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DISKURS/121: Weltveränderung Marke Eigenbau (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2015

Weltveränderung Marke Eigenbau
Die "Maker-Bewegung" führt den Do-it-yourself-Gedanken ins 21. Jahrhundert

Von Dirk Kohn


Deutschland - Land der Heimwerker. Mit der Liebe der Deutschen zum Do-it-yourself (DIY) werden jährlich rund 100 Milliarden Euro Umsatz erzielt, ein Fünftel davon allein von den großflächigen Baumärkten. Trotz Praktiker-Pleite ist die Baumarktdichte nirgendwo sonst in Europa höher. "Mach es zu Deinem Projekt" ist einer der Slogans der Branche und Millionen Deutsche fühlen sich davon angesprochen.

Die DIY-Bewegung war in den 50er Jahren in England entstanden und schwappte schnell nach Deutschland über. Wirtschaftlich ging es hierzulande jetzt zwar bei vielen wieder bergauf, für professionelle Handwerker fehlte aber den meisten das Geld. So mussten Garagen oder Einbauküchen anfangs nach vorgegebenem Plan komplett selbst gefertigt werden, Bausätze gab es nicht. Vorlagen bot ab November 1957 die Zeitschrift selbst ist der Mann - das erste deutsche DIY-Magazin.

Mit dem Übergang zur Fünf-Tage-Woche ab 1956 in Westdeutschland hatten die Gewerkschaften eine ihrer Zentralforderung zwar erreicht ("Samstags gehört Vati mir"), doch die Arbeitszeitverkürzung kam in den Folgejahren wohl nicht vorrangig der Familie zugute. Die Vater verbrachten vielmehr einen Großteil der neu gewonnenen Freizeit entweder im Werkzeugkeller oder in den sich ab 1960 zumindest in Westdeutschland ausbreitenden Baumärkten, dem damals laut Süddeutscher Zeitung "letzten Rückzugsort des Mannes". Inzwischen sind 43 % der Baumarktkundschaft weiblich.

Aus der Not geboren entwickelte sich DIY mit zunehmendem Wohlstand zu einer neuen Freizeitbeschäftigung. Ende 1974 ging die hauptsächlich vom WDR produzierte TV-Reihe Hobbythek auf Sendung. Dieser Trend ist nach wie vor ungebrochen, das Segment der Bastel-, Heimwerker- und Gartenzeitschriften ist über die Jahre immer breiter geworden und die Fülle an Einrichtungs- und Renovierungsmagazinen im Fernsehen unübersichtlich.

Und nun breitet sich zudem auch in Deutschland die Sogenannte "Maker-Bewegung"aus. Erleben wir hier die dritte Generation der Heimwerker und Bastler, also: Do-it-yourself 3.0? Schließlich werden doch auch hierbei Dinge selbst produziert, anstatt gekauft, auch wenn die eingesetzten Maschinen, hauptsächlich 3D-Drucker, Lasercutter, computergesteuerte Fräsen usw. nun digital aufgerüstet sind. Die "Maker" sehen sich allerdings keinesfalls in der Tradition des klassischen DIY. Ihr Ziel ist es vielmehr, mit eigenen Mitteln, oft in Kooperation mit anderen, technische Probleme in den Griff zu bekommen. Weil die eingesetzten Geräte (vor allem 3D-Drucker) mittlerweile (fast) jedem zugänglich und für jedermann erschwinglich sind, da die Finanzierung auch über Crowdfunding erfolgen kann und weil moderne Formen der Zusammenarbeit wie Crowdsourcing, Open Source, FabLabs, Hackerspaces oder Coworking die Zugangsbarrieren beseitigen, sehen sich viele "Maker" bereits auf dem Weg in die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Es steckt also auch eine politische Idee dahinter: "Wer die Produktionstechnologien kennt und beherrscht, könne sich befreien aus den Klauen eines abhängig machenden, die Umwelt vergiftenden und die Menschen ausbeutenden Systems. Ein wahrhaft reizvoller Gedanke." (DIE ZEIT, 41/14). "Selbstmachen als Teil der dritten industriellen Revolution", formuliert das die Makerin Petra Fastermann: Wie die Einführung der Personalcomputer in den 70er Jahren erstmals einer breiten Zielgruppe elektronische Informationsverarbeitung ermöglichte, soll nun auch die Produktion dezentralisiert werden. Gleichzeitig wird dieser Trend mit dem Re- und Upcyclinggedanken und dem bewussteren Umgang mit natürlichen Ressourcen in Verbindung gebracht. Letztendlich, so wird prophezeit, würden künftig die großen Industriemaschinen eine immer geringere Rolle spielen und neue Organisationsformen für die Produktion mit verteilten Geschäftsplattformen entstehen.

Hightech demokratisch nutzbar machen. Gerade für Entwicklungsländer wird diese Idee als große Chance gepriesen, aber auch die Industrienationen versprechen sich einiges von dieser Entwicklung. So ist Barack Obama ein großer Fan, seiner Ansicht nach könnten dank des 3D-Druckers viele Industrien, etwa aus China, in den Westen zurückkehren und ein neues Wirtschaftswunder initiieren. Doch hält der Anspruch der "Maker" dem Realitätstest stand?

Was "Maker" so machen

Dale Dougherty, Verleger und Gründer des MAKE Magazine, das den Begriff "Maker" geprägt hatte, sieht die Bewegung gar in einer Traditionslinie mit den amerikanischen Gründervätern. Auch wenn dies völlig überzogen ist: Über Medien, Events und E-Commerce vernetzt sich mittlerweile weltweit eine wachsende Community. Auf sogenannten "Maker Faires" trifft sich die Bewegung seit 2006. In den USA kamen zu den beiden Maker-Faire-Veranstaltungen in San Francisco und New York im letzten Jahr allein mehr als 200.000 Besucher. Vor kurzem fand die erste MF im Weißen Haus statt. Knapp 9.000 Besucher kamen Anfang Juli 2014 zur "Maker Faire" nach Hannover, die nächste findet dort am 6.+7. Juni 2015 statt und am 3.+4. Oktober 2015 dann die erste in Berlin.

Im Zentrum des kreativen Schaffens stehen u.a. die sogenannten FabLabs (fabrication laboratory). Das erste wurde 2002 von Neil Gershenfeld an der Eliteuniversität MIT in Boston initiiert. FabLabs sind demokratische und öffentlich zugängliche Hightech-Werkstätten, die digitale Produktionsanlagen für private Projekte bereitstellen. Privatpersonen können die industriellen Anlagen für individuelle, kreative Projekte zu geringen Kosten oder kostenlos nutzen. Konsumenten werden durch Open Innovation oder Eigenentwicklungen von vorgefertigten Lösungen der Industrie unabhängiger.

"Maker" lehnen den Massenkonsum ab und wollen die Welt mit eigenen Schöpfungen und Spezialanfertigungen füllen. Dieser neue Geist und die fast intrinsische Lust am Selbermachen führt laut Richard Sennett (etwa in seinem Buch Handwerk) über die Befähigung und Aktivierung des Einzelnen fast automatisch auch zu einer neuen Art von Bürgerschaft. Bis es soweit ist, ermöglichen FabLabs zumindest den Zugang zu Produktionstechnologien und -wissen. Auch dort, wo dies aus Gründen mangelnder Bildung oder fehlendem Wohlstand eher schwierig ist. In den Industrienationen vermitteln FabLabs technisches Know-how auch außerhalb des regulären Schul- oder Hochschulsystems, tragen so zu einer Erhöhung der Bildungsgerechtigkeit und zur Förderung des Fachkräftenachwuchses bei.

FabLabs sind seit 2010 in der International Fab Lab Association vernetzt, verfügen über eine weltweit einheitliche Grundausstattung und haben sich auf die Einhaltung der sogenannten Fab Charter verpflichtet. Darin sind das Selbstverständnis und die ethischen Grundprinzipien der FabLabs gebündelt: offener Zugang, Verantwortung für das eigene Handeln gegenüber anderen Menschen und der Umwelt, offene Wissensvermittlung, geistige Eigentumsrechte und kommerzielle Aktivitäten. Seitdem das Know-how in seinen Grundzügen der interessierten Öffentlichkeit durch das Internet zur Verfügung steht, hat, auch angetrieben durch eine innovationsfreudige Open-Source-Szene, ein beeindruckender Trend zu preiswerteren Profi-Geräten einerseits sowie zu einfachen Einsteiger- und Do-it-Yourself-Maschinen andererseits eingesetzt.

Derzeit gibt es weltweit ca. 360 Fab-Labs, etwa 17 davon in Deutschland. Darunter finden sich private Initiativen und Vereine, andere sind als Universitätseinrichtungen organisiert. Die Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge und Spenden, die Open Source Business Foundation (OSBF), zum Teil aber auch von der Industrie, die ebenfalls Kontakte, Beratung, Förderung, Maschinen und Werkzeuge zur Verfügung stellt und manchmal auch Patenschaften übernimmt.

Was am Ende bleiben wird

Mit dem Kreativkonzept der "Maker-Bewegung" sind zahlreiche Hoffnungen und Utopien verknüpft. Apologeten und Vordenker zeichnen damit ein Weltbild, in dem die Kreativität wieder bei den Privathaushalten liegt und Industriebetriebe die verbleibende Massenfertigung und -versorgung übernehmen oder die Personal Fabrication unterstützen. Der produzierende Sektor wird als eine Art demokratische Kreislaufwirtschaft dargestellt.

Die Bewegung ist eindeutig in der Expansionsphase. Wir stehen zurzeit auch erst am Anfang der Entwicklung (Fab 1.0). In der letzten Phase (Fab 4.0) sollen dann "intelligente" Materialien selbstständig wachsen, ohne den Einsatz von Maschinen. Den Nachweis, dass die Personal Fabrication eine gesellschaftliche Neuordnung auslösen kann, bleibt sie aber noch schuldig. Auch wenn namhafte Wissenschaftler wie der Soziologe Jeremy Rifkin die dezentralen Produktionsformen als das "dominante Wirtschaftssystem" der Zukunft bezeichnen, kann festgehalten werden: Auch die großen Player im Silicon Valley sind in Garagen als eine Art Hippie-Bewegung gestartet, die die Dezentralisierung feierte. Heute propagieren sie eher die Aushöhlung des demokratischen Systems und die Bildung von Monopolen. Aus der Kulturkritik und dem Freigeist der Anfangsjahre hat sich ein Ultra-Kapitalismus entwickelt.

Auch wenn die "Maker-Bewegung" diesen Weg nicht einschlägt, könnte sie am Ende doch vom Kapitalismus geschluckt werden. Kooperationspartner wie etwa Siemens beim FabLab Nürnberg, die bereits reale Problemstellungen aus dem Unternehmensalltag in die Labs einbringen und den Schüler/innen ihre Vertreter als Mentoren zur Seite stellen, sind ein Hinweis darauf, dass die Industrie schon jetzt sehr genau verfolgt, was in den Laboren vor sich geht.

Ein Testfall für die weitere Entwicklung könnte in diesem Zusammenhang der Börsengang des Online-Marktplatzes für handgefertigte Produkte Etsy werden. Sind die Ansprüche der Kreativen, die in kleinen Stückzahlen produzieren, und die Erwartungen des Finanzmarktes überhaupt miteinander vereinbar? Etsy-Gründer Chad Dickerson beruft sich neben Mahatma Gandhi und Charlie Chaplin auf den deutsch-britischen Ökonomen Ernst Friedrich Schumacher, der von einem dezentralen und sozialen Wirtschaftssystem träumte. Vielleicht wird Dickerson dessen Hauptwerk Small is beautiful aber bald beiseitelegen müssen.


Dirk Kohn Redaktion NG/FH, ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftler.
dirk.kohn@fes.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2015, S. 43 - 45
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2015

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