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WOHNEN/135: Sich Raum nehmen - Lokale Initiativen in Dakar und Wien (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 137, 3/16

Sich Raum nehmen

Lokale Initiativen in Dakar und Wien

von Manuela Wade


Nicht zufriedenstellende Lebensbedingungen in Städten sind gerade vor dem Hintergrund von Urbanisierung auf lokaler Ebene Auslöser für Initiativen der Bevölkerung. Über gemeinsame Aktivitäten kann die Identifikation mit der eigenen Nachbarschaft gestärkt werden. Neue Räume für soziale Interaktion werden dadurch geschaffen.


Dakar und Wien - zwei unterschiedliche Städte, zwei unterschiedliche Kontinente. Die Hauptstadt des westafrikanischen Staates Senegal war das Resultat kolonialer französischer Stadtplanung. Infolgedessen gibt es bis heute eine stark zentralisierte Verwaltung und räumliche Trennung von ehemaligen Kolonisator_innen und der "einheimischen" Bevölkerung. In den 1980er-Jahren setzten Reformen zur Dezentralisierung ein. Das Agglomerat Cap Vert wurde in die "communes" Dakar, Pikine und Rufisque-Bargny unterteilt. Heute hat jede dieser "communes" ihre eigene Gemeindeverwaltung bzw. einen eigenen Gemeinderat, der den jeweiligen Bürgermeister wählt.

Die räumliche Trennung führte dazu, dass die von der "einheimischen" Bevölkerung bewohnten Stadtteile aufgrund des Zuzugs von Menschen aus ländlichen Gebieten bald aus allen Nähten platzten - und neue Viertel oft informell gebaut wurden. Der Bevölkerungszuwachs Dakars hält immer noch an, es gibt daher im gesamten Stadtgebiet kaum mehr freie Flächen.

Auch die Bevölkerung Wiens wächst seit einigen Jahren. Das war nicht immer so. Nachdem Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts als kaiserliche Reichshaupt- und Residenzstadt der Habsburgermonarchie mehr als zwei Millionen Einwohner_innen hatte, nahm die Bevölkerungszahl mit dem Ende der Monarchie kontinuierlich ab. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs steigt sie wieder. Wien ist räumlich gesehen konzentrisch aufgebaut. Das heißt, dass sich die inneren und äußeren Stadtteile sozial abfallend um das Zentrum gruppieren. Die (ehemaligen) Arbeiter_innenbezirke befinden sich außerhalb des Gürtels und vor allem im Südosten der Stadt.


Welcher Raum wird von wem beansprucht?

Schon die räumliche Entwicklung und Anordnung der beiden Städte zeigt, dass Raum sozial ungleich verteilt ist - einige soziale Gruppen können mehr beanspruchen als andere. Und Raum wird unterschiedlich wahrgenommen. Diese Wahrnehmungen des räumlichen Umfeldes sind abhängig von der jeweiligen Position von Menschen in der Gesellschaft, ihren alltäglichen Erfahrungen sowie den damit verbundenen Vorstellungen - und nicht zuletzt von geschlechtsbasierten Zuordnungen. Wir alle kennen die konstruierte Dichotomie von Öffentlichkeit und Privatheit: Männern wird der öffentliche Raum zugeschrieben, Frauen der private. Das hat Auswirkungen darauf, wie Städte geplant werden und wo wir uns selbst in ihnen verorten.

Um das etwas konkreter zu machen, können wir uns selbst die Frage stellen, womit wir "unsere" Stadt identifizieren: mit einzelnen Sehenswürdigkeiten in der Innenstadt, mit der eigenen Wohnung, oder vielleicht mit Plätzen, an denen wir uns oft aufhalten und mit Freund_innen treffen? Am letzten Beispiel wird deutlich, dass wir uns hierbei nicht nur an Gebäuden orientieren, sondern auch an bestimmten Personen.

Vor allem in unserer direkten räumlichen Umgebung, unserer Nachbarschaft, unserem Stadtviertel, interagieren wir miteinander. Hier zeigen sich soziale Konflikte, wenn beispielsweise statt geförderten Mietwohnungen teure Eigentumswohnungen gebaut werden, die sich viele Bevölkerungsgruppen nicht mehr leisten können. Oder wenn vormals soziale Treffpunkte - wie der/die Greissler_in ums Eck oder Jugendtreffs - verloren gehen, weil sie nicht rentabel sind. Das erzeugt persönliche Betroffenheit und ist oft der Ausgangspunkt für lokale Initiativen.


Verbesserung des Lebensumfeldes

Die rasante Urbanisierung in Dakar hatte und hat auch Auswirkungen auf die infrastrukturelle Versorgung. Gerade in den informell erschlossenen Stadtteilen haben sich daher Initiativen der lokalen Bevölkerung gebildet, die sich nicht zuletzt um die Bereitstellung von (materiellen) Grundbedürfnissen kümmern. Eine von ihnen ist die Wohnungskooperative der Frauen von Grand Yoff (Coopérative de l'Habitat des Femmes de Grand Yoff). Sie wurde 1991 als Reaktion auf die zahlreichen Überschwemmungen und den Mangel an unbebauten Grundstücken in diesem Stadtviertel gegründet.Die Kooperative verwaltet und parzelliert Grundstücke in der Peripherie von Dakar. Ziel ist es, Frauen beim Erwerb dieser Grundstücke sowie von Baumaterialien zu unterstützen. Sie sollen ermutigt werden, selbst Häuser für sich und ihre Familien zu bauen. Die Warteliste ist allerdings lang - und viele Frauen wollen aus ihrem Viertel nicht wegziehen, da sie dort ihre sozialen Kontakte und die nötige Infrastruktur haben. Einige von ihnen haben sich daher weiteren lokalen Initiativen angeschlossen. Gemeinsam mit anderen Personen aus der Nachbarschaft reinigen sie ihr Viertel, informieren über gesundheitliche Aspekte oder gründen selbst Schulen und Gemeindezentren, die als soziale Anlaufstellen dienen.

Der Wunsch, das eigene Wohn- und Lebensumfeld zu verbessern, ist auch in Wien Auslöser für die Gründung von lokalen Initiativen. Eine davon befindet sich im Triester Viertel in Favoriten. Hier steht weniger der Ausbau von infrastrukturellen Einrichtungen im Vordergrund, vielmehr sollen der Bezug zum eigenen Viertel und soziale Interaktionen gefördert werden. Vor allem pensionierte Frauen ohne Migrationshintergrund sind engagiert. Die Initiator_innen haben eine lokale Zeitung herausgegeben, Veranstaltungen zur Belebung der lokalen Einkaufsstraße organisiert und Erinnerungstafeln im Viertel aufgehängt.

Dass sich in Wien Menschen allerdings schwer zur Eigeninitiative bewegen lassen, ist eine Erfahrung, welche die Gruppe mit der lokalen Gebietsbetreuung teilt. Auch diese versucht, Interessen der Bewohner_innen in den Stadtentwicklungsprozess einzubringen, beispielsweise über Wohnberatungen, Feste oder Viertelspaziergänge.


"Mikrokosmos Stadtviertel"

Trotz aller Unterschiede zwischen den beiden Städten Dakar und Wien lassen sich doch auch einige Gemeinsamkeiten in Bezug auf Partizipation im Rahmen von lokalen Initiativen finden: Die Initiativen werden als Instrument zur Aufwertung der eigenen direkten räumlichen Umgebung gesehen und sollen so durch Schaffung einer lokalen Gemeinschaft oder eines Ortes zur Identifikation beitragen. Dadurch wird das Viertel verändert, und es werden neue Möglichkeiten zur Interaktion geschaffen.

Das macht deutlich, dass sich gesamtgesellschaftliche Entwicklungen - wie steigende Wohn- und Lebenskosten, aber auch Proteste dagegen und Initiativen zur Verbesserung eben dieser Lebensbedingungen - auf lokaler Ebene im "Mikrokosmos Stadtviertel" widerspiegeln. Nachbarschaft ist nicht etwas, das wir vorfinden, sondern ein Ort, den wir - auf Basis unserer Ideale, Interessen und Alltagserfahrungen - selbst erleben und herstellen. Gerade auch für feministische Bewegungen bietet dies entscheidende Anknüpfungspunkte.


Literaturtipp:
Manuela Wade (2015) Mikrokosmos Stadtviertel: Lokale Partizipation und Raumpolitik. Bielefeld: transcript Verlag.

Zur Autorin:
Manuela Wade beschäftigt sich schon länger mit Fragen zu politischer Partizipation und sozialen wie räumlichen Ungleichheiten und Armut, seit letztem Jahr im Rahmen einer NGO. Sie ist externe Lektorin an der Universität und lebt in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 137, 3/2016, S. 18-19
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2016

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