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DISKURS/118: Investitionsfonds und sozialistische Ziele (spw)


spw - Ausgabe 2/2015 - Heft 207
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Investitionsfonds und sozialistische Ziele

von Giacomo Corneo


In der sozialistischen Tradition beherrschen zwei konkurrierende Ansätze die programmatische Diskussion über die Rolle des Staates im Wirtschaftsgeschehen. Dem ersten Ansatz entsprechend sollten die Produktionsmittel ins öffentliche Eigentum überführt werden und passende Institutionen sollten diese Produktionsmittel verwalten - z.B. ein System zentraler Planung oder selbstverwaltete Betriebe. Infolge der Erfahrungen im letzten Jahrhundert wurde dieser Ansatz ad acta gelegt. Gemäß dem zweiten sollten die Primäreinkommen im Markt unter Mitwirkung der Tarifparteien bestimmt werden, während der Staat hauptsächlich auf der Ebene der Verteilung der Sekundäreinkommen durch das Steuer-Transfer-System eingreifen sollte. Dieser Ansatz war einmal für die Sozialdemokratie kennzeichnend, wird aber seit langem auch von christdemokratischen und sogar liberalen Parteien bejaht.

Ich werde die These aufstellen, dass keiner dieser Ansätze derzeit in der Lage ist, die sozialistischen Ziele von sozialer Gerechtigkeit, persönlicher Autonomie und Wohlstand für alle zu erreichen und dass sie auf eine bestimmte Art kombiniert werden sollten, um diesen Zielen näher zu kommen.

Von Schweden bis zu den USA ist die Verteilung der verfügbaren Einkommen heute substantiell weniger gleichmäßig als vor dreißig Jahren. Ebenfalls ist die soziale Ungleichheit im Laufe einer Generation deutlich gestiegen. Der sozialdemokratische Ansatz ist kein Fortschrittsmotor mehr, er kann nicht einmal den Rückschritt aufhalten. Zum einen führen der Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften und die Erosion der Tarifbindung zu einer steigenden Lohnungleichheit. Zum anderen setzt die grenzüberschreitende Mobilität von Finanzkapital, Unternehmen und Spitzenverdienern der Umverteilung über die Steuerpolitik enge Grenzen. Da bei der Besteuerung der Kapitaleinkommen das progressive Element aufgegeben worden ist, steigt die Vermögenskonzentration. Unterfinanzierte öffentliche Bildungs- und Gesundheitssysteme können in vielen Ländern nicht mehr mit den Privatanbietern Schritt halten, was wohlhabende Schichten animiert, den öffentlichen Sektor abzuschreiben. Als ob die Dualisierung des Arbeitsmarkts und der internationale Steuerwettbewerb die Grenzen der sozialdemokratischen Strategie nicht deutlich genug aufgezeigt hätten, wird die Erreichung der Ziele von sozialer Gerechtigkeit, Autonomie und Wohlstand vom steigenden Einfluss finanzstarker Lobbys auf die politische Entscheidungsfindung fundamental kompromittiert. In den USA bezeichnen Kommentatoren inzwischen das politische System als "dollarocracy".

Eine Antwort auf diese regressiven Entwicklungen muss ganzheitlich ausfallen, was den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Ich werde mich daher auf die wirtschaftlichen Leitbilder einer solchen Antwort beschränken. Nur am Ende werde ich Hinweise zu den sozialen Trägern eineralternativen Strategie und der dazugehörigen kulturellen Arbeit offerieren.


Die Rückkehr von öffentlichem Kapital

Die abnehmende Wirksamkeit der Steuerpolitik, insbesondere der Kapitalsteuern, als Instrument der Umverteilung legt folgende Schlussfolgerung nahe: Die gewünschte Umverteilung sollte schon vor dem Steuerzugriff ansetzen, d.h. bei der Verteilung der Kapitaleinkommen. In anderen Worten begründet die Unzulänglichkeit vom traditionellen sozialdemokratischen Ansatz eine neue Rolle für das öffentliche Eigentum von Kapital. Denn die Erträge von öffentlichem Kapital können gleichmäßig durch eine soziale Dividende an alle Bürger verteilt werden, womit der zunehmenden Einkommenskonzentration entgegengewirkt wird. In diesem Fall würden die Bürger zusätzlich zu ihrem Einkommen nach Steuern und Transfers - welche weiterhin eine zentrale Rolle spielen sollten - eine regelmäßige Transferzahlung erhalten, die aus den Kapitalerträgen des Staates finanziert wird. Diese Transferzahlung würde zwar nicht ausreichen, um das Existenzminimum zu decken, wäre aber ein wichtiges Komplement zum laufenden Einkommen. Sie würde die verfügbaren Einkommen der Geringverdiener und der kinderreichen Familien überproportional erhöhen und würde auf dem Arbeitsmarkt die Verhandlungsposition der Geringqualifizierten stärken. Der Staat könnte die Option einräumen, dass die soziale Dividende nicht sofort ausgezahlt wird, sondern über ein individuelles Anlagekonto in das öffentliche Kapital reinvestiert wird. Aus diesem Konto könnte sich jeder Bürger hin und wieder ein Sabbat-Jahr finanzieren; alternativ könnte die eingesparte soziale Dividende in eine kapitalgedeckte Altersrente umgewandelt werden.


Aufbau des öffentlichen Kapitalstocks

Das öffentliche Kapital sollte in Form von Aktienvermögen über Markttransaktionen vom Staat erworben werden. Dieses Aktienvermögen sollte ein breitdiversifiziertes Portfolio bilden. Finanziert wird der Aktienkauf durch die Emission von staatlichen Schuldtiteln. Wenn die Bonität des Staates gut ist, liegen seine Finanzierungskosten auf dem Niveau des risikolosen Zinses. Sie können dann durch einen kleinen Teil der aus dem Aktienvermögen erwirtschafteten Rendite gedeckt werden.

Der Unterschied zwischen der durchschnittlichen Rendite aus einem breiten Aktienmarktindex und dem risikolosen Zins wird als "Equity Risk Premium" (ERP) bezeichnet. Hierzu existiert eine umfangreiche empirische Forschung, die zeigt, dass im Rückblick die langfristige ERP typischerweise im Bereich 7 Prozent - 9 Prozent liegt (Mehra, 2008). Wenn beispielsweise die von Staat erzielte Aktienrendite 9 Prozent und der Zins auf Staatspapiere 1,5 Prozent betragen (ERP = 7,5 Prozent), reicht ein Sechstel der Aktienrendite aus, um die Refinanzierungskosten der Neuverschuldung für den Aktienkauf zu decken.

Voraussetzung für niedrige Refinanzierungskosten und damit hohe Nettokapitalerträge ist die Glaubwürdigkeit des Staates als solventer Kreditnehmer. Anders als private Schuldner kann der Staat sein Gewaltmonopol benutzen, um Steuern zu erheben und somit an die Mittel für die Rückzahlung seiner Schulden zu kommen. Allerdings hat diese Glaubwürdigkeit auch ihre Grenzen und deswegen zahlen viele Staaten eine Risikoprämie auf ihre Schulden. Diese Überlegung suggeriert, dass die ERP vorrangig für die Tilgung der aufgenommenen Schulden verwendet werden sollte. Nach etwa fünfzehn Jahren wäre die gesamte Neuverschuldung für die Bildung des öffentlichen Kapitals zurückgezahlt. Die Bonität des Staates wäre völlig unangetastet und das Gemeinwesen würde ab dem Zeitpunkt über ein schuldenfreies kollektives Aktienvermögen verfügen.

Demographische und technologische Entwicklungen legen allerdings nahe, dass der gesamtwirtschaftliche Vermögensbildungswunsch der Bevölkerung nachhaltig zugenommen hat und dass dieser Wunsch nur durch eine Ausweitung der Staatsverschuldung sachgerecht befriedigt werden kann (von Weizsäcker, 2014). Der Bildung eines Aktienvermögens in öffentlicher Hand könnte daher eine effizienzerhöhende Ausweitung der Staatschulden gegenüber stehen. Dafür böten sich insbesondere langfristige inflationsindexierte Staatsanleihen an. Bei einem ausreichend liquiden Markt würden sie insbesondere dem Wunsch nach einfachen und sicheren Produkten für die individuelle Altersvorsorge entgegenkommen.


Sovereign Wealth Fund

In der Anfangsphase sollte das öffentliche Kapitalgänzlich im Rahmen eines "Sovereign Wealth Fund" (SWF) verwaltet werden. Weltweit existieren derzeit schon über fünfzig SWF, also Finanzvehikel in Staatseigentum, die öffentliche Gelder in Wertpapiere investieren (Quadrio Curzio und Miceli, 2010). In der Regel verhalten sie sich wie passive Investoren bzw. kollektive Rentiers, die durch passende Portfolioentscheidungen versuchen, eine hohe Rendite zu erzielen, ohne die Kontrolle von Unternehmen zu übernehmen.

Die Errichtung eines SWF sollte sich eines geeigneten institutionellen Rahmens bedienen, wie etwa desjenigen des norwegischen SWF "Government Pension Fund - Global". Kennzeichnend dafür sind seine hohe Transparenz und eine ausgeprägte politische Unabhängigkeit. Ein weiteres kennzeichnendes Merkmal des norwegischen SWF ist, dass seine Anlageentscheidungen ethisch gebunden sind. Eine von der Regierung zusammengestellte Kommission definierte 2004 ethische Richtlinien, die das Verhalten von Unternehmen betreffen. Der Fonds darf nur in Unternehmen investieren, die sich an diese Richtlinien halten, z.B. keine Streumunition herstellen. Derzeit entspricht der Marktwert des norwegischen SWF rund 170 Prozent des norwegischen BIPs.

Der zu errichtende SWF sollte sein Kapital überwiegend in Aktien weltweit anlegen. Seine Aufgabe wäre die Maximierung der langfristigen Rendite bei Einhaltung der demokratisch festgelegten ethischen Standards für die Anlageentscheidungen. Alternativ zur reinen Renditemaximierung könnte die Anlagestrategie des SWF mit Blick auf die Risikoeigenschaften des Portfolios gewählt werden. Dies würde bedeuten, dass eine Portfoliozusammensetzung angestrebt wird, welche Erträge hervorbringt, die mit dem Volkseinkommen des investierenden Staates negativ korreliert sind. Abzüglich der Verwaltungskosten und einer für die Stabilisierung des Verhältnisses Fonds/BIP benötigten Reinvestitionsquote würde die vom SWF erwirtschaftete Rendite in den öffentlichen Haushalt fließen. Der SWF entspräche einer kollektiven Kapitalanlage. Dies würde bedeuten, dass auch Personen, die kein Privatvermögen besitzen, an den höchsten Renditen des Kapitalmarkts teilhätten, die ansonsten nur große Investoren erzielen. Denn jeder Bürger ist über den Staat gleicher Anteilseigner an dessen Anlagen. Dies würde der Vermögenskonzentration entgegenwirken.

Die Größenordnung der erzielbaren Effekte ist beachtlich. Beträgt beispielsweise der SWF langfristig 50 Prozent vom BIP und liefert er dem öffentlichen Haushalt eine jährliche Rendite in Höhe von 8 Prozent, betragen die jährlichen Mehreinnahmen des Staates vier BIP-Prozentpunkte. Für ein Land wie Deutschland hieße es, dass jeder Einwohner eine soziale Dividende in Höhe von ca. 1.500 Euro im Jahr erhalten könnte. Alternativ könnte man daraus alle sieben Jahre ein Sabbat-Jahr finanzieren.

Die Gründung eines solchen staatlichen Investitionsfonds wäre lediglich eine erste Stufe, um den sozialistischen Zielen von sozialer Gerechtigkeit, persönlicher Autonomie und Wohlstand für alle näher zu kommen. Diese erste Stufe ist aber notwendig, weil das Gemeinwesen zunächst lernen soll, mit einer Institution umzugehen, die das öffentliche Kapital verwaltet. Ein SWF eignet sich für diesen Lernprozess gut, weil seine Aufgabe relativ einfach ist und die bereits vorhandenen internationalen Erfahrungen nützliche Hinweise geben können, wie sie am besten zu meistern ist.

Sobald hinreichende Erfahrung mit dem SWF gesammelt worden ist, sollte eine zweite ausschlaggebende Phase eingeleitet werden, bei der das öffentliche Aktienkapital anfängt, eine aktive Rolle in den Unternehmen zu spielen. Zweck dieser zweiten Phase ist, die Kapitalisten auf ihrem eigenen Terrain herauszufordern, um ihnen die Kontrolle über die Großunternehmen der Wirtschaft streitig zu machen. Denn die Großunternehmen und die sie vertretenden Lobbys sind die zentralen Instrumente, die die Mitglieder der Geldelite benutzen, um sich zu koordinieren und ihre Interessen politisch durchzusetzen. Könnte man eine öffentlich-demokratische Steuerung anstelle der gegenwärtigen privat-kapitalistischen Steuerung dieser Unternehmen haben, würden die politischen Entscheidungen wesentlich besser im Einklang mit den Interessen der Bevölkerungsmehrheit stehen. Dies würde die gesellschaftliche Entwicklung langfristig maßgeblich beeinflussen.

An dieser Stelle ziemt es sich aber, sich an das Scheitern der Versuche mit dem sozialistischen Ansatz zu erinnern, der verlangte, dass die Produktionsmittel ins öffentliche Eigentum überführt werden. Genau dieses Scheitern hat bei vielen die Überzeugung aufkommen lassen, dass die Existenz einer kapitalistischen Klasse notwendig sei, denn nur dank ihrer Kontrolle der Produktionsund Investitionsentscheidungen ließe sich ein hohes Niveau materiellen Wohlstands erreichen. Diese Überzeugung ist zwar nicht unbedingt richtig, denn wir kennen nicht die Reichweite der erzielbaren Ergebnisse, wenn die öffentliche Kontrolle von Unternehmen in einem optimierten institutionellen Rahmen erfolgt. Dennoch bedeutet die Verbreitung dieser Überzeugung, dass der Weg zu einem alternativen Wirtschaftssystem nur dann politisch umsetzbar ist, wenn die meisten Menschen erwarten, dass das neue System mindestens den gleichen Wohlstand generiert wie das gegenwärtige. Dies hat wiederum folgende Implikationen:

  1. Marktsystem und private Initiativein Form von klein- und mittelständischen Unternehmen sind unverzichtbar.
     
  2. Die unter öffentliche Kontrolle geratenen Unternehmen sollten mit politischen, sozialen und ökologischen Zielen nicht überfrachtet werden.
     
  3. Kollektive Ziele, welche über das betriebswirtschaftliche Kalkül hinausgehen, sind vom Gesetzgeber in die für alle Akteure gültigen Rahmenbedingungen zum Ausdruck zu bringen (z.B. durch eine hohe Steuer auf CO2-Emissionen).
     
  4. Institutionelle Vorkehrungen sollten getroffen werden, damit zwischen Großunternehmen und Regierenden individuelle Einflussnahmen vermieden werden, und zwar in beide Richtungen.
     
  5. Der Prozess der Übernahme der Unternehmen unter öffentlich-demokratischer Steuerung sollte marktbasiert, allmählich und reversibel sein.

Akzeptiert man diese Bedingungen, muss das angestrebte Wirtschaftssystem marktsozialistisch sein. Aber Marktsozialismus kann in sehr unterschiedlichen institutionellen Varianten mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen umgesetzt werden (Chilosi, 1992). Für Länder wie Deutschland ist die Variante des Bundesaktionärs die mit dem größten Potential (Corneo, 2014).


Bundesaktionär

Als Bundesaktionär bezeichne ich die Institution, welche die Kontrollfunktion der Kapitalisten übernimmt und die Leitung der öffentlich-demokratischen Unternehmen zur bestmöglichen wirtschaftlichen Leistung animiert. In seinen Anfängen sollte der Bundesaktionär eine kleine Anzahl von Großunternehmen kontrollieren. In der Regel wird es sich um dafür auserkorene Unternehmen handeln, deren Aktien längere Zeit im Besitz des SWF gewesen sind und Ziel einer feindlichen Übernahme wurden. Auf die Dauer soll der Bundesaktionär einen festen mehrheitlichen Anteil (z.B. 51 Prozent) des Kapitals dieser Unternehmen besitzen. Auf der Grundlage des Aktienrechts würde der Bundesaktionär durch seine Mitarbeiter die Kontrollfunktion in den Aufsichtsräten der entsprechenden Unternehmen ausüben. Ihre Dividenden kämen überwiegend dem Staat zugute, welcher sie benutzen würde, um die soziale Dividende zu finanzieren.

Der Bundesaktionär hätte eine klare Mission: die Maximierung der langfristigen Rentabilität der von ihm kontrollierten Unternehmen und somit des langfristigen Gewinneinkommens des Staates. Dieser Aufgabe sollte er in Unabhängigkeit von der jeweiligen Regierung nachgehen - ähnlich wie die Bundesbank von der Bundesregierung unabhängig ist. Die politische Unabhängigkeit des Bundesaktionärs sollte durch verfassungsrechtliche Normen garantiert werden. Sein Personal wäre von politischen Parteien unabhängig und nach fachlichen Kriterien ausgewählt.

Die öffentlich-demokratischen Unternehmen wären börsennotiert. Der private Besitz der restlichen Anteile (z.B. 49 Prozent) dieser Unternehmen spielt eine zentrale Rolle, um eine geeignete Anreizstruktur zu schaffen. Zum einen signalisiert der Aktienkurs zeitnah die Qualität des Managements dieser Unternehmen und kann somit verwendet werden, um ihnen passende materielle Anreize zu geben. Zum anderen würden die privaten Aktienbesitzer eine Interessengruppe bilden, welche das Management unter Druck setzen könnte, die Unternehmen rentabel zu führen.

Alle Bürger wären als Empfänger der sozialen Dividende "Stakeholders" und hätten daran Interesse, dass der Bundesaktionär seine Mission erfüllt. Damit sie es prüfen können, würde der Bundesaktionär einer umfassenden Transparenzpflicht unterliegen. Eine institutionelle Aufsicht des Bundesaktionärs würde durch die Bundesbank oder das Finanzministerium erfolgen. Der Bundesaktionär würde die finanziellen Ergebnisse der von ihm kontrollierten Unternehmen und der relevanten Benchmark-Unternehmensgruppen veröffentlichen. Ein Teil der Entlohnung seiner Mitarbeiter würde sich an der relativen Performance der von ihnen kontrollierten Unternehmen orientieren.

Damit die Gewinnmaximierung der Unternehmen volkswirtschaftlich sinnvoll ist, darf sie weder auf Kosten der Arbeitnehmer noch auf Kosten der Konsumenten und der Umweltqualität erfolgen; sie soll das Ergebnis erhöhter Produktionseffizienz und erfolgreicher Produktinnovationen sein. Deswegen müssten die Vorschriften zum Schutz dieser Kategorien strikt formuliert und rigoros eingehalten werden. Gewerkschaften, Verbraucherschutzorganisationen und Umweltschutzorganisationen würden deshalb einen direkten Zugang zu den Informationen über die Handlungen der öffentlich-demokratischen Unternehmen erhalten.

Ein wichtiges Anliegen der Vertreter des Bundesaktionärs innerhalb der öffentlich-demokratischen Unternehmen wäre die Mitbestimmung und das solidarische Ethos der Arbeitnehmer zu fördern. Das öffentliche Eigentum könnte die Identifikation der Arbeitnehmer mit ihrem Unternehmen steigern. Die Eröffnung neuer Mitgestaltungsmöglichkeiten würde dann sowohl die Löhne als auch die Unternehmensgewinne erhöhen.


Evolution

Diese Strategie soll von Anfang an als eine ergebnisoffene kollektive Herausforderung begriffen werden. Es gilt uns selbst zu beweisen, dass ein besseres Wirtschaftssystem möglich ist und damit überflüssige Herrschaftsstrukturen abgebaut, individuelle Freiräume ausgeweitet werden und Unternehmensgewinne aus echter Wertschöpfung anstatt politischer Protektion resultieren. Inwieweit soll aber die öffentlich-demokratische Steuerung der Großunternehmen die privat-kapitalistische Steuerung ersetzen?

Ist einmal der Bundesaktionär errichtet und sind die ersten Unternehmen unter seiner Kontrolle, soll eine evolutionäre Anpassung der Eigentumsstruktur stattfinden. Unterfairen Rahmenbedingungen und bei Einhaltung allgemeingültiger sozialer und ökologischer Standards wird die relative Effizienz der zwei Eigentumsformen (öffentlich und privat) von allein zur optimalen Eigentumsstruktur führen. Der rentablere Sektor wird expandieren und der andere schrumpfen, bis eine effiziente Aufteilung erreicht ist. In diesem Prozess werden die besser geführten Unternehmen profitabler sein und ihre Zusatzrendite wird dazu führen, dass ihre Aktien stärker nachgefragt werden, so dass mehr Kapital in die besser geführten Unternehmen fließt.

Dieses Entdeckungsverfahren beinhaltet die Möglichkeit, dass der Bundesaktionär die marktübliche Rendite nicht erwirtschaften kann und letztlich dicht gemacht werden muss. Dies würde offenbaren, dass die kapitalistische Klasse eine nicht ersetzbare Kontrollfunktion ausübt, also die Steuerung der Großunternehmen ohne sie weniger effizient wäre. Dies scheint aber angesichts der ernsthaften Governance-Probleme von kapitalistischen Konzernen ein unwahrscheinlicher Fall. Wird die Anreizstruktur rund um den Bundesaktionär sorgfältig gestaltet, ist eher zu erwarten, dass sich letztlich eine gemischte oder gänzlich öffentlich-demokratische Eigentumsstruktur im Bereich der Großunternehmen als optimal erweisen wird.


Internationale Perspektive

Die Errichtung eines SWF und des Bundesaktionärs kann ein Staat mit ausreichender Bonität im Alleingang vornehmen. Genauso möglich ist die Initiative einer Gemeinschaft von Staaten - z.B. der Eurozone. Denkbar ist auch ein Beginn auf nationaler Ebene, dem später eine Verschmelzung nationaler Investitionsfonds folgt.

Für nationale Alleingänge sprechen die geringeren Organisationshürden und die Vorbildfunktion, wenn verschiedene Fonds errichtet werden und man vom Besten lernen kann. Kleinere Länder würden aber Schwierigkeiten haben, einen eigenen Fonds zu betreiben. Zum einen, weil es Größenvorteile in der Fondsverwaltung und der Renditeerzielung gibt. Zum anderen, weil in einem kleineren Land tendenziell weniger Großunternehmen zu finden sind, so dass jedes dieser Unternehmen ein größeres Gewicht als in einem größeren Land mit vielen Großunternehmen erhält. Dies vergrößert die Gefahr, dass ein staatlicher Investitionsfonds unter politischen Druck gerät, bestimmte Unternehmen zu protegieren.

Gegen eine Proliferation nationaler Investitionsfonds spricht das Argument, dass sie den Nationalismus begünstigen könnten, von dessen verhängnisvollen Folgen die Menschheit genug Erfahrung gemacht hat. Ein "Weltaktionär" ist allerdings nicht die einzige Möglichkeit. Denkbar sind auch zahlreiche transversale Investitionsfonds, die im Eigentum von subnationalen Gebietskörperschaften mehrerer Staaten oder Staatengemeinschaften wären. Dies könnte zu einem Wirtschaftssystem führen, das Ähnlichkeiten mit dem von Leland Stauber (1987) entworfenen "kommunalen Marktsozialismus" aufweist.


Soziale Träger und kulturelle Arbeit

Welche sozialen Gruppen könnten sich in diesem Programm wiedererkennen und es politisch unterstützen? Vereinfacht gesagt: Die unteren 99 Prozent. Außer für die kapitalistischen Dynastien und die sie umkreisenden Dienstleister bietet die hier umrissene Perspektive allen Menschen eine Chance, sich individuell und im Rahmen ihres gesellschaftlichen und politischen Engagements zu verbessern. Der oben in Aussicht gestellte Marktsozialismus geht mit dem Bild einer wahrhaftig offenen Gesellschaft einher, durchlässig und tolerant, in der die traditionellen Bindungen auf der Basis von Berufsstand und sozialer Klasse immer mehr in den Hintergrund treten. Intergenerative Mobilität sowie Mobilität im Lebenslauf schaffen die Voraussetzung für eine allgemeine Empathie und bilden damit die psychische Grundlage für gesellschaftliche Solidarität und Vertrauen. Dies begründet, dass aus sozialer Diversität soziale Kohäsion entstehen kann. Denn die Andersartigkeit der anderen wird vertrauter, wenn sie der eigenen Vergangenheit oder der möglichen Zukunft der eigenen Kinder entspricht - oder wenn sie das Ergebnis des eigenen Lebenswegs hätte sein können.

Welche kulturelle Neuorientierung geht mit diesem Programm einher? Zwei oberflächlich gesehen gegensätzliche Anforderungen stehen hier im Mittelpunkt. Einerseits heißt die Aufhebung kapitalistischer Dominanz, dass man den Geldfetischismus ablehnt und dass man die Logik der Selbstbehauptung im Wettbewerb für eine armselige Auffassung von gutem Leben erklärt. Die Forderung an die Kultur ist hier, glaubhaft zu vermitteln, dass die guten Dinge des Lebens keinen Preis haben und dass einige zentralen Gesellschaftsbereiche - wie etwa Demokratie und Wissenschaft - vor der drohenden Kommerzialisierung zu schützen sind. Andererseits heißt die Errichtung von SWF und Bundesaktionär, dass man den instrumentellen Wert von Geld und Märkten nüchtern anerkennt. Dies bedeutet nicht nur, dass man sie nicht verteufelt, sondern auch dass man erklärt, welche sozialen Vorteile gegenüber alternativen Allokationsmechanismen sie aufweisen und woraus ihre Grenzen und Möglichkeiten bestehen. Diese zwei Anforderungen - "gegen den Geldfetischismus und für den Aktienmarkt" - stehen nur oberflächlich im Widerspruch, denn eine instrumentelle Betrachtung von Geld und Märkten bedeutet zugleich ihre Entsakralisierung und macht es erst möglich, das Materielle auf die nachrangige Rolle herunterzufahren, die ihm zusteht.


Dr. Giacomo Corneo ist Professor für Öffentliche Finanzen an der FU Berlin und Schriftleiter des Journal of Economics, seit 2013 Herausgeber der Perspektiven der Wirtschaftspolitik. Ferner ist er Research Fellow bei dem CEPR, London, dem CESifo, München, dem IMK, Düsseldorf und dem IZA, Bonn. Seit 2013 leitet er das Doktorandenkolleg "Steuer- und Sozialpolitik bei wachsender Ungleichheit".


Literatur

Chilosi, A., 1992, Market socialism: A historical view and a retrospective assessment, Economic Systems 16, 171-185.

Corneo, G., 2014, Bessere Welt, Wien: Goldegg.

Mehra, R., 2008, Handbook of the Equity Risk Premium, Amsterdam: Elsevier.

Quadrio Curzio, A. / Miceli, V., 2010, Sovereign Wealth Funds, Petersfield: Harriman House.

Stauber, L., 1987, A New Program for Democratic Socialism, Carbondale: Four Willows Press.

von Weizsäcker, C.-C., 2014, Public debt and price stability, German Economic Review 15, 42-61.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2015, Heft 207, Seite 44-50
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2015

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