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REDE/055: Ursula von der Leyen zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und ihrer Kinder, 11.02.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, in der Debatte zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und ihrer Kinder vor dem Deutschen Bundestag am 11. Februar 2011 in Berlin


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Vor einem Jahr hat uns das Bundesverfassungsgericht den Auftrag zur Neuordnung der Regelsätze gegeben. Vor zwei Monaten hat der Bundestag zugestimmt. Sieben Wochen haben wir im Vermittlungsverfahren darüber verhandelt, einen politischen Konsens herzustellen. Diesen haben wir heute leider noch nicht erreicht. Das bedauere ich, weil die Verhandlungen auch von gegenseitiger Achtung getragen waren. Aber unter dem Strich zählt, dass wir im Interesse der betroffenen Menschen so schnell wie möglich eine Lösung in dieser Sache finden.

Ich weiß, dass wir im Bundestag eine Mehrheit haben, aber im Bundesrat nicht. Dennoch lohnt es sich, das Angebot öffentlich zu diskutieren.

Ich glaube, diese Zäsur ist heute notwendig, damit die endlose Forderungsspirale der letzten sieben Wochen einmal bilanziert wird. Das ist ein gutes Angebot. Das ist ein Angebot, das nachhaltig ist, und ich glaube, das sollte auch anerkannt werden.

Im Gesetz geht es um zwei zentrale Fragen: die Bargeldleistung im Regelsatz und das Bildungspaket. Wir wissen doch alle, dass die Kinder von Hartz-IV-Empfängern oder die in Sozialhilfe eher ausgegrenzt und abgehängt werden als Gleichaltrige, nicht weil ihre Eltern sich nicht kümmern, sondern weil ihre Eltern selber mit sozialer Isolation zu kämpfen haben. Je häufiger die Kinder in der Schule oder im Freundeskreis die Erfahrung des Scheiterns machen, desto tiefer gräbt sich das Gefühl der eigenen Unfähigkeit und Hilflosigkeit ein. Das Bildungspaket folgt deshalb der Einsicht, dass diesen Kindern mit konkreten Hilfen mehr geholfen wird als mit direkten Zahlungen an die Eltern. Im Hinblick auf diese grundlegende sozialpolitische Einsicht sind wir uns doch einig.

Es geht konkret um eine warme Mahlzeit in den Schulen und Kindergärten. Wir sind uns einig, dass die Finanzierung des Mittagessens auf die Hortkinder ausgeweitet wird. Es geht konkret um die individuelle Förderung beim Lernen und um die Chance, bei Sport und Musik - wo auch immer die Interessen liegen - mitzumachen. Wir sind uns einig, dass die 160.000 Kinder von Wohngeldbeziehern mit dabei sein sollen. Wir sind uns einig, dass die Kommunen das organisieren sollen. Wir sind uns einig, dass die Kommunen dadurch keine zusätzlichen finanziellen Lasten haben sollen, sondern dass ihnen die Kosten des Bildungspaketes ersetzt werden sollen. Wir sind uns in diesen ganzen Punkten einig.

Damit die Kommunen wirklich die Gestaltungsfreiheit haben, ihre Aufgaben für alle Familien und alle Kinder wahrzunehmen, übernimmt der Bund bedingungslos die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Das heißt in Zahlen: Bis 2015 gehen rund 20 Milliarden Euro vom Bund an die Länder und Kommunen. Bis 2020 gehen rund 54 Milliarden Euro vom Bund an die Kommunen.

Wir sind uns also in fünf zentralen Fragen des Bildungspaketes einig. Sofort fünf Milliarden Euro mehr für Kinder und Kommunen: Das ist ein nachhaltiges Angebot; mehr geht nicht. Wer das ausschlägt, der muss sich vorwerfen lassen, dass er aus Prinzip keine Einigung will.

Ich glaube, dass wir uns auch beim Regelsatz in der zentralen Frage einig sind, auch wenn das in den letzten Tagen sicher nicht deutlich geworden ist. Es geht darum, einen nachvollziehbaren, verfassungsfest begründeten Berechnungsweg vorzulegen. Das haben wir von der Regierung getan. Die Verhandlungsführung der SPD hat das auch getan. Nur hat die Verhandlungsführung der anderen Seite im Laufe der Verhandlungen nicht eine Methode zur Berechnung vorgelegt, sondern verschiedene, die sich auch noch widersprechen: Mal waren die Aufstocker drin, mal waren sie draußen; mal wurde die Referenzgruppe auf 20 Prozent erweitert, mal nicht. Mit anderen Worten: Jedes einzelne Element der Berechnung der Bundesregierung findet sich genauso auch in den Vorschlägen der SPD wieder. Also können weder die einzelnen Elemente noch die Summe der Elemente falsch oder gar verfassungswidrig sein.

Sie mögen ein anderes Ziel als wir verfolgen: Sie wollen den Hartz-IV-Satz weiter erhöhen; Sie kämpfen um Mehrausgaben in Bund und Kommunen. Das ist Ihr Recht; aber das löst doch nicht die Probleme der Arbeitslosen. Mir scheint hier ein weiteres Argument wichtig: Wenn Sie heute im Bundesrat dem Gesetz in Gänze nicht zustimmen sollten, dann verweigern Sie den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern die Erhöhung und das Bildungspaket mit seiner nachhaltigen Finanzierung. Das kann nicht im Sinne der Betroffenen sein. Ermöglichen Sie den Kindern das Bildungspaket! Sie haben heute die Chance dazu.

Sie können politisch um Mehrheiten werben, wenn Sie wirklich glauben, dass es besser wäre, wenn die Hartz-IV-Sätze weiter erhöht würden. Aber wir von der Bundesregierung wollen unsere Kraft, unsere Energie und das Geld der Bürgerinnen und Bürger dafür verwenden, dass diese Menschen schneller wieder in Arbeit kommen. Wir wollen nicht Passivität und Abhängigkeit fortschreiben, sondern die Voraussetzungen für faire Arbeit schaffen und da, wo sie sich bieten, Chancen eröffnen. Vor allen Dingen wollen wir für die Kinder den Teufelskreis der vererbten Armut durchbrechen.

Zusammenfassend möchte ich festhalten: Alles, was wir vorgelegt haben, auch die Mindestlöhne für den Bereich der Zeitarbeit, für das Wach- und Sicherheitsgewerbe und für die Weiterbildungsbranche, fordern auch Sie. Sie wollen nur mehr. Für dieses Mehr gibt es heute aber keine politischen Mehrheiten. Wenn Sie das Gute, das Gemeinsame ablehnen, dann ist das aus meiner Sicht Blockade, die sich in diesem Fall nicht lohnt.

Wir sind Ihnen in den Verhandlungen weit entgegengekommen. Wir könnten den Kommunen fünf Milliarden Euro im Jahr mehr geben. Wir haben das Bildungspaket signifikant erweitert, um 350 Millionen Euro. Das ist zwar teuer, aber das ist gut investiertes Geld, weil es die Kommunen entlastet und die Chancen der Kinder verbessert.

Alle diese Verbesserungen stehen heute auf dem Spiel. Deshalb bitte ich Sie, nicht das Maximale zu fordern. Machen Sie das, was heute möglich ist! Beschreiten Sie den Weg, den wir gemeinsam gefunden haben! Die Hartz-IV-Empfänger im Land, insbesondere die Kinder, werden es Ihnen danken und wir selbstverständlich auch.


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Quelle:
Bulletin Nr. 18-1 vom 11.02.2011
Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen,
in der Debatte zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und ihrer Kinder
vor dem Deutschen Bundestag am 11. Februar 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2011