Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/508: Sudan - Mädchen das Recht auf Kindheit und Bildung geben, Gesetz gegen Frühehen gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2013

Sudan: Mädchen das Recht auf Kindheit und Bildung geben - Gesetz gegen Frühehen gefordert

von Reem Abbas



Khartum, 15. Juli (IPS) - Im Sudan dringen Rechtsexperten und Menschenrechtsaktivisten auf eine Reform der sudanesischen Gesetze, die die Verheiratung von Mädchen ab dem zehnten Lebensjahr ermöglichen. Es sei Zeit, die Gleichheit der Geschlechter rechtlich anzuerkennen und Mädchen und jungen Frauen zu erlauben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

"Wir fordern eine Änderung der derzeitigen Personenstandsgesetze, die Mädchen und Frauen diskriminieren und sie auf ein Leben im Haus reduzieren", meint Khadija Al-Dowahi von der Sudanesischen Organisation für Forschung und Entwicklung (SORD), die zum Thema Kinderehen forscht.

Die islamischen Personenstandsgesetze von 1991 räumen Frauen nicht die gleichen Rechte wie Männern ein. Sie fördern zudem Kinderehen, da sie kein Mindestalter für die Verheiratung von Frauen und Mädchen vorgeben und sogar vorsehen, zehnjährige Mädchen zu verheiraten, "wenn eine richterliche Genehmigung vorliegt".

"In der Vergangenheit beschränkten sich Frühehen auf die ländlichen Gebiete. Doch inzwischen nehmen sie aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der Angst der Eltern, ihre Töchter könnten in der städtischen Umgebung auf die schiefe Bahn geraten, in den Städten zu", berichtet die Menschenrechtsanwältin Amel Al-Zein.

"Im Prinzip sagen die Personenstandsgesetze aus, dass Mädchen verheiratet werden können, wenn sie alt genug sind, gewisse Dinge zu begreifen. Das könnte man durchaus von Mädchen im Alter von zehn Jahren sagen", fügt Al-Dowahi hinzu.

Das Weltkinderhilfswerk UNICEF schätzt, dass jede dritte Sudanesin, die heute 20 bis 24 Jahre alt ist, vor dem 18. Lebensjahr verheiratet wurde. In den ländlichen Gebieten liegt die Rate von Kinderehen bei 39 Prozent, in den Städten bei bis zu 22 Prozent.


Geburtsfisteln verbreitet

Ein Besuch im Khartum-Krankenhaus verdeutlicht, wie verbreitet das Phänomen der Frühehen im Sudan ist. Die Klinik verfügt über eine eigene Abteilung zur Behandlung von Geburtsfisteln, Verletzungen des Geburtskanals, die zumeist bei jungen Müttern auftreten. Die Fisteln führen häufig zu Inkontinenz und einer damit verbundenen sozialen Ausgrenzung.

Ein Heiratsmindestalter festzulegen und in die Personenstandsgesetze aufzunehmen ist Al-Zein zufolge die einzige Möglichkeit, Kinderehen zu kontrollieren, die eine Vielfalt weiterer Probleme mit sich bringen. Sudanesinnen sind nur in äußersten Ausnahmefällen berechtigt, sich vor ihrem 18. Lebensjahr scheiden zu lassen. Hinzu kommen zahlreiche andere Erschwernisse. SORD hat vor drei Monaten ein Rechtshilfezentrum für Frauen aufgebaut, die durch die Personenstandsrechte benachteiligt werden. Dem Zentrum liegen bereits 46 Fälle vor.

Mohamed Osman Salah, Generalsekretär des einflussreichen Sudanesischen Gelehrtenrats, hatte im Oktober letzten Jahres mit der Befürwortung von Kinderehen eine Kontroverse ausgelöst. So erklärte er gegenüber der Presse: "Der Islam ermutigt junge Menschen dazu, früh zu heiraten, damit sie aus der Gefahrenlinie gebracht werden (...), sie glücklich werden und die Fortpflanzung gewährleistet wird."

Sarah Mohamed (Name von der Redaktion geändert) wurde im Alter von 13 Jahren verheiratet, weil die nächste weiterführende Schule für Mädchen zu weit von ihrem Heimatdorf entfernt war. Der fehlende Zugang zu Bildung ist häufig ein Faktor, der Eltern veranlasst, ihre Töchter wegzugeben.

In Mohameds Heimatdorf Karko in Süd-Kordofan ist es nicht ungewöhnlich, dass Mädchen mit 13 verheiratet werden. "Ich weiß noch, wie verstört ich war. Schließlich wusste ich nicht, was es bedeutet, Ehefrau zu sein. Ich war ja noch ein Kind", berichtet Mohamed, die inzwischen 30 Jahre alt ist und fünf Kinder auf die Welt gebracht hat.

Rana Ahmed (Name ebenfalls geändert) war 15, als ihre Mutter entdeckte, dass sie sich mit einem Jungen aus der Nachbarschaft traf. "Sie war sehr aufgebracht und teilte mir mit, dass sie mir einen passenden Mann suchen würde, bevor Schlimmeres passieren würde", erzählt Ahmed, die inzwischen 24 Jahre alt ist.

Ihr Mann, damals in den 30ern, nahm Rana mit ins Ausland, wo er als Arzt arbeitete. Als das Paar und seine zwei Kinder in den Sudan zurückkehrten, ließ sie sich scheiden. "Ich war gelangweilt und mein Leben unerfüllt. Ich wollte erleben, was Mädchen in meinem Alter erleben. Ich wollte mich verabreden können und ausgehen."


Kinderehen in Flüchtlingslagern

Dass die Praxis der Kinderehen nun auch in den Städten zunimmt, hält Al-Dowahi für einen besorgniserregenden Trend. Die Untersuchungen ihrer Organisation dokumentieren, dass das Phänomen in den Flüchtlingslagern und im Ostsudan besonders verbreitet ist. Der Osten des Landes ist die Region, in der die Gerichte erstmals einer Zehnjährigen das Recht einräumten, sich scheiden zu lassen.

Lakshmi Sundaram, die Koordinatorin von 'Girls not Brides', einer globalen Partnerschaft zur Bekämpfung von Kinderehen, gilt es Mädchen einem anderen Wert beizumessen. "Wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht als Wirtschaftsfaktoren, sonders als menschliche Wesen betrachtet werden." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.equalrightstrust.org/equality_sudan/index.htm
http://www.girlsnotbrides.org/
http://www.ipsnews.net/2013/07/time-to-let-sudans-girls-be-girls-not-brides/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2013