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FRAUEN/681: Neue Weichenstellungen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 139, 1/17

Neue Weichenstellungen

Werden die SDGs Frauenrechte voranbringen?

von Tessa Khan


Verschiedene Staaten haben bereits zugesagt, dass sie die Sustainable Development Goals (SDGs, Ziele für nachhaltige Entwicklung im Rahmen der Agenda 2030) übernehmen werden. Dies könnte einen Wendepunkt in den Anstrengungen zur Bewältigung der gegenwärtigen vielfältigen und weltweiten Krisen - ökonomischer, politischer, ökologischer und sozialer Natur - darstellen. Was sind aber die Schattenseiten dieser Agenda?


Es gibt verschiedene Aspekte dieser Agenda, die sehr positiv sind. Verglichen mit dem technokratischen Prozess der Entwicklung der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs), war der Aushandlungsprozess der SDGs relativ transparent, inklusiv und partizipativ. Die SDGs zeugen auch von der Einsicht, dass die Regierungen des "Nordens" ein Stück an Verantwortung für das derzeitige Ausmaß an Armut und Ungleichheit in der Welt übernehmen.

Die SDGs sind eine universelle Agenda. Zum Beispiel geht es darum, den Regierungen des "Südens" mehr Mitsprache in den internationalen Finanzinstitutionen zu verschaffen, sodass diese weniger parteiisch für den Norden agieren. Die neue Agenda wurde umfassender formuliert. So gibt es ein Ziel, das sich mit Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten befasst. Auch das Gender-Ziel und die damit verbundenen Teil- oder Unterziele stellen einen beträchtlichen Fortschritt im Vergleich zu den MDGs dar.


Frauen im Fokus

Bei wirtschaftlichen, sozialen oder Umweltkrisen sind es Frauen und Mädchen, deren Menschenrechte besonders gefährdet sind. Frauen sind für den Großteil der landwirtschaftlichen Arbeit auf der Welt zuständig, besitzen aber nur einen kleinen Teil des Bodens. Das bedeutet, dass bei einer Ausbeutung der Böden Frauen ihre Existenzgrundlage verlieren, ohne Entschädigungen einfordern zu können.

In Zeiten von Finanzkrisen, in denen Regierungen Sparprogramme umsetzen und öffentliche Dienstleistungen kürzen, sind es vor allem Frauen, die sich private Dienstleistungen nicht leisten können. Ihre Arbeitslast hingegen erhöht sich dadurch. All das spiegelt sich in der Tatsache wider, dass Frauen mit höherer Wahrscheinlichkeit in Armut und ohne soziale Sicherheit leben.


Wirksamkeit der SDGs

In Anbetracht der Dimension der Herausforderungen und der Ungleichheit, mit der Frauen konfrontiert sind, stellt sich die Frage, ob die SDGs wirklich angemessen sind, um Frauenrechte und Geschlechtergleichstellung zu fördern?

Zum Beispiel wissen wir, dass es keine wirtschaftliche Gerechtigkeit für Frauen geben wird ohne die Berücksichtigung und Umverteilung von unbezahlter Care-Arbeit. Im globalen Durchschnitt leisten Frauen zweieinhalbmal mehr unbezahlte Haus- und Pflegearbeit, als dies Männer tun. Während die neue Agenda zwar als (Teil-)Ziel vorsieht, dass unbezahlte Care-Arbeit anerkannt werden soll, ist der Indikator, mit dem diese gemessen werden soll, die Zeit, die Frauen für unbezahlte Arbeit aufwenden.

Es ist eine vergebene Chance, dass Regierungen nicht in die Pflicht genommen werden: nämlich öffentliche Dienstleistungen, Infrastruktur und soziale Sicherheit bereitzustellen, um diese unbezahlte Arbeit umzuverteilen.

Weiters gibt es in Bezug auf einige Gleichstellungsziele Einschränkungen, die ihre Wirksamkeit signifikant beeinträchtigen. So etwa ist das Ziel, dass Frauen gleiche Landrechte haben sollten, so formuliert, dass Regierungen dies nur in Übereinstimmung mit ihrer jeweiligen nationalen Gesetzgebung tun müssen. Dadurch wird dieses Ziel wirkungslos.

Sehr wenig steckt in dieser Agenda, um globale Wirtschaftsstrukturen, welche für Armut und Ausbeutung von Frauen verantwortlich sind, zu verändern. Handels- und Investitionsliberalisierungen sollen weitergeführt werden, trotz der hohen Wahrscheinlichkeit, dass Frauen dadurch massiv benachteiligt werden. Handelsabkommen haben zwar zu einer Steigerung von Jobs für Frauen geführt, aber in exportorientierten, arbeitsintensiven Niedriglohnsektoren. Ausländische Investor_innen nutzen diese Bedingungen sowie die Unterdrückung von Gewerkschaften zu ihrem kompetitiven Vorteil.

Hingegen zählen von Frauen geführte kleine und mittlere Unternehmen zu wichtigen Arbeitgeberinnen von Frauen in so genannten Entwicklungsländern. Sie sind jedoch mit der Konkurrenz durch billige Importwaren konfrontiert. Dazu gesellen sich strukturelle Barrieren, wie etwa der Zugang zu Krediten sowie technischem Knowhow.


Privatwirtschaft

Der politische Wille, unser ungleiches soziales und wirtschaftliches System zu verändern, fehlt. Für die Umsetzung der Agenda werden keine ausreichenden Geldmittel bereitgestellt. Die Kosten wurden auf 5.000 bis 7.000 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Um dieses Geld aufzutreiben, haben die Regierungen klargemacht, dass sie auf den Privatsektor setzen. Fraglos ist ein Teil der Privatwirtschaft - speziell kleine und mittlere Betriebe - überaus wichtig für breite Bevölkerungsschichten. Diese Agenda privilegiert jedoch große und transnationale Unternehmen, die über genügend Erfahrung und Mittel verfügen, um sich hier engagieren zu können, obwohl sie ansonsten nur wenig zu nachhaltiger Entwicklung beitragen.

Privatinvestitionen in Ländern des globalen Südens zeigen, dass diese nur in den profitabelsten Sektoren vorgenommen werden, aber nicht in jenen, in denen es um eine Verbesserung der Lebensqualität von Frauen geht. Wie UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) kürzlich festhielt, zählt die Wasser- und Sanitärversorgung zu der am dringendsten benötigten Infrastruktur, um menschliches Leiden zu lindern. Jedoch ist es am wenigsten wahrscheinlich, dass diese durch öffentlich-private Partner_innenschaften finanziert wird.

Die mächtigsten Konzerne, z. B. aus dem Öl-, Agro- oder Nahrungsmittel-Business, haben viel unternommen, um staatliche Regulierungen auszuhebeln. Wie ernst können es Regierungen also mit einer Veränderung des derzeitigen Wirtschaftssystems meinen, wenn sie, um diese umzusetzen, auf die Unterstützung durch mächtige Wirtschaftsakteure zählen?


Zivile Handlungsmöglichkeiten

Schlussendlich - trotz der Bemühungen der Zivilgesellschaft - gibt es ein extrem schwaches Monitoring- und Berichtswesen für die neue Agenda: freiwillige Berichte der Regierungen in größeren Zeitabständen. Die Rechenschaftspflicht des Privatsektors, der doch eine überaus große Rolle in der Agenda spielen soll, ist ebenfalls völlig unzureichend, mit kaum mehr als einem freiwilligen Rahmenwerk.

Frauenbewegungen müssen Druck machen und die Umsetzung der positiven Teile dieser Agenda einfordern, z. B. durch Schattenberichte. Noch wichtiger jedoch ist es, dass soziale Bewegungen auf lokaler Ebene ihre Regierungen nicht nur an die mit den SDGs eingegangenen Verpflichtungen erinnern, sondern auch an die verschiedenen Menschenrechtsinstrumente. Regierungen haben diese in den letzten Jahrzehnten nur selektiv - wenn überhaupt - angewandt, wie die Frauenrechtskonvention CEDAW, die Aktionsplattform von Peking und andere. Frauen können nicht weitere 15 Jahre warten.


Zur Autorin: Tessa Khan ist internationale Menschenrechtsanwältin und Leiterin des Climate Litigation Network. Zuvor war sie für das Asia Pacific Forum on Women, Law and Development (APFWLD) tätig und hat sich intensiv mit der Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele beschäftigt. Ihre Schwerpunkte sind Gender und Entwicklung, Handel und Klimagerechtigkeit. Sie lebt in Australien und Bangladesch.

Übersetzung aus dem Englischen: Claudia Thallmayer

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 139, 1/2017, S. 34-35
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2017

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