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BANK/476: Der Bankenstresstest (spw)


spw - Ausgabe 4/2011 - Heft 185
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Der Bankenstresstest

von Arne Heise


Gegenwärtig haben die Stresstests Konjunktur: in der Auseinandersetzung um das Mitspracherecht beim Bau großer Infrastrukturprojekte wie dem neuen Stuttgarter Bahnhof wird ein 'Stresstest' von den SkeptikerInnen gefordert, um die Notwendigkeit der geplanten Milliardeninvestitionen zu rechtfertigen. Kernkraftwerke werden 'Stresstests' unterzogen, um die Reaktionen in gewissen Gefahrenszenarien zu erproben und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) unterzieht die Banken in der EU seit 2010 einem 'Stresstest', der Aufschluss über das Insolvenzrisiko der EU-Banken unter verschiedenen wirtschaftlichen Entwicklungsszenarien geben soll.


Hintergrund

Die jüngste Weltfinanzkrise hat ihr gefährliches Momentum eigentlich erst bekommen, als die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers 2008 in Insolvenz ging und damit das Vertrauen in die Stabilität des Finanzsystems soweit verloren ging, dass sich nicht einmal mehr Banken untereinander Geld liehen ('Interbankengeschäft'). Es zeigte sich, dass 'Vertrauen' die wichtigste Grundbedingung für die Finanzmarktstabilität ist und entsprechend fehlendes Vertrauen die größte Gefahr für die Finanzmärkte und die Banken darstellt.


Der Stresstest

Vertrauen gründet in Informationen. In diesem Fall Informationen über die Risikostruktur der Banken, denn natürlich gehen Banken - wie konservativ oder spekulativ ihre Anlagepolitik im Einzelnen auch aussehen sollte - immer Risiken bei jeder Kreditvergabe bzw. Finanzanlage ein. Jede uneinbringliche Forderung schmälert den Gewinn der Bank bzw. kann sogar im Falle des Verlustes das Eigenkapital der Bank angreifen - also jenen Vermögensteil, mit dem die Banken für ihre Verpflichtungen (im Falle von Geschäftsbanken: gegenüber den Einlegern) haften. Diese Risiken hängen einerseits am Schuldner bzw. der Schuldnerstruktur (individuelles Risiko), die die jeweilige Bank beeinflussen kann, andererseits an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die die einzelne Bank als gegeben hinnehmen muss (allgemeines Risiko). Je schlechter die allgemeine wirtschaftliche Lage, desto größer sind die allgemeinen Ausfallrisiken - und dies betrifft natürlich Banken, deren Schuldnerstruktur an sich (d.h. bedingt durch das individuelle Risiko) risikoreicher ist, stärker als Banken mit größerer Risikoaversion.

Vor diesem Hintergrund hat die EBA erstmals 2010 eine Simulation durchgeführt, mit der die Auswirkungen verschiedener konjunktureller und finanzwirtschaftlicher Entwicklungen auf 91 EU-Banken getestet wurden. Dabei befand sich die EBA in einem Dilemma. Einerseits wollte sie mit dem Stresstest ein Signal des Vertrauens und der Zuversicht an die FinanzmarktteilnehmerInnen senden: Seht her, die europäischen Banken sind sicher und stabil. Dies wäre der Fall, wenn möglichst alle getesteten Banken den Stresstest bestanden hätten. Andererseits könnte ein solches Ergebnis die Glaubhaftigkeit des Tests unterlaufen, weil Zweifel an der Schärfe der untersuchten Szenarien auftauchen könnten - dann aber wäre der Zweck der Übung verfehlt.


Die Simulationsszenarien

Im ersten Stresstest 2010 wurden die Auswirkungen mehrerer potentieller Wirtschaftsentwicklungen - die Prognose der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (Basisszenario) und ein so genanntes 'Double-Dip'-Szenario, in dem die Wirtschaftswachstumsraten in 2 aufeinanderfolgenden Jahren negativ sind - auf die Eigenkapitalquote ('Kern-Kapital', dass lediglich das tatsächlich haftbare Eigenkapital umfasst) simuliert und darüber berichtet, welche Bank auch unter den ungünstigsten Bedingungen dann noch über eine Eigenkapitalquote von mindestens 6 Prozent verfügt. Von den 91 ausgewählten EU-Banken, die zusammen mindestens 60 Prozent des EU-Bankensektors und in den jeweiligen Mitgliedsstaaten mindestens 50 Prozent des Bankensektors ausmachten, fielen 7 Banken (5 spanische, 1 griechische und 1 deutsche Bank) durch, weil im 'Double-Dip-Szenario' durch realisierte Kreditausfälle und erforderliche Abschreibungen deren Kern-Kapitalquote auf unter 6 Prozent fallen würde.

Im zweiten, im Juli 2011 veröffentlichten Stresstest wurden wiederum 2 Szenarien (vgl. Tabelle) - ein Basisszenario, ein verschärftes Double-Dip-Szenario - simuliert: Diesmal scheiterten 8 Banken (5 spanische, 2 griechische und 1 österreichische Bank) an der auf 5 Prozent gesenkten Kern-Kapitalquotenanforderung (wobei nun das Kern-Kapital aber noch enger gefasst wurde).


Tabelle: Kern-Kapitalquoten Ende 2010 und Ende 2012 (Double-Dip-Szenario)


Kern-Kapital-
quote 2010
Kern-Kapital-
quote 2010
<3%

>3%<5%

>5%<8%

>8%

Österreich
Belgien
Zypern
Deutschland
Dänemark
Spanien
Finnland
Frankreich
Großbritannien
Griechenland
Ungarn
Irland
Italien
Luxemburg
Malta
Niederlande
Norwegen
Polen
Portugal
Schweden
Slowenien
8,2
11,4
7,7
9,4
9,8
6,4
12,2
8,4
10,1
10,2
12,3
6,2
7,4
12,0
10,5
10,6
8,3
11,8
7,1
9,0
5,7
7,6
10,2
5,7
6,8
11,9
7,3
11,6
7,5
7,6
6,1
13,6
9,8
7,3
13,3
10,4
9,4
9,0
12,0
5,7
9,5
6,0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
5
0
0
0
1
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
0
2
8
0
13
0
3
3
4
0
1
4
0
0
1
0
0
4
0
1
1
2
0
4
4
7
1
1
1
0
1
2
1
1
1
3
1
1
0
4
1
Gesamt
8,9
7,7
1
7
45
37

Bewertung

In Deutschland wurde das Ergebnis des Stresstests mit Erleichterung aufgenommen, scheinen doch die deutschen Banken auch im Falle einer neuerlichen Krise gut gerüstet - das gewünschte 'Vertrauens'-Signal scheint also versendet worden zu sein. In Spanien hingegen wird moniert, dass die Kern-Kapitalquote zu eng gefasst wird - würden beispielsweise auch Rückstellungen, die für Bewertungsrisiken staatlicher Anleihen gebildet wurden, zur Kern-Kapitalquote gerechnet, würden auch die spanischen Banken den Stresstest bestehen. Ähnlich argumentierte die Hessisch-Thüringische Landesbank (Helaba), die den Stresstest ebenfalls nicht bestanden hätte, weil die Stillen Einlagen des Landes Hessen nicht zur Kern-Kapitalquote gerechnet würden - die Helaba hat daraufhin ihren Ausstieg aus dem Stresstest erklärt.

Letztlich würde wohl auch der Bankenstresstest einen Argumentations-Stresstest nicht bestehen. Die getesteten Szenarien sind ebenso hinterfragbar wie die Definition der Kern-Kapitalquote. Vor allem aber bleiben Einflüsse von außerhalb der EU - schließlich wurde die Weltfinanzkrise von einer vergleichbar kleinen US-Investment-Bank ausgelöst - ebenso unberücksichtigt wie eine immer noch mögliche Insolvenz eines EU-Mitgliedsstaates. Der sichtbarste Erfolg, den der EBA-Bankenstresstest zu haben scheint, sind Rekapitalisierungsbemühungen der Banken, die durch Gewinneinbehaltungen, Kapitalaufstockungen und staatliche Beteiligungen (bzw. Stille Einlagen) ihre Eigenkapitalbasis gestärkt und damit ihr Insolvenzrisiko gesenkt haben. Damit kann aber sicher nicht ausgeschlossen werden, dass in Zukunft wieder eine vertrauenserschütternde Krise vom (auch europäischen) Bankensystem ausgeht.


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2011, Heft 185, Seite 46-48
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2011