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FRAUEN/712: Drei ostafrikanische Aktivistinnen im Gespräch (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 142, 4/17

"It's all about choices"
Drei ostafrikanische Aktivistinnen im Gespräch

von Claudia Dal-Bianco


Uganda, Ruanda und Äthiopien waren in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Konflikten und Kriegen ausgesetzt - seien es Genozide, Bürgerkriege oder Militärdiktaturen. Die Aktivistinnen - Olive Uwamariya (Ruanda), Kalkidan Lakew (Äthiopien) und Rose Amulen (Uganda) - erläutern für diesem Artikel, wie sie die UN-Resolution 1325 anwenden und was Frieden und Gendergerechtigkeit für sie bedeutet.


Am 31. Oktober 2000 wurde die UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit (UNSCR 1325) einstimmig vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet. Diese Resolution schützt die Rechte von Frauen und soll ermöglichen, dass sie gleichberechtigt an Friedensverhandlungen, Konfliktschlichtungen und am Wiederaufbau mitarbeiten können. Für Postkonflikt-Regionen ist diese Resolution ein wichtiges Instrument bei den Konfliktlösungen. Uganda hat seit 2008 einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung dieser Resolution und Ruanda seit 2009, für Äthiopien liegt derzeit kein Aktionsplan vor. Obwohl viele Ziele der Resolution bislang Theorie blieben, gibt es auch Fortschritte in der Umsetzung.


UNSCR 1325 in der Praxis

Die Resolution ist für viele NGO-Mitarbeiter_innen und Aktivist_innen ein wichtiges Instrument bei der Durchsetzung von Frauenrechten in Postkonflikt-Staaten. Das betont Rose Amulen: weil es ein internationales Dokument ist, woran sich Regierungen halten müssen. Aktivist_innen können somit auch Druck ausüben und Regierungen dazu auffordern, aktiv zu werden.

Olive Uwamariya bestätigt ebenfalls die Wichtigkeit der Resolution für ihre Arbeit. Sie setzt den Fokus auf die Konsequenzen des Genozids in Ruanda. Friedensarbeit setzt bei der Verarbeitung von Konflikten an, und das hat Auswirkungen auf das private Leben. Die Resolution fordert, dass Frauen an Friedensprozessen beteiligt sein müssen. Erst dadurch kann Frieden nachhaltig gesichert werden. Aber was bedeutet Friede in Ländern, die zwar momentan relativ stabil sind, aber wo es in den 1980er bzw. 1990er Jahren zur Verfolgung von Volksgruppen, zu Genozid oder anderen Menschenrechtsverletzungen kam?


Was bedeutet Friede?

Für Olive Uwamariya herrscht Friede, wenn sich Frauen und Mädchen frei bewegen können, wenn sie mitbestimmen können. Dabei ist ihr auch wichtig, Buben und Männer miteinzubeziehen, damit sie Teil einer Bewegung werden und nicht gegen die Emanzipation und das Empowerment von Frauen und Mädchen arbeiten. Wichtig ist ihr, dass Männer nicht entmachtet, sondern dass Frauen als Teil der Gesellschaft mit gleichen Rechten ausgestattet werden. Friede bedeutet für sie z. B., genau darauf zu achten, wie Regierungen mit sexueller Belästigung umgehen. Können Frauen in einer Bar arbeiten, ohne ständig sexuell belästigt zu werden? Können sie nach der Arbeit nachts alleine nach Hause gehen? Ihr sind Möglichkeiten, sich als Frau und nicht nur als Mann frei entfalten zu können, wichtig.

"In Uganda sagen wir immer, dass Friede nicht nur die Abwesenheit von Konflikt oder Krieg bedeutet. Es geht darum, dass keine Gewalt existiert, dass alle ein glückliches Leben führen können und dass Essen am Tisch ist", meint Rose Amulen. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass Frauen Entscheidungen über ihren Körper treffen können und nicht als verletzlich gesehen werden.


Organisierung von Frauenbewegungen

Alle drei Aktivistinnen - Rose Amulen, Olive Uwamariya und Kalkidan Lakew - bedauern, dass keine ostafrikanische Frauenbewegung existiert. Es gibt diverse Bewegungen, die für unterschiedliche Rechte sprechen, z. B. für Zugang zu Ressourcen, LGBT-Rechte oder ökonomische Gerechtigkeit. Ein Problem, warum keine geeinte ostafrikanische feministische oder Frauenbewegung aufkommt ist u. a. dass die ältere Generation die jüngere keine Verantwortung übernehmen lässt, so Olive Uwamariya.

Kalkidan Lakew meint, dass ein inklusives Verhalten fehlt. Es braucht Räume, wo junge Feministinnen miteinander reden können. Die Themen, die Frauen in den 1970er und 1980er Jahren auf die Agenden gebracht haben, sind wichtig, aber die Zeiten haben sich geändert und so auch die Perspektiven. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte oder LGBT-Rechte, das beschäftigt die junge Generation heute. Olive Uwamariya meint, dass es ein Ziel von ihr ist, diese kleinen feministischen Gruppen, die bereits existieren, zu einer großen Bewegung zusammenzubringen. Sie betont, dass die Bedürfnisse der Basis nicht vergessen werden dürfen. Vor allem, weil oft gesagt wird, die feministische Bewegung sei eine Elitegruppe von weißen Frauen, die in reichen Kontexten aufgewachsen sind.

Dem entgegnet Kalkidan Lakew, dass Feminismus oft falsch verstanden wird, dass es z. B. darum ginge, dass Frauen Männer hassen. Diese Vorurteile existieren, und viele Menschen distanzieren sich vom Feminismus, wie beispielsweise so genannte Genderaktivistinnen. Sie argumentieren, dass sie an Gleichberechtigung und Menschlichkeit glauben, aber dazu brauche es keinen Feminismus.

"Ein Problem ist der 'Cold War' zwischen Feministinnen und Genderaktivistinnen - viele der Zweiteren sehen sich nicht als Feministinnen. Sie erkennen nicht an, dass Feministinnen auch zur Gendergerechtigkeit beitragen", so Olive Uwamariya. Auch wenn Feminismus als etwas Westliches gesehen wird, ist es den drei Aktivistinnen wichtig zu erläutern, wie Feminismus die Gesellschaften verändern kann: Was bedeutet Feminismus für Frauen? Wie reden sie mit ihren Männern? Und welche Entscheidungen können sie selber treffen? Anhand dieser Fragen bringen die drei ihren Communities Feminismus näher. Frauen treffen Entscheidungen, die für den Frieden in ihren Gesellschaften wichtig sind.


Was braucht es für eine gendergerechte Welt?

Für Kalkidan Lakew geht es vor allem um Wahlmöglichkeiten, nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Alle sollen Entscheidungen treffen können, um die beste Version von sich selbst zu sein und nicht in eine Box gesteckt zu werden. Für sie ist es eine Welt, in der sie nicht immer beweisen muss, dass es auch anders geht! Olive Uwamariya wünscht sich eine Welt ohne Patriarchat! Das möchte sie gerne erleben. Eine gendergerechte Welt! Mit gleichen Chancen für alle! Sie möchte nicht beweisen müssen, dass eine Frau dasselbe wie ein Mann machen kann. Auch weniger privilegierte Menschen sollen die gleichen Chancen haben.


ANMERKUNG:
Rose Amulen, Olvie Uwamariya und Kalkidan Lakew arbeiten für CARE und waren im Mai 2017 auf Einladung von CARE-Österreich in Wien.

HÖRTIPP:
Die Radiosendung "It's all about choices" wurde im Oktober 2017 auf Radio Orange 94.0 im Rahmen der Sendereihe Globale Dialoge von den Women on Air ausgestrahlt. Sie kann jederzeit unter www.noso.at nachgehört werden.

ZUR AUTORIN:
Claudia Dal-Bianco ist Redakteurin bei der Frauen*solidarität (derzeit in Karenz) und den Women on Air. Sie lebt in Wien.

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 142, 4/2017, S. 14-15
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2018

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