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KIND/048: Ghana - Ölboom bringt auch Elend, Kinder zu Arbeit und Prostitution gezwungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2011

Ghana: Ölboom bringt auch Elend - Kinder zu Arbeit und Prostitution gezwungen

von Paul Carlucci und Sam Mark Essien

Kinder arbeiten in Ghana als Straßenhändler - Bild: © Sam Mark Essien/IPS

Kinder arbeiten in Ghana als Straßenhändler
Bild: © Sam Mark Essien/IPS

Takoradi-Sekondi, Ghana, 19. Oktober (IPS) - Kobinas Beine sind voller Narben. Der Junge ist den ganzen Tag am Sekondi-Strand im Südwesten Ghanas unterwegs, um Fischern Wasser und geschälte Orangen zu verkaufen. Dabei rutscht der Zehnjährige häufig aus, wenn er über Einbäume klettert, die glitschig sind von Fischinnereien.

Wie viele Gleichaltrige in dem westafrikanischen Land muss Kobina seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Auch die zwölfjährige Comfort Essuman läuft den Strand entlang, um Haferbrei und frittiertes Zuckerbrot anzubieten. "Meine Mutter sagt, dass ich weiter verkaufen soll und später zur Schule gehen kann", erklärt sie.

Seit der dritten Klasse hat das Mädchen, das bei einer Tante lebt, nicht mehr den Unterricht besucht. Comfort nimmt an einem Tag umgerechnet rund einen US-Dollar ein und schickt das gesamte Geld ihrer Mutter, die im Landesinnern lebt.

Die beiden Zwillingshauptstädte der Westlichen Region, Takoradi und Sekondi, haben zusammen etwa 35.000 Einwohner. Die einst eher verschlafene Gegend erlebt einen Wirtschaftsboom, seit im vergangenen Jahr die Erdölförderung vor der Küste begann.

Das Energieministerium rechnet damit, dass das Jubilee-Ölfeld bis Ende des Jahres rund 250.000 Barrel Öl pro Tag hervorbringen. Die gesamten Vorkommen, die für die nächsten 25 Jahre reichen sollen, werden auf etwa eine Milliarde Barrel geschätzt. Weitere Ölquellen in der Region sollen bis 2014 erschlossen werden.


Ölförderung lockt Arbeitssuchende an

Lokale Chiefs verlangen vom Staat zehn Prozent der erwarteten Öleinnahmen von rund einer Milliarde Dollar jährlich. Für den Ausbau der Infrastruktur hat die ansonsten eher zögerliche Zentralregierung bereits einen Kredit von drei Milliarden Dollar vom Parlament absegnen lassen. 1,8 Milliarden Dollar sind für die Westliche Region bestimmt.

In der Hoffnung auf neuen Wohlstand strömen viele Menschen aus anderen Landesteilen in den Westen Ghanas. Sie spekulieren auf neue Arbeitsplätze, die bislang aber nicht geschaffen wurden. Dafür sind die Wohnungsmieten und die Kosten für Lebensmittel kräftig in die Höhe geschossen. Nicht nur der Autoverkehr nimmt zu, sondern auch die sozialen Probleme.

Deborah Daisy Kwabia, die für Takoradi und Sekondi zuständige Leiterin der Sozialbehörde, spricht von einem facettenreichen Problem. Viele Kinder seien Opfer dieser Entwicklung geworden, sagt sie. "Immer mehr Menschen kommen hierhin, um grünere Wiesen als anderswo zu finden. Dabei gibt es sie nicht", meint sie in Anspielung auf vermeintliche wirtschaftliche Gewinnchancen.

Die Kinderarbeit nimmt bei Jungen und Mädchen unterschiedliche Formen an. Jungen werden häufig von Erwachsenen als Drogenkuriere oder Diebe angelernt. Viele von ihnen sind auf den überfüllten Märkten von Takoradi anzutreffen. Mädchen werden meist als billige Küchenhilfen und Spülerinnen ausgenutzt. Andere arbeiten als Dienstmädchen in Haushalten.

Die Risiken, in die Prostitution abzurutschen, sind ebenfalls hoch. Durch den Ölboom sei die Nachfrage nach käuflicher Liebe gestiegen, meint Comfort Osei Gerning, die als Pflegemutter für die Kinderhilfsstiftung 'Mercy' tätig ist. Nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen seien davon betroffen. Dabei ist Prostitution von Minderjährigen seit 1998 im Lande verboten.

Das Zenith Hotel in Takoradi gehört zu den Treffpunkten von Freiern und Prostituierten. Im Hof, hinter den Mauern des roten Backsteingebäudes in der Nähe eines Taxistands, lassen sich Männer von jungen Prostituierten Getränke bringen. "Die Zwölf- bis 15-Jährigen werden die 'Tausend-Mädchen' genannt. Sie nehmen nicht viel Geld, weil sie noch Kinder sind", erläutert Gerning. Der Name bezieht sich auf den früheren Gegenwert des inzwischen aufgewerteten ghanaischen Cedi. 1.000 Cedi entsprachen damals sechs Dollar.


Gesetz schützt Kinder nicht vor Ausbeutung

Die städtischen Sozialbehörden sind angewiesen, über die Einhaltung der geltenden Arbeitsvorschriften zu wachen. Unter 18-Jährige dürfen demnach keine gefährlichen Tätigkeiten verrichten. Wer jünger ist als 15, darf demnach nicht zu schwerer körperlicher Arbeit herangezogen werden. Und um leichte Arbeiten zu verrichten, muss man mindestens 13 Jahre alt sein. Der Kontrollausschuss kann Untersuchungen anberaumen und die Polizei einschalten.

John Davis, der in West Anajy drei Monate lang diesen Ausschuss geleitet hat, kann sich allerdings an keine einzige Untersuchung zu Kinderarbeit und -prostitution erinnern. Davis beklagt zudem, dass die Mitarbeiter der Behörden weder über Dienstwagen noch andere Hilfsmittel verfügen, um ihrer Arbeit effektiv nachgehen zu können. Der Ausschuss konzentriert sich darauf, Aufklärungskampagnen durchzuführen. (Ende/IPS/ck2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2011