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FRAUEN/569: Irak - Frauen massiver Gewalt schutzlos ausgeliefert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Februar 2015

Irak: Verraten und verkauft - Frauen massiver Gewalt schutzlos ausgeliefert

von Leila Lemghalef


Bild: © 'Minority Rights Group International' und 'Ceasefire Centre for Civilian Rights'

Gewalt gegen Frauen wird im März den UN-Menschenrechtsrat beschäftigen
Bild: © 'Minority Rights Group International' und 'Ceasefire Centre for Civilian Rights'

New York, 23. Februar (IPS) - Im Irak sind Frauen nicht nur allen vorstellbaren Formen der Gewalt schutzlos ausgeliefert. Sie werden zudem für das erlittene Unrecht zur Verantwortung gezogen, während ihre Aggressoren straffrei bleiben. Dies geht aus einem neuen Bericht der beiden Menschenrechtsorganisationen 'Minority Rights Group' und 'Ceasefire Centre for Civilian Rights' hervor, der sich schwerpunktmäßig mit den Verbrechen an Frauen durch Pro-Regierungs- und regierungsfeindliche Milizen befasst.

"Frauen werden von allen Beteiligten des Konflikts bedroht: von bewaffneten Gruppen, die sie vergewaltigen und töten, von der männlich dominierten Gesellschaft, von der Polizei, die sie nicht schützt oder gar eine Mitschuld an der Gewalt gegen sie trägt sowie von kriminellen Gruppen, die ihre verzweifelte Lage ausnutzen", heißt es in dem Report 'No Place to Turn: Violence against Women in the Iraq Conflict'. Politik, Gerichtsbarkeit und Kultur des Landes ließen die Opfer im Stich und die Täter unbehelligt.

Den beiden Menschenrechtsorganisationen zufolge basieren die Rechte von Irakerinnen auf Prinzipien, wie sie die fundamentalistischen Taliban propagieren, etwa dass Frauen nicht ohne männliche Verwandte das Haus verlassen dürfen. Ärztinnen, Lehrerinnen, Rechtsanwältin und Journalistinnen sind zunehmend Drohungen ausgesetzt.

Auch die Gefahr sexueller Übergriffe, von Entführungen, Verschwindenlassen, Gefangenschaft und Folter sei omnipräsent, heißt es in der Studie. Frauen, die der nordkurdischen Minderheit der Jesiden angehören, werden besonders häufig zu Zielscheiben der Gewalt, viele als Sexsklavinnen verkauft oder zur Heirat mit Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gezwungen.


Gesellschaftlicher Zusammenbruch, Explosion der Gewalt

Mark Lattimer, Direktor des 'Ceasefire Centre for Civilian Rights', führt das Problem zum Teil auf den Mangel an Rechtsstaatlichkeit im Irak zurück. Hinzu kämen Strafrechtsbestimmungen, die Frauen benachteiligten, die Angreifer und selbst Mörder hingegen nicht zur Rechenschaft zögen. Der sich allmählich vollziehende Zusammenbruch der irakischen Gesellschaft habe zu einer Explosion von Gewalt gegen Frauen in dem Land geführt. "Es geht hier nicht nur um die letzten sechs Monate, sondern die vergangenen zwölf Jahre."

Bevor die Gewalt durch neue Militärstrategien weiter vorangetrieben werde, sollten irakische Zivilisten - insbesondere Frauen - angehört werden. "Das Problem ist, dass die Frauen im Irak und im Rest der Welt keine Stimme haben", so Lattimer. Er gibt den Golf- und anderen Staaten eine Mitschuld an den Geschehnissen, weil sie die unterschiedlichen bewaffneten Gruppen im Irak finanzierten.

Nach Ansicht von Lattimer sollten die USA und deren Verbündete, die Bombenangriffe gegen die IS-Terrormiliz im Irak fliegen, "deutlich herausstellen, dass ihr Rückhalt für den Irak nicht bedeutet, dass die schiitischen [regierungsnahen] Milizen freie Hand bekommen."

In dem Bericht werden zahlreiche Empfehlungen an die irakische Zentralregierung, die kurdische Regionalverwaltung und die internationale Staatengemeinschaft ausgegeben. So müssten die Strafrechtsbestimmungen reformiert, Frauen in die Polizeikräfte aufgenommen, überlebende weibliche Missbrauchsopfer unterstützt und diejenigen, die das Völkerrecht verletzten, zur Verantwortung gezogen werden.


"Verkauft wie Vieh"

Die Frauenrechtlerin Shatha Besarani ist Mitglied der 'Iraqi Women League' und vertritt die Gruppe in Großbritannien. In den vergangenen Jahren seien bereits ähnliche Berichte mit nahezu identischen Empfehlungen herausgekommen, sagt sie. "Seit 2003 hat sich die Situation der Frauen aber immer mehr verschlechtert. Inzwischen werden sie verkauft wie Vieh." Besarani zufolge braucht nach derzeitiger irakischer Rechtslage kein Mann, der seine Frau verbrenne, eine Strafe zu fürchten.

Die Aktivistin fordert die Einsetzung eines rechtswirksamen Gremiums, das die Regierung oder andere verantwortliche Parteien zur Rechenschaft zieht. Die Unterstützung unabhängiger Frauenorganisationen und kleiner Gruppen hält sie in diesem Zusammenhang für ebenso wichtig wie die der Vereinten Nationen und anderer großer Bündnisse. (Ende/IPS/ck/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/02/report-cries-out-on-behalf-of-iraqi-women/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2015

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