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INTERNATIONAL/010: Argentinien - Sklavenähnliche Zustände in der Landwirtschaft trotz Rekordeinnahmen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. März 2011

Argentinien:
Sklavenähnliche Zustände in der Landwirtschaft trotz Rekordeinnahmen

Von Marcela Valente


Buenos Aires, 15. März (IPS) -In Argentinien verzeichnen die landwirtschaftlichen Betriebe Rekordernten in Höhe von 100 Millionen Tonnen. Doch die Lage der Wanderarbeiter, die an dem Boom des Sektors einen wesentlichen Anteil haben, ist nach wie vor prekär. Bezahlung und Unterbringung sind schlecht, die Arbeitszeiten lang.

Viele Wanderarbeiter stammen aus der nördlich-zentralen Provinz Santiago del Estero. Sie zieht es in Provinzen wie Santa Fe, Misiones, Buenos Aires, Córdoba, Mendoza und Río Negro, wo sie sich bei Sonne und Regen als Landarbeiter sieben Tage die Woche und mindestens zehn Stunden am Tag verdingen. Ihr unermüdlicher Einsatz wird ihnen schlecht entlohnt. So machen sie nicht selten die Erfahrung, dass die Löhne niedriger ausfallen als versprochen. Auch müssen sie meist in Behausungen ohne Sanitäranlagen, Wasser und Strom leben.

Seit Jahrhunderten verdingen sich Menschen in Argentinien als Wanderarbeiter. Doch seit einigen Jahren werden sie von großen Agenturen für die Arbeit auf den Feldern transnationaler Konzerne angeheuert. Diese Vermittlungsorganisationen stellen den Saisonarbeitern zunächst feste Löhne in Aussicht. Vor Ort jedoch wird häufig ein Leistungspunktesystem angewandt, das die Betroffenen in ständiger Angst vor Lohnabzügen hält.


Landarbeiter mit Lohnabzügen bedroht

Üblich sei es, die Arbeiter in Kolonnen zusammenzuschließen, berichtet Reynaldo Ledesma von der Solidarvereinigung der Gemeinden des Volkes der Diaguita Cacano. Sie müssten von Montag bis Montag zehn bis 14 Stunden am Tag ohne Murren arbeiten. Wenn sich nur einer aus der Gruppe beschwert, wird der ganze Trupp mit einem Punkteabzug gestraft. Darüber hinaus werden den Arbeitern Transportkosten, Kleidung, Arbeitskleidung und Nahrungsmittel weit über dem Marktpreis in Rechnung gestellt.

Von den gravierenden Missständen konnten sich staatliche Kontrolleure in den letzten Monaten in etlichen Provinzen selbst ein Bild machen. Sie fanden heraus, dass in einigen Fällen den Arbeitern unter Androhung von Strafpunkten untersagt worden war, unerlaubt die Höfe zu verlassen und sie in Unterkünften ohne sanitäre Anlagen, Wasser und Licht untergebracht waren.

Auf einem Hof von 'Nidera Argentina', Teil eines in 22 Staaten vertretenen Konglomerats mit Sitz in der Schweiz, mussten die Arbeiter unter freiem Himmel oder in Schuppen gleich neben Pestizidkanistern schlafen. Den argentinischen Unternehmen 'Southern Seeds Production' und 'Status Ager' und den Arbeitsdienstleistern Manpower (USA) und Addeco (Schweiz) wurde Ausbeutung ihrer Beschäftigten vorgeworfen.

"Die gleichen Unternehmen, die Bauern und Indigene von ihren Ländereien vertreiben, um dort Monokulturen anzulegen, sind diejenigen, die sie später als Arbeitssklaven anstellen", meint Ledesma.


Verstöße gegen Sozialversicherungspflicht

Nach Angaben des argentinischen Arbeitsministeriums ist die Hälfte der in der Landwirtschaft Beschäftigten nicht sozialversichert. In diesem illegalen Universum sind Arbeitsmigranten und Wanderarbeiter am schlechtesten dran. Die meisten stammen aus den nordargentinischen Provinzen Santiago del Estero und Tucumán sowie aus Bolivien.

Doch die Situation der legal beschäftigten Landarbeiter ist nicht unbedingt besser. Die Mehrheit verdient trotz bemerkenswerter Gewinne der Agrarunternehmen weniger als den Mindestlohn, geht aus dem im Februar veröffentlichten Bericht 'Rentabilität, Beschäftigung und Arbeitsbedingungen im Agrarsektor' der Nichtregierungsorganisation CIFRA hervor.

Die Landwirtschaft profitiert nicht nur vom Anstieg der internationalen Nahrungsmittelpreise. Auch konnten die Produktionskosten gesenkt werden. Zudem erfuhren die fruchtbarsten Gebiete der zentralen und nördlichen Ebenen eine 4,5-fache Wertsteigerung.

Der Studie zufolge trug der primäre Landwirtschaftssektor im Zeitraum 2002 bis 2010 mit 8,7 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Weitere 6,4 Prozent steuerte die Agrargüter weiterverarbeitende Industrie bei. Da die Großfarmen verstärkt Maschinen einsetzen, ist ihre Bedeutung als Arbeitgeber "wenig bedeutsam". Ferner wies die Untersuchung auf den hohen Anteil der im Sektor informell Beschäftigten hin.

92 Prozent der 40 Millionen Argentinier leben in den Städten, von denen wiederum 17,8 Millionen einer bezahlten Tätigkeit nachgehen. In der Landwirtschaft sind nach staatlichen Angaben eine Million Menschen dauerhaft oder sporadisch beschäftigt. Die Gewerkschaften sprechen von 1,5 Millionen. (Ende/IPS/kb/2010)


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http://www.flacso.org.ar/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2011