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AGRAR/1669: Nahost/Maghreb - Land Grabs als politische Überlebensstrategie (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. August 2014

Nahost/Maghreb: Liebäugeln mit Nachbars Gärten - Land Grabs als politische Überlebensstrategie

von Mona Alami



Beirut, 1. August (IPS) - Die arabische Welt hat aus den Brotrevolten der letzten Jahre eine wichtige Lehre gezogen: dass politische Stabilität nicht ohne Ernährungssicherheit zu haben ist. Diese Erkenntnis hat jedoch eine Zunahme der Landnahmen oder Land Grabs in Drittländern bewirkt, die wiederum die Existenz von Indigenen und Kleinbauern bedroht.

Zwischen 2007 und 2008 löste die Verteuerung der Nahrungsmittel in Ägypten und Marokko massive Proteste aus. "Dadurch sahen sich die arabischen Länder veranlasst, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie den steigenden Nahrungsmittelbedarf ihrer Bevölkerungen decken können", meint Devlin Kuyek von GRAIN. Die Organisation unterstützt Kleinbauern und soziale Bewegungen in dem Bestreben, kommunal kontrollierte und biodiversitätsbetonte Nahrungssysteme zu schaffen.

Arabische Staaten, die inzwischen der normalen Nahrungsmittelversorgungskette misstrauen, bemühen sich zunehmend um den Erwerb von Ackerland auf der ganzen Welt, um dort Nahrung für den Eigenbedarf zu produzieren. Nach Angaben der Weltbank wurden im Jahr 2011 weltweit etwa 80 Millionen Hektar Agrarflächen von ausländischen Staaten erworben.

Die Ernährungskrise 2008 führte den politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit die Anfälligkeit der arabischen Staaten für Ernährungskrisen vor Augen. Wie Sarwat Hussain von der Weltbank erklärt, wurden sie sich plötzlich der Gefahren bewusst, die etwa durch die Schließung der Straße von Hormus entstehen könnten.

Der Anstieg der internationalen Nahrungsmittelpreise wird durch verschiedene Faktoren wie Bevölkerungs- und Städtewachstum, dem Rückgang der Trinkwasserquellen, einer verstärkten Nachfrage nach Rohstoffen und Biotreibstoffen sowie Spekulationsgeschäften mit Agrarland verursacht. Angesichts dieser Gefahren bemühen sich die arabischen Länder zunehmend darum, Farmland in anderen Staaten zu erwerben. Dies geschieht meist in Form von Pachtverträgen über eine Laufzeit von 25 bis 99 Jahren.


VAE regional bei Land Grabs führend

Laut GRAIN sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) nach dem derzeitigen Stand zu zwölf Prozent an diesen weltweiten Deals beteiligt. Ägypten folgt mit sechs Prozent und Saudi-Arabien mit vier Prozent. "Dennoch ist es schwierig, den gesamten Umfang des Land Grabs zu beziffern, da sich viele Verträge noch in der Verhandlungsphase befinden und meist schwer zu durchschauen sind", sagt Hussain.

Regierungen mehrerer Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) - Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien und die VAE - wollen ihre Bürger durch gezielte Maßnahmen dazu bewegen, in die Nahrungsproduktion im Ausland zu investieren, um die Versorgung im eigenen Land zu stabilisieren. Die Regierungen haben dazu unter anderem Investitionssubventionen und -garantien eingeführt sowie Staatsfonds eingerichtet, die sich auf den Agrarsektor konzentrieren.

Land Grabs sind sowohl in westlichen Staaten wie Australien, Neuseeland, Polen, Russland, der Ukraine und Rumänien als auch in den Entwicklungsländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas anzutreffen. Mit einem Anteil von elf Prozent ist Brasilien der Weltbank zufolge Hauptziel, gefolgt vom Sudan mit zehn Prozent, Madagaskar, den Philippinen und Äthiopien mit je acht Prozent, Mosambik mit sieben Prozent und Indonesien mit sechs Prozent.

"Zu den treibenden Kräften hinter den Deals gehört die Ausweitung der Biotreibstoff-Produktion, sieht man einmal vom Sudan und Äthiopien ab, wo Investoren aus Nahost und Indien Nahrungsmittel produzieren", erläutert Hussain.

Regierungen handeln häufig über Staatsfonds die Bedingungen für den Erwerb oder die Pacht von Agrarland aus. Nach Angaben von GRAIN hat die äthiopische Regierung entsprechende Verträge mit Investoren aus Saudi-Arabien, Indien und China geschlossen. Ausländische Investoren kontrollieren inzwischen die Hälfte des urbaren Landes der äthiopischen Region Gambela.

Einflussreiche saudi-arabische Geschäftsleute schließen Verträge im Senegal, in Mali und in anderen Staaten ab, die ihnen die Kontrolle über Hunderttausende Hektar der ertragreichsten Gebiete gewähren. "Die saudi-arabische Firma 'Al-Amoudi' hat Zehntausende Hektar Land im Südwesten Äthiopiens erworben, um von dort aus Reis zu exportieren", berichtet Kuyek.

International tätige Unternehmen betrachten diese Geschäfte nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Nahrungssicherung, sondern auch als nützliche Investitionsinstrumente, die eine Diversifizierung ermöglichen. Mehrere Investment-Firmen und private Fonds haben Farmland auf der gesamten Welt erworben, darunter 'Goldman Sachs' und die Deutsche Bank sowie der ägyptische Private-Equity-Fonds 'Citadel Capital'.


Vertreibungen

Wie Kuyek erklärt, stoßen umfangreiche Landerwerbsgeschäfte Debatten in Entwicklungsländern an und werden zu Wahlkampfthemen. Diese Landnahmen führen zur Vertreibung indigener Völker und Kleinbauern.

"Die Menschen sind besorgt über den Ausverkauf ihrer lokalen Ressourcen", sagt Kuyek. Aus diesem Grund sind auf lokaler Ebene Gruppen entstanden, die gegen die von ihren Regierungen ausgehandelten Landverkäufe protestieren. Bauern in Serbien haben beispielsweise formell Beschwerde gegen den Erwerb von Farmland durch das Unternehmen 'Al Rawafed Agriculture' aus Abu Dhabi eingelegt, wie die Zeitung 'The National' berichtet.

Für die Betroffenen wird es immer schwieriger werden, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen, zumal sich die Ernährungssicherheit vielerorts zu einer Frage des politischen Überlebens entwickelt hat. (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/07/land-grabbing-a-new-political-strategy-for-arab-countries/

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IPS-Tagesdienst vom 1. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2014