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ENERGIE/2073: Chile - Land baut erstes Erdwärmekraftwerk Südamerikas (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2015

Chile: Land baut erstes Erdwärmekraftwerk Südamerikas

von Marianela Jarroud


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Die Geysire von El Tatio im Norden Chiles
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

OLLAGÜE, CHILE (IPS) - Chile, ein mit Vulkanen und Geysiren gesegnetes Land, hat mit der Umsetzung eines jahrzehntelangen Traums begonnen: dem Bau des ersten Geothermiekraftwerks Südamerikas.

Wie Marcelo Tokman, Generaldirektor des staatlichen Ölkonzerns ENAP, gegenüber IPS erklärte, ist das 'Cerro-Pabellón-Geothermie-Zentrum' für Chile von enormer Bedeutung. Obwohl die ersten Explorationsarbeiten und Probebohrungen bereits vor 40 Jahren stattgefunden hätten, nehme das Vorhaben erst jetzt Gestalt an.

Umgesetzt wird das Vorhaben in Ollagüe, einer ländlichen Ortschaft rund 1.380 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago im Andenhochland in der Region Autofagasta. "Es wird zudem das erste seiner Art sein, das in 4.500 Meter Höhe über dem Meeresspiegel entsteht", fügte Tokman, ein ehemaliger Energieminister, hinzu.

Das italienische Unternehmen 'Enel Green Power' ist zu 51 Prozent an dem Projekt beteiligt. Die restlichen 49 Prozent hält ENAP. Die Anlage wird aus zwei 24 Megawatt-Komponenten bestehen, die nach der Fertigstellung rund um die Uhr Strom produzieren sollen, weshalb das Kraftwerk, was seine jährliche Stromproduktionskapazität angeht, mit einer 200 MW-Fotovoltaik- oder Windanlage auf einer Stufe steht.

Vorgesehen ist, die erste Bauphase im ersten Quartal 2017 zum Abschluss zu bringen. Im Jahr darauf sollen weitere 24 MW hinzukommen. Mittelfristig könnte die Anlage auf einer Fläche von 136 Hektar 100 MW Strom erzeugen.


Strom für 154.000 Haushalte

Nach Aussagen Tokmans wird das Kraftwerk nach der vollständigen Inbetriebnahme rund 340 Megawattstunden Strom (MWh) im Jahr erzeugen. Sie werden in das nationale Stromnetz eingespeist und den Energiebedarf von 154.000 Haushalten in dem 17,6 Millionen Menschen zählenden Land decken. Das Vorhaben wird die Abhängigkeit des Landes von fossilen Brennstoffen so weit reduzieren, dass pro Jahr weniger als 155.000 Tonnen CO2 anfallen.

In die Explorationsarbeiten wurden bereits 60 Millionen US-Dollar investiert. Die Kosten für den Bau des Kraftwerks und einer 73 Kilometer langen Stromleitung werden mit weiteren 320 Millionen Dollar veranschlagt.

Erdwärme findet sich in der Erdkruste, meist in der Nähe von Vulkanen, und Geysiren. Sie kann, wenn sie vernünftig gemanagt wird, ewig vorhalten. Der heiße Dampf treibt über eine Turbine einen Generator an.

Studien zufolge gehört Chile zu den lateinamerikanischen Ländern mit den höchsten Erdwärmepotenzialen. Das lange schmale Land, das Teil des Pazifischen Feuerrings ist, erstreckt sich längs der Anden, dem weltgrößten Vulkangürtel, über eine Gesamtlänge von 4.270 Kilometern.


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Die Geysire von El Tatio im Norden Chiles, im Morgengrauen aufgenommen
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Experten zufolge sind die ökologischen Auswirkungen von Wärmekraftwerken unter der Voraussetzung, dass Größe und Standort mit Bedacht ausgewählt werden, relativ gering. "Erdwärme ist eine unkonventionelle, erneuerbare Energiequelle, solange sie den territorialen und kulturellen Gegebenheiten Rechnung trägt. Sie ist an sich aber kein Garant für soziale und ökologische Nachhaltigkeit", warnt Lucio Cuenca, Leiter der Lateinamerikanischen Beobachtungsstelle von Umweltkonflikten, im Gespräch mit IPS. "Werden aber sämtliche Parameter berücksichtigt, stellt sie für das Land eine sehr gute Alternative dar."

Die Cerro-Pabellón-Anlage wird in der Nachbarschaft der Gemeinschaften errichtet, die in den Dörfern Caspana, Ayquina, Turi, Chiu, Cupo, Valle de Lasana, Taira und Ollagüe in der Naturreservation Alto El Loa zu Hause sind. Die insgesamt rund 1.000 Einwohner sind mehrheitlich indigene Atacameño und Quechua.

Der Rat der indigenen Völker von Alto El Loa hat mit ENAP und ENEL eine Vielzahl von Abkommen vereinbart. So sollen die Anrainer als Gegenleistung für ihre Zustimmung zum Bau des Erdwärmekraftwerks und der Stromleitung in den Genuss etlicher sozialer Entwicklungsprojekte kommen.


Indigene Hoffnungen und Befürchtungen

Den Einwohnern von Alto El Loa, die zerstreut in den entlegenen Winkeln der Atacama-Wüste leben, kommt das Projekt grundsätzlich gelegen. Allerdings fürchten sie, dass das Projekt ihre Lebensweise missachtet. "Wir können Hilfe dringend gebrauchen. In diesem Sinne ist das Vorhaben willkommen", meint Luisa Terán, Angehörige der indigenen Volksgruppe der Atacameño, die in der Ortschaft Caspana lebt. "Denn wir fühlen uns bisweilen recht vernachlässigt und isoliert. Doch wichtig ist, dass unsere traditionelle Lebensweise respektiert wird, wie dies unsere Ältesten nachdrücklich fordern."


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Chiles Atacama-Wüste ist reich an Erdwärme
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Allerdings gibt es auch Gegner des Kraftwerks. Sie lehnen es mit der Begründung ab, es sei "unnatürlich" und eine Gefahr für das lokale Habitat. "Wird die Erde verletzt, wird sie zurückschlagen", meint etwa der Touristenführer Víctor Arque aus San Pedro de Atacama, einem Hochlanddorf 290 Kilometer von Ollagüe entfernt. "Kilometertiefe Bohrlöcher werden nicht folgenlos bleiben."

Chile hat seit langem bei der Erforschung des nationalen Erdwärmepotenzials regional die Nase vorn. Die erste Exploration fand 1907 in El Tatio statt, einem Geysirfeld 4.300 Meter über dem Meeresspiegel und gut 200 Kilometer von Cerro Pabellón entfernt. Das südamerikanische Land war nach den USA und Russland der dritte Staat, der die Möglichkeiten der Erdwärme erforscht hat.

In dem Gebiet waren 1931 zwei Brunnen gebohrt worden. In den 1960er Jahren kam es dann zu systematischen Explorationen, die kurz darauf wieder eingestellt wurden. 2008 begann die Firma 'Geotérmica del Norte', ein Unternehmen des italienischen Konsortiums ENEL, mit Untersuchungen in Quebrada del Zoquete, nur einige Kilometer von El Tatio entfernt, wo es auf das bereits in dem Geysirfeld installierte Equipment zurückgreifen konnte.

Im September 2009 schoss aufgrund eines fehlerhaften Ventils eine 60 Meter hohe Dampfsäule aus einem der Schächte. Das Problem hielt mehr als drei Wochen an und veranlasste die chilenische Regierung zum Widerruf der Lizenz für weitere Operationen.


Vorbild für andere Länder der Region

Cuenca zufolge hat man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Sollte sich das Erdwärmepotenzial des Landes bestätigen, könnte Cerro Pabellón zum Weichensteller für die Ausbeutung von Erdwärme in anderen südamerikanischen Länder werden. Sechs südamerikanische Länder - Argentinien, Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru - sind Teil des Pazifischen Feuerrings, einem Vulkangürtel, der den Pazifik von drei Seiten umgibt.

1988 hatte Argentinien mit japanischem Kapital die experimentelle Geothermieanlage 'Copahue I' gebaut, die 0,67 MW Strom generiert. Die Operationen wurden allerdings später eingestellt. Derzeit ist der Bau eines weiteren Erdwärmekraftwerks ('Copahue II') in der Südprovinz Neuquén vorgesehen. Es soll 100 MW Strom erzeugen.

In Peru fand eine gemeinsam von der Japanischen Entwicklungsbehörde und dem Energieministerium im Jahr 2013 durchgeführte Studie heraus, dass das Land über 3.000 Megawattstunden Geothermiestrom verfügt. Bisher gibt es aber keine Pläne für den Bau von Erdwärmekraftwerken.

Im Februar kündigte der bolivianische Präsident Evo Morales an, ab 2019 Storm in die Nachbarländer aus der geplanten Erdwärmeanlage 'Laguna Colorada' zu exportieren. Das von Japan finanzierte Projekt wird aus zwei 50-MW-Komponenten bestehen.

Brasilien verfügt einer Studie von 1984 zufolge über kein Erdwärmepotenzial. Doch derzeit wird das Untersuchungsergebnis überprüft. Energie aus Erdwärme ist in einem Abkommen mit Deutschland im Zusammenhang mit der Suche nach alternativen Energieträgern enthalten. (Ende/IPS/kb/27.08.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/08/planta-en-chile-abre-las-puertas-sudamericanas-a-la-geotermia/
http://www.ipsnews.net/2015/08/plant-in-chile-opens-south-americas-doors-to-geothermal-energy/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2015

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