Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → UNO


ORGANISATION/567: Kampftruppen statt Blauhelme? Teure Friedensmissionen auf dem Prüfstand (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. September 2015

UN: Kampftruppen statt Blauhelme? - Teure Friedensmissionen auf dem Prüfstand

von Thalif Deen


NEW YORK(IPS) - Im Jahr ihres 70. Gründungsjubiläums unterziehen die Vereinten Nationen ihre 16 Friedensmissionen einer gründlichen Überprüfung. Im Zeitraum 2015 bis 2016 werden diese Einsätze stolze 8,3 Milliarden US-Dollar kosten.

Die militärischen Konflikte breiten sich unterdessen vor allem in Afrika weiter aus. Betroffen sind Staaten wie Côte d'Ivoire, die Demokratische Republik Kongo, Liberia, Mali, der Südsudan und die Zentralafrikanische Republik.

Da die UN-Blauhelme zunehmend zwischen die Fronten von Kriegsparteien geraten, schließen zivilgesellschaftliche Organisationen nicht aus, dass die Friedensmissionen früher oder später in Kampftruppen umgewandelt werden könnten. Auch wenn die UN dies dementieren, bleiben Beobachter skeptisch.

Mel Duncan, Gründungsdirektor der Organisation 'Advocacy & Outreach Nonviolent Peaceforce' erklärte im Gespräch mit IPS, dass das Hochrangige Unabhängige Panel für Friedensoperationen (HIPPO) unter dem Vorsitz des ehemaligen osttimorischen Präsidenten José Ramos Horta im vergangenen Juni eindringlich für Strategien geworben hat, die den Einsatz von Waffen verhindern und Zivilisten in Konfliktgebieten nicht in Gefahr bringen.


Bericht rückt bewaffnete Einsätze in den Fokus

In den Bericht, den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon der Vollversammlung und dem Sicherheitsrat vorlegte, seien diese Empfehlungen aber nicht aufgenommen worden, meinte Duncan. "Die Betonung liegt auf bewaffneten Einsätzen."

Um substantielle Reformen in die Wege zu leiten, müsse aber das gesamte Konzept der UN-Friedensmissionen ausgehend vom 'Top-Down-Ansatz' neu überdacht werden, erklärte er. Es sei sicherlich sinnvoll, die für Übergriffe Verantwortlichen an den Pranger zu stellen und Zahlungen auszusetzen. Die Veränderungen müssten aber noch tiefer greifen.

"Nach unserer Erfahrung kommt es an Einsatzorten von Blauhelmen oft zu sexuell motivierten Übergriffen. Hinzu kommt, dass weniger als vier Prozent der Mitglieder der UN-Friedenstruppen weiblich sind." Duncan weist darauf hin, dass andererseits mehr als 40 Prozent der Einsatzkräfte dem unbewaffneten Zivilschutz (UCP) zuzurechnen sind.

Nach Aussagen des stellvertretenden UN-Sprechers Farhan Haq wissen die Kollegen, die an dem Bericht gearbeitet hätten, nichts von "gestrichenen Paragrafen". Der Report des Generalsekretärs umfasse allerdings nur 28 Seiten, während der Bericht des Ausschusses 104 Seiten lang sei. Dem Zivilschutz widmete der Ausschuss 24 Absätze, die in dem von Ban Ki-moon verbreiteten Dokument auf fünf Absätze reduziert wurden.

Laut Haq befasst sich der Report des Generalsekretärs in Absatz eins ausschließlich mit dem unbewaffneten Zivilschutz. Empfehlungen von HIPPO, enger mit Gemeinschaften und unabhängigen Organisationen zusammenzuarbeiten, seien berücksichtigt worden. Der nachfolgende Paragraf handelt demnach von weiteren Akteuren des unbewaffneten Zivilschutzes im Rahmen der Friedensmissionen.

Wie James Paul, ein ehemaliger langjähriger Exekutivdirektor des 'Global Policy Forum', erklärte, erhält jeder UN-Friedenseinsatz ein Mandat des Sicherheitsrats, in dem die Zielsetzungen und Regeln für die Ausübung von Gewalt festgelegt sind. Einige an diesen Missionen Beteiligte wie Polizisten und zivile Experten gehörten nicht dem Militär an. In der Mehrzahl handele es sich jedoch um Soldaten, die neuerdings immer besser darauf vorbereitet würden, ihre Waffen einzusetzen.


Kritik an schlechter Vorbereitung der Blauhelme

"Meistens sprechen diese Soldaten nicht die Sprache des Landes, in dem sie stationiert sind. Auf die schwierige und gefährliche Arbeit, die sie vor Ort erwartet, sind sie nicht gut genug vorbereitet", so Paul.

Die 8,3 Milliarden Dollar, die für die Friedensmissionen 2015 und 2016 veranschlagt werden, übersteigen das reguläre Budget der Vereinten Nationen von 5,4 Milliarden Dollar erheblich. Jeder der 193 Mitgliedsstaaten ist von Rechts wegen dazu verpflichtet, nach einem bestimmten Landesschlüssel zur Finanzierung der Blauhelm-Einsätze beizutragen. Die größten Beitragszahler sind die USA (28,4 Prozent), Japan (10,8 Prozent) und Frankreich (7,2 Prozent).

Wie die Vereinten Nationen hervorheben, entsprechen 8,3 Milliarden Dollar weniger als einem halben Prozent der globalen Rüstungsausgaben, die im Jahr 2013 auf insgesamt 1,7 Billionen Dollar geschätzt werden.

Die größten Truppenkontingente für die Friedensmissionen werden von südasiatischen Staaten gestellt: Bangladesch (9.432 Blauhelme), Nepal (9.346), Indien (7.794) und Pakistan (7.533). Laut UN-Angaben sind zurzeit 124.000 Peacekeeper im Rahmen von 16 UN-Missionen im Einsatz, darunter 105.000 Soldaten und 13.000 Polizisten. Bei dem übrigen Personal handelt es sich um Zivilisten.

Paul zufolge wäre es interessant zu wissen, welche Staaten unbewaffnete Friedenstruppen ablehnten. "Will Südasien weiterhin Soldaten an die UN verkaufen? Und bevorzugen die fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat - USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland - immer den Einsatz von Gewalt? Die UN bewegen sich in Richtung Krieg und müssen umkehren", forderte Paul, der die Weltorganisation fast 20 Jahre lang als Direktor einer NGO mit Sitz in New York beobachtet hat.

Selbst ein noch so effizienter Einsatz von Gewalt werde die Probleme nicht lösen, so der Experte. Cholera, Vergewaltigungen, Zerstörungen, gescheiterte Friedensbemühungen und jahrelange Truppenstationierungen setzten sich fort.


Ban steckt Reformziele ab

Ban hatte kürzlich auf einer Pressekonferenz drei Kernforderungen vorgestellt: So müsse erstens die Konfliktprävention und Mediation verbessert, zweitens die Einsatzfähigkeit von Blauhelmen und politischen Missionen beschleunigt und drittens müssten die Partnerschaften mit Regionalorganisationen, insbesondere der Afrikanischen Union, vertieft werden. "Wir haben nicht viele Möglichkeiten, um die UN-Friedensoperationen so umfassend zu reformieren. Deshalb ist es wichtig, dass wir zügig und als Kollektiv agieren."

Ban macht die Zukunft der Friedensmissionen zudem entscheidend davon abhängig, inwieweit sexuelle Übergriffe seitens der Truppen auf die Zivilbevölkerung verhindert werden können. "Es ist eine Schande, dass ausgerechnet UN-Mitarbeiter und weiteres Personal, die zum Schutz von Menschen entsandt werden, das Leiden verschlimmern und selbst Teil des Problems werden." Der Generalsekretär betonte, er habe eine Reihe neuer Maßnahmen entworfen, um ein derart "inakzeptables Verhalten" künftig zu verhindern. (Ende/IPS/ck/18.09.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/09/u-n-s-8-3-billion-dollar-peacekeeping-operations-under-scrutiny/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. September 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang