Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

AGRAR/1512: "Wir wollen dieses Feld nicht mehr der Agrarlobby überlassen" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 44 vom 4. November 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Wir wollen dieses Feld nicht mehr der Agrarlobby überlassen"
Für eine zukunftssichere Nahrungsmittelversorgung

Von Rudi Schuster


Seit Beginn der jüngsten Hungerkatastrophe in Ostafrika sowie vorangegangener Massenproteste gegen Teuerung, Armut, Unterdrückung und Zukunftsangst in Indien, Tunesien, Ägypten und anderen Staaten sehen sich die Regierungen der reichsten Industrienationen - auch die Regierungen der EU-Staaten - wieder verstärkt moralischem Druck ausgesetzt. Hauptsächlich aber treibt sie ihre Gier nach Rohstoff- und Absatzmärkten, die Entwicklungs- und Schwellenländer für einen "freien" Welthandel nach kapitalistischen Vorstellungen zu gewinnen. Bislang sind sie jedoch damit gescheitert.

Die jahrelangen Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) im Rahmen der Doha-Runde (Abbau aller produktbezogenen Agrarsubventionen und erleichterter Marktzugang für Entwicklungs- und Schwellenländer) mussten immer wieder unterbrochen werden, weil sich die meisten Entwicklungsländer durch die Agrar-, Wirtschafts- und Weltmarktpolitik der Industrieländer in ihrer Entscheidungsfreiheit behindert sehen. Sollen doch die Regierungen der REAEL (rohstoffexportabhängige Entwicklungsländer) nach EU-Vorstellungen mit einer "echten Liberalisierung die Tätigkeiten des Privatsektors fördern" und "die Grundbedingung für die Förderung der heimischen und ausländischen Investitionstätigkeit" schaffen. So der "EG-Aktionsplan zum Agrarrohstoffhandel". Obwohl die Agrarerzeugung der REAEL hauptsächlich von Millionen Kleinbauern und ihren Genossenschaften gewährleistet wird, ist in dem EG-Aktionsplan von einer wirksamen und nachhaltigen Förderung genossenschaftlicher Organisationen nichts zu finden.


Bündnisse in Aktion

Eine Antwort darauf gaben die Delegierten von Bauernorganisationen und -verbänden aus 66 Ländern Mitte Juni in Paris. In ihrer Erklärung fordern sie zur Verbesserung der Weltnahrungsmittelversorgung und der bäuerlichen Existenzbedingungen ganz besonders die Stärkung ländlicher Genossenschaften, die Unterbindung der Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen, den Schutz von Bauernland und die Abwehr von Land-Grabbing durch ausländische Investoren sowie wirksamere Kontrollen der Finanzmärkte.

Bereits im März 2010 haben die europäischen Landarbeitergewerkschaften (EFFAT) in einem Positionspapier zur EU-Agrarreform unter anderem gefordert: "Es gilt eine multifunktionale, wettbewerbsfähige, flächendeckende europäische Landwirtschaft zur Sicherung vitaler ländlicher Regionen und mit dem Ziel, ein hohes Maß an Beschäftigung, Lebensmittelsicherheit, Lebensmittelqualität, Umwelt, Natur- und Tierschutz aufrechtzuerhalten und global abzusichern." "Die Europäische Föderation der Agrargewerkschaften (EFA) wurde 1958 in Rapallo gegründet und schloss sich im Jahr 2000 mit den europäischen Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften zur Europäischen Föderation der Gewerkschaften Lebensmittel, Landwirtschaft und Tourismus zur EFFAT zusammen. Mit 2,6 Millionen Mitgliedern in rund 120 nationalen Gewerkschaften vertritt die EFFAT als einzige repräsentative Organisation in der EU die rund 6.5 Millionen landwirtschaftlichen Arbeitnehmer." (Quelle: www.landworker.info/EFFAT 56 Jahre)

Am 22. Januar 2011 demonstrierten während der "Grünen Woche" in Berlin, nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) 22.000 Menschen aus Stadt und Land durch die Berliner Innenstadt für eine neue, ökologisch und sozial orientierte Agrarpolitik. Dazu hatten unter wesentlicher Mitwirkung der AbL etwa zwanzig weitere Natur-, Umwelt- und andere Organisationen aufgerufen, die eine gesunde Nahrungsmittelversorgung gesichert sehen wollen, ohne chemische und Gen-Rückstände.

Im Februar 2011 forderten 77.000 aktive Gewerkschaftsmitglieder der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt zusammen mit Campact (aktionsorientiertes Internet-Netzwerk) innerhalb einer Woche die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, auf, die Gentechnik-Pläne der EU-Kommission zu stoppen. Es gelte zu verhindern, dass Futtermittel mit illegaler Gentechnik verunreinigt werden.

Am 14. August 2011 diskutierten 400 Teilnehmer/innen aus 34 europäischen Ländern im österreichischen Krems in einem sechstägigen Nyéléni-Forum gemeinsame Strategien und Aktivitäten für eine neue zukunftsfähige EU-Agrarpolitik. Thema: Ernährungssouveränität. "Wir wollen dieses Feld nicht mehr der Agrarlobby überlassen, sondern Bäuerinnen und Bauern nehmen gemeinsam mit anderen BürgerInnen die Verantwortung in die Hand", erklärte Maria Heubuch, Milchbäuerin und Bundesvorsitzende der AbL.

Tatsächlich war die bisherige EWG/EU-Agrarpolitik gekennzeichnet durch vieltausendfache Bauernproteste. Die andauernde Agrar-Einkommenskrise ließ großen Teilen der landwirtschaftlichen Bevölkerung keine andere Wahl. Trotz der bereits seit 1987 beschlossenen Trennung der Agrarpreisstützung von der landwirtschaftlichen Einkommenspolitik (WTO-Forderung), über die 1992 administrierten Agrarpreissenkungen verbunden mit Stilllegungsprämien, haben die ständigen Preis- und Einkommensschwankungen nie aufgehört. Sie gingen weiter trotz Ausgleichs- und Direktzahlungen, trotz der 2003 beschlossenen und noch bis 2013 andauernden Entkopplung aller Ausgleichszahlungen von der mengenmäßigen Agrarerzeugung, bis zu den 2005/2008 eingeführten und bis heute immer wieder modifizierten einkommensstützenden EU-Betriebsprämien für eine an Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz gebundene und kontrollierte Agrarerzeugung. Nach wie vor fehlt eine Regulierung und Kontrolle der nationalen und internationalen Rohstoffund Agrarmärkte im Interesse von Bauern und Verbrauchern sowie das Schließen der Preis-Kosten-Schere.


Soll "der Markt" bestimmen?

Am 12. Oktober hat die EU-Kommission nun neue Gesetzesvorschläge zur Reform ihrer "Gemeinsamen Agrarpolitik" (GAP bis 2020) vorgelegt, in denen unter anderem auch handelspolitische Interessen der Entwicklungsländer berücksichtigt werden sollen. Mit diesen Vorschlägen versucht die EU-Kommission, auch im Hinblick auf die anstehende WTO-Welthandels- und Agrarrunde, den seit Jahren immer wieder weltweit protestierenden Bauern und Verbrauchern entgegenzukommen. Sie beabsichtigt aber nicht, die Profitstrategie der Industrie- und Handelskonzerne zu stoppen. Die Gesetzesvorschläge sollen schließlich nach ihrer parlamentarischen Behandlung im nächsten und übernächsten Jahr am 1. Januar 2014 in Kraft treten. Ihrem jetzigen Inhalt entsprechend, soll allein "der Markt" bestimmen, was die Bauern zu welchem Preis zu erzeugen und die Verbraucher zu zahlen haben. Wie aber sieht der deutsche und EU-Markt aus?


Lebenshaltung immer teurer

Nach Angaben der EU-Kommission in ihrem jüngsten Reformpapier lagen 2009 die Pro-Kopf-Einkommen in den ländlichen Gebieten der EU "um rund 50 Prozent unter denen in städtischen Gebieten." Die deutschen Lebenshaltungskosten sind während der letzten zehn Jahre (2000-2010) nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um rund 14 Prozent gestiegen, darunter allein die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel um 13 Prozent. Die Bruttoverdienste der Arbeiter und Angestellten hingegen erhöhten sich lediglich um 10,8 Prozent. Übrig blieb für sie bis einschließlich des Jahres 2009, nach 4,5 Prozent Einkommensverlust, ein deflationierter Realnettoverdienst von durchschnittlich rund 1400 Euro monatlich.


Ruinöse bäuerliche Einkommensverhältnisse

Noch schlimmer sind die Einkommensverhältnisse in der hiesigen Landwirtschaft, wo die durchschnittliche Betriebsgröße inzwischen 56 Hektar erreicht hat. Sie lag vor knapp 50 Jahren, als der EWG-Agrarmarkt wirksam wurde, bei durchschnittlich neun Hektar. Doch die Einkommensverhältnisse der meisten Bauern und ihrer Familien sind nach wie vor ruinös. Die unmittelbare Folge: Rund 7.000 Bauernhöfe oder jährlich 2,4 Prozent mussten in den Jahren 2007-2010 wieder aufgeben, trotz unternehmensbezogener Direktzahlungen und Zuschüssen in Höhe von mehr als sechzig Prozent ihres Gesamteinkommens. (Agrarbericht 2011, S. 63, Tabelle 4) Unverblümt hatte EU-Agrarkommissar Ciolos auf dem Deutschen Bauerntag 2010 in Berlin in seiner Grundsatzrede erklärt: "Die Direkthilfen sind nicht dazu gedacht, nicht wettbewerbsfähige Betriebe am Leben zu erhalten. Sie dienen dazu, unter Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit den Erwartungen der europäischen Bürgerinnen und Bürger Rechnung zu tragen." Da hat wohl der EU-Kommissar die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger mit den Erwartungen der Industrie- und Handelskonzerne verwechselt!

So, wie zwischen den niedrigsten und höchsten kaufkraftbereinigten Nettolöhnen im gewerblichen Bereich ein Abstand von mehr als 400 Prozent liegt, so liegt auch in der Landwirtschaft zwischen Haupterwerbsbetrieben (50 bis über 100 Hektar LN = landwirtschaftlich genutzte Fläche) einerseits und Kleinsowie Nebenerwerbsbetrieben (unter 5 bis 10 Hektar LN) andererseits ein Abstand zwischen ihren Jahresgesamteinkommen in Höhe von mehr als 330 Prozent oder rund 51 502 Euro. (Agrarbericht 2011 der Bundesregierung, S. 31, Übersicht 7)

Um jedoch eine ungefähre Vorstellung vom realen Nettoeinkommen in den landwirtschaftlichen Familienbetrieben zu erhalten, muss ihr gegenüber dem Vorjahr um 8,5 Prozent zurückgegangener Gewinn auf durchschnittlich 35.216 Euro durch mindestens zwei Familienarbeitskräfte (Bauer und Bäuerin) geteilt werden. Es verbleiben also für jeden monatlich rund 1.457 Euro brutto. Davon müssen abgezogen werden die allgemeinen Lebenshaltungskosten, Krankenund Alterssicherung, private Steuern, die Tilgung von Fremdkapital sowie - falls möglich - Rücklagen für Reparaturen und Neuanschaffungen.


Öko allein - keine Überlebensgarantie

Auch für die rund 21.000 ökologisch wirtschaftenden Betriebe weist die Bundesregierung in ihrem Agrarbericht 2011 einen um 21,2 Prozent zurückgegangenen Betriebsgewinn auf rund 43.527 Euro aus. (S. 33, Übersicht 12) Aber durch den Einsatz von mindestens drei Arbeitskräften dürfte sich das monatliche Bruttoeinkommen je Arbeitskraft auf durchschnittlich 1.200 Euro reduzieren und damit noch unter das Einkommensniveau der rund 121.000 Landarbeiter fallen, das für das vergangene Jahre mit durchschnittlich 2 113 Euro brutto je Monat vom Statistischen Bundesamt ausgewiesen wird. (Fachserie 16, R1)

Allein die Bäuerinnen und Bauern der ehemaligen DDR-Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), der heutigen Agrargenossenschaften oder -vereinigungen (Juristische Personen im Gegensatz zu Einzelunternehmen der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe), erzielten in den Wirtschaftsjahren 2005/06 bis 2009/10 ein durchschnittliches Jahreseinkommen in Höhe von 29.559 Euro oder 2.463 Euro monatlich. (Agrarbericht S. 32) Die Durchschnittsgröße der Agrargenossenschaften von rund 2.850 ha darf jedoch für die EU-Kommission nicht Anlass für finanzielle Benachteiligungen sein, wie sie in ihrem Entwurf "Die GAP bis 2020" mit der Deckelung von Direktzahlungen an landwirtschaftliche Großbetriebe angedeutet werden. Entscheidend muss sein, dass auch die Agrargenossenschaften rentabel und umweltgerecht wirtschaften sowie ihren Mitgliedern ein Einkommen gewährleisten, das ihrer Leistung sowie einem angemessenen Lebensstandard entspricht. Dies wäre auch ein Beitrag zur Verringerung der Kapitalbelastung in der Landwirtschaft und würde wesentlich zur Nahrungsmittelsicherung beitragen.


Verschuldung ungebremst

Insgesamt wurde bisher den landwirtschaftlichen Familienbetrieben bis Ende März 2011, nach Angaben der Deutschen Bundesbank, eine Rekordverschuldung in Höhe von rund 40,5 Milliarden Euro aufgebürdet. Diese Summe entspricht fast der letztjährigen Höhe des gesamten landwirtschaftlichen Produktionswertes in Höhe von 45,8 Mrd. Euro. Sie dürfte noch in diesem Jahr um mehr als sechs Milliarden Euro steigen angesichts angekündigter Investitionen in neue Maschinen, Gebäude und Vieh sowie in Fotovoltaik und Biogasanlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie. Nach allen bisherigen Erfahrungen sind zu größeren Neuinvestitionen in der Regel jedoch nur die wenigsten der rund 267.000 Klein- und Mittelbetriebe in der Lage. Denn lediglich den rund 34.000 Landwirtschaftsbetrieben mit 100 bis über 1.000 ha war es bisher mehr oder weniger gelungen, existenzgefährdende Einkommensverluste zu vermeiden. Sie sind momentan am ehesten in der Lage, beispielsweise für eine Biogasanlage 50.000 bis 100.000 Euro zu investieren oder über ihre Beteiligung an Windparks günstige Strompreise für Eigenbedarf und Verkauf zu realisieren. Das wäre auch für die große Mehrheit der Kleinund Mittelbetriebe möglich, wenn sie sich mehr als bisher zu Betriebsgemeinschaften sowie zu bäuerlichen Erzeugerund Verkaufsgemeinschaften bzw. Genossenschaften zusammenfinden würden.


Das politische Umfeld ändern

Natürlich können betriebswirtschaftliche Optimierungen im Rahmen gemeinsamer Aktivitäten nur dann besser vor Existenzgefährdung schützen, wenn wirksame gesellschafts- und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen durchgesetzt werden. Dazu zählen im politischen Bereich hauptsächlich linke Parlamentsmehrheiten mit außerparlamentarischen Bündnispartnern. Sie sind am zuverlässigsten in der Lage, im agrar- und wirtschaftspolitischen Sektor das Schließen der Preis-Kosten-Schere zwischen den Industriepreisen für in der Landwirtschaft benötigte Betriebsmittel und den landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen herbeizuführen. Gleichzeitig bieten linke Parlamentsmehrheiten am besten die Gewähr für die Beseitigung überhöhter Handelsspannen zwischen landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen und Endverbraucherpreisen sowie für die Durchsetzung entsprechender Gesetze.

Auch vor dem Hintergrund der kapitalistischen Systemkrise mit ihren spekulationszerrütteten Märkten sind gemeinsame Aktivitäten der Stadt- und Landbevölkerung zur Herbeiführung stabiler Einkommens- und Lebensverhältnisse immer dringlicher. Da helfen die Aufforderungen der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, und des Bauernverbandspräsidenten Gerd Sonnleitner an die Bauern nicht weiter, die spekulativen Warenterminbörsen zu nutzen. Seit wann haben denn Spekulationsgeschäfte jemals zu mehr "Risikoabsicherung" und "Planungssicherheit" geführt?

Notwendig sind Entscheidungsstrukturen ohne chaotische Profitwirtschaft, die national wie international ein planvolles Wirtschaften ermöglichen.


INFORMATIONSKÄSTEN

Rohstoffspekulation beenden, Hunger bekämpfen!

Anlässlich des Welternährungstages am Sonntag, den 16. Oktober 2011, fordert der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, dazu auf, sich "des größten Problems der Menschheit", des Hungers in der Welt, wirksam anzunehmen: "Dass dieser Tag begangen wird, ist richtig und wichtig. Weltweit hungern Menschen aber nicht nur an diesem einen, sondern jeden Tag des Jahres. Das dürfen wir nicht verdrängen!" Die NGG und ihre globalen Partnergewerkschaften bezweifelten die offiziellen Schätzungen, wonach weltweit rund eine Milliarde Menschen Hunger litte, und gingen von der doppelten Anzahl von Hungernden aus. "Ein wichtiger Grund für den Hunger in der Welt ist auch, dass profitorientierte Rohstoffspekulanten immer noch ihre Geschäfte auf Kosten der Hungernden machen können." Möllenberg betont weiter, dass Essen und Trinken ein Menschenrecht sei und die Staatengemeinschaft es schaffen müsse, dieses "simpelste und wichtigste Recht" für alle Menschen zu gewährleisten.


Landgrabbing

So kam Äthiopien in eine Top-Position im Landgrab-Ranking. Zahlenangaben zum Ausmaß der Verpachtungen fallen interessengeleitet und durch variierende Erhebungsgrundlagen sehr unterschiedlich aus. Nach Mitteilungen der Weltbank vom April 2011 wurden zwischen 2005 und 2010 mindestens 1,2 Millionen Hektar an in- und ausländische Unternehmen verpachtet. Nach Regierungsangaben gingen von 9.200 Lizenzen seit 1996 etwa 1.300 an ausländische Unternehmen, meist die flächenmäßig bedeutenderen. Die fünf größten Auslandsunternehmungen umfassen bereits die Hälfte des verpachteten Areals. Damit stiegen die Auslandsinvestitionen in den Agrarbereich von 135 Millionen Dollar im Jahr 2000 auf 3,5 Milliarden im Jahr 2008.
(Aus "Wächst der Hunger mit dem 'Hunger nach Land'?, 'Landgrabbing' in Äthiopien" von Jördis Land, UZ vom 9.9.2011)


Arbeiter in der Landwirtschaft nur billige Arbeitskräfte

Bei der EFFAT-Konferenz "Verteidigung der Rechte von entsendeten Arbeitern in der europäischen Landwirtschaft" vom 17. Februar in Berlin verurteilten mehr als 50 Gewerkschaftsvertreter die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der entsendeten Arbeiter, die unzureichenden Garantien, die die Entsenderichtlinie bietet und die mangelhafte Umsetzung ihrer Bestimmungen. Berichte von Vertretern nationaler Gewerkschaften bestätigten diesen Zustand und erklärten, die Tatsache, dass die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen die Gelegenheit für billige Arbeit und Missstände sei.
Der EFFAT-Agrarpräsident Peter Holm von der dänischen 3F wies darauf hin, dass die Gewerkschaften in den Ursprungsländern wie in den Zielländern ihre Zusammenarbeit im Kampf gegen soziale Ausbeutung und Sozialdumping verstärkten und die EU-Institutionen aufgefordert werden müssen, die negativen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zur Kenntnis zu nehmen und bei ihren Entscheidungsprozessen die entsprechenden Lösungen zu finden, um diesem offensichtlichen Rückschritt ein Ende zu bereiten.
Es besteht die Sorge, dass der wachsende Trend in allen EU-Mitgliedstaaten, entsendete Arbeiter anstelle der normalen Beschäftigungsformen einzusetzen, auf viele andere Sektoren übergreifen könnte. Die unter diese Bestimmung fallenden Arbeitnehmer sind Opfer von Diskriminierung, Ausbeutung, niedrigeren Löhnen im Vergleich zu den lokal Beschäftigten, niedrigen Sozialleistungen und geringem sozialen Schutz. Die Diskussion konzentriert sich auch auf andere Gruppen von Wanderarbeitern, die besonders betroffen sind von prekären Arbeitsverhältnissen, psychologischem Druck und fremdenfeindlichen Handlungen und unter der Trennung von ihrer Familie leiden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Saisonarbeiter und Leiharbeiter.
Die Gewerkschaften fordern eine bessere Umsetzung der Entsenderichtlinie, gleichen Lohn für gleiche Arbeit in allen Mitgliedstaaten und Maßnahmen zur Förderung der Rückkehr in die Ursprungsländer, da es diesen oft an Agrararbeitern mangelt. Die Tatsache, dass Drittstaatsangehörige in den EU-Arbeitsmarkt kommen und Wanderarbeiter ersetzen, wäre überhaupt kein Problem, wenn man sie gleich behandelte.

Berlin, 17. Februar 2011

Die EFFAT ist die Europäische Gewerkschaftsföderation für den Landwirtschafts-, Nahrungsmittel- und Tourismussektor, die durch Fusion aus den beiden Europäischen Gewerkschaftsföderationen EAL-IUL und EFA am 11.12.2000 hervorgegangen ist. EFFAT vertritt als europäische Dachorganisation von 120 nationalen Gewerkschaften aus 35 Ländern Europas die Interessen von mehr als 2,6 Millionen Mitgliedern gegenüber den europäischen Institutionen, europäischen Industrieverbänden und Unternehmensleitungen.


Aus dem Parteiprogramm der DKP

Mit der Ökologie-Bewegung teilen wir die Sorge um die Erhaltung der natürlichen Umwelt. Kommunistinnen und Kommunisten engagieren sich im Widerstand gegen die Ursachen der Klimakatastrophe, Zerstörung ökologischer Systeme, Verschwendung von Ressourcen, Beherrschung der Energievorräte durch die Monopole und gegen Atommülltransporte. Die DKP fordert den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Sie tritt dafür ein, dass Entscheidungen über Risikotechnologien wie zum Beispiel Gen- und Biotechnologien unter demokratischer Beteiligung der Bevölkerung getroffen werden.


*


Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, 44 vom 4. November 2011, Seite 8-9
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de

Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2011