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INTERNATIONAL/175: Sri Lanka - Alkoholmissbrauch in ehemaligen Bürgerkriegsgebieten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. August 2014

Sri Lanka: Alkoholmissbrauch in ehemaligen Bürgerkriegsgebieten - Illegaler Verkauf boomt

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

Srilankerin zu Hause beim Schnapsbrennen
Bild: © Amantha Perera/IPS

Dharmapuram, Sri Lanka, 5. August (IPS) - Als die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) die Nordprovinz Sri Lankas beherrschten, waren Produktion und Verkauf von Alkohol strikt reglementiert. Seit dem Sieg der Regierungsarmee 2009 haben sich die Bestimmungen jedoch gelockert, und in der von Armut, Kriegstraumata und Arbeitslosigkeit heimgesuchten Bevölkerung nimmt der Konsum von Alkoholika beständig zu.

"In der Region wird in einem besorgniserregenden Ausmaß Alkohol getrunken. Den Tag mit Schnaps zu beenden, ist inzwischen die Regel", berichtet der für Sozialleistungen in Kilinochchi zuständige Bezirksbeamte Vedanayagam Thabendran. Kilinochchi liegt etwa 240 Kilometer von der Hauptstadt Colombo entfernt.

Dass seine Sorge berechtigt ist, belegt eine im Dezember 2013 von dem unabhängigen Alkohol- und Drogeninformationszentrum veröffentlichte Untersuchung. Demnach stufen sich 34,4 Prozent der Einwohner des nördlichen Bezirks Mullaitivu als "gewohnheitsmäßige Alkoholkonsumenten" ein.

Die Untersuchung deckt zehn der insgesamt 25 Bezirke des Landes ab, darunter zwei der Nordprovinz. Die Häufigkeit des Alkoholkonsums sei in Mullaitivu am höchsten gewesen, berichtet Muttukrishna Sarvananthan, Leiter des Point-Pedro-Instituts für Entwicklung in Jaffna. In den Nordbezirken Jaffna und Mullaitivu wird mehr Bier als Schnaps konsumiert.

Die Verkaufszahlen und Einzelberichte legen nahe, dass das Alkoholproblem mit dem Ende des Bürgerkrieges zusammenhängt. Thabendran zufolge ist der Missbrauch in den Dörfern im Landesinnern, die unter der Kontrolle der LTTE standen, besonders hoch. "Wir erfahren regelmäßig von häuslichen Streitigkeiten, die durch Alkoholkonsum ausgelöst werden. Das ist in Dharmapuram der Fall. In dem Dorf kann man vielerorts illegal gebrauten Alkohol kaufen", sagt er.


'Saufzentrum'

Wie Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichten, wird Dharmapuram, 17 Kilometer von Kilinochchi-Stadt, im Volksmund deshalb bereits 'Saufzentrum' genannt. Viele Familien mit alleinerziehenden Müttern hätten damit begonnen, unter der Hand selbstgebrannten Schnaps aus Zuckerrohr, Kokos- oder Palmyranüssen zu verkaufen, um das Familieneinkommen aufzubessern. Im Norden Sri Lankas lebende Frauen berichten, dass sie an einem Liter etwa 0,7 US-Dollar verdienen. Für die billigste offiziell gehandelte Spirituose müssen die Verbraucher das Fünffache hinlegen.

"So viel Alkohol wie jetzt war hier in den letzten 50 Jahren nicht in Umlauf", meint der 60-jährige Arumygam Sadagopan, ein pensionierter Bildungsbeamter. Das Gezeche der Männer verschärfe die Probleme von Armut und häuslicher Gewalt.

Seit dem Ende des Bürgerkriegs im Mai 2009 wurden nicht nur die Bestimmungen für die Herstellung und den Verkauf von Alkohol gelockert. Auch die bis dahin wirksame soziale Kontrolle hat nachgelassen. "Dass sich die Menschen so gehen lassen, hätte die LTTE nicht erlaubt", meint G. D. Dayaratna vom lokalen Institut für politische Studien. "Sie hatten den Spirituosenproduzenten den Hahn zugedreht."

Allerdings ist auch in anderen Teilen Sri Lankas ein deutlicher Anstieg von Alkoholproduktion und -konsum zu beobachten. Im vergangenen Jahr verdiente der Staat am Alkoholverkauf umgerechnet 500.000 Dollar - zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Zwischen 2009 und 2013 legte in Sri Lanka die Produktion hochprozentiger Spirituosen von 41 Millionen auf 44 Millionen Liter zu, während sich die Herstellung von Bier von etwa 55 Millionen Liter auf 120 Millionen Liter mehr als verdoppelte.

Bild: © Amantha Perera/IPS

Armut und Arbeitslosigkeit begünstigen den Alkoholmissbrauch bei Männern
Bild: © Amantha Perera/IPS

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lag der Alkoholkonsum der über 15-jährigen Srikanker zwischen 2008 und 2010 bei durchschnittlich 20,1 Litern pro Kopf und Jahr. Aktuelle und zuverlässige Angaben zur Menge der illegal gebrauten Alkoholika liegen nicht vor. Allerdings geht aus einer 2002 verbreiteten Studie des in Washington ansässigen 'International Center for Alcohol Policies' hervor, dass 77 Prozent des gesamten in Sri Lanka konsumierten Alkohols illegal produziert werden. 2013 nahm der Staat etwa 975.000 Dollar an Geldstrafen im Zusammenhang mit dem illegal produzierten Alkohol ein.


Armut begünstigt Alkoholmissbrauch

Sozialarbeiter wie Thabendran berichten, dass die schlimmsten Fälle von Alkoholmissbrauch in den armen Familien in der Nordprovinz zu beobachten sind, wo die Männer entweder arbeitslos oder aber als Tagelöhner beschäftigt sind. Sarvananthan schätzt, dass die Arbeitslosenrate in Dharmapuram etwa 20 Prozent beträgt. Ungefähr 30 Prozent sind in Bereichen wie Landwirtschaft und Fischfang informell beschäftigt. Laut einer im April von der Regierung veröffentlichten Studie werden die höchsten Armutsraten in Mullaitivu (28,8 Prozent), Mannar (20,1 Prozent) und Kilinochchi (12,7 Prozent) verzeichnet. (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/08/former-war-zone-drinking-its-troubles-away/

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IPS-Tagesdienst vom 5. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2014