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FINANZEN/095: Haushaltskonsolidierung und Konjunktur (spw)


spw - Ausgabe 4/2010 - Heft 179
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Haushaltskonsolidierung und Konjunktur

Von Arne Heise


Die Bundesregierung feiert sich selbst: Durch ihre Konjunkturprogramme, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz (WBG) und das jüngst verabschiedete Sparprogramm ("Zukunftspaket") sieht sie nicht nur die Weichen für eine nachhaltige konjunkturelle Erholung gestellt, sondern auch die Konsolidierungsanforderung aus der neuen Schuldenregel des Grundgesetzes (maximale Netto-Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP ab 2016) weitgehend erfüllt.

Eine Betrachtung der Wirtschaftsdaten kommt zu einem etwas vorsichtigeren Ergebnis (vgl. Tab. 1): Tatsächlich ist die Rezession seit dem positiven Wachstumsergebnis des 1. Quartals 2010 zunächst überwunden und auch die Schätzungen des abgelaufenen 2. Quartals und des gesamten Jahresverlaufs 2010 deuten darauf hin, dass die schärfste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik hinter uns liegt. Zu dieser konjunkturellen Wende haben auch die Konjunkturprogramme der Bundesregierung beigetragen. Im Gegensatz zum privaten Konsum ist der Anstieg der öffentlichen Ausgaben ein entscheidender Wachstumsfaktor. Allerdings sind diese Konjunkturprogramme im Wesentlichen bereits von der alten (großen) Koalition auf den Weg gebracht worden und mussten sich die Kritik gefallen lassen, im internationalen Vergleich eher (zu) bescheiden und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet gewesen zu sein. Typischerweise ist der deutsche Export (abzüglich des Importes = Außenbeitrag) der zweite Stützpfeiler des konjunkturellen Aufschwungs: Abwertungen des Euro und die extrem günstige deutsche Lohnstückkostenentwicklung haben die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte auf den internationalen Märkten weiter erhöht.


Tabelle 1: Komponenten der konjunkturellen Entwicklung (in % des BIP)


2008

2009

IV.Q. 2008
I.Q. 2009
II.Q. 2009
III.Q. 2009
BIP
Konsum
(Privat)
(Staat)
Ausrüstungs-Investitionen
Außenbeitrag
1,3
  
0,4
2,1
3,3
-0,3
-4,9
  
-0,1
3,4
-20,5
-2,9
-1,7
-0,6
2,3
-3,0
-1,7
-6,4
-0,3
3,4
-20,1
-6,4
-7,0
-0,4
3,4
-23,4
-7,0
-4,7
-0,5
4,0
-20,8
-4,7


IV.Q. 2009
I.Q. 2010
2010*

2011**

2012**

2013**

BIP
Konsum
(Privat)
(Staat)
Ausrüstungs-Investitionen
Außenbeitrag
-1,5
0,0
2,7
-17,9
-1,7
1,7
-0,2
2,4
0,8
1,5
1,4
-0,5
KA 3,1
0,8
1,9

KA

KA
KA
1,9

KA

KA
KA
1,9

KA

KA
KA

Anmerkungen: * Prognose der Bundesregierung lt. Jahreswirtschaftsbericht 2010;
** Prognose des Arbeitskreises Steuerschätzung; KA = keine Angaben
Quelle: Deutsche Bundesbank: Monatsbericht Juli 2010


Insgesamt kann ein BIP-Wachstum von 1,4 Prozent (bis 1,9 Prozent, wie einige Schätzungen optimistischer erwarten) allerdings keineswegs als befriedigend angesehen werden, bedenkt man den Niveauverlust, den die Bundesrepublik durch die Depression erlitten hat: Ende 2009 lag das (reale) deutsche BIP wieder etwa auf dem Niveau von 2006! Vor allem aber die Nachhaltigkeit und Dynamik des konjunkturellen Aufschwungs, der z.B. in den Steuerschätzungen unterstellt wurde, ist keineswegs gesichert. Dazu bedürfte es einer Verstetigung insbesondere der öffentlichen Investitionen - die nach dem Auslaufen der Konjunkturprogramme wieder auf ihr dramatisch niedriges Vor-Krisenniveau abgesenkt werden sollen - und einer deutlichen Verstärkung der privaten Investitions- und Konsumnachfrage. Die private Investitionsnachfrage benötigt als Grundlage ihrer Ertragserwartungen eine positive Entwicklung der Masseneinkommen, soll sie nicht ausschließlich von der Auslandsnachfrage abhängen. Die Entwicklung der Masseneinkommen wiederum hängt von der Beschäftigungsentwicklung (in Arbeitsstunden) und der Lohn- bzw. Transferentwicklung ab. All diese Komponenten sind gegenwärtig noch hochgradig unsicher: Angesichts der weltweiten Sparprogramme ist eine weitere Verbesserung des Außenbeitrags ungewiss und wirtschaftspolitisch auch nicht wünschenswert, da dies zulasten der Handelspartner (insbesondere in der Eurozone) ginge. Und trotz guter Beschäftigungsentwicklung ist eine spürbare Ausweitung der Masseneinkommen ebenfalls noch ungewiss. Dies wird durch die Belastungen aus dem als "Zukunftspaket" bezeichneten Sparprogramm der Bundesregierung weiter verstärkt: Mehr als die Hälfte der mit über 80 Mrd. Euro bis 2014 geplanten Konsolidierungsbeiträge entfallen auf die Kürzung von Sozialleistungen (Elterngeld für Hartz IV-Empfänger, Einsparungen beim Wohngeld und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen), die Menschen mit hoher Konsumquote betreffen.


Tabelle 2: Komponenten der öffentlichen Haushaltsentwicklung


A:
B:
C:
D:
E:
F:
  Fx:
  Fy:
2008       
-0,6(-14,4)
KA
KA
4          



2009       
-1,6(-39,3)
KA
KA
13         



2010       
-2,7(-65,2)
-2,2(-53,2)
-2,4(-60,3)
-3,9       
20         



2011       
-2,4(-57,5)
-1,9(-45,8)
-2,1(-55,9)
-4,5       
KA 11,2       
3,0       
5,3       
2012       
-1,6(-40,1)
-1,6(-39,0)
-2,0(-53,9)
-4,8       
KA 19,1       
7,0       
7,8       
2013       
-1,2(-31,6)
-1,2(-32,1)
-2,0(-51,9)
-4,5      
KA 23,7      
9,4      
7,8      
2014      
-1,0(-24,1)
-1,0(-25,0)
KA -4,4      
KA 27,6      
10,9      
7,8      

A: Netto-Neuverschuldung des Bundes in % des BIP (in Mrd. Euro)
B: Strukturelles Defizit (Bund) lt. Finanzplan 2010 in % des BIP (in Mrd. Euro)
C: Strukturelles Defizit (Bund) lt. Finanzplan 2009 in % des BIP (in Mrd. Euro)
D: Defizit durch WBG (Bund) in Mrd. Euro
E: Defizit durch Steuerreformen seit 1998 (Bund)
F: Sparpaket in Mrd. Euro
- Fx: Sozialkürzungen
- Fy: Unternehmen

Anmerkungen: KA = keine Angaben.
Quelle: Finanzplan des Bundes 2009-2013; Finanzplan des Bundes 2010-2014;
IMK-Report Nr. 49/2010


Hat die Bundesregierung vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Schuldenbremse Handlungsoptionen? Können Einsparungen im Sozialhaushalt vermieden und Verstetigungen der öffentlichen Investitionen angesichts der notwendigen Rückführung der strukturellen Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des BIP bis 2016 ermöglicht und somit die Konjunkturaussichten wirtschafts- und finanzpolitisch abgesichert werden? Ja, denn so wie der Konsolidierungserfolg der Politik der Bundesregierung von der mehr als unsicheren Annahme abhängig ist, dass die Konjunkturerholung dadurch zumindest nicht untergraben wird, so könnten investive Mehrausgaben und geringere sozialpolitische Kürzungen machbar sein, wenn dadurch erstens die konjunkturelle Entwicklung verbessert würde und zweitens eine konjunkturförderliche Lastenverschiebung erfolgte. Tab. 2 zeigt, dass die Sozialkürzungen des "Zukunftspakets" fast vollständig hätten unterbleiben können, wenn der Bundeshaushalt nicht durch die Steuerentlastungen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes belastet worden wäre. Weit größerer Handlungsspielraum würde bestehen, wären die steuerrechtlichen Neureglungen seit 1998 (insbesondere Senkung der Einkommens- und Körperschaftssteuer) unterblieben - insbesondere auf der Einnahmeseite also gäbe es Möglichkeiten, wäre die Bundesregierung nicht durch ihren kleinen Koalitionspartner daran gehindert, eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben.


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2010, Heft 179, Seite 50-51
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2010