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FRAGEN/009: Staatssekretär Kampeter zur neuen Schuldenregel und zur Haushaltspolitik (BMF)


Bundesministerium der Finanzen (BMF) - Newsletter vom 16. März 2011

Der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter zur neuen Schuldenregel und zur Haushaltspolitik der Bundesregierung


Die neue Schuldenregel engt die Finanzpolitik über Jahre hinaus ein. Warum brauchen wir überhaupt eine solche Regel?

Die Staatsschuldenkrise in einigen europäischen Staaten hat ja gerade sehr eindrucksvoll gezeigt, wie eine übermäßige Staatsverschuldung die Handlungsfähigkeit von Staaten - und damit auch ihre soziale Leistungsfähigkeit - gefährden kann. So weit wollen wir es in Deutschland auf keinen Fall kommen lassen. Vor allem aber wissen wir, dass eine zu hohe Staatsverschuldung das Wirtschaftswachstum eines Landes behindern kann. Daher gilt: Wer Wohlstand für alle will, muss die öffentlichen Haushalte in Ordnung halten!

Es gab auch bisher schon eine Regel für die Begrenzung der Neuverschuldung im Grundgesetz. Doch die war kaum wirksam. Sie hat den Marsch in den Schuldenstaat nicht aufgehalten. Deswegen musste die Politik handeln. Sie hat die so genannte "Schuldenbremse" im Grundgesetz verankert. Dieses Regelwerk hilft uns jetzt dabei, die Verschuldung einzudämmen und darüber mehr Wohlstand für alle zu ermöglichen.

Ist die neue Regel denn mit dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbar? Immerhin dringt Deutschland ja darauf, dass dieser verbindlicher wird.

Zwischen diesen beiden Regelwerken gibt es keinen Konflikt. Im Gegenteil: Man kann die deutsche "Schuldenbremse" sogar als besonders verbindliche Umsetzung des europäischen Ansatzes auf nationaler Ebene sehen. Beide Regelwerke verfolgen das gleiche Ziel, nämlich dass die öffentlichen Haushalte im Normalfall nahezu ausgeglichen sein sollten. Je nach konjunktureller Lage kann es abweichend von dieser Grundlinie leichte Überschüsse oder Defizite geben. Damit sind die beiden Regelwerke alles in allem recht ähnlich, auch wenn sie in unterschiedlichen statistischen und rechtlichen Rahmen angelegt sind.

Allerdings bezieht sich der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt auf alle öffentlichen Haushalte zusammen, während die nationale Schuldenregel Bundes- und Länderhaushalte getrennt betrachtet. Das stärkt die Eigenverantwortung der verschiedenen Ebenen im Bundesstaat. Das Gebot der Stunde ist jetzt, dass nicht nur der Bund seine Hausaufgaben machen muss. Auch die Länder müssen konsequent konsolidieren, um das nationale und das europäische Regelwerk einzuhalten.

Wenn die neue Schuldenregel so vorteilhaft ist, warum gilt sie dann nicht sofort?

Bundestag und Bundesrat haben die neue Regel durch Änderung des Grundgesetzes im Jahr 2009 beschlossen, also mitten in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Angesichts der teuren Krisenmaßnahmen kam es damals darauf an, einen Mechanismus zu finden, der zuverlässig sicherstellt, dass die hohe Neuverschuldung konsequent reduziert wird.

Allerdings konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand seriös vorhersagen, wie tief die Krise wird und wie schnell sich die Wirtschaft aus der Krise erholt. Es wäre kurzsichtig gewesen, die gerade erst auf den Weg gebrachten umfangreichen Stützungsmaßnahmen zu strikt zurückzufahren, wenn die Stabilisierung der Wirtschaft noch gar nicht eingetreten ist.

Daher haben wir gemeinsam beschlossen, dass das neue Regelwerk für den Bundeshaushalt zwar schon ab 2011 vollständig gilt, die Obergrenze für das strukturelle Defizit aber erst schrittweise auf das ab 2016 dauerhaft geltende Niveau abgesenkt wird. Das war ein pragmatisches und richtiges Vorgehen.

Auch für die Länder gilt ein Übergangszeitraum, der sogar bis 2019 dauert. Sie sollten diese Zeit für einen strikten Konsolidierungskurs nutzen, um den strukturellen Haushaltsausgleich auch tatsächlich zu schaffen. Einige Länder haben folgerichtig schon jetzt schärfere Regeln in ihrem Haushaltsrecht verankert.

Noch einmal zurück zum Übergangspfad beim Bund. Es ist nicht leicht, den widerstreitenden Positionen zu folgen, was in den kommenden Jahren zu tun ist. Gibt es zu viel Auslegungsspielraum bei der neuen Schuldenregel?

Nein, die Schuldenregel ist eindeutig formuliert. 2016 darf das strukturelle Defizit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, das sind dann rund 10 Milliarden Euro Das werden wir schaffen. Auch die Kritiker der Bundesregierung zweifeln ja nicht daran, dass der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg zur Einhaltung dieser Grenze führen wird.

Die Fachdebatte, die es ja auch immer mal wieder in die Tagespresse schafft, dreht sich um einen anderen Punkt. Es geht in dieser Debatte letztlich um eine Besonderheit der Übergangsphase zwischen 2011 und 2015, die den eigentli­chen Kern der Schuldenregel nicht berührt. Die Übergangsregelung sieht vor, dass die finanzpolitische Ausgangslage 2010 als Startwert genommen und mit dem Zielwert für 2016 verglichen wird. Der so ermittelte enorme Konsolidierungsbedarf wurde zur Grundlage genommen, wie das strukturelle Defizit über die Jahre 2011 bis 2016 gleichmäßig zurückzuführen ist. Die auf diese Weise berechneten Werte gelten als Obergrenze für das in den Jahren 2011 bis 2015 noch zulässige strukturelle Defizit.

Im Jahr 2010 war die finanzpolitische Ausgangslage noch stark von der Krise gezeichnet. Als sich im Laufe des Jahres 2010 abzeichnete, dass sich die Wirtschaft erfreulicherweise schnel­ler erholen würde als zu Beginn des Jahres angenommen, hat die Bundesregierung die errechneten Obergrenzen für das strukturelle Defizit 2011 bis 2015 noch einmal abgesenkt. Dafür gab es keine rechtliche Notwendigkeit, dahinter stand allein der Wille, sich ehrgeizigere Ziele vorzunehmen. Die Bundesregierung hat dann ein Konsolidierungspaket vorgelegt, das diese ehrgeizigeren Vorgaben erfüllt (das "Zukunftspaket"). Weil solche Einschnitte schmerzhaft sind, gab es dagegen erheblichen Widerstand - übrigens teils aus demselben Lager, das der Bundesregierung vorwirft, zu wenig ehrgeizig zu konsolidieren. Auch unsere internationalen Partner haben der Bundesregierung nahegelegt, lieber weniger ehrgeizig zu konsolidieren. Wir haben aber Kurs gehalten.

Jetzt gibt es Stimmen, die verlangen, die für die Jahre 2011 bis 2015 geltenden Obergrenzen für das strukturelle Defizit quasi nachträglich noch einmal zu verschärfen, weil sich die Lage 2010 aus heutiger Sicht noch besser darstellt als Mitte 2010. Die Bundesregierung und das Parlament haben sich Ende 2010 gegen eine solche weitere Anpassung entschieden, weil nicht jede neue Erkenntnis zur nachträglichen Neuberechnung der Obergrenzen führen kann, und zwar weder nach unten noch nach oben. Das wäre nicht im Sinne der haushaltspolitischen Kontinuität im Rahmen eines stabilen Regelwerks.

Außerdem besteht die ökonomisch relevante und damit wesentliche finanzpolitische Aufgabe doch darin, die notwendige Konsolidierung nicht nur abstrakt zu berechnen, sondern tatsächlich zu realisieren. Und genau darin liegt unser Ehrgeiz. Eine Neuberechnung der Obergrenzen ist nicht erforderlich, denn es bleibt ja jederzeit möglich, die Obergrenzen zu unterschreiten. Mehr noch: Eine umsichtige, stabilitätsorientierte und verlässliche Finanzpolitik ist gut beraten, einen spürbaren Sicherheitsabstand zu den rechnerischen Obergrenzen einzuplanen. Sonst laufen wir Gefahr, bei unvorhergesehenen wirtschaftlichen Entwicklungen nicht mehr reagieren zu können. Wie beim Autofahren ist auch bei der Haushaltskonsolidierung der Sicherheitsabstand nicht unwichtig für den Erfolg des Bremsmanövers. Mit der Vorlage der Eckpunkte für den Bundeshaushalt 2012 und der mittelfristigen Finanzplanung macht die Bundesregierung deutlich, dass sie die konsequente Konsolidierung des Bundeshaushaltes sehr ernst nimmt. Die im bisherigen Finanzplan vorgesehene Nettokreditaufnahme unterschreiten wir deutlich.

Das heißt, die Kritik aus Opposition und Bundesbank ist unberechtigt?

In einer Demokratie ist es ganz normal, dass die Opposition von der Regierung immer noch weitreichendere Zielsetzungen verlangt. Das gilt ganz unabhängig davon, wie ambitioniert die Ziele bereits sind. Noch einmal: Entscheidend für das Gelingen der neuen Schuldenregel ist nicht, dass man täglich neu berechnet, was die Vorgaben zum Übergangspfad bedeuten könnten. Entscheidend ist es, anders als in der Vergangenheit den eingeschlagenen Konsolidierungskurs auch in Zeiten konsequent fortzusetzen, die konjunkturell günstiger sind als erwartet, und das Defizit dann auch tatsächlich abzubauen. Hierauf sollte sich die die Politik - Regierungen wie Parlamente, im Bund wie in den Ländern - konzentrieren.

Die Bundesregierung steht für einen Kurs der Verantwortung und Verlässlichkeit: Klare Vorgaben, klare Schritte, konsequenter Abbau des strukturellen Defizits bis spätestens 2016 auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dafür brauchen wir nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf zu treiben.

Auch die Aufteilung in strukturelle und konjunkturelle Defizitkomponenten wird oftmals kritisiert. Sind das nicht dehnbare Begriffe?

Das Defizit eines Haushalts lässt sich relativ einfach bestimmen. Die Aufteilung des Defizits in einen konjunkturellen und einen strukturellen Teil ist allerdings schon wesentlich schwieriger. So etwas lässt sich nicht messen, sondern nur schätzen. Hierfür gibt es ausgefeilte wirtschaftswissenschaftliche Verfahren, die in der Fachwelt permanent überprüft werden.

Die Bundesregierung orientiert sich bei der Anwendung der Schätzverfahren an den europäischen Standards, mit denen die öffentlichen Haushalte der EU-Staaten schon bisher analysiert werden. Dies ist der beste Schutz, damit das Verfahren frei von willkürlicher politischer Einflussnahme bleibt! Darum ist diese Orientierung an den europäischen Standards auch gesetzlich festgeschrieben.

Wir wollen dabei größtmögliche Transparenz und werden daher die nötigen Daten zur Verfügung stellen. Jeder, der mag, kann damit die konkrete Anwendung des Schätzverfahrens nachvollziehen.

Auf europäischer Ebene wird derzeit ein neues Verfahren eingeführt, um strukturelle und konjunkturelle Defizitkomponenten zu trennen. Lädt dies nicht zu Manipulationen ein?

Nein, ganz im Gegenteil. Die Orientierung an den europäischen Verfahren dient ja gerade dazu, durch eine klare Regelbindung willkürliche Änderungen zu vermeiden. Die EU hat entschieden, dass das Verfahren erstmals für die diesjährigen Stabilitätsprogramme zu berücksichtigen ist. Genau daran halten wir uns. Das neue Verfahren wenden wir erstmals bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2012 an.

Die Bundesbank schlägt nun vor, das Verfahren in Deutschland zunächst nicht anzuwenden, weil es möglicherweise vorübergehend den Defizitspielraum erhöht. Das würde in Deutschland sogar eine Gesetzesänderung erfordern. Mich überzeugt das nicht. Würden wir die auf europäischer Ebene praktizierte Verfahrensänderung nicht entsprechend umsetzen, wäre das Geschrei groß. Den Vorwurf der politischen Beeinflussbarkeit des Verfahrens lassen wir deshalb nicht gelten.

Der Vorschlag der Bundesbank ist zudem wenig konsistent. Eine Abweichung von den EU-Verfahren ließe sich ja wohl auch aus Sicht der Bundesbank letztlich nur mit der - mutmaßlichen - Wirkung auf das zulässige Defizit begründen. Das reicht aber nicht aus, um eine auf europäischer Ebene vorgegebene Regelbindung außer Kraft zu setzen. Denn diese ist - wie gesagt - essenziell, nicht nur für die Widerspruchsfreiheit zwischen Schuldenbremse und EU-Stabilitätspakt, sondern auch für die Abschirmung gegenüber jeglicher Manipulationsmöglichkeit.

Wenn die Zerlegung des Defizits derart streitbehaftet ist, warum muss man überhaupt nach konjunkturellem und strukturellem Defizit unterscheiden?

Die neue Schuldenregel folgt einer klaren ökonomischen Logik. Der vielfach gescheiterte Versuch einer aktiven Konjunktursteuerung soll unterbleiben. Zugleich sollen die so genannten automatischen Stabilisatoren wirken können, weil sie von selbst zu einer Glättung des Konjunkturverlaufs beitragen. Wir wollen also vermeiden, in den Abschwung zu stark hinein zu sparen oder die Konjunktur im Aufschwung noch zusätzlich anzuheizen.

Das in der Praxis umzusetzen, ist nicht ganz einfach, weil man auf Schätzverfahren angewiesen ist. Deswegen aber darauf zu verzichten oder gar den Verschuldungsrahmen vorsorglich auszuweiten, ist keine vernünftige Alternative.

Wäre es nicht besser, sich am "konjunkturellen Gespür" zu orientieren, wie mancher Kritiker der Schuldenbremse verlangt?

Ein klares Nein! Das vermeintliche konjunkturelle Gespür der Vergangenheit hat zu einem Schuldenberg von aktuell fast 2 Billionen Euro geführt. Die Bindung an die neue Schuldenregel gibt uns nun die Chance, den Marsch in den Schuldenstaat aufzuhalten.

Es gibt nur ganz wenige Ausnahmesituationen, in denen eine aktive konjunkturelle Stützung sinnvoll sein kann. In der jüngsten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise war eine solche Situation gegeben. Für einen derartigen Extremfall gibt es unter der neuen Schuldenregel eine Ausnahmeklausel. Allerdings legt uns das Grundgesetz auch bei Inanspruchnahme dieser Ausnahmeklausel von vorn herein die Verpflichtung auf, die zusätzliche Verschuldung später auch wieder zu tilgen. Ein dauerhaftes Unterlaufen des Konsolidierungszieles ist also selbst bei einer sehr weitgehenden oder gar missbräuchlichen Handhabung der Ausnahmeklausel nicht möglich.

Die verfassungsrechtliche Defizitobergrenze gilt ja regulär für den Bund erst ab 2016. Ist es dann nicht etwas zu früh, um die neue Schuldenregel schon als Vorbild für unsere europäischen Nachbarn zu benennen?

Nein, ganz im Gegenteil: Ein finanzpolitischer "Exit" aus den außergewöhnlichen Krisenmaßnahmen ist weltweiter Konsens. Und die Schuldenbremse gibt ja gerade einen verbindlichen Rahmen für unsere finanzpolitische "Exit"-Strategie vor: Der Abbaupfad für das strukturelle Defizit stellt sicher, dass die in der Krise aufgelaufene Neuverschuldung schrittweise reduziert wird, um spätestens im Jahr 2016 die verfassungsrechtliche Defizitobergrenze von strukturell 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einhalten zu können. Somit wird das strukturelle Haushaltsdefizit in den nächsten Jahren zunächst entschlossen zurückgeführt und dann dauerhaft auf ein langfristig tragfähiges Maß begrenzt. Damit werden wir auch unseren auf europäischer Ebene eingegangenen Verpflichtungen gerecht.

Die Bundesregierung hat den europäischen Partnern empfohlen, ebenfalls nationale Regeln zur Verschuldungsbegrenzung einzuführen. Das muss nicht eins zu eins der deutschen Regel entsprechen. Der entscheidende Punkt ist ein anderer: Wenn die europäischen Staaten jeder für sich auch mit Hilfe einer glaubwürdigen Schuldenregel die Vorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts umsetzen und ihre Haushalte in Ordnung bringen, dann muss über die europäischen Verfahren auch weniger stark in die nationale Souveränität eingegriffen werden. Dieses Signal einer glaubwürdigen, regelgebundenen Defizitrückführung wird auch auf den Finanzmärkten seine Wirkung nicht verfehlen.

Die Anwendung der neuen Schuldenregel in Deutschland hat zwar gerade erst begonnen, aber der Anfang ist sehr vielversprechend verlaufen. Offenbar halten die Märkte die Regel und ihre Umsetzung durch die Bundesregierung für glaubwürdig. Dabei mag eine Rolle spielen, dass die Schweiz bereits gute Erfahrungen mit einer ähnlichen Regel hat. Dazu trägt aber sicherlich auch bei, dass die Bundesregierung als Stabilitätsgarant dieses Regelwerks gilt und dem Ziel langfristig tragfähiger Staatsfinanzen höchste Priorität einräumt. Diese Politik sichert Wachstum und Wohlstand in Deutschland - heute und in Zukunft.


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Quelle:
BMF-Newsletter vom 16.03.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2011