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FRAUEN/798: Agrarökologie als Instrument der feministischen Ermächtigung (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 147, 1/19

Für eine neue Logik!
Agrarökologie als Instrument der feministischen Ermächtigung

von Melanie Oßberger


In El Salvador ist die Situation ähnlich wie in den meisten Ländern des Globalen Südens: Es sind die Frauen, die ihre Familien mit Essen versorgen, die Felder bestellen, Wasser holen. Gibt es Versorgungskrisen bei Ernteausfall - und die gibt es oft -, sind es die Frauen, die diese Krisen meistern. Dennoch sind sie unterrepräsentiert, wenn es um den Zugang zu Produktionsressourcen geht. Ein Frauenprojekt in El Salvador setzt darum auf agrarökologische Ansätze und feministische Aufklärungsarbeit.


Alina Menjiva(1) von La Colectiva feminista, kurz: La Colectiva, einer feministischen Organisation in El Salvador, kennt die Nöte der betroffenen Frauen: "Das Wasser ist knapp, und die Frauen müssen es von weither holen. Es gibt immer wieder Ernteausfälle. Auf den Frauen, die die Familien versorgen müssen, lastet ein enormer Druck."

Die verfestigten patriarchalen Strukturen erlauben es den Frauen kaum, aus den traditionellen Rollenbildern auszubrechen. Die ökonomische Abhängigkeit von den Ehemännern verhindert zumeist, dass sie sich gegen Gewalt und Missbrauch zur Wehr setzen - Femizide sind in El Salvador an der Tagesordnung (2017: 468 Fälle(2).


Nur 14 Prozent...

Die Situation der Frauen hat auch mit den bestehenden wirtschaftlichen Strukturen im Agrarbereich zu tun. Die Produktion von Lebensmitteln wird zwar oft von Frauen getragen, dennoch besitzen sie nur 14% des Landes in El Salvador. Nur 10% Prozent der Kredite werden an Frauen vergeben. Auch die weiteren Produktionsmittel sind fest in männlicher Hand - mit weitreichenden Folgen nicht nur für die Frauen. Es sind vornehmlich Männer, denen es möglich ist, Pestizide und Herbizide zu kaufen. Nicht nur belastet die Agrochemie Land und Klima und erhöht so die Anfälligkeit für Wasserknappheit und Unwetter, sie schädigt auch die Menschen.

"Wir sehen, dass immer mehr Menschen, die mit Agrochemie in Berührung kommen, erkranken. Die Frauen pflegen die erkrankten Angehörigen - oder erkranken selbst", erklärt Menjivar. Dazu kommt, dass das aktuelle industrielle Landwirtschaftsmodell den Fokus auf für den globalen Markt verwertbare und günstig zu produzierende, oft genetisch veränderte bzw. mit Agrochemie behandelte Lebensmittel legt, nicht auf nährstoffreiche, natürliche Sorten für den lokalen Markt. Das führt zu Mangelernährung mit allen ihren Folgen: Erblindung, Komplikationen bei Schwangerschaften, bei Kindern eine erhöhte Sterblichkeitsrate sowie insgesamt eine schwächere Konstitution und erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten, was wiederum Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten einschränkt. Das heißt, dass betroffene Frauen in einem generationsübergreifenden Kreislauf aus Diskriminierung - Armut - Mangel - Perspektivlosigkeit "gefangen" sind.


Kampf auf allen Ebenen

Die Frauen müssen sich also nicht nur gegen geschlechterbasierte Diskriminierung wehren, sondern auch gegen die Dominanz der Agrarkonzerne, die die Abhängigkeit von den Männern und den globalen Märkten verstärkt, die Umwelt und somit die Lebensgrundlage nachhaltig zerstört und die Ernährungssituation prekarisiert. Dazu kommen Menschenrechtsverletzungen, die von Großkonzernen begangen werden (Landgrabbing, Sklaverei ähnliche Arbeitsbedingungen, Verfolgung von Gewerkschafter_innen und Aktivist_innen etc.).

Wie begegnen die Frauen in El Salvador dieser multiplen Herausforderung? Organisationen wie La Colectiva kämpfen für die Selbstermächtigung von Frauen und gegen das bestehende Wirtschaftssystem auf allen Ebenen. Sie stehen gegen die Straflosigkeit bei Femiziden genauso auf wie gegen den Versuch, das Wasser zu privatisieren(3).

Sie fördern Kleinbäuer_innen und landwirtschaftliche Alternativen, die Ressourcen und Umwelt schonen und gesunde Lebensmittel anbauen. Das internationale Expert_innenkonsortium für nachhaltige Ernährungssysteme (IPES-Food) definiert Agrarökologie als "umfassende Logik für die Neugestaltung von Agrarsystemen in einer Weise, die Biodiversität maximiert und die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Pflanzen und Spezies fördert. Dies sind Gesichtspunkte einer ganzheitlichen Strategie, um langfristige Fruchtbarkeit, gesunde Agrarökosysteme und sichere Lebensgrundlagen zu schaffen".

Es ist ein Sammelbegriff, der Wissenschaft, soziale und politische Bewegung und landwirtschaftliche Praxis zusammenfasst - für eine erfolgreiche Transformation des herrschenden Systems (zu dem es sich als Alternative klar abgrenzt) hin zu mehr Teilhabe, Ermächtigung, Vielfalt und Respekt.


Teilhabe, Ermächtigung, Vielfalt

Agrarökologie beinhaltet und schätzt - endlich - auch jahrzehntelange Praktiken von an Krisen gewöhnten Frauen: Frauen haben schon immer brachliegendes Land kultiviert, Gärten angelegt, Wildpflanzen gesammelt und durch ihr Wissen über richtige Lagerung und schonende Zubereitung essentielle Nährstoffe in den Nahrungsmitteln erhalten. In vielen Kulturen gelten Frauen als "Hüterinnen" der Biodiversität. Der eingeschränkte Zugang zu Ressourcen und Macht, die ungerechte Verteilung von Lasten und Pflichten und die Not ließen die Frauen abseits der dominanten Produktionsweisen alternative Zugänge suchen, die das Potenzial haben, für ausreichend gesunde Ernährung für ihre Familien zu sorgen.

Beispiele aus vielen Ländern zeigen das Potenzial von Agrarökologie. Während bei Monokulturen meist der Ertrag pro Hektar gemessen wird, ist bei agrarökologischen Ansätzen die Vielfalt entscheidend - und diese wird oft in mehreren "Etagen" produziert (Baumfrüchte, Beerensträucher, Feldfrüchte, Weideland, Kräuter etc.). Das stabilisiert nicht nur Böden und Ökosysteme und sorgt für mehr Nährstoffe am Teller. Agrarökologische Landwirtschaft ist auch erwiesenermaßen resilienter gegen den Klimawandel - und trägt weniger dazu bei: Statt auf Agrochemie setzen die Bäuer_innen auf natürlichen Dünger und das symbiotische Zusammenspiel der verschiedenen Pflanzen. Viel Einsatz und Wissen ist dafür nötig. Agrarökologie bringt also auch Arbeit und fördert den Austausch und das Miteinander. Und die Begegnung auf Augenhöhe.


No more Agrobusiness

Eine Transformation der aktuellen Agrarpolitik, die Produktivitätssteigerung und Wettbewerb auf Kosten der Umwelt propagiert und Ungleichheiten fördert, ist unumgänglich. Die derzeit in Verhandlungen befindliche Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) wird - allen kritischen Stimmen zum Trotz - diese Richtung allerdings beibehalten. Das bedeutet: Kleinbäuer_innen - auch in Europa - werden zugunsten von Agrobusiness weiter an den Rand gedrängt, Alternativen zum agroindustriellen Modell klein gehalten, Auswirkungen der EU-Politik auf den Globalen Süden und die Umwelt kaum mitgedacht.

Was sich Menjivar und ihre feministischen Mitstreiterinnen wünschen: Mehr Problembewusstsein bei den Politiker_innen dieser Welt. Und: "Die Abschaffung von Patriarchat und Kapitalismus."


ANMERKUNGEN:
(1) Die Verwaltungs- und Gender-Expertin Alina Menjivar war auf Einladung von FIAN, WIDE und katholischer Frauenbewegung kfbö am 13. November 2018 in Wien.
(2) www.observatorioseguridadciudadanadelasmujeres.org/documentos/fem_2018-02-09_01.pdf
(3) https://amerika21.de/2018/06/204934/wasser-salvador-privatisierung

LESETIPPS:
FIAN Food First Magazin 2/2018;
https://fian.at/de/publikationen/foodfirst-magazin
Broschüren von FIAN:
https://fian.at/de/publikationen/bestellen-download

ZUR AUTORIN:
Melanie Oßberger ist Referentin für Menschenrechte bei FIAN Österreich.

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 147, 1/2019, S. 18-19
Text: © 2019 by Frauensolidarität / von Melanie Oßberger
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2019

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