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REDE/059: Dr. Kristina Schröder zu neuen Perspektiven für Jungen und Männer, 14.04.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, zu neuen Perspektiven für Jungen und Männer vor dem Deutschen Bundestag am 14. April 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor ein paar Wochen, am 8. März, haben wir den 100. Weltfrauentag gefeiert. Er steht für all die Rechte, die sich Frauen hart erkämpft haben. Seit 1999 gibt es auch einen Internationalen Männertag. Was aber die öffentliche Aufmerksamkeit betrifft, kann dieser Internationale Männertag mit dem Weltfrauentag bei weitem nicht mithalten. Er bewegt sich eher auf dem Niveau des Welttags für die Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürre.

Dieses Aufmerksamkeitsgefälle zwischen Frauentag und Männertag ist symptomatisch für eine Schieflage in der Gleichstellungspolitik. Wenn wir über Gleichberechtigung reden, reden wir vor allem über Frauenpolitik. Die Bedeutung der Jungen- und Männerpolitik in der Gleichstellungspolitik wird immer noch unterschätzt. Das müssen wir ändern, und zwar sowohl im Interesse der Männer als auch im Interesse der Frauen.

Wir wollen Gleichberechtigung - nicht als Ergebnisgleichheit, sondern als Chancengleichheit. Der Schlüssel zur Gleichberechtigung der Geschlechter ist die Gestaltungsfreiheit von Männern und Frauen, was ihren eigenen Lebensentwurf betrifft.

Wie sehr dabei Männerleben und Frauenleben voneinander abhängen, sehen wir zum Beispiel, wenn wir die Chancengleichheit im Berufsleben betrachten. Wir führen die Debatte um Frauen in Führungspositionen auch fast ausschließlich als eine frauenpolitische Debatte. Das ist ein Fehler. Fakt ist: Wenn in vielen Topführungspositionen 70- oder 80-Stunden-Wochen immer noch üblich sind, dann stehen das nur diejenigen durch, denen jemand zu Hause den Rücken freihält. Damit macht unsere Arbeitswelt eine traditionelle Rollenverteilung in der Partnerschaft quasi zu einer Art Karrierevoraussetzung.

Für das Prinzip "Karriere wird nach Feierabend gemacht" bezahlen viele Frauen also gleich doppelt: zum einen mit eingeschränkten Karrierechancen für sie selbst - wenn sie am Feierabend eben nicht Karriere, sondern die Kinder bettfertig machen - und zum anderen mit Verzicht auf Unterstützung durch den Partner, weil auch er sich diesem Prinzip beugen muss. Genau das ist doch der Punkt.

Glücklicherweise gibt es heute immer mehr Väter, die mehr von ihrer Familie haben wollen als ein Bild auf dem Schreibtisch. Auch sie bezahlen im Moment mit schlechteren Karriereaussichten, wenn sie ihre Prioritäten entsprechend setzen. Auch sie sind in stereotypen Rollenerwartungen gefangen, so wie vielleicht ihre Mütter vor 50 Jahren.

Wenn wir faire Chancen für Frauen wollen, dann müssen wir auch Männern die Chance geben, sich von Rollenmustern zu lösen, und zwar sowohl in der Familie als auch in der Arbeitswelt.

Union und FDP sagen: Männer- und Frauenpolitik stützen sich gegenseitig. Was man aus männer- und jungenpolitischer Sicht machen kann, zeigt der Antrag der Koalitionsfraktionen auf. Auch für mich als Ministerin hatte dieses Thema seit Beginn meiner Amtszeit höchste Priorität.

Deswegen hat heute in Deutschland zum ersten Mal bundesweit ein Boys' Day stattgefunden, ein Ereignis, an dem sich auf Anhieb 35.000 Jungen beteiligt haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Der Anklang, den dieser Boys' Day gefunden hat, hat meine eigenen Erwartungen bei weitem übertroffen. Dieser Tag ist auch international schon bekannt geworden. Ich freue mich sehr, dass heute mein norwegischer Kollege, der norwegische Minister für Kinder, Gleichstellung und soziale Inklusion, Audun Lysbakken, in Deutschland ist - er sitzt oben auf der Tribüne -, um sich den hiesigen Boys' Day anzuschauen.

Wir haben deswegen vor einigen Monaten einen Beirat für Jungenpolitik gegründet, ein Gremium, in dem nicht nur, wie sonst, Wissenschaftler und Praktiker zusammensitzen, sondern auch sechs Jungen aus ganz unterschiedlichen sozialen Milieus. Sie alle entwickeln Handlungsempfehlungen für die Jungen- und Männerpolitik. Ich sage Ihnen: Wenn wir uns das anschauen, dann können wir alle noch etwas lernen.

Wir haben das Programm "MEHR Männer in Kitas" gestartet. Mehr Männer in Kitas sind wichtig, um Männern neue Berufsaussichten zu ermöglichen, um Kindern von Anfang an zu zeigen, dass Erziehungsaufgaben von Frauen und Männern wahrgenommen werden können, und um mehr männliche Vorbilder zu haben. Männliche Vorbilder in den Kitas - das ist sowohl für die Jungen als auch für die Mädchen wichtig.

Wir haben auch für die sogenannten Vätermonate - eigentlich sind es die Partnermonate - beim Elterngeld gesorgt. Diese Monate sind ein riesiger Erfolg. Bevor wir das Elterngeld eingeführt hatten, haben nur 3,5 Prozent der Väter eine berufliche Auszeit für die Betreuung ihrer Kinder genommen. Jetzt sind es fast 25 Prozent. Das ist ein bemerkenswerter Wandel in so wenigen Jahren. Die Ausweitung der Anzahl der Vätermonate steht selbstverständlich nach wie vor auf unserer Agenda. Genauso wie alle anderen Maßnahmen, die wir geplant haben, unterliegt diese Maßnahme natürlich - der Neuigkeitswert dieser Aussage liegt genau bei null - auch dem Finanzierungsvorbehalt.

Noch eins will ich Ihnen von der Opposition sagen: Ihre Konzepte für eine Ausweitung der Anzahl der Vätermonate - Sie gehen teilweise so weit, zu fordern, der Staat solle vorschreiben, dass die Anzahl der Väter- und der Müttermonate hälftig, aktuell also sieben zu sieben, aufzuteilen sei - sind einfach nur Ausdruck eines Mehrs an Bevormundung, eines Mehrs an Umerziehung. Die Umsetzung dieses Konzepts würde für 90 bis 95 Prozent aller Paare bedeuten, dass ihnen das Elterngeld gekürzt wird. Das wird es mit uns nicht geben.

Schließlich hat die Bundesregierung vor einigen Wochen im Kabinett die Einführung einer Familienpflegezeit beschlossen. Die Familienpflegezeit ist auf Menschen ausgerichtet, die Vollzeitarbeitsplätze haben. Insofern ist die Familienpflegezeit auch auf Männer ausgerichtet. Diese bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf trägt dazu bei, dass die Pflege nicht weiter als rein weibliche Aufgabe wahrgenommen wird.

Es hat knapp 90 Jahre gedauert, bis ein Internationaler Männertag den Weltfrauentag ergänzt hat. Es hat zehn Jahre gedauert, bis zum Girls' Day ein Boys' Day hinzukam. Ich bin mir sicher: Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass zeitgemäße Politik Männer und Frauen gleichzeitig ansprechen muss. Die Zeit der Geschlechterkämpfe ist vorbei. Sorgen wir für die notwendige Gestaltungsfreiheit, damit Männer und Frauen Gleichberechtigung sowohl in der Partnerschaft als auch im Beruf leben können!


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Quelle:
Bulletin Nr. 42-1 vom 14.04.2011
Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Kristina Schröder, zu neuen Perspektiven für Jungen und Männer
vor dem Deutschen Bundestag am 14. April 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2011