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FRAUEN/565: Indien - Legalisierung der Prostitution geplant, Nutzen kontrovers diskutiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Januar 2015

Indien: Legalisierung der Prostitution geplant - Nutzen kontrovers diskutiert

von Neeta Lal


Bild: © Bengarrison/CC-BY-SA-2.0

Eine Häuserfront in einem Rotlichtbezirk in Indien bei Tag
Bild: © Bengarrison/CC-BY-SA-2.0

Neu-Delhi, 21. Januar (IPS) - Chameli Devi ist eine von schätzungsweise 12.000 Frauen, die als Prostituierte im größten Rotlichtbezirk Asiens - der G.B. Road in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi - arbeiten. Sie und all die anderen, die anschaffen gehen, sollen von einer geplanten Legalisierung des Sexgewerbes profitieren. Doch die 36-Jährige fürchtet, dass der Vorstoß der Nationalen Frauenkommission (NCW), einem Beratungsgremium der Regierung, die Situation der Betroffenen nur noch weiter verschlimmern wird.

Berichten der Vereinten Nationen zufolge sind etwa 70 Prozent aller indischen Sexarbeiterinnen Übergriffen von Freiern oder der Polizei ausgesetzt. Nur wenige Opfer erstatten Anzeige. Zum Teil liegt das daran, dass sie ihre Rechte nicht kennen.

"Die meisten von uns üben dieses Gewerbe nicht freiwillig aus, sondern weil wir von kriminellen Banden an Bordelle verkauft wurden", erläutert Devi. "Wird die Prostitution legalisiert, bedeutet dies in erster Linie Straffreiheit für Zuhälter und Bordelle, die mit armen Frauen wie uns Menschenhandel treiben. Immer mehr junge Frauen und Kinder fallen ihnen in die Hände."


Prostituierte werden immer jünger

Eine kürzlich von der gemeinnützigen Organisation 'Dasra' durchgeführte Studie ergab, dass etwa die Hälfte der Opfer von Menschenhändlern Kinder sind. Das Durchschnittsalter der Sexarbeiterinnen ist von 14 bis 16 Jahren auf zehn bis 14 Jahre gesunken. Diese Altersgruppe ist besonders gefragt, weil angenommen wird, dass bei ihnen das Risiko geringer ist, sich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit anzustecken.

"Die meisten Opfer kommen aus ländlichen Gebieten, und mehr als 70 Prozent sind Analphabetinnen. Fast die Hälfte ihrer Familien verfügt über ein Einkommen von nur etwa einem US-Dollar pro Tag", heißt es in der Untersuchung.

Andere Berichte betonen, dass die meisten Prostituierten in Indien aus den unteren Kasten stammen und somit von vornherein in Gefahr sind, ausgebeutet und misshandelt zu werden. Viele Frauen sind zu Gefangenen der Sexindustrie geworden. Kein Wunder, dass sie eine Legalisierung ablehnen.

Die 43-jährige Prostituierte Sarita ist der Ansicht, dass es in Staaten wie den USA oder China vernünftige Gründe dafür geben mag, die Prostitution aus der Gesetzlosigkeit zu befreien. Für Indien wäre dies aber der falsche Weg. "In wohlhabenden Ländern entscheiden sich viele Frauen aufgrund guter Verdienstmöglichkeiten aus freien Stücken dazu, als Hure zu arbeiten. In Indien hingegen werden Frauen von Menschenhändlern oder der eigenen Familie, auch dem Ehemann, dazu gezwungen", erklärt sie.

In einem im vergangenen Jahr veröffentlichten Bericht 'Economics Behind Forced Labour Trafficking', an dem der indische Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi maßgeblich mitgewirkt hat, werden die aktuellsten Daten zu dem florierenden Geschäft der Zwangsarbeit präsentiert. "Die Zahlen sind schockierend. Allein in Indien hat der Handel mit Sex bisher Einkünfte von etwa 343 Milliarden Dollar generiert", schreibt Satyarthi. Nicht nur Menschenhändler und Bordellbesitzer, auch Geldverleiher, Juristen und Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden würden finanziell profitieren.

Wie aus einem Report der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2009 hervorgeht, ist das Geschäft mit Sex mit einem Anteil von 79 Prozent die weltweit verbreitetste Form des Menschenhandels. Das macht die Zwangsprostitution zu dem global am schnellsten wachsenden kriminellen Industriezweig. Doch in Ländern, in denen die Sexarbeit gesetzlich erlaubt ist, sieht es ebenfalls nicht rosig aus. Die Niederlande etwa, wo das Gewerbe seit dem Jahr 2000 legal ist, haben Mühe, das Problem des Menschenschmuggels in den Griff zu bekommen.


Für und Wider der Legalisierung

Während in Indien die Debatte über die Legalisierung von Prostitution an Fahrt aufnimmt, zeigt sich die Gesellschaft in der Frage gespalten. Diejenigen, die diesen Schritt befürworten, versprechen sich davon, dass Frauen weniger stark ausgebeutet werden.

Die NCW-Vorsitzende Lalitha Kumaramangalam hatte den Stein im Dezember ins Rollen gebracht, als sie vorschlug, das Gewerbe unter staatliche Kontrolle zu stellen, um den Frauen bessere Existenzbedingungen zu sichern, dem Frauenhandel entgegenzuwirken und die Gesundheit der Sexarbeiterinnen zu verbessern. Bislang haben die Frauen nur geringe Chancen, die Verwendung von Kondomen durchzusetzen, um sich und auch andere vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen.

Viele Gesundheitsexperten sind überzeugt, dass die rasche Ausbreitung von HIV/Aids in der ganzen Welt, vor allem in Asien und Afrika, durch eine Legalisierung der Prostitution eingedämmt werden könnte. Denn in dem Fall hätten es die Gesundheitsarbeiter leichter, über grundlegende Hygienemaßnahmen und den Gebrauch von Präservativem zu informieren.

Die Prostitution zu erlauben, werde vor allem den Nutznießern der Sexindustrie und ihren Kunden zugute kommen, warnt hingegen Ranjana Kumari, Direktorin des in Neu-Delhi ansässigen Zentrums für Sozialforschung. "Frauen aus unteren Kasten können dann vergewaltigt werden, ohne dass die Täter mit einer Strafe rechnen müssen. Damit würde Indien zu einem Magneten des weltweiten Sextourismus." (Ende/IPS/ck/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/01/battle-heats-up-over-legalisation-of-sex-work-in-india/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2015


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