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INTERNATIONAL/102: Pakistan - Familien getöteter Taliban leben im Elend (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2012

Pakistan: Wenn die Söhne den 'Märtyrertod' sterben - Familien getöteter Taliban leben im Elend

von Ashfaq Yusufzai


Gefangene Taliban im Nordwesten Pakistans mit beschlagnahmten Waffen - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Gefangene Taliban im Nordwesten Pakistans mit beschlagnahmten Waffen
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 24. Juli (IPS) - Die meisten Angehörigen der Taliban, die bei den Kämpfen gegen die Armee in Pakistan oder Afghanistan getötet wurden, leben in abgrundtiefer Armut. "Die Mehrheit der Familien muss betteln gehen, um an eine Mahlzeit zu kommen", sagt der Lehrer Taj Muhammad Khan aus Tank, einem der 25 Distrikte der Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) an der Grenze zu Waziristan in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA).

"Sie können nicht mit Hilfe rechnen", fügt Khan hinzu. "Die Menschen hier schauen auf die Familien herab, deren Männer sich den Taliban angeschlossen haben und von den Streitkräften getötet wurden." Die Taliban hätten Teenager und Männer mit geringer Bildung rekrutiert. Sterben die Kämpfer, können ihre Familien nur selten auf Unterstützung der Taliban hoffen.

Der 28-jährige Obstverkäufer Ikramullah Shah hatte sein Zuhause im Januar letzten Jahres verlassen. Er wollte in einer örtlichen Moschee beten, kehrte aber nie zurück, wie sein Vater Abdullah Shah IPS berichtet. "Eines Nachts im April kamen einige Taliban, um mir mitzuteilen, dass mein Sohn im Kampf gegen die 'Armee der Ungläubigen' den Märtyrertod gefunden habe. Nun muss ich betteln gehen, um seine Frau und Kinder durchzubringen."


Einmalige Abfindung, wenn überhaupt

Der Jungbauer Shafqatullah aus dem Bezirk Charsadda kam im Juni 2010 in Afghanistan ums Leben. Der 21-Jährige hatte seine beiden jüngeren Brüder und seine Eltern finanziell unterstützt. "Wir sind am Ende", berichtet sein verzweifelter Vater. "Die Taliban händigten uns 400 US-Dollar aus, als sie uns die Nachricht über den Tod meines Sohnes überbrachten. Sie versprachen uns eine monatliche Unterstützung. Doch die haben wir nicht erhalten. Jetzt leben wir von Almosen."

Dem KP-Sportminister Syed Aqil Shah zufolge sind die Taliban Söldner, die ihre Leute im Stich lassen. "Die Taliban haben hunderte Familien um ihren Broterwerb gebracht, indem sie junge Menschen für ihre Sache anwarben. Ihnen liegt nicht daran, den notleidenden Familien zu helfen", betont der Minister, der selbst drei Anschläge der Taliban überlebt hat. Am Anfang hätten die Taliban-Anführer den Hinterbliebenen ihrer Kämpfer ein wenig Geld zukommen lassen, doch nun stecken diese in einer schweren Existenzkrise.

Die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, den selbsternannten Gotteskriegern finanziell das Wasser abzugraben, haben die Taliban nach Angaben von Syed Aqil Shah in finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Die Hilfen für die Hinterbliebenen ihrer gefallenen Kämpfer seien nach 2008 ausgeblieben.

"Die geächtete Miliz 'Tehreek Taliban Pakistan' (TTP) finanziert sich inzwischen durch Lösegelderpressungen und Banküberfälle", berichtet er. "Das Geld reicht aber nicht aus, um die Hinterbliebenen zu unterstützen."


Geldquellen versiegen

Der Polizeioffizier Muhammad Khalid, der mehr als ein Dutzend solcher Fälle untersucht hat, bestätigt das Leid der Familien, deren Angehörigen für die Taliban gestorben sind. Einst hätten die Taliban beträchtliche Summen an ihre Kämpfer bezahlt.

Im Bezirk Bannu in der Nähe von Waziristan sollen die Taliban die Familie eines getöteten Kämpfers 2005 mit 34.000 Dollar abgefunden haben. Doch in den letzten Jahren seien die Hilfen im Mardan-Bezirk ausgeblieben, erläutert Syed Aqil Shah.

Der 20-jährige Automechaniker Najibullah hatte in der Garage, in der er bis 2009 beschäftigt war, Bekanntschaft mit einigen Taliban gemacht. Danach fehlte von ihm jede Spur. Im Januar 2011 erschienen einige Kämpfer im Haus seines Vaters Shakirullah, um ihm die Nachricht vom Tod des Sohnes zu überbringen. Shakirullah macht die Taliban für den Tod seines Sohnes verantwortlich. "Meine beiden Enkel leben nun von Spenden und Almosen reicher Leute", beklagt er.

Habibur Rehman im angrenzenden Bezirk Nowshera weiß Ähnliches zu berichten. Im April 2009 wurde sein 17-jähriger Sohn Gul Rekhan von Mitgliedern der Taliban aus einem Laden in seinem Heimatdorf geholt. Drei Monate später erfuhr Rehman durch einen Telefonanruf, dass sein Sohn bei einem Selbstmordanschlag ums Leben gekommen ist. Bei dem Attentat in Afghanistan starben zehn NATO-Soldaten.

"Die Taliban gratulierten mir zum Märtyrertum meines Sohnes", erinnert sich der Vater. "Doch seither kann ich der Probleme zu Hause nicht mehr Herr werden." (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/07/from-arms-to-alms/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2012