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FRAUEN/591: Das bedingungslose Grundeinkommen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 131, 1/15

Das bedingungslose Grundeinkommen
Ein Weg aus der strukturell bedingten wirtschaftlichen Abhängigkeit der Frau?

Von Beate Rieger


Das 20-jährige Jubiläum der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking wirft die Frage auf, welche positiven Entwicklungen in Bezug auf die Erfüllung von Frauenrechten zu vermerken sind und wo noch Handlungsbedarf besteht. In diesem Zusammenhang erklärt die Politologin Sonja Wölte, dass der Verwirklichung der Frauenrechte, die bei der Pekinger Aktionsplattform definiert wurden, diverse Hindernisse im Weg stehen. Sie betont hierbei Armut, wirtschaftliche Diskriminierung, Gewalt gegen Frauen, Frauenhandel und gesundheitliche Einschränkungen. Der vorliegende Artikel thematisiert Armut sowie die wirtschaftliche Diskriminierung von Frauen und greift eine höchst aktuelle, jedoch durchaus nicht neue Idee auf: das bedingungslose Grundeinkommen.


Der belgische Philosoph und Ökonom Philippe Van Parijs definiert das bedingungslose Grundeinkommen als ein regelmäßiges Einkommen, welches jedem/r Einwohner_in einer politischen Einheit ohne jegliche (Arbeits-) Bedingungen oder Bedürftigkeitsanforderungen zur Verfügung gestellt werden sollte. Das bedingungslose Grundeinkommen wurde und wird von verschiedenen Seiten befürwortet. Die einen betonen das "Recht" der Menschen auf eine Existenzgrundlage, egal ob oder welcher Beschäftigung sie nachgehen. Andere sehen die positiven Auswirkungen des bedingungslosen Grundeinkommens auf die Gesellschaft. Diese beziehen sich vor allem auf Armutsreduktion sowie die strukturelle wirtschaftliche Gleichstellung der Frau.

Die Frage ist nun, ob das bedingungslose Grundeinkommen diese strukturelle Besserstellung der Frau, die ihr eine gewichtigere Stimme in Haushaltsentscheidungen gewährt und sie finanziell unabhängig macht, schaffen kann oder ob es die Frau stärker in den reproduktiven Sektor zurückdrängt.


Theoretische Überlegungen

Bezüglich der wirtschaftlichen Gleichstellung der Frau ist es essenziell aufzuzeigen, dass in vielen Gesellschaften der produktive öffentliche Sektor (meist von Männern dominiert) auf dem reproduktiven privaten Sektor (meist im weiblichen Verantwortungsbereich) aufbaut. Zugespitzt formuliert, drückt sich darin aus, dass viele Männer ihrem Beruf nur deshalb vollzeitlich nachgehen können, weil ihre Ehefrauen für den Haushalt, die Erziehung und die Care-Arbeit zuständig sind. Diese Frauen tragen zum Haushaltsbudget demnach "nur" indirekt bei.

Die ökonomische Diskriminierung besteht folglich darin, dass die Entscheidungskraft im Haushalt vom finanziellen Einkommensbeitrag des Haushaltsmitgliedes abhängt. In diesem Zusammenhang würde das bedingungslose Grundeinkommen die Entscheidungsbefugnis von Frauen stärken, die der reproduktiven, unbezahlten Arbeit nachgehen. Das könnte eine Abschwächung oder vielleicht sogar Auflösung der traditionellen gender-geprägten Arbeitsteilung ermöglichen. Dadurch wären letztlich die wirtschaftliche Freiheit der Frau sowie ihre strukturelle Gleichstellung im Haushalt gewährleistet, was ihre Position, beispielsweise im Falle einer Scheidung, wesentlich stärken würde. Feministinnen, wie Kaori Katada, bezeichnen das bedingungslose Grundeinkommen deshalb als "Emancipation Fee". Allerdings kann das bedingungslose Grundeinkommen nur dann als "Emancipation Fee" fungieren, wenn es über dem Existenzminimum für einen würdigen Lebensstandard liegt; liegt es darunter, sind Frauen weiterhin wirtschaftlich von ihren Ehemännern abhängig, und die bestehende geschlechterspezifische Arbeitsteilung bleibt zementiert.

Skeptischere Stimmen, wie z. B. die der Philosophin und Ökonomin Ingrid Robeyns, definieren das bedingungslose Grundeinkommen als "Housewives' Wage" oder "Hush Money", welches Frauen verstärkt in den reproduktiven Sektor drängt. Das Argument ist in diesem Fall, dass das bedingungslose Grundeinkommen für den Haushalt das finanzielle Mittel darstellt, das die Frau zu Gunsten des reproduktiven Sektors vom Arbeitsmarkt fernhält.

Die Studien von den Ökonomen Stefan Késenne sowie Jan Nelissen und Steffen Polk aus den 1990er-Jahren zeigen, dass besonders gering qualifizierte Frauen vom Arbeitsmarkt zurücktreten würden, würden sie ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten. Diese Studien sind relativ alt; leider gibt es zu diesem Thema jedoch noch sehr wenige Daten.


Praktische Anwendung in Indien

Beziehen wir diese Überlegungen nun auf das Fallbeispiel in Madhya Pradesh, Indiens ärmstem Bundesstaat. Hier führte der Gründer des Basic Income Earth Networks (BIEN) Guy Standing in Kooperation mit der Self-Employed Women's Association (SEWA) in den Jahren 2011 bis 2013 ein Pilotprojekt über ein bedingungsloses Grundeinkommen durch. Es wurde ein monatlicher Betrag von 200 Rupien (ca. 2,80 Euro) für Erwachsene und 100 Rupien (ca. 1,40 Euro) für Kinder ausbezahlt, was später auf 300 Rupien (ca. 4,30 Euro) bzw. 150 Rupien (ca. 2,10 Euro) angehoben wurde. Dieses bedingungslose Grundeinkommen machte ca. 30% bis 40% des Existenzminimums aus. Obwohl das nicht das Überleben sicherte, wurde die Armut reduziert und Verbesserungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensstandard erreicht.

Hinzu kommt, dass die Wirtschaftsaktivitäten besonders unter Frauen stark anstiegen. Bedenkt man den niedrigen Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt von weniger als 32%, stellt dieser Aufschwung durchaus eine sehr positive Entwicklung dar, was das bedingungslose Grundeinkommen in Madhya Pradesh als "Emancipation Fee" und nicht als "Housewives' Wage" oder "Hush Money" kategorisieren würde.

Nicht außer Acht zu lassen ist allerdings, dass diese Armutsreduktion nur eine graduelle Verbesserung der wirtschaftlichen Position der Frau darstellte. Da das bedingungslose Grundeinkommen in Madhya Pradesh weit unter dem Existenzminimum war, wurden Frauen nach wie vor strukturell in wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihren Ehemännern gehalten.


Ein weiteres Beispiel aus Namibia

Ein weiteres Pilotprojekt über ein monatliches bedingungsloses Grundeinkommen wurde bereits von 2007 bis 2009 von der Basic Income Grant Coalition Namibia durchgeführt. Das Einkommen betrug 100 Namibische Dollar (ca. 7,7 Euro) pro Monat, was ungefähr ein Drittel des Existenzminimums in Otjivero, einem sehr armen Ort 100 km östlich von Windhoek, ausmachte. Auch in diesem Fall wurden Armut, Mangelernährung und Kriminalität reduziert, während der Beschäftigungsgrad anstieg und Gesundheit sowie Bildung verbessert wurden.

Ähnlich wie in Indien zeigte sich, dass das sogenannte Partial Basic Income (partielles bedingungsloses Grundeinkommen, welches unter dem Existenzminimum liegt) den finanziellen Beitrag der Frauen zum Haushaltseinkommen erhöhte und ihnen dadurch mehr Mitspracherecht und Einfluss auf Haushaltsentscheidungen gab. Es kann somit auch in diesem Fall argumentiert werden, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine "Emancipation Fee" darstellt. Indes muss aber wieder festgestellt werden, dass nur eine graduelle Verbesserung der Situation erreicht wurde, jedoch keine strukturelle Gleichberechtigung der Frau, da das Einkommen nicht ausreichte, um davon leben zu können.


Bedingungen für ein strukturelles Empowerment der Frau

Die Pilotprojekte in Madhya Pradesh/Indien und in Otjivero/Namibia streichen schließlich die Wichtigkeit der Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens hervor. Denn nur ein bedingungsloses Grundeinkommen, das die Existenzgrundlage garantiert, kann eine strukturelle gesellschaftliche Veränderung und somit eine Emanzipation der Frauen sowie deren wirtschaftliche Unabhängigkeit von Ehepartner_innen bewirken.


ZUR AUTORIN:
Beate Rieger absolvierte den Bachelor der Internationalen Entwicklung in Wien sowie ihren Master in International Development: Development Management in Manchester. Sie lebt und arbeitet derzeit in Neulengbach.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 131, 1/2015, S. 18-19
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2015 5

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