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INTERNATIONAL/269: Südafrika - Vaterschaft neu gestalten (Frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 161/162, 3/4 2022

Südafrika
Vaterschaft neu gestalten

von Rita Schäfer


Südafrikas Männer sind zwar biologische Väter, aber das Apartheidregime hat Generationen von ihnen die soziale Vaterschaft verweigert. Siedlerkolonialismus, Apartheid und Wanderarbeit haben das Zusammenleben von Familien der Schwarzen Bevölkerungsmehrheit verhindert. Darunter leidet die Gesellschaft bis heute. Innovative Gender-Organisationen wollen das ändern.

Die Mehrzahl der südafrikanischen Kinder und Jugendlichen wächst in Haushalten auf, die von Frauen geleitet werden. Viele Heranwachsende auf dem Land sehen ihre Väter nur während weniger Wochen im Jahr. Zu teuer und aufwendig sind Besuchsreisen aus Industrie- und Minenstädten, wo Männer nach Arbeit suchen.

Wirtschaftliche Strukturprobleme

Ehen und Partnerschaften stehen unter permanentem Stresstest, den etliche nicht aushalten. Frauen werden große Versorgungslasten aufgebürdet, zu deren Bewältigung sie zumeist nicht über die notwendigen Mittel verfügen. Vielfach sind Konflikte und Trennungen die Folgen. Geringe Löhne und Arbeitslosigkeit waren schon während der Apartheid Strukturprobleme. Damals war es Schwarzen Frauen gesetzlich verboten, mit ihren Männern in den Städten zusammenzuwohnen. Das ab 1948 regierende rassistische Apartheidregime hatte sogar Besuchsverbote für Ehefrauen erlassen, strenge Beschränkungen des Zuzugs von Schwarzen in die Städte gab es aber schon während der Kolonialzeit.

Zwar ist die Apartheid seit Anfang der 1990er Jahre offiziell abgeschafft, doch an den Hungerlöhnen für Minenarbeiter hat sich nicht viel geändert. Massenentlassungen in Folge von Minenschließungen und unternehmerischen Umstrukturierungen verstärken die Konkurrenz zwischen Männern, die oft nur Kurzzeitverträge für schlecht bezahlte Jobs erhalten. Mangelndes Einkommen und Arbeitslosigkeit erschweren ihnen die Übernahme väterlicher Sorgepflichten, so dass sich einige ganz ihrer Verantwortung entziehen und Kontakte mit ihren Partnerinnen und Kindern abbrechen.

Dieses Dilemma wird dadurch verstärkt, dass viele Männer ihre eigenen Väter nur flüchtig kannten und nie als fürsorgliche Familienmenschen erlebt haben. Manche erinnern sich an die Besuchsväter nur als autoritäre Patriarchen, die ihre eigene Ausbeutung und Erniedrigung - etwa durch weiße Vorarbeiter - in häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder ausagierten. Das Phänomen überforderter oder fehlender Väter ist für Nachkriegsgesellschaften bekannt - aber in Südafrika war dieses Problem politisch verschuldet. Die Trennung Schwarzer Familien diente als Mittel, die Städte weiß zu halten und durch die Auslagerung der Care-Arbeit in sogenannte Homelands die sozialen Kosten zu minimieren. Konkret bedeutete das: verletzte, kranke und invalide Minenarbeiter wurden von Schwarzen Frauen auf dem Land gepflegt, ohne dass diese über die notwendigen Mittel dafür verfügten.

Diese Probleme verschärften sich durch HIV und AIDS ab den 1990er Jahren. Frauen wurde zusätzlich die Pflege von AIDS-Kranken aufgebürdet; oft erkrankten Männer, die schon an Staublunge oder Tuberkulose litten, weil die Minenbetreiber nicht in Arbeitsschutz unter Tage investierten. Genau diese Probleme motivierten manche jungen Männer Ende der 1990er Jahre, Gegenstrategien zu entwickeln, da für sie das Ausmaß von Unrecht und Ungleichheit unerträglich geworden war.

Verantwortungsvolle Vaterschaft

In dem von HIV und AIDS betroffenen Arbeitermilieu und in einigen an sozialer Gerechtigkeit orientierten Kirchen bildeten sich informelle Gruppen von Männern, die ihr eigenes Rollenverhalten, gesellschaftliche Erwartungen, soziale Normen, Wirtschaftsprobleme und notwendige strukturelle Veränderungen diskutierten. Kritische Reflexionen über konservative Bibeldeutungen und martialische Maskulinitätszuschreibungen, die seit dem militarisierten Apartheidregime und dem ebenfalls teilweise militanten Kampf dagegen verbreitet waren, verbanden sie mit Offenheit gegenüber feministischen Perspektiven. Diese waren bereits von südafrikanischen Anti-Apartheid-Aktivistinnen entwickelt worden, die Mehrfachdiskriminierung durch Rassismus, Klassenunterschiede und Geschlechterhierarchien systematisch analysierten und kritisierten. Ihre Kritik verbanden sie mit Kampf gegen das Apartheidregime. Sie griffen also nicht auf intersektionale Erklärungsmodelle aus den USA zurück, sondern erarbeiteten eigene Konzepte, die den historischen, ökonomischen und soziopolitischen Bedingungen Südafrikas entsprachen und Grundlagen für Veränderungsoptionen boten.

Das 2006 gegründete profeministische Sonke Gender Justice Network verknüpfte diese Ansätze mit Frauen- und Menschenrechten und politischen Forderungen, die auf internationale, regionale und nationale Abkommen bzw. Gesetze Bezug nahmen. Ein Dreh- und Angelpunkt war die umfassende Prävention und systematische strafrechtliche Ahndung geschlechtsspezifischer Gewalt. Das bedeutete Arbeit mit Männern, um deren Gewaltbereitschaft zu reduzieren. Hier waren neue Maskulinitätsvorstellungen gefragt, dazu zählte die Wichtigkeit sozialer Vaterschaft.

Arbeit mit Männern

Sonke-Aktivisten sahen sich damit konfrontiert, dass viele Männer in schlecht bezahlten Jobs oder aufgrund von Arbeitslosigkeit nicht über die materiellen Mittel verfügten, um die gesellschaftlichen Erwartungen an Väter als Brotverdiener zu erfüllen, weshalb sich zahllose als Versager wahrnahmen. Deshalb beschränkten sich die Trainings nicht nur auf einen individuellen Verhaltens- und Einstellungswandel, wonach soziale Vaterschaft im Sinne verantwortungsvoller Elternschaft auch durch unbezahlte Care-Arbeit zu leisten ist und Männer - einschließlich Teenagerväter und biologische Väter in der LSBTIQ-Community - durch ihre partnerschaftliche Mitwirkung im Familienleben und in der Kindererziehung als Menschen wachsen. Diesen Ansatz bauten die Aktivisten in übergeordnete Ziele ein, allen voran die Entwicklung einer gerechten und demokratischen Gesellschaft. Es ging also um reflektierte Rollenänderungen zur Überwindung von Machtverhältnissen.

Gleichzeitig wurde durch Advocacy-Arbeit auf politischer Ebene an Reformen zur Überwindung von Geschlechterhierarchien gearbeitet. Dazu zählten beispielsweise die systematische Einbeziehung von transformativer Arbeit mit Männern und Jungen in nationale Gender-Policies, darauf aufbauende Aktionspläne und deren verbindliche Umsetzung. Hinzu kamen Kompensationen für invalide Minenarbeiter, die auf dem Rechtsweg erstritten wurden, und Symbolkraft hinsichtlich der Ausbeutung und Berufskrankheiten von Bergleuten haben.

Insgesamt hat die Verbesserung der Gesundheitssituation von Männern einen großen Stellenwert, denn diese beeinflusst auch Frauen und Kinder. Im Kontext von HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen ist das besonders offensichtlich. Umso wichtiger ist es beispielsweise Sonke-Aktivisten, Männer zur HIV-Prävention und HIV-Infizierte zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme zu motivieren. Schließlich nehmen viele Männer HIV-Testangebote nicht wahr und gefährden dadurch ihre Partnerinnen und gemeinsamen Kinder.

So ist Gender-Aktivismus im Sinne reproduktiver Gesundheit und Rechte mit existentiellen Anliegen verbunden, und die Vernetzungen reichen in andere zivilgesellschaftliche Handlungsfelder. Dies erfordert auch den Aufbau von Koalitionen und Allianzen, um gemeinsam einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel voranzubringen. Auf internationaler Ebene orientiert sich Sonke Gender Justice an der Men Care Global Fatherhood Campaign; auf afrikanischer Ebene kooperieren Sonke-Aktivisten mit Men Engage Africa, konkret beispielsweise im Hinblick auf Trainings zu Männlichkeit und Frauengesundheit.


Webtipps:
https://genderjustice.org.za
https://menengageafrica.org
https://men-care.org

Zur Autorin: Rita Schäfer forscht über Südafrika. Von ihr erschienen: Migration und Neuanfang in Südafrika, Frankfurt a. M. 2019.

Mehr unter:
www.gender-africa.org

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 161/162, 3/4 2022, S. 16-17
Text: © 2022 by Frauensolidarität / Rita Schäfer
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 28. März 2023

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