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FRAGEN/025: Keine deutschen Waffenexporte in Länder mit laschen Waffengesetzen (TU Dresden)


Dresdner Universitätsjournal Nr. 11 vom 21. Juni 2016

Keine deutschen Waffenexporte in Länder mit laschen Waffengesetzen
TUD-Professorin Dagmar Ellerbrock im Unijournal-Interview über deutsche Pistoleros und amerikanische Lobbyisten

Von Heiko Weckbrodt


Erst kürzlich hat der US-Bundesstaat Texas per Gesetz festgelegt, dass seine Bürger das Recht haben, Schusswaffen nicht nur zu besitzen, sondern auch offen zu tragen. Auch in vielen Bürgerkriegsländern Afrikas sind Pistolen, Flinten, ja sogar Sturmgewehre vielerorts breit gestreut in der Bevölkerung - und die Deutschen schauen voll Schauder und Unverständnis auf die Fernsehbilder waffenvernarrter Gesellschaften. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass Pistoleros auch durch deutsche Straßen stolzierten und zum Alltagsbild der Städte gehörten. Und wenn Menschen rund um den Erdball durch Waffengewalt sterben, sind häufig deutsche Gewehre im Spiel.

Die Waffenkultur-Expertin Prof. Dagmar Ellerbrock von der TUD plädiert deshalb für Exportverbote für deutsche Waffen in Ländern, die keine ähnlich strengen Privatwaffen-Gesetze wie die Bundesrepublik im Inland haben. Unijournal-Mitarbeiter Heiko Weckbrodt hat sich mit Prof. Dagmar Ellerbrock von der TUD-Professur für Neuere und Neueste Geschichte über das Verhältnis der Deutschen und der Amerikaner zu Waffen unterhalten.


UJ: Das Internet wirbelt immer mehr Branchen durcheinander - auch den Waffenhandel?

Dagmar Ellerbrock: Wir wissen im globalen Maßstab immer noch sehr wenig darüber, wer mit wem in welchen Quantitäten Waffen handelt. Die Produzenten teilen ihre Zahlen nur zögerlich mit. Sichtbar ist aber, dass unter anderem das Internet für eine neue Schwellenüberschreitung sorgt: Waffenhandel findet heute zu großen Teilen über Online-Plattformen statt. Eine ähnliche sprunghafte Entwicklung hatte es zuletzt Ende des 19. Jahrhunderts gegeben, als der aufkommende Versandhandel für eine Explosion der Waffenverbreitung sorgte - auf jeden Fall im Deutschen Reich, wahrscheinlich aber auch weltweit.


UJ: Sprechen Sie da von einem Versandhandel an Privatleute? Hier, in Deutschland?! Da hätte ich eher an die USA gedacht ...

Dagmar Ellerbrock: Die Transformation von einer waffenliebenden Gesellschaft zu einer Gesellschaft, in der Waffenbesitz im allgemeinen Konsens reguliert wird, ist in Deutschland noch nicht so alt. Es gibt darüber zwar keine exakten Statistiken, aber ich gehe davon aus, dass Mitte des 19. Jahrhunderts im Schnitt jeder deutsche Haushalt mindestens eine Schusswaffe hatte.

Die Deutschen trugen damals ganz selbstverständlich und fast überall Waffen: in der Schule, in der Reichsbahn, auf Festen ... Es gab nur wenige Ausnahmen. Zum Beispiel durfte man nicht mit der Waffe in die Kirche oder auf den Marktplatz. Und in Wirtshäusern gab es spezielle Nischen oder Räume, in denen der Gast seine Feuerwaffe abgeben musste, bevor er den Schankraum betrat.


UJ: Woher kam diese Waffen-Vernarrtheit der Deutschen?

Dagmar Ellerbrock: Jede waffenverliebte Gesellschaft belegt Schusswaffen mit einem Wertesystem, und das war in den deutschen Ländern damals auch nicht anders: Man verknüpfte sie mit Achtung, Ehre und Männlichkeit.


UJ: Heißt das, für den deutschen Mann war es ein Muss, eine Pistole oder eine Flinte zu besitzen?

Dagmar Ellerbrock: Die Adressaten des Waffenversandhandels waren unter anderem Jugendliche von 14 oder 15 Jahren: Die nahmen ihr erstes Lehrlingsgeld und kauften sich dafür eine Feuerwaffe. Und die Versandhändler des 19. Jahrhunderts erkannten die Marktchancen und boten Ratenzahlungen von zehn Pfennig pro Monat für Schusswaffen an. Das konnte sich jeder Lehrling und jeder Schüler leisten. Die Verkaufszahlen gingen danach durch die Decke und Waffen wurden Teil einer Massenkonsumkultur.


UJ: Es wundert mich, dass der Staat damals tatenlos zugesehen hat, wie sich seine Bürger bewaffnet und sein Gewaltmonopol untergraben haben...

Dagmar Ellerbrock: Staatliche Institutionen sahen darin zunächst kein Problem. Erst ab Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich ein Bewusstsein dafür, dass massenhafter privater Waffenbesitz ein gesellschaftliches Problem sein könnte, das schließlich ganz langsam von unten nach oben bis in die Reichsregierung diffundierte. Ende des 19. Jahrhunderts gab es verstreut die ersten privaten Initiativen von Lehrern und Pfarrern, die forderten, den Waffenbesitz zu regulieren. Doch die staatlichen Stellen wehrten das erst mal ab, sie wollten sich in die "Privatangelegenheiten" der Bürger nicht einmischen. Aber die Lehrer und dann auch die Polizei vor Ort erkannten immer deutlicher: Wenn alle eine Browning in der Tasche haben und diese benutzen, sich Schüler häufig gegenseitig verletzen oder totschießen, dann besteht ein ernstes Problem für die öffentliche Sicherheit.


UJ: Diffusion klingt nach einem langwierigen Prozess.

Dagmar Ellerbrock: Es dauerte zwei Jahrzehnte, von den 1890ern bis etwa 1911, bis endlich ein erster Entwurf für ein Waffenregulierungsgesetz vorlag. Und dann kam der Erste Weltkrieg und der Entwurf ruhte wiederum für Jahre. Wenn man so will, strauchelte das Verbot der Browning-Pistolen durch die Browning, die Gavrilo Princip in Sarajewo auf Erzherzog Franz Ferdinand abfeuerte. Und nach dem Ersten Weltkrieg gaben viele Deutsche ihre Waffen nicht ab; daher spielten Schusswaffen auch in den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Weimarer Republik eine Rolle. 1928 trat aber die erste reichsweite Regulierung in Kraft, ein Reichsgesetz über Schusswaffen und Munition. Deutschland verabschiedete damit eines der weltweit ersten Gesetze überhaupt, das den privaten Waffenbesitz und -gebrauch regulierte.


UJ: Offensichtlich haben sich die Waffenkulturen in Deutschland und den Vereinigten Staaten seitdem drastisch auseinanderentwickelt. Wie kommt das?

Dagmar Ellerbrock: In Deutschland war es ja auch ein langer Prozess, bis der Staat begann, privaten Schusswaffenbesitz einzuschränken. Die zwei verlorenen Weltkriege haben die Deutschen zu einem Volk gemacht, das Waffen kritisch gegenüber steht.

Die Auseinandersetzung zwischen Waffen-Anhängern und -Gegnern in den USA hat aber auch erst in der jüngeren Vergangenheit an Schärfe zugenommen. Und bedenken wir dabei: Es gibt nicht DIE amerikanische Waffenkultur, sondern die Waffenkultur jedes einzelnen US-Bundesstaates. Ich bin mir gar nicht so sicher, was wohl eine Umfrage unter allen Amerikanern ergeben würde, wenn man sie über ihre Meinung zum privaten Waffenbesitz fragen würde. Und die NRA ("National Rifle Association": wichtigste Waffenlobby-Organisation der USA - d.R.) hat eigentlich erst seit den 1970er-Jahren an Stärke gewonnen. Im Moment läuft die USA allerdings in eine immer extremere Richtung.

Dagegen geht Deutschland genau den entgegengesetzten Weg: Wir haben den privaten Waffenbesitz stigmatisiert und eine Mehrheit ist überzeugt davon, dass private Schusswaffen in einer funktionierenden liberalen Demokratie nicht mehr notwendig sind.


UJ: Und trotzdem exportiert Deutschland fleißig weiter Waffen. Ist das nicht schizophren?

Dagmar Ellerbrock: Der öffentliche Diskurs über deutsche Waffenexporte war lange völlig blind für diesen Widerspruch: Wir verbieten Waffen im Inland und verkaufen gleichzeitig Schusswaffen an Länder, in denen es keine funktionierenden zivilgesellschaftlichen Regeln gibt, die verhindern, dass Zivilisten durch eben diese Waffen sterben. Da stellt sich doch eine ganz grundsätzliche Frage: Sollte es für den deutschen Staat nicht eine ethische Verpflichtung sein, das Schulkind in einem Bürgerkriegsland genauso vor Waffennarren zu schützen wie das deutsche Schulkind? Mit der Konsequenz natürlich, dass die deutschen Produzenten keine Waffen mehr an Länder liefern dürften, die privaten Waffenbesitz nicht vergleichbar restriktiv regulieren wie die Bundesrepublik.


BLICK IN DIE GESCHICHTE

1853: Baden-Württemberg reguliert den privaten Waffenbesitz
1871: In den USA gründet sich die National Rifle Association (NRA, Nationale Gewehr-Assoziation)
ab 1976: NRA profiliert sich zunehmend als politische Waffenlobby
1928: "Gesetz über Schusswaffen und Munition" tritt im Deutschen Reich in Kraft und führt u. a. eine Waffenschein-Pflicht ein
1945/46: Siegermächte entwaffnen die Deutschen und verbieten zunächst jeglichen privaten Waffenbesitz
1968: DDR-Ministerrat erlässt Schusswaffen-Verordnung, die den privaten Waffenbesitz sehr restriktiv regelt.
1972: Neues einheitliches Waffengesetz in der BRD
2009: Nach dem Schul-Amoklauf von Winnenden verschärft der Bund das Waffenrecht

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 27. Jg., Nr. 11 vom 21.06.2016, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de
Internet: www.dresdner-universitaetsjournal.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2016

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