufgabenverteilung bei der Erziehung und Versorgung des Kindes im Mittel wie folgt ein: 63 Prozent von ihnen gaben an, dass sie sich fast ausschließlich selbst darum kümmern (»Mutter macht alles«), 37 Prozent sagten, dass die Aufgaben auf beide Eltern gleich verteilt sind. Dabei stimmte bei drei Vierteln der Familien die Einschätzung der beiden Elternteile überein. Bei einem Viertel wich die Einschätzung des Vaters von der der Mutter ab. Väter berichteten etwas häufiger von einer egalitären Arbeitsteilung bei der Kindererziehung.

Mütter und Väter erlebten sich bei einer eher ausgeglichenen Verteilung der Erziehungsaufgaben selbstwirksamer in der Erziehung als bei einer traditionellen Rollenverteilung. Bei Müttern ging die Beteiligung des Vaters nicht nur mit einer höheren Zufriedenheit mit der Aufteilung von Erziehungsaufgaben einher, es zeigte sich bei ihnen auch ein wesentlich geringeres Risiko für Kindesmisshandlung. Bei Vätern wurden keine entsprechenden Unterschiede gefunden. Väter, die sich an der Kindererziehung beteiligen, berichteten jedoch etwas häufiger von einer inneren Wut, die sich als Ärger ausdrücken kann. Die Risiken für Depression und Ängste schätzten sie geringer ein.

Mütter sind in den ersten Lebensjahren von Kindern noch immer die vorrangigen Bezugspersonen. Aus diesem Grund sind die Rollenverteilung zwischen den Partnern bei der Erziehung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen drängendere Themen als für Männer. Viele Väter beteiligen sich an der Erziehung und haben einen wichtigen und eigenständigen Einfluss. Es gibt Eltern, die die Erziehungsarbeit fast gleichberechtigt verteilen - der Anteil lag in dieser Studie bei mehr als einem Drittel. Dabei hatte die Zugehörigkeit zur gering, mittel oder hochbelastet eingestuften Gruppe keinen Einfluss auf die Rollenverteilung zwischen den Partnern.


Mütter schätzen das Risiko, ihr Kind zu misshandeln, höher ein als Väter

Der auffälligste Unterschied bei der Selbstwahrnehmung von Belastungen durch die Kindererziehung ist, dass Mütter im Vergleich zu den Vätern das Risiko für Kindesmisshandlung deutlich höher angeben. Das bedeutet nicht unbedingt, dass das Risiko bei Müttern tatsächlich höher ist. Es weist vielmehr darauf hin, dass die mit dem Kind verbrachte Zeit bei Kindesmisshandlungen eine Rolle spielt. Wenn Mütter und Väter die Erziehungsaufgaben untereinander aufteilen, sinkt das Misshandlungsrisiko von Müttern auf ein mit Vätern vergleichbares Niveau und ihre Ärgerneigung verringert sich ebenfalls. Eine gleichberechtigtere Rollenverteilung scheint für das mentale Wohlbefinden von Müttern und Vätern insgesamt förderlich zu sein; beide Eltern erleben mehr Selbstwirksamkeit im Umgang mit ihrem Kind.

Für die weitere Forschung wäre es interessant, mehr über die kausalen Zusammenhänge zu erfahren: Führt eine stärkere Beteiligung des Vaters bei der Erziehung dazu, dass er sich beim Umgang mit dem Kind sicherer fühlt? Oder neigen Väter mit einem größeren Vertrauen in die eigene Erziehungskompetenz eher dazu, sich an der Versorgung des Kindes zu beteiligen?

Die Studie weist darauf hin, dass väterliches Engagement hilfreich ist, um Mütter zu entlasten. Allerdings geht es nicht allein darum, dass Väter ihr Kind beispielsweise ins Bett bringen, sondern wie sie es tun. Die Qualität der Vater-Kind-Interaktion hat einen wesentlichen Einfluss auf die kindliche Entwicklung (Borke u.a. 2011). Es ist sinnvoll, einen sensitiven Umgang von Vätern mit ihren Kindern von Beginn an zu fördern.


Die Autoren

Christoph Liel, Sozialarbeiter, ist wissenschaftlicher Referent in der Fachgruppe »Nationales Zentrum Frühe Hilfen« am Deutschen Jugendinstitut (DJI). Seine Arbeits- und Forschungsbereiche sind psychosoziale Belastungen in Familien mit Säuglingen und Kleinkindern, Väter in belasteten Lebenslagen und im Kinderschutz sowie evidenzbasierte Soziale Arbeit.
Kontakt: liel@dji.de

Dr. Andreas Eickhorst, Entwicklungspsychologe, ist wissenschaftlicher Referent und Bereichskoordinator des Bereichs »Versorgungsforschung« in der Fachgruppe »Nationales Zentrum Frühe Hilfen« am DJI. Seine Arbeits- und Forschungsbereiche sind Eltern-Kind-Interaktionen, Frühe Hilfen, Väter sowie psychosoziale Belastungen in Familien mit Säuglingen und Kleinkindern.
Kontakt: eickhorst@dji.de


Literatur

BORKE, JÖRN / EICKHORST, ANDREAS / LAMM, BETTINA (2011): Väter: Eine entwicklungspsychologische Bestandsaufnahme. In: Keller, Heidi (Hrsg.): Handbuch der Kleinkindforschung. Bern, S. 250-268

COWAN, CAROLYN PAPE / COWAN, PHILIP A. (1988): Who does what. When partners become parents. In: Marriage & Family Review, Heft 3-4, S. 105-131

EICKHORST, ANDREAS u.a. (2015): Die Prävalenzstudie »Kinder in Deutschland KiD 0-3«. Studiendesign und Analysepotential. In: Soziale Passagen, Heft 2, S. 381-388

KUNTZ, JENNY JULIANE / METZNER, FRANKA / PAWILS, SILKE (2013): Spezifische Risiko- und Schutzfaktoren von Vätern bei Kindeswohlgefährdung. In: Kindheit und Entwicklung, Heft 1, S. 14-21

LÖWE, BERND u.a. (2010): A 4-item measure of depression and anxiety: Validation and standardization of the patient health questionnaire-4 (PHQ-4) in the general population. In: Journal of Affective Disorders, Heft 1-2, S. 86-95

MATZNER, MICHAEL (2004): Vaterschaft aus der Sicht von Vätern. Wiesbaden

MILNER, JOEL S. (1986): The child abuse potential inventory: Manual. Webster, NC

ONDERSMA, STEVEN J. u.a. (2005): A brief form of the child abuse potential inventory: Development and validation. In: Journal of Clinical Child & Adolescent Psychology, Heft 2, S. 301-311

PEDERSEN, FRANK A. u.a. (1989): Constructions of self and offspring in the pregnancy and early infancy periods. Paper presented at the SRCD. Kansas City, Missouri

RUDOLF, MARIANA / EICKHORST, ANDREAS / DOEGE, DANIELA / CIERPKA, MANFRED (2015): Väter in den Frühen Hilfen - trotz Belastung Vertrauen in die eigenen Kompetenzen? In: Kindheit und Entwicklung, Heft 2, S. 115-122

STITH, SANDRA u.a. (2009): Risk factors in child maltreatment: A metaanalytic review of the literature. In: Aggression and Violent Behavior, Heft 1, S. 13-29

SCHWINN, LISA / FREY, BRITTA (2012): Der Vater in der familiären Triade mit dem Säugling. In: Walter, Heinz / Eickhorst, Andreas (Hrsg.): Das Väter-Handbuch. Frankfurt, S. 265-280

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112, S. 26-28
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/6 23 06-140, Fax: 089/6 23 06-265
Internet: www.dji.de, www.dji.de/impulse
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2016

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