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FRAGEN/026: Warum die blöden Elefantenrennen auf der Autobahn? (TU Dresden)


Dresdner Universitätsjournal Nr. 12 vom 5. Juli 2016

Warum die blöden Elefantenrennen auf der Autobahn?
TUD-Experten gefragt: Der Ausbrems-Effekt von Laster-Wettrennen wird meist überschätzt, sagt Verkehrsfluss-Forscher Dr. Martin Treiber

Interview von Heiko Weckbrodt


Das hat wohl schon jeden Autofahrer einmal genervt: Da düst man so schön zügig über die Autobahn - und plötzlich schert ein Laster auf die linke Spur, um einen anderen Brummi zu überholen. Natürlich mit der Tempodifferenz einer komatösen Gartenschnecke, damit's richtig Spaß macht. Warum aber kommt es so oft zu solchen "Elefantenrennen" zwischen Lkws, die oft nur mit zwei, drei Kilometern pro Stunde (km/h) Tempounterschied ausgetragen werden und die so furchtbar nerven? Und was haben sie für Folgen für den Verkehr ringsum? Für die UJ-Serie "TU-Experten befragt" hat Unijournal-Mitarbeiter Heiko Weckbrodt dazu mit dem Verkehrsfluss-Experten Dr. Martin Treiber von der Professur für Ökonometrie und Statistik an der Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List" gesprochen.


UJ: Als Autofahrer frage ich mich immer: Gibt es eine innere Notwendigkeit für Elefantenrennen? Fürchten die Brummi-Fahrer vielleicht, Schwung am Berg zu verlieren?

Martin Treiber: Früher war das ein Argument, weil viele untermotorisierte Lkw unterwegs waren, die Probleme an Steigungen hatten. Heutige Laster dagegen haben meist genug Power, um auch voll beladen kleinere Steigungen mit 80 km/h oder mehr hochzukommen. Von daher ist der Schwung also kaum noch ein Argument. Bei den größeren Bergen gilt dies nicht immer, aber da gibt es meist eine Extraspur, so dass Jumborennen weniger stören.


UJ: Aber trotzdem sind die Elefantenrennen nicht ausgestorben. Warum?

Martin Treiber: Letztlich kommt es auch darauf an, welche Vorgaben der Fuhrunternehmer für den Laster-Fahrer macht: Fahr schnell und hole so viel wie möglich Zeit raus oder fahr lieber etwas langsamer, wenn du so Kraftstoff sparen kannst. Zwar gelten für Lkw ab 3,5 Tonnen 80 km/h als Tempolimit. Theoretisch müssten also alle Lkw auf der Autobahn gleich schnell unterwegs sein. In der Praxis aber legen viele Fahrer da noch ein paar km/h drauf. Und wenn sie dann mit unterschiedlichen Vorgaben - Zeit oder Sprit sparen - unterwegs sind, animieren dann manchmal schon Tempo-Differenzen von zwei oder drei km/h zu den berüchtigten Elefantenrennen.


UJ: Wie häufig passieren solche Elefantenrennen eigentlich?

Martin Treiber: Psychologisch wirken Elefantenrennen für die Autofahrer dahinter besonders störend, wenn eine Autobahn nur mittelmäßig gefüllt ist, also etwa 50 Prozent ihrer Maximalsättigung von 2000 Fahrzeugen pro Stunde und Fahrstreifen erreicht hat. Das liegt auch daran, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Elefantenrennen nicht linear, sondern quadratisch mit der Anzahl der Lkw auf der Autobahn zunimmt. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit für solch ein Manöver auf einer schwach ausgelasteten Autobahn weit unterdurchschnittlich. Auf fast völlig ausgelasteten Autobahnen dagegen stören wiederum die Elefantenrennen ohnehin nicht so, weil die Autofahrer auch sonst nicht besonders schnell vorankommen. Psychologisch entscheidend ist ja das Gefühl, zum Beispiel von Tempo 150 plötzlich auf Tempo 80 abgebremst zu werden. Je nach Länge der beiden Lkw und ihrer Geschwindigkeits-Differenz dauert so ein Elefantenrennen meist nur eine gute Minute. Aber so eine Minute Schleichfahrt wird von den Autofahrern subjektiv überschätzt und als sehr störend empfunden.


UJ: Welche objektiven Auswirkungen haben
Elefantenrennen?

Martin Treiber: Da gibt es mehrere Betrachtungsweisen. Auf die Staugefahr haben sie kaum Auswirkungen. Denn für einen echten Verkehrszusammenbruch auf einer Autobahn müssen drei Punkte zusammenkommen: eine Engstelle, eine hohe Verkehrsbelastung und ein unbedachtes, überzogenes Manöver mindestens eines Fahrers. Ein Jumbo-Rennen kann zwar Auslöser für eine überzogene Brems- oder Ausweichreaktion der dahinter Fahrenden sein. Aber da bei hoher Verkehrsbelastung ohnehin keine erheblichen Tempounterschiede zwischen Lkw und Kfz mehr möglich sind, fällt dieser mögliche Auslöser nicht ins Gewicht. Elefantenrennen können also zwar für Verkehrsverdichtungen sorgen, aber normalerweise nicht für einen Verkehrszusammenbruch.


UJ: Sie sprachen von weiteren Sichtweisen...

Martin Treiber: Die andere mögliche Auswirkung ist die Reisezeit beziehungsweise die Frage, wie oft muss ich durch Elefantenrennen von meiner Wunsch-Geschwindigkeit runtergehen. Diese Effekte werden aber oft stark überschätzt: Die gefühlte Verzögerung ist oft viel größer als die tatsächliche. Meist verliert der Autofahrer nur etwa 20 Sekunden pro Elefantenrennen. Das Manöver selbst dauert zwar länger, aber man bleibt dabei ja nicht stehen, sondern bewegt sich ja fort - nur eben nicht ganz so schnell wie gewünscht.


UJ: Wie sieht es im internationalen Vergleich aus? Gibt es bestimmte Länder mit besonders vielen oder besonders wenigen Elefantenrennen?

Martin Treiber: Objektiv gibt es Elefantenrennen fast überall. Die wirklich wahrgenommenen Elefantenrennen gibt es nur in Deutschland.


UJ: Wie das?

Martin Treiber: Weil es in Deutschland kein generelles Tempolimit gibt. Und dadurch gibt es nur hier so häufig die Konstellation, dass Autofahrer von viel höheren Geschwindigkeiten abbremsen müssen, weil ein Laster vor ihnen zum Überholen ansetzt. Und genau dadurch fallen die sogenannten Elefantenrennen nur in Deutschland richtig auf. Hinzu kommt natürlich noch der erwähnte quadratische Wahrscheinlichkeits-Effekt: In Ländern mit hoher Lkw-Last auf den Straßen wie in Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Brummi einen anderen überholen will, auch überproportional hoch.


Rechtliche Regelungen bleiben zahnlose Tiger

Rechtlich gibt es zwar Handhaben gegen "Elefantenrennen", doch die Brummis sind diesbezüglich in der Praxis kaum kontrollierbar.
Zwar schreibt Paragraph 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) "gegenseitige Rücksicht" vor und eine Fahrweise, "dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird". Und in Paragraph 5 (Absatz 2) der StVO heißt es: "Überholen darf... nur, wer mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt." In der ständigen Rechtsprechung haben diverse Gerichte unterschiedlich geurteilt und mal 10 km/h Unterschied als Mindestdifferenz unterstellt, gelegentlich aber sogar nur 5 km/h. Doch wer will und kann das im realen Autobahn-Leben kontrollieren?

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 27. Jg., Nr. 12 vom 05.07.2016, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de
Internet: www.dresdner-universitaetsjournal.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2016

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