Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

INTERNATIONAL/104: Guatemala - Verpflichtender Sozialdienst für junge Leute gefragt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. August 2012

Guatemala: Dem Land dienen - Verpflichtender Sozialdienst für junge Leute gefragt

von Danilo Valladares



Guatemala-Stadt, 2. August (IPS) - "Ich bin stolz, dass ich an den Veränderungen mitwirken darf. Unterernährung kann nicht in zwei oder drei Jahren bekämpft werden, doch dies ist der Anfang", erklärt Isabela Tzoc. Die junge Guatemaltekin beteiligt sich an einem staatlichen Jugendprogramm gegen die Folgen der extremen Armut.

Seit dem vergangenen Jahr gilt in Guatemala ein Gesetz, das alle 18- bis 24-jährigen Frauen und Männer dazu verpflichtet, ihrem Land akkumulierte 728 Stunden zu dienen. Die jungen Leute können sich zwischen Wehrdienst und der Teilnahme an Sozialprojekten entscheiden. Die Bezahlung ist für alle gleich: umgerechnet 1,1 US-Dollar pro Stunde.

Tzcoc engagiert sich seit April für das Programm 'Jugendwächter gegen Unterernährung'. Sie ist so stark involviert, dass sie auch schon mal eine Vorlesung sausen lässt. "Ich tue das aus Liebe zu meinem Land", sagt die 21-jährige Pädagogikstudentin. Sie ist eine von fast 160 Teilnehmern des Programms, das dem Nationalen Jugendrat untersteht.

Guatemala hat lateinamerikaweit die höchste Rate unterernährter Kinder. Nach Zahlen des Weltkinderhilfswerks UNICEF ist jedes zweite Kind unter fünf Jahren betroffen.

Einen anderen Weg gehen diejenigen, die sich für den Militärdienst entscheiden. Laut dem Gesetz werden die Guatemalteken damit "zur bewaffneten Verteidigung ihres Heimatlandes" ausgebildet. Ihnen wird aber auch der Respekt vor den Menschen- und Bürgerrechten sowie den politischen und moralischen Werten vermittelt. Sie lernen zudem, erste Hilfe zu leisten und mit Risikosituationen umzugehen. Der Sozialdienst fördert hingegen die Partizipation Jugendlicher in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Umweltschutz.

Das Gesetz, das den Dienst fürs Land regelt, wurde unter der früheren Regierung von Präsident Alvaro Colom (2008 bis 2012) eingeführt. Menschenrechtsaktivisten begrüßten den Vorstoß, der die Wehrpflicht abgeschafft hat. Guatemalteken sind die gravierenden Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs zwischen der Armee und der linken Guerilla von 1960 bis 1996 mit 200.000 Todesopfern und Verschwundenen noch gut in Erinnerung.


Tausende Jugendliche im Bürgerkrieg zwangsrekrutiert

Nach Erkenntnissen der Wahrheitskommission, die nach dem Ende des Konflikts eingesetzt wurde, zwang die Armee Tausende junger Menschen, darunter sogar Kinder unter 15 Jahren, sich ihren Reihen anzuschließen und im Krieg mitzukämpfen. Der Kommission zufolge wurden 93 Prozent aller dokumentierten Menschenrechtsverstöße von Regierungstruppen oder paramilitärischen Milizen verübt.

Heute steht es den Jugendlichen also frei, ob sie Dienst an der Waffe leisten wollen. Tzoc hat sich für die sozialen Einsätze entschieden und arbeitet in Armensiedlungen in Nahualá und Sololá im Südwesten des Landes. "Wir stellen fest, was die Menschen dort brauchen, und schreiben einen Bericht für die Behörde für Ernährung und Ernährungssicherheit", berichtet die Studentin. "Es ist eine unglaubliche Erfahrung, Zeit mit diesen Familien zu verbringen."

Etwa 3.500 junge Guatemalteken haben sich für den zivil-militärischen Dienst eingeschrieben, wie der Armeesprecher Oberst Rony Urízar erklärt. "Die jungen Leute erhalten eine militärische Grundausbildung, die die Regeln der Armee, erste Hilfe, Waffentraining und Maßnahmen bei Naturkatastrophen umfasst. Im Notfall können sie in ihren Provinzen Unterstützung leisten."

Junge Wehrdienstleistende bei einer Übung - Bild: © Danilo Valladares/IPS

Junge Wehrdienstleistende bei einer Übung
Bild: © Danilo Valladares/IPS

Erick Tataguin ist davon überzeugt, sich durch den Bürgerdienst sinnvolle Kenntnisse anzueignen. "Man lernt, was man bei einem Erdrutsch oder einem Erdbeben tun muss und wie man sich um Verletzte kümmert, die bluten oder Knochenbrüche erlitten haben", sagt er, während er sich darauf vorbereitet, sich mit anderen an einer Klippe abzuseilen. Tataguin verbringt jeden Sonntag auf der Mariscal-Zavala-Armeebasis, um seine 728 Sozialstunden abzuleisten.


Gefahr politischer Manipulation

Francisco Montenegro von der Bewegung 'Junger Frieden' hält das neue Gesetz deshalb für so wichtig, weil es Jugendliche an verschiedenen staatlichen Projekten im sozialen Sektor beteiligt. Zugleich befürchtet er allerdings, dass die Behörden das neue Gesetz für politische Ziele, etwa im Wahlkampf, nutzen können. "Die Regierungsinstitutionen müssen garantieren, dass die Einsätze nicht mit politischen Zielen gekoppelt sind", fordert Montenegro.

Arturo Chub von der Bürgerrechtsorganisation 'Sicherheit in der Demokratie' kritisiert, dass der Bürgerdienst vom Verteidigungsministerium koordiniert wird und damit noch militärischer Natur ist. Er wünscht sich, dass sich die Programme mehr auf Aktivitäten wie Alphabetisierung, den sozialen Wohnungsbau und Umweltverträglichkeitsstudien konzentrieren sollen.

Die Tatsache, dass der Wehrdienst nicht mehr obligatorisch ist, sieht Chub aber schon als großen Fortschritt in einem Land, in dem 54 Prozent der 14 Millionen Einwohner in Armut und 13 Prozent in absoluter Armut leben. Wie ein 2011 erstellter nationaler Bericht über die Lebensbedingungen in Guatemala feststellt, fehlt es vor allem in indigenen Gebieten an Gesundheitsversorgung und Bildungseinrichtungen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.conjuve.gob.gt/html/que.html
http://www.unicef.org/guatemala/spanish/
http://pazjovenguatemala.jimdo.com/
http://www.ipsnews.net/2012/07/military-service-leaves-culture-of-war-behind-in-guatemala/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. August 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2012