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REDE/062: Ministerin von der Leyen zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag, 08.09.11 (BPA)


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Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 8. September 2011 in Berlin


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Ich möchte den Einzelplan des Ministeriums für Arbeit und Soziales einbringen.

Schauen wir uns einmal die Daten auf dem Arbeitsmarkt an: Die Zahl der Erwerbstätigen beträgt 41 Millionen. Seit der Wiedervereinigung ist sie noch nie so hoch gewesen. Darunter sind allein 28 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wir haben in der Krise mit sechs Millionen Arbeitslosen gerechnet. Heute haben wir stattdessen unter drei Millionen Arbeitslose. Bei den Langzeitarbeitslosen haben wir den niedrigsten Stand seit Einführung von Harz IV. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt deutlich unter zehn Prozent. Das ist die Hälfte der Quote, die wir im europäischen Durchschnitt zu verzeichnen haben.

Die von Angela Merkel geführte Regierung ist am Arbeitsmarkt die erfolgreichste deutsche Regierung der letzten 20 Jahre. Deshalb ist der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auch ein Haushalt, aus dem der Erfolg spricht.

Wir haben in der Krise für das Jahr 2012 noch mit 145 Milliarden Euro für diesen Haushalt geplant. Tatsächlich können wir heute mit knapp 127 Milliarden Euro für das nächste Jahr planen. Das macht 18 Milliarden Euro an Ersparnis - schlicht und einfach, weil mehr Menschen in Arbeit sind.

Mehr Menschen in Arbeit - das bedeutet nicht nur weniger Ausgaben für das Arbeitslosengeld, sondern auch höhere Steuereinnahmen für den Finanzminister durch mehr Löhne. Es fallen aber auch Zentnerlasten von der Bundesagentur für Arbeit, weil sie bei mehr Arbeit weniger Ausgaben für das Arbeitslosengeld und steigende Einnahmen durch mehr Beiträge in der Arbeitslosenversicherung hat.

Deshalb können wir auch die Bundesbeteiligung an der Arbeitsförderung schrittweise und früher zurückfahren. Das Darlehen der Bundesagentur für Arbeit wird in diesem Jahr voraussichtlich überschaubare zwei Milliarden Euro betragen. Im nächsten Jahr wird es nicht mehr nötig sein. Ab 2014 kann die Bundesagentur für Arbeit bereits wieder anfangen, eine Rücklage zu bilden. Auch aus diesen Zahlen spricht der Erfolg.

Wir haben im Augenblick rund eine Million offene Stellen. Die Unternehmen suchen händeringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das bedeutet auch, dass wir in der Arbeitsmarktförderung die Schwerpunkte jetzt richtig setzen müssen. Wir können nicht mehr die Rezepte aus den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit anwenden, wo es in der Tat schwierig war, Beschäftigung zu finden, und sehr viele Menschen in künstlicher Beschäftigung gehalten worden sind, um Struktur in den Alltag zu bekommen und um Beschäftigung - zumindest künstlich - aufrechtzuerhalten. Nein, wir müssen jetzt in der Arbeitsmarktförderung die Schwerpunkte konsequent auf Aktivierung, Qualifizierung und Weiterbildung setzen. Das spricht auch aus den Zahlen dieses Haushaltsplans.

Dass sich diese neue Schwerpunktsetzung auf passgenaue Lösungen lohnt, zeigt die Weichenstellung des vergangenen Jahres. Der Bundestag hat Mittel für eine Förderoffensive für Alleinerziehende bereitgestellt. Wir haben jetzt ein Jahr Zeit gehabt, die neuen Instrumente passgenau zu nutzen, und können sagen, dass diese Frauen - in 95 Prozent der Fälle sind es Frauen - mit den Kindern die Netzwerke der Unterstützung brauchen, um Arbeit zu finden und annehmen zu können.

Die Ergebnisse können sich sehen lassen; denn der Rückgang der Arbeitslosigkeit bei den langzeitarbeitslosen Alleinerziehenden - einer Gruppe, bei der sich über Jahre keinerlei Bewegung zeigte - ist inzwischen höher als der Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit überhaupt. Das zeigt, dass die Einführung dieser passgenauen Instrumente und dieser individuellen, auf die Gruppen hin ausgerichteten Betreuung die richtige Antwort gewesen ist.

Inzwischen haben wir nämlich festgestellt, dass die Haltung, es habe keinen Zweck, diese Frauen in Arbeit zu vermitteln, weil sie sich um Kinder kümmern müssten, nicht mehr richtig ist, sondern dass umgekehrt ein Schuh daraus wird: Gerade weil die Frauen Kinder haben, brauchen sie die Hilfe durch Kinderbetreuung, familienfreundliche Arbeitsplätze und Netzwerke im Alltag, damit sie ihr eigenes Einkommen verdienen sowie für ihre Rente sorgen können und damit auch für sich und die Kinder Zukunft und Perspektive finden.

Der nächste Schwerpunkt, der mir wichtig ist, ist Weiterbildung und Qualifizierung. 2005 haben wir bei fünf Millionen Arbeitslosen zwei Milliarden Euro in Weiterbildung investiert. Heute, bei weniger als drei Millionen Arbeitslosen, haben wir die Mittel auf drei Milliarden Euro gesteigert. Das heißt: Wir investieren ganz gezielt in Weiterbildung, weil das auch die Grundlage dafür ist, dass wir in der Zukunft ausreichend Fachkräfte haben.

Besonders wichtig ist mir der Schwerpunkt bei den jungen Menschen. Wir investieren dafür 3,2 Milliarden Euro in den Bereichen SGB II und SGB III aus Steuer- und Beitragsmitteln. Im laufenden Jahr wird es noch mehr sein als im vergangenen Jahr. Das ist klug investiertes Geld. Davon profitieren 500.000 junge Menschen im Übergang von der Schule in Ausbildung und Lehre und dann hoffentlich auch in den Beruf. Viele der Jugendlichen haben multiple Schwierigkeiten. Häufig fehlt der Schulabschluss; es gibt soziale Schwierigkeiten und Probleme, die Lehre durchzuhalten.

Dieses Engagement wird die Bundesregierung mit der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente weiter verstärken und verstetigen.

Weil Sie gerade so munter dazwischenrufen, Herr Heil: Sie haben vorhin die niedersächsischen Jugendwerkstätten angesprochen. Sie liegen mir sehr am Herzen, weil ich sie als niedersächsische Sozialministerin mit aller Kraft unterstützt habe. Das gilt auch heute noch. Es geht aber nicht an, dass das Geschäftsmodell dafür genutzt wird, um junge Menschen in Ein-Euro-Jobs zu bringen. Junge Menschen haben in Ein-Euro-Jobs nichts zu suchen. Sie brauchen Aktivierung und Qualifizierung.

Ich kann aus dem Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zitieren, das übrigens im Auftrag des Hamburger Senats erstellt wurde. Darin heißt es:

"Ein langzeitarbeitsloser Ein-Euro-Jobber hat geringere Chancen auf einen regulären Job als ein Langzeitarbeitsloser, der überhaupt keine Förderung bekommt."

Das heißt, wir müssen fragen: Was bewirken eigentlich die Ein-Euro-Jobs?

Bei den Jugendlichen sind mir Qualifizierung und Aktivierung wichtig. Deshalb müssen wir die Arbeit der Jugendwerkstätten auf solide und nachhaltige Grundlagen stellen, statt weiterhin auf die Mogelpackung Ein-Euro-Job zurückzugreifen. Da gehören die Jugendlichen nicht hinein. Qualifizierung, Aktivierung und Weiterbildung: Das muss die Grundlage für die Jugendwerkstätten sein.

Herr Heil, zu Ihrer Frage in diesem Zusammenhang: Jugendliche gehören nicht in Ein-Euro-Jobs. Ich glaube, darin sind wir uns einig. Das ist bisher die Finanzierungsgrundlage gewesen, und das war nicht richtig. Jugendliche brauchen vielmehr Qualifizierung und Aktivierung. Genau darauf stellen wir um.

Deshalb werden am morgigen Tag das Bundesarbeitsministerium, das niedersächsische Sozialministerium, die Jobcenter und die Träger zusammentreffen, um diese passgenaue neue Finanzierung für die gute Arbeit der Jugendwerkstätten sicherzustellen.

Deshalb bitte ich Sie, nicht länger so zu tun, als wäre das der Zusammenbruch der Jugendwerkstätten, nur weil wir die Bezahlung für die Arbeit der Jugendwerkstätten von der Mogelpackung Ein-Euro-Jobs auf eine nachhaltige, solide Finanzierungsgrundlage stellen.

Zweitens zum Gründungszuschuss. Wir haben offensichtlich beide das Gutachten gelesen, aber Sie haben den zweiten Teil nicht zitiert, nämlich dass es bei 70 Prozent derer, die den Gründungszuschuss in Anspruch genommen haben, um Mitnahmeeffekte geht. Das hat auch das IAB so bezeichnet.

Daraus spricht die Erkenntnis:

Wenn sich jemand selbstständig machen will, dann muss er erstens ein solides und tragfähiges Konzept haben - das setzen wir voraus - und

sich zweitens auch relativ früh, also in einer absehbaren Zeit, dafür entscheiden, statt erst in der Langzeitarbeitslosigkeit - oder bevor diese eintritt - eine Notgründung zu machen. Den Effekt dieser Notgründungen sehen wir daran, dass 120.000 Selbstständige zusätzlich Aufstocker sind. Das kann doch nicht das Ziel einer Gründung sein, und das in einer Zeit, in der es offene sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gibt, die die Menschen besetzen können.

Deshalb: Weg von den alten Rezepten aus der Zeit der Massenarbeitslosigkeit. Damals waren sie richtig, aber heute sind sie nicht mehr adäquat. Wir müssen weg von der künstlichen Beschäftigung.

Die Ein-Euro-Jobs sind richtig für Menschen, die derzeit, wo der Arbeitsmarkt aufnahmefähig wie ein Schwamm ist, überhaupt keine Chance haben. Aber ein großer Teil der Langzeitarbeitslosen bekommt jetzt eine neue Chance. Das sieht man auch daran, dass wir zwar die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gekürzt haben, die Langzeitarbeitslosigkeit aber nicht gestiegen ist. Im Gegenteil, sie ist gesunken. Das zeigt, dass die Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeit gefunden haben.

Jetzt komme ich zum zweiten Teil, nämlich zum Thema Rente.

Mir ist wichtig, zu sagen, dass die Menschen bei dieser Arbeitsmarktlage nicht nur mehr Chancen haben, in Arbeit zu kommen, sondern dass auch mehr Beiträge in die Sozialversicherung gezahlt werden. Damit haben wir mehr Möglichkeiten, eine demografiefeste Vorsorge für das Alter zu schaffen. Wir haben ein stabiles, ein demografiefestes Rentensystem, für das wir international gelobt werden. Die OECD sagt, dass die Leitplanken, die aufgestellt worden sind - Berechenbarkeit der Entwicklung des Beitragssatzes, Entwicklung des Rentenniveaus und private Vorsorge als zweites Standbein -, vorbildlich sind.

Ich möchte die beiden Grundprinzipien herausstellen.

Das erste Grundprinzip ist, dass die Rente aufgrund von
Arbeitseinkommen und privater Vorsorge möglich ist, und

das zweite Grundprinzip ist, dass die Beiträge die jüngere Generation nicht überfordern.

Wenn die Linke jetzt jedem eine Durchschnittsrente zahlen will, dann schert sie alle über einen Kamm. Dann ist es ganz egal, ob sich ein Geringverdiener ein ganzes Leben lang krummgelegt und hart gearbeitet hat oder ob jemand überhaupt nicht gearbeitet hat. Das unterhöhlt die Fundamente unseres Rentensystems und ist ungerecht. Das wollen wir nicht. Die Rente muss der Lohn für die eigene Lebensleistung bleiben.

Wir haben im Augenblick die Situation, dass die große Mehrheit der Älteren, also derjenigen über 65 Jahre, eine eigene Rente hat. Es handelt sich um 97,5 Prozent. Wir wissen aber auch, dass in Zukunft Familienstrukturen und Erwerbsbiografien vielfältiger werden. Es gibt Zeiten der Ganztagsarbeit, der Teilzeit, Arbeit mit geringem Einkommen, unsichere Arbeitsverhältnisse und so weiter. Wir müssen dafür sorgen, dass in Zukunft gerade Menschen mit geringem Einkommen oder mit verschiedenen Aufgaben - Kindererziehung, Pflege, Teilzeitjobs - wissen, dass auch sie sich eine eigene Rente verdienen können; denn eine Gesellschaft im demografischen Wandel lebt davon, dass die Menschen arbeiten, Kinder erziehen und Ältere pflegen.

Mir geht es vor allem um Frauen, die in den 50er, 60er und 70er Jahren geboren wurden und die ihre Kinder in den letzten Jahren großgezogen haben. Diese haben keine Kindergartenplätze gehabt, ganz zu schweigen von einem Krippenplatz. Das Wort "Ganztagsschule" ist ein Fremdwort gewesen. Die Unternehmen hatten mit dem Thema "Vereinbarung von Familie und Beruf" noch nichts am Hut. Wenn die Frauen gearbeitet haben, haben sie Jobs mit geringen Einkommen gehabt. Seit zehn Jahren wissen sie, dass sie privat vorsorgen müssen. Das heißt, sie müssen riestern, wenn es irgendwie geht. Diese fragen sich zu Recht, ob sie eine eigene Rente haben werden, wenn sie all das geleistet haben, oder ob sie in der Grundsicherung landen werden. Das Gleiche gilt für den Geringverdiener, der 35 Jahre lang gearbeitet hat, aber nur wenig Einkommen erzielt hat. Er fragt sich: Habe ich zum Schluss eine eigene Rente? Lohnt es sich überhaupt, zu riestern, wenn die Riester-Rente auf die Grundsicherung angerechnet wird?

An diese Schwachstelle müssen wir heran. Wir möchten deshalb im Rentendialog der nächsten Monate vorschlagen, eine Zuschussrente einzuführen. 850 Euro sollen diejenigen erhalten, die ein Leben lang etwas geleistet und die für das Alter vorgesorgt haben. Arbeit, Kindererziehung, Pflege und - seitdem es in den letzten Jahren möglich ist - private Vorsorge, das heißt riestern, hochgefördert vom Staat, sind dafür die Kriterien. Die Botschaft muss sein: Arbeit lohnt sich, und private Vorsorge zahlt sich, wenn man ein Leben lang arbeitet, aus.

Es gibt rund 20.000 Personen, auf die das zutrifft. Man muss allerdings auch wissen, dass im Augenblick rund 18.000 jährlich in die Grundsicherung fallen. Das zeigt andererseits, dass von 800.000 Menschen eines Jahrgangs, der in Rente geht, die ganz große Mehrheit ihre eigene Rente bezieht. Das ist gut. Wir müssen aber auch vorbeugen, damit das so bleibt. Deshalb ist mir wichtig, dass wir hier die richtigen Schwerpunkte setzen.

Wir wollen auch die Zurechnungszeiten bei der Rente wegen Erwerbsminderung weiter absichern. Wir wollen mehr Freiraum für Hinzuverdienste geben. So wichtig es auch ist, die voraussichtliche Rentenhöhe immer wieder zu überprüfen: Wir können mit der Rente selber niemals einen vollen Ausgleich für die Veränderungen im Erwerbsleben in den 30 bis 40 Jahren vor Renteneintritt schaffen. Eine nachhaltige Rentenpolitik beginnt nicht erst im Rentensystem, sondern sie reicht von Krippenplätzen - Gott sei Dank gibt es ab 2013 einen Rechtsanspruch auf Krippenplätze - über Ganztagsschulen, Tagesambulanzen für Demenzkranke, Vätermonate bis hin zu Pflegezeiten und fairen Löhnen. All das ist das Fundament für eine nachhaltige Rentenpolitik.

Ich komme zum Schluss. Wir haben heute Morgen in diesem Haus über die Schuldenspirale europäischer Länder gesprochen. Deutschland geht es gerade gut. Ich sage: Jetzt ist die richtige Zeit für die richtigen Anreize.


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Quelle:
Bulletin Nr. 87-3 vom 08.09.2011
Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen,
zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 8. September 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2011