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FRAGEN/008: Diskriminierung beim Namen genannt (uni'kon Uni Konstanz)


uni'kon 39|10 - Universität Konstanz

Diskriminierung beim Namen genannt

Die Arbeitsgruppe von Prof. Leo Kaas kann in einer Feldstudie
Diskriminierung beim Einstellungsprozess nachweisen

Das Gespräch führte Jürgen Graf


Schon der Name kann bei einer Bewerbung zur Hürde werden: Prof. Leo Kaas, Inhaber der Professur für Wirtschaftstheorie an der Universität Konstanz, und sein Doktorand Christian Manger konnten in ihrer experimentellen Studie Diskriminierung beim Einstellungsprozess in deutschen Unternehmen nachweisen. Leo Kaas spricht mit uni'kon über das Ausmaß der Diskriminierung, über fiktive Bewerbungen und Konsequenzen seiner Studie.

uni'kon: Herr Prof. Kaas, wie gelang es Ihnen, Diskriminierung nachzuweisen?

Prof. Leo Kaas: Bei unserem Experiment haben wir über 1.000 fiktive Bewerbungen um Praktikumsplätze verschickt. Diesen Bewerbungen wurde zufällig entweder ein deutscher oder ein türkischer Name zugeordnet. Wir konnten feststellen, dass die Zahl der positiven Rückmeldungen beim türkischen Namen um 14 Prozent geringer war als beim deutschen Namen. Die Bewerbungen waren alle mit guten bis sehr guten Noten, vor allem in Deutsch, Englisch und Mathematik, ausgestattet, und alle Kandidaten waren Inländer mit deutscher Staatsbürgerschaft und Muttersprache Deutsch.

Startpunkt unserer Studie war ein studentisches Seminar zur Diskriminierung, das wir gemeinsam mit Thomas Hinz, einem Kollegen aus der Soziologie, durchgeführt haben.

uni'kon: Überraschte Sie das Ergebnis?

Prof. Leo Kaas: Wir waren nicht überrascht, dass wir Diskriminierung festgestellt haben, wir wussten nur nicht, in welchem Ausmaß. Es gibt für andere Länder ähnliche Studien, die Diskriminierungsquoten aufweisen, die noch deutlich höher sind als bei uns. Man kann daraus aber nicht schließen, dass in Deutschland weniger diskriminiert wird, da die Studien sehr schwer zu vergleichen sind. Zum einen haben wir ein ganz bestimmtes Segment des Arbeitsmarktes untersucht, Praktikumsplätze für Studenten. Es kann durchaus sein, dass in anderen Segmenten des Arbeitsmarktes mehr oder auch weniger diskriminiert wird. Zum anderen ist es im Ausland oftmals gar nicht üblich, den Bewerbungen Zeugnisse beizulegen.

uni'kon: Ein Zeugnis oder ein Gutachten wirkt aber durchaus der Diskriminierung entgegen, zeigt Ihre Studie.

Prof. Leo Kaas: Je mehr Information einer Bewerbung beiliegt, umso weniger wird diskriminiert. Bei den Bewerbungen, bei denen ein persönliches Referenzschreiben dabei lag, war fast kein Unterschied in den Rücklaufquoten festzustellen. Das war eigentlich schon sehr überraschend.

uni'kon: Warum wählten Sie genau diese Herangehensweise?

Prof. Leo Kaas: Diese Methode ist international etabliert, man nennt sie Korrespondenztest. Es ist eine Methode, mit der man die erste Stufe im Rekrutierungsprozess untersuchen kann. Wir haben Nachfahren der türkischen Migrantengeneration gewählt, weil sie die größte ethnische Minderheit in Deutschland ist. Es gibt weitere Methoden, das sind sogenannte Audit-Studien, in denen man Schauspieler in die Bewerbungsgespräche hineinschickt. Aber solche Studien werden auch kritisiert, weil es relativ schwierig ist, die Schauspieler so zu trainieren, dass sie nicht verzerrt agieren. Insofern ist unsere Methode eine, die keinerlei Verzerrungen unterliegt. Der Nachteil ist natürlich: Man testet nur die erste Stufe dieses Bewerberauswahlprozesses.

uni'kon: Es ist eine Wissenschaft für sich, fiktive Bewerber en detail zu erschaffen. Sie haben sogar an StudiVZ gedacht.

Prof. Leo Kaas: Es war ein sehr aufwendiges Experiment, man musste auf viele Details achten. Man muss bei den verwendeten Namen aufpassen, dass es keine echten Personen sind, dass die Namen nicht an der Universität erscheinen, die wir für die Studie verwendet haben. Wir gehen davon aus, dass Personalmanager bei StudiVZ nachschauen, was das für Leute sind - und da darf es natürlich keine Koinzidenzen mit einer echten Person geben. Wir haben auch darauf geachtet, dass die Namen nicht irgendwelche weitere Stereotype bedienen.

uni'kon: Wurde ein fiktiver Bewerber jemals enttarnt?

Prof. Leo Kaas: Bei einem Unternehmen ist uns ein Fehler passiert: Es hat den gleichen Lebenslauf mit den gleichen Zeugnissen von zwei verschiedenen Personen bekommen. Das hat natürlich sofort bei dem Unternehmen die Alarmglocken schrillen lassen. Es hat dann hektisch diese Bewerber kontaktiert. Daraufhin haben wir dieses Unternehmen natürlich aufgeklärt und uns für den Aufwand entschuldigt. Generell bringt solch eine Studie immer ein ethisches Problem mit sich, weil man die Unternehmen vorher nicht informiert, dass man sie testet, und ihnen auch Kosten verursacht. Es ist eine Abwägung, ob man diese Kosten in Kauf nimmt gegenüber dem Erkenntnisgewinn, der ja nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftspolitisch sehr relevant ist.

Gerade für Deutschland wurde eine solche Studie noch nicht durchgeführt. Es gibt eine Studie, die Diskriminierung mit ähnlichen Methoden untersucht. Diese ist aber schon mehr als 15 Jahre alt und untersucht die erste Migrantengeneration, die ja noch ganz andere Sprachkenntnisse hatte. In unserem Experiment konnten wir ausschließen, dass aufgrund schlechterer Deutschkenntnisse diskriminiert wird.

uni'kon: Gibt es Unterschiede der Diskriminierung in den Branchen?

Prof. Leo Kaas: Wir konnten keine Unterschiede in der Diskriminierungsquote zwischen den Branchen und zwischen den Abteilungen feststellen - zumindest nicht solche, die statistisch haltbar sind. Auch regionale Unterschiede haben wir untersucht. Zwischen Nord- und Süddeutschland haben wir keinen Unterschied festgestellt - außer, dass es in Süddeutschland etwas leichter ist, generell einen Praktikumsplatz zu bekommen, weil es dort mehr Arbeitgeber im Verhältnis zu den Bewerbern gibt. Auch Ost- und Westdeutschland haben wir verglichen, hatten aber das Problem, dass es in Ostdeutschland einfach zu wenig Praktikumsstellen gab und dadurch die Fallzahlen zu gering waren.

uni'kon: Große Konzerne wiesen jedoch weniger Diskriminierung auf als kleine Betriebe.

Prof. Leo Kaas: Ja, genau. Das führen wir darauf zurück, dass in Kleinunternehmen weniger standardisierte Auswahlprozesse durchgeführt werden und dadurch mehr Raum für subjektive Einschätzungen verbleibt. Im Fall eines kleinen Unternehmens haben wir direkt Diskriminierung beobachten können. Dem Bewerber mit dem türkischen Namen wurde geantwortet: Die Stelle ist leider schon vergeben. Und einen Tag später hat der Bewerber mit dem deutschen Namen eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch für die gleiche Stelle erhalten.

uni'kon: Wie sollten die Unternehmen und der Gesetzgeber reagieren?

Prof. Leo Kaas: Eine Idee wäre, dass der Gesetzgeber vorschreibt, Bewerber anonym auszuwählen. So etwas wird beispielsweise in Frankreich diskutiert und auch mit Unterstützung der Regierung getestet. Ich persönlich halte das für keine gute Idee, weil das ja zum einen nur die erste Stufe des Bewerberauswahlprozesses betrifft und nachher, wenn Bewerbungsgespräche geführt werden, sowieso wieder subjektive Einschätzungen eine Rolle spielen. Zum anderen würde dies zu einer immensen Bürokratie führen, die gerade kleinere und mittelständische Unternehmen stark belasten würde.

Ich halte es für besser, Personalmanager gezielter zu schulen und auf die Problematik hinzuweisen. Darüber hinaus sollte ein Unternehmen dafür sorgen, dass die Bewerberauswahl nachvollziehbar dokumentiert wird - so dass ein Dritter nachvollziehen kann, warum ein Bewerber ausgewählt wurde und ein anderer nicht. Ich denke, diese Maßnahmen würden schon an sich das Bewusstsein schärfen und weniger Spielraum für subjektive Einschätzungen lassen. Solche Initiativen könnten dann auch mit Zertifikaten belohnt werden.

uni'kon: Wir heißen eigentlich Ihre eigenen Hilfskräfte?

Prof. Leo Kaas: (Lacht) Wir haben niemanden mit türkischem Migrationshintergrund, nein.


Prof. Leo Kaas ist seit 2004 Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie an der Universität Konstanz. Nach seiner Promotion 1998 an der Universität Bielefeld war er wissenschaftlicher Assistent am Institut für Höhere Studien und an der Universität Wien. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit friktionalen Arbeitsmärkten und mit makroökonomischen Gleichgewichtsmodellen mit unvollkommenen Finanzmärkten.


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Quelle:
uni'kon 39|10, S. 14-15
Herausgeber: Der Rektor der Universität Konstanz
Redaktion: Dr. Maria Schorpp
Stabsstelle Kommunikation und Marketing, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2010