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GRIECHENLAND/001: Die "Empörten" von Griechenland (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 27. Mai 2011

Die »Empörten« von Griechenland
Nach dem spanischen Vorbild protestierten »empörte Griechen« in fast allen großen Städten des Landes

Von Heike Schrader, Athen


Der berühmte »Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte«, war wahrscheinlich sogar eine Falschmeldung: »Indignados« in Madrid hätten ironisch zur Stille aufgerufen, »um die Griechen nicht aufzuwecken«. Diese wie ein Lauffeuer auf diversen griechischen Blogs verbreitete Nachricht, schaffte, was ähnlich lautende Aufrufe nach Beginn der Aufstände in Tunesien oder Ägypten nicht geschafft hatten: Überall im Land trafen sich am Mittwochabend tausende und abertausende »Empörte« auf den zentralen Plätzen der Städte.

Allein in Athen versammelten sich mehrere zehntausend Menschen auf dem Syntagma-Platz, dem Platz der Verfassung, direkt vor dem griechischen Parlament. Spontan, friedlich und unabhängig von jeglicher Parteizugehörigkeit gaben sie ihrer Empörung über die Verhältnisse im Lande Ausdruck. Bis tief in die Nacht hinein - die letzten wenigen hundert Teilnehmer verließen den Platz erst am Donnerstagmorgen - protestierten sie gegen die brutalsten Sparmaßnahmen, die sie je erlebt haben, vor allem aber gegen diejenigen, die in ihren Augen dafür verantwortlich sind. »Diebe, Diebe«, wurde wie schon bei anderen Gelegenheiten den »Volksvertretern« im Parlament zugerufen. »Wir sind wach und es ist Zeit für euch zu gehen«, stand in Anlehnung an den Auslöser in spanischer Sprache auf einem der wenigen Transparente. »Alles für Alle« lautete die Botschaft auf einem anderen. Für Donnerstagabend (nach Redaktionsschluß) wurde zu einer Fortsetzung der Proteste aufgerufen. Auch in Thessaloniki, Griechenlands zweitgrößter Stadt, versammelten sich Mittwochabend tausende »Empörte« auf dem Platz um den »Weißen Turm«. Bis tief in die Nacht forderten sie die Herrschenden auf, »den Hubschrauber zu nehmen und abzuhauen«.

In der organisierten Linken wird der Aufbruch der »Empörten« zwiespältig diskutiert. Niemand dürfe daran zweifeln, daß es »bei einem verschlissenen bürgerlichen System« viele Menschen gebe, die »einen Ausweg aus dem Druck suchen, den die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen« ausübe, kommentierte die kommunistische Tageszeitung »Rizospastis« den Menschenauflauf. »Von dort bis zur Erkenntnis, dem Verständnis und letztendlich dem Angriff auf die tatsächlichen Verursacher dieser Verschlechterungen aber hat das Bewußtsein einen langen und schwierigen Weg vor sich.«

Im alternativen Internetportal athens.indymedia.org schwanken die Meinungen zwischen dem Aufruf, sich mit den eigenen anarchistischen und autonomen Vorstellungen einzubringen, und der Einschätzung, daß der Protest in Kürze ebenso schnell wieder in sich zusammenfallen werde, wie er entstanden sei. Als verdächtig wurde allgemein die außergewöhnlich positive und umfassende Berichterstattung über die Proteste in den Abendnachrichten gesehen. Gleichzeitig warnten viele Kommentatoren im unabhängigen Internet davor, das Feld nicht den Rechten zu überlassen, die sich erfahrungsgemäß in derartige Proteste mischen.


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2011