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KRIMINALITÄT/059: Zentralamerika - Freigabe von Drogen soll Zahl der Morde senken, USA dagegen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Februar 2012

Zentralamerika: Freigabe von Drogen soll Zahl der Morde senken - USA dagegen

von Danilo Valladares


Guatemala-Stadt, 7. Februar (IPS) - Angesichts der blutigen und opferreichen Kämpfe zwischen Drogenkartellen und Sicherheitskräften in Zentralamerika hat sich der Präsident von Guatemala für eine Legalisierung des Rauschgiftkonsums in der Region ausgesprochen.

Das Problem müsse "so bald wie möglich" angegangen werden, erklärte kürzlich der konservative guatemaltekische Staatschef Otto Pérez Molina. Eine Freigabe von Drogen müsse allerdings unter allen Staaten der Region und mit den USA abgestimmt werden. Sein kolumbianischer Amtskollege Juan Manuel Santos sagte dazu: "Diese Lösung wäre für Kolumbien akzeptabel, wenn sich die ganze Welt daran hält."

Die US-Staatssekretärin Wendy Sherman, die Ende Januar Kolumbien besuchte, teilte jedoch mit, dass Präsident Barack Obama "die Legalisierung als Ausweg aus dem Drogenproblem nicht unterstützt". Sherman zufolge muss vielmehr die Rauschgiftproduktion in Kolumbien und der Konsum in den USA "substanziell" verringert werden.

Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie der demokratischen US-Senatorin Dianne Feinstein und ihres republikanischen Kollegen Charles Grassley kam zu dem Schluss, dass der Drogenkonsum in den USA "die Gewalt in Zentralamerika sowie in ganz Lateinamerika und dem Karibikraum schürt". Demnach nahmen im Jahr 2010 in den USA 22,6 Millionen Menschen im Alter von mindestens zwölf Jahren Rauschgift. Dies entsprach einem Bevölkerungsanteil von 8,9 Prozent.


USA größter Rauschgiftmarkt

In Honduras seien 2010 durchschnittlich 77 Morde pro 100.000 Einwohner begangen worden, heißt es in dem Bericht. In El Salvador lag die Rate bei 66, in Guatemala bei 50 und im Norden Mexikos bei 18 pro 100.000. Die Vereinten Nationen sehen die USA als weltgrößten Drogenmarkt. Platz zwei belegen die Länder der Europäischen Union.

"Das große Problem besteht darin, dass die Opfer Bürger unserer Staaten sind", sagte Carmen Rosa De León von dem unabhängigen Lehrzentrum für Nachhaltige Entwicklung in Guatemala. Die Region Zentralamerika mit rund 42 Millionen Einwohnern befinde sich in einem Kampf, den sie eigentlich nicht führen müsste. Denn in den USA sei der Konsum von Drogen innerhalb einer gesellschaftlich einflussreichen Schicht verbreitet, die nicht darauf verzichten wolle.

De León sieht in der Legalisierung des Rauschgiftkonsums eine reelle Chance, das Blutvergießen zu beenden. Die Freigabe von Drogen genüge allein allerdings noch nicht, mahnte sie. Es müssten umfangreiche Maßnahmen getroffen werden, da es neben den Produzentenländern auch Staaten gebe, durch die die Drogen geschleust würden.

Nach Ansicht des guatemaltekischen Kriminologen David Martínez-Amador müsste gut überlegt werden, welche Drogen freigegeben werden und ob Mexiko und Kolumbien den ersten Schritt machen sollten. Dass die USA den Konsum innerhalb der eigenen Grenzen bekämpfen und die junge Bevölkerung für das Problem sensibilisieren wollen, hält er für "sehr wichtig". Die USA sollten Militär in die Viertel entsenden, in denen seit jeher Drogen verkauft und umgeschlagen würden, forderte der Experte. Damit könnten sie das Rezept, das sie Lateinamerika verordnet hätten, an sich selbst erproben.

Martínez-Amador, der an mehreren Universitäten in Mexiko und Zentralamerika lehrt, sieht die Freigabe von Drogen allerdings auch als schwieriges Unterfangen. "Zwischen den kriminellen Banden gibt es zu viel Blutvergießen und Rivalität", sagte er. "Selbst wenn wir den Konsum von Marihuana, Heroin und Kokain nicht mehr unter Strafe stellen, wäre die Legalisierung synthetischer Drogen, die zurzeit die höchsten Einnahmen bringen, ein enormes Risiken. Denn sie schädigen das zentrale Nervensystem."


Kritik an Mexikos Krieg gegen die Drogenmafia

Scharfe Kritik übte der Wissenschaftler auch an dem vom mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón vorangetriebenen Anti-Drogenkrieg. Es handele sich um den "persönlichen Krieg" des Präsidenten gegen mehrere Kartelle, der nicht zu gewinnen sei. "Bevor das Militär ausgesandt wurde, hätte man Polizei, Staatsanwaltschaft und Ministerien 'säubern' müssen - doch dies ist nicht geschehen. Danach hätte das Geld der Verbrecher eingefroren werden müssen. Erreicht wurde aber nur wenig."

Andere Beobachter wie der nicaraguanische Schriftsteller Sergio Ramírez gehen davon aus, dass die Legalisierung von Drogen der Gewalt in der Region tatsächlich Einhalt gebieten könnte. Bekannte lateinamerikanische Autoren wie der Mexikaner Carlos Fuentes vertreten die gleiche Position. Ebenso wie Mexiko sich "kolumbianisiert" habe, sei Zentralamerika auf dem Weg dahin, wie Mexiko zu werden, meinte Fuentes und bezog sich damit auf die Ausbreitung der Kartelle in diesen Ländern.

Skeptisch zeigte sich hingegen der costaricanische Politikexperte Claudio Alpizar. "Ich denke nicht, dass die Legalisierung die Gewalt verringern würde. Alkohol beispielsweise ist eine erlaubte Droge, die im Zentralamerika große Probleme schafft." Nicht die Freigabe ist seiner Meinung nach die Lösung, sondern die Kontrolle des Konsums. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2012