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INTERNATIONAL/165: Korea - Ob im Norden oder Süden, familiäre Beziehungen auch in der Neuzeit stark (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. März 2014

Korea: Ob im Norden oder Süden - Familiäre Beziehungen auch in der Neuzeit stark

von Ahn Mi Young


Bild: © Yonhap News Agency/IPS

Der russisch-südkoreanische Eisschnellläufer Viktor Ahn bei den Olympischen Spielen in Sotschi
Bild: © Yonhap News Agency/IPS

Seoul, 14. März (IPS) - Im hochmodernisierten Südkorea sind die Familienbeziehungen sehr stark ausgeprägt. Das hat sich auch bei der Zusammenführung von Südkoreanern mit ihren Verwandten in Nordkorea gezeigt, die der Koreakrieg (1950-1953) auseinander gerissen hat. Sie sahen sich im letzten Monat erstmals wieder.

In dem Land, das sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten von einer vorwiegend bäuerlichen Gesellschaft in eine gut vernetzte Wirtschaftsmacht gewandelt hat, schwanken die Menschen zwischen einer traditionellen, kollektiven Denkweise und dem Wunsch, sich individuell zu entfalten.

Vielen erschien die lang ersehnte Begegnung mit den Verwandten in der nordkoreanischen Touristenregion Kumgang-san im Zeitraum 20. bis 25. Februar wie eine Reise in die Vergangenheit. Dem südkoreanischen Ministerium für Vereinigung zufolge nahmen 763 Koreaner beider Seiten die Gelegenheit wahr, um 19 Stunden miteinander zu verbringen. Die letzte derartige Zusammenführung hatte vor drei Jahren stattgefunden. Danach wurde das Programm aufgrund politischer Spannungen zwischen beiden Seiten ausgesetzt.

Dem 90-jährigen Südkoreaner Kim Young-Hwan verschlug es die Sprache, als er seine erste Frau, die 87-jährige Kim Myong-Ok, wiedersah, die er im Krieg in Nordkorea zurückgelassen hatte. In Südkorea lernte er später seine neue Frau kennen, mit der er fünf Kinder hat. Kim Myong-Ok, die mit ihrem einzigen Sohn zusammenlebt, hat nie wieder geheiratet. "Ich bin mit großer Trauer im Herzen hergekommen. Es tut mir so leid", meinte Kim Young-Hwan.

Der Südkoreaner Gang Neung-Hwan, inzwischen 93 Jahre alt, erkannte seinen Sohn, der inzwischen 64 ist, auf Anhieb, ohne ihn je zuvor gesehen zu haben. Auch Gang hatte seine damals schwangere Frau während des Krieges im Norden zurückgelassen. "Mein Sohn und ich ähneln uns sehr! Ich habe sofort gesehen, dass er mein Sohn ist", freute er sich.


In die Familie investieren

In Korea werden Familiensinn, Loyalität und Alter höher geschätzt als individuelles Streben. In der Nachkriegszeit der 1950er und der frühen 1960er Jahren litten die meisten Menschen unter großer Armut. Väter verkauften ihr Vieh, um die Ausbildung ihrer Söhne in Seoul bezahlen zu können. In der damals landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft fühlten sich die Familienmitglieder füreinander verantwortlich.

Doch inzwischen ist Südkorea eine Industrie- und Technologiehochburg. Das Land produziert Marken wie 'Samsung', LG und 'Hyundai'. Koreanischer Pop und der 'Gangnam Style' des Rappers 'Psy' bringen die Welt in Bewegung, während mit der koreanischen Popkulturwelle Mode- und Schönheitsartikel in die Regale der internationalen Geschäfte gelangen, die unter dem Namen 'hallyu' firmieren.

Im letzten Monat sahen Südkoreaner mit einer Mischung aus Stolz und Bedauern zu, wie der russisch-koreanische Eisschnellläufer Viktor Ahn bei den Winterspielen in Sotschi drei Goldmedaillen abräumte. 2011 hatte Ahn das Moskauer Angebot angenommen, russischer Staatbürger zu werden, nachdem er aufgrund "interner Querelen" innerhalb des Südkoreanischen Eislaufverbands an den Meisterschaften in Vancouver nicht teilnehmen konnte. Noch vor zehn Jahren wäre ein koreanischer Sportler, der seine Nationalität aus persönlichen Gründen aufgibt, auf breite Ablehnung gestoßen.

Für eigennützige oder gar betrügerische Wissenschaftler haben Südkoreaner absolut kein Verständnis. Ein Beispiel ist Hwang Woo-Seok, der einst als Entdecker der ersten menschlichen embryonalen Stammzelllinie als Held gefeiert wurde. Doch als herauskam, dass er wissenschaftliche Daten manipuliert hatte, wurde er sofort aus der angesehenen Nationaluniversität von Seoul gefeuert und wegen Betrugs und bioethischem Fehlverhalten verurteilt. Dass er dem internationalen Ansehen seines Landes geschadet hat, gilt in Südkorea als unverzeihlich.

Doch nur wenige gehen mit dem Shorttrack-Star Ahn hart ins Gericht. "Wir sind bereit, dem persönlichen Sieg von Viktor Ahn unseren Beifall zu zollen", meinte Bang Hyeon-Chull in einem Leitartikel der Zeitung 'Chosunilbo'. "Niemand kann ihn für seine Entscheidung kritisieren. Für einen Menschen mit Talent kann Nationalität keine Grenze sein."

In Südkorea sind es vor allem die Älteren, die nach wie vor großen Wert auf ein Miteinander legen, während die jungen Generationen zunehmend auf Freiheiten pochen. Dies hat dazu geführt, dass sich die Zahl der jährlichen Geburten nach Angaben des Koreanischen Statistikamts in den letzten drei Jahrzehnten auf 430.000 2013 halbiert hat. Bis zum Jahr 2050 werden 36 bis 39 Prozent der Südkoreaner über 65 Jahre alt sein. 14,6 Prozent der sieben Millionen Südkoreaner sind Rentner, die in der Nachkriegszeit von 1954 bis 1964 geboren wurden.

Die Auswirkungen dieser demografischen Entwicklung sind inzwischen nicht mehr zu übersehen. So geht der Anteil der arbeitenden südkoreanischen Bevölkerung jedes Jahr um 1,2 Prozent zurück.

Das Pro-Kopf-Bruttonationalprodukt ist zwar von 80 US-Dollar in den 1960er Jahren auf mindestens 20.000 Dollar 2013 gestiegen. Doch während sich das Land in eine extrem wettbewerbsfähige Gesellschaft verwandelt, grassieren Depressionen. Diese Krankheit, die der Agrargesellschaft weitgehend unbekannt war, ist zu einer der führenden Todesursachen in dem Land geworden. Eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2010 bescheinigt Südkorea die höchste Selbstmordrate der Welt. Sie liegt bei jährlich 33,5 pro 100.000 Menschen. (Ende/IPS/kb/2014)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2014