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FRAUEN/375: Libanon - Gesetz gegen häusliche Gewalt verwässert, Rückschlag für Frauenrechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. März 2012

Libanon: Gesetz gegen häusliche Gewalt verwässert - Rückschlag für Frauenrechte

von Dalila Mahdawi


Beirut, 6. März (IPS) - Fünf Jahre hatte eine Koalition aus Nichtregierungsorganisationen an einem Gesetz gefeilt, das Frauen vor seelischer, physischer und sexueller Grausamkeit ihrer Partner schützen soll. Im April 2010 wurde es vom Ministerrat gebilligt und steht kurz davor, das Parlament zu passieren. Doch den Aktivisten zufolge hat ein Parlamentsausschuss die viel versprechende Vorlage bis zur Bedeutungslosigkeit verwässert.

Der Entwurf sah ursprünglich die Ernennung eines Sonderstaatsanwalts für die Untersuchung von Fällen häuslicher Gewalt und die Einrichtung von Sondereinheiten innerhalb der libanesischen Polizei zum Schutz der Opfer vor. Außerdem sollten Ärzte und ihre Mitarbeiter dazu verpflichtet werden, potenzielle Misshandlungsfälle zu melden. Zudem waren Maßnahmen vorgesehen, die Opfer und ihre Kinder vor weiteren Übergriffen zu schützen.

Erstmals in der libanesischen Rechtsprechung wurden die unterschiedlichen Formen von Gewalt gegen Frauen klar benannt und konkrete Strafen für die Täter festgelegt. Doch ein Ausschuss aus acht Abgeordneten, unter ihnen eine einzige Frau, hat die Vorlage radikal abgeändert. So wurde Vergewaltigung in der Ehe sowie wirtschaftliche und psychologische Gewalt vollständig aus der Vorlage gestrichen. Darüber hinaus beinhaltet das neue Gesetz nun einen Paragraphen, der den Religionsgerichten in Fragen innerfamiliärer Gewalt größere Entscheidungsbefugnisse einräumt als den Zivilgerichten.

Durchgesickerte Dokumente des Ausschusses offenbaren weiter, dass die Klausel über die Einrichtung einer polizeilichen Sondereinheit zur Behandlung von häuslicher Gewalt ebenso aus dem ursprünglichen Entwurf entfernt wurde. Auch stehen nicht mehr Frauen als die eigentlichen Opfer im Mittelpunkt, sondern ältere Menschen, Männer und Kinder.


Vergewaltigung als Tatbestand abgelehnt

Das Ausschussmitglied Imad Al-Hout hatte bereits im Dezember gegenüber der Tageszeitung 'Daily Star' Vergewaltigung in der Ehe als Tatbestand abgelehnt. "Es gibt nichts zwischen einem Mann und seiner Frau, das sich als Vergewaltigung bezeichnen ließe", meinte er. "Gemeint ist wohl ein erzwungener Geschlechtsverkehr zwischen zwei Partnern."

Eine Verharmlosung, für die Opfer wie Nour kein Verständnis aufbringen. Die junge Frau war von ihrem Mann im Schlaf überfallen und brutal vergewaltigt worden. Eine Stunde lang lag sie in ihrem Blut, bis sie zu einem Arzt gebracht wurde. Der Arzt, ein Freund ihres Mannes, weigerte sich, die Patientin zu untersuchen. "Er verschrieb mir blutstillende Medikamente, die drei Tage später anschlugen", berichtet sie.

Unter dem von den Frauenaktivisten entworfenen Gesetz wäre Nour besser gestellt gewesen. Doch die Veränderungen durch den Parlamentsausschuss haben das Gesetz zahnlos gemacht. "Vergewaltigung in der Ehe aus dem Entwurf zu streichen, zeigt im Grunde nur, dass sich der Ausschuss keinen Begriff von der Gewalt macht, der Frauen ausgesetzt sind", meint Maya al-Ammar von der Nichtregierungsorganisation 'Genug Gewalt und Ausbeutung' (KAFA), die die Speerspitze der Bemühungen um ein neues Frauenschutzgesetz bildet.

"Wenn sie eine Vergewaltigung nicht als Vergewaltigung erkennen können, wie sollen sie in der Lage sein, ein Gesetz zu prüfen, in dem es um geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen geht?", fragte sie. Die Koalition sei zwar mit dem Ausschuss in Kontakt getreten, doch hätten dessen Mitglieder jede Diskussion vor der Verabschiedung des Gesetzes vermieden. IPS-Anrufe bei Ausschussmitgliedern blieben unbeantwortet.

Im Libanon, wo häusliche Gewalt ein heikles Thema ist, lassen sich nur schwerlich Zahlen über das Ausmaß der Übergriffe beibringen. Allerdings lässt die hohe Todesrate bei Frauen KAFA zufolge die Vermutung zu, dass im vier Millionen Einwohner zählenden Land jeden Monat im Durchschnitt eine Frau von ihrem Partner umgebracht werden dürfte.

Laut Jinan Usta, Ärztin an der Amerikanischen Universität des Beiruter Krankenhauses, die über häusliche Gewalt forscht, macht jede dritte Frau im Libanon Erfahrungen mit geschlechtsspezifischer Gewalt. Als Familienangelegenheit verharmlost, findet häusliche Gewalt meist im Verborgenen statt. Frauen, die ihre übergriffigen Partner verlassen wollen, sehen sich meist riesigen Hürden gegenübergestellt. Versuche der Opfer, die Täter anzuzeigen, enden in der Regel damit, dass sie von der Polizei nach Hause zurückgeschickt werden.

Die Änderungen des Gesetzentwurfs zielen offenbar darauf ab, die religiösen Autoritäten zu beruhigen, die das Gesetz rigoros ablehnen. Bisher sind Libanons 15 Religionsgerichte für Fälle von familiärer Gewalt zuständig - eine Domäne, die sie offenbar behalten wollen. Im Juni 2011 hatten die höchsten sunnitischen und schiitischen Instanzen das Gesetz als Versuch des Westens, arabische Familien auseinander zu bringen, abgelehnt.

Zeina Zaatari, Regionaldirektorin für Nahost und Nordafrika des 'Global Fund for Women', spricht von einem Missbrauch der Religion, um tief sitzende patriarchalische Sichtweisen gegenüber Frauen zu verdecken. "Ich sehe hier keinen Widerspruch zu muslimischen Werten, es sei denn, wir sagen, dass muslimische Werte Gewalt gegen Frauen fördern oder Frauen so einfältig und schlecht sind, dass sie vor die Gerichte ziehen würden, um ihre Männer schlechtzumachen. Wenn wir dem Leben von Frauen einen Wert beimessen, sollten wir ein Gesetz unterstützen, dass ihren Schutz anstrebt."

Wie Nadine Mouawad vom Frauenkollektiv 'Nasawiya' berichtet, haben die Religionsgerichte hinlänglich gezeigt, dass sie nicht daran interessiert sind, Frauen beizustehen, die innerfamiliärer Gewalt zum Opfer fallen. "Jenseits aller Glaubensrichtungen geht es den Religionsgerichten um Versöhnung. Das bedeutet, dass sie oft genug über die Gewalterfahrungen von Frauen hinwegsehen. Sie sind nicht geeignet, Frauen zu Schutz, Scheidungsgesetzen, finanzieller Unterstützung und anderen wichtigen Schutzvorkehrungen zu verhelfen." Fälle von häuslicher Gewalt an die Religionsgerichte zurück zu überweisen, lasse sich mit den Zielen der neuen Rechtsprechung nicht in Einklang bringen.

Die Libanesin Nour hat für den Parlamentsausschuss ihre persönliche Botschaft parat. "Wo ist die Familie, die geschützt sein soll? Wenn eine Frau von ihrem Mann umgebracht wird, ist die ganze Familie zerstört. Und Sie haben dazu beigetragen." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.globalfundforwomen.org/
http://ipsnews.net/2012/03/lebanese-women-offered-a-toothless-new-law/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2012