Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → UNO

FRAGEN/012: UNCTAD-Chef Mukhisa Kituyi - Hoffnungen und Ungleichheit im Zuge der Globalisierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Juni 2014

Entwicklung: Immense Hoffnungen und Ungleichheit im Zuge der Globalisierung - UNCTAD-Chef Mukhisa Kituyi im Interview

von Gustavo Capdevila


Bild: © UNCTAD

UNCTAD-Generalsekretär Mukhisa Kituyi in seinem Büro
Bild: © UNCTAD

Genf, 17. Juni (IPS) - Vor 50 Jahren wurde die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) gegründet, um gegen die weltweite wirtschaftliche und soziale Ungleichheit anzugehen. Doch diese Ungleichheit hat sich seither verschärft, wie UNCTAD-Generalsekretär Mukhisa Kituyi im Interview mit IPS berichtet. Das zeigt sich darin, dass immer mehr reiche Länder betroffen sind, und "manche Einzelpersonen wohlhabender als ganze Staaten sind".

Ihre Existenz verdankt die UNCTAD mit Sitz in Genf dem globalen Süden, der die Gründung vorangetrieben hatte. Deshalb gilt sie als Organisation der armen Staaten. Am 16. Juni 1964 seien die Mitgliedstaaten übereingekommen, dass "wirtschaftliche Entwicklung und sozialer Fortschritt gemeinsame Anliegen der gesamten internationalen Gemeinschaft sein sollten", erinnerte Kituyi an das Credo der Entwicklungsländer.

In die Resolution der UN-Vollversammlung zur Gründung der UNCTAD wurden auch die wichtigsten Zielsetzungen aufgenommen. So soll die Konferenz Richtlinien und Strategien entwerfen, um die Staaten des Südens zu befähigen, am globalen Handel teilzunehmen, und um die handels- und entwicklungsrelevanten Probleme zu lösen.

Kituyi zufolge geht die Resolution über die Prinzipien hinaus, die zur Gründung der Bretton-Woods-Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) sowie des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), dem Vorläufer der Welthandelsorganisation (WTO), führten.


Organisation der Armen

Ihre einzigartigen Merkmale und engen Beziehungen zum globalen Süden haben die UNCTAD immer wieder in die Schusslinie des industrialisierten Nordens und dessen Institutionen gebracht. In den 50 Jahren ihrer Existenz sah sie sich mit einer Reihe vergeblicher Versuche konfrontiert, ihre pro-südliche Perspektive zu verschieben und ihr Budget zu beschneiden.

Kituyi, der die UNCTAD seit September 2013 leitet, spricht im nachfolgenden Interview über die Herausforderungen und Visionen der Organisation im Kampf gegen die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit.

IPS: Wie reagiert die Gesellschaft auf die heutige Ungleichheit?

Mukhisa Kituyi: Die ungleiche Verteilung von Einkommen und Reichtum erzürnt die Menschen und hat eine öffentliche Debatte in Gang gesetzt, wie wir sie seit mehr als einer Generation nicht mehr erlebt haben. Auf der ganzen Welt kommen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen und politischen Hintergründen zu der Überzeugung, dass eine ungleiche Gesellschaft nicht nur ungerecht, sondern auch unproduktiv ist.

IPS: Können Sie das an einem Beispiel festmachen?

Kituyi: Die Ungleichheit genießt unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, wie der überraschende Siegeszug des Buches 'Das Kapital im 21. Jahrhundert' des Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Picketty gezeigt hat. Diskussionen über die Einführung globaler Steuern (wie von Picketty vorgeschlagen) zur Verringerung der Ungleichheiten, wären vor einem Jahrzehnt noch undenkbar gewesen. Sie haben die Printmedien, Rundfunk- und Fernsehsender erreicht und machen sogar vor den konservativsten und bisher indifferentesten Medien nicht mehr Halt.

Die Popularität des Buches von Professor Picketty reflektiert die Erkenntnis einer ganzen Gesellschaft, dass nicht nachhaltige Wirtschaftspraktiken, die zu einer Überakkumulation von Reichtum führen, nicht nur ungerecht sind, sondern Krisen und Stagnation und sogar Konflikte mit sich bringen können.

Bei den Vereinten Nationen in New York stimmen nun Diplomaten aus allen Teilen der Welt die Nachhaltigkeitsziele ab, die an dem Punkt fortsetzen, wo die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) 2015 stehen bleiben. Jenseits der offensichtlichen ökologischen Sorgen im Zusammenhang mit dem Klimawandel nehmen in den Gesprächen wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeitsfragen ebenfalls einen besonderen Stellenwert ein.

IPS: Was wird mit Blick auf das Problem der Ungleichheit angestrebt?

Kituyi: Auf der Prioritätenliste der UN-Mitgliedsländer steht das Ziel, die Ungleichheit in und zwischen den Ländern bis 2030 zu verringern. Es ist das Produkt der Erkenntnis einer zunehmenden Mehrheit, dass die Auswirkungen der Ungleichheit einen dauerhaften Wohlstand verhindern.


"Abneigung gegen Ungleichheit"

Unser neu entdecktes Bedürfnis, die Ungleichheit zu verringern und Wohlstand für alle zu schaffen, gründet auf einer starken Abneigung gegen die Ungleichheit, deren Bekämpfung sich die Vereinten Nationen in den letzten 50 Jahren auf ihre Fahnen geschrieben haben.

IPS: Was bedeutet dies im Fall Ihrer Organisation?

Kituyi: Als die UNCTAD vor 50 Jahren gegründet wurde, forderten unsere Mitgliedstaaten die Abschaffung einer Welt, die in Arm und Reich aufgeteilt ist, und Wohlstand für alle.

IPS: Was hat sich zum Positiven verändert?

Kituyi: Entscheidend geändert hat sich die Natur der Ungleichheit, mit der wir uns heute konfrontiert sehen. Die neue globale Wirtschaft hat zweierlei gebracht: immense Hoffnungen und ebenso immense Ungleichheiten.

Ein halbes Jahrzehnt nach der Gründung der UNCTAD konnten wir einerseits einen vielversprechenden Niedergang der Ungleichheit etwa zwischen den BRICS-Entwicklungsländern (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) verzeichnen. Andere Länder wiederum konnten ein bemerkenswertes Wachstum und bescheidene Erfolge in dem Bemühen vorweisen, die Strukturen ihrer Wirtschaft von einem Agrar- zu einem Industrie- und Dienstleistungsland zu verändern.

IPS: Welche Strategien haben zu solchen Entwicklungen geführt?

Kituyi: Vor fast 15 Jahren, als wir die MDGs formulierten, lag der Fokus noch immer auf der Verringerung der Ungleichheit zwischen den Ländern und der Verringerung der extremen Armut durch wirtschaftliches Wachstum. Die Globalisierung jedoch, die die weltweite Armut in den vergangenen 20 Jahren halbiert hat, wirkte wie ein zweischneidiges Schwert. Sie ließ weniger gut dastehende Menschen sowohl in den ärmsten als auch in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Stich.

IPS: Welche Strategien sind nun gefragt?

Kituyi: Die Bedeutung, die dem multilateralen System bei der Bereitstellung globaler öffentlicher Güter zukommt, um die Verlierer der Globalisierung zu entschädigen, war nie größer. Deshalb sind wir uns 50 Jahre nach unserer Gründung sehr wohl bewusst, dass wir den inklusiven Raum für einen Dialog, wie ihn unsere Organisation bereitstellt, mehr denn je brauchen.


Instrumente zum Wohl aller umfunktionieren

Um die Ungleichheiten in unseren Mitgliedsstaaten zu verringern, muss Handel ermöglicht und nicht verhindert werden. Der Finanzsektor muss konstruktiv, nicht destruktiv agieren. Der technologische Fortschritt muss den Interessen aller gesellschaftlichen Segmente zugute kommen.

IPS: Wie lässt sich all dies in die Praxis umsetzen?

Kituyi: Erforderlich sind gut durchdachte nationale Entwicklungsstrategien - vor allem in den ärmsten Ländern der Welt und in Afrika -, an denen die UNCTAD mit ihren besonderen Sachkenntnissen mitwirken kann. Auf dem Weg in die zweite Hälfte des neuen Jahrhunderts werden wir unsere Arbeit verstärken, damit wir Entwicklungs- und Industrieländern in diesen wichtigen Bereichen helfen können. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/06/qa-some-individuals-are-now-as-wealthy-as-entire-countries/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. Juni 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2014