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GEWERKSCHAFT/1397: Dumpinglöhne im öffentlichen Personennahverkehr (ver.di)


ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - Presseinformation vom 31. August 2016

Dumpinglöhne im ÖPNV - Immer mehr kommunale Verkehrsbetriebe durch "eigenwirtschaftliche" Anträge existenziell bedroht

ver.di fordert Gesetzesänderung


Berlin, 31.08.2016 - Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) befürchtet die Zunahme von Dumpinglöhnen im öffentlichen Personennahverkehr durch eine Regelung im deutschen Recht, mit der europäische Vergaberichtlinien unterlaufen werden können. Leidtragende sind die Beschäftigten und die Kunden.

"Immer mehr Unternehmen stellen "eigenwirtschaftliche" Anträge auf öffentliche Nahverkehrsleistungen und nutzen so eine Möglichkeit, das europäische Vergaberecht und damit alle Regelungen zum Arbeitnehmerschutz zu umgehen. Die Beschäftigten werden mit Dumpinglöhnen abgespeist und die Kommunen müssen um Qualität und Sicherheit für die Kunden bangen", betont ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle. "Kommunale, aber auch private tarifgebundene Verkehrsunternehmen können bei solchen Angeboten nicht mithalten", betont Behle. Die antragstellenden Unternehmen würden deutlich niedrigere Löhne zahlen, die eine Differenz von bis zu 600 Euro brutto im Monat bedeuten. Zudem würden Subunternehmen eingesetzt, Beschäftigte nicht übernommen.

Hintergrund ist, dass eine Kommune durch europäisches Recht zwar die Wahl hat, den Nahverkehr entweder auszuschreiben oder direkt an ein eigenes Unternehmen zu vergeben. Sie kann dazu Vorgaben zur Qualität und zu sozialen Bedingungen für die Beschäftigten machen, dazu gehört auch die Übernahme der Beschäftigten. Die meisten Bundesländer haben repräsentative Tarifverträge für den ÖPNV in Tariftreuegesetzen bestimmt. Mit dem im deutschen Personenbeförderungsgesetz (PBefG) festgelegten "Vorrang eigenwirtschaftlicher Anträge" wird das Vergabeverfahren jedoch abgebrochen und Vorgaben zum Arbeitnehmerschutz werden unwirksam.

Ein Negativ-Beispiel ist der Pforzheimer Stadtverkehr, wo die Deutsche Bahn einen eigenwirtschaftlichen Antrag gestellt hat, 240 Beschäftigte verlieren ihren Job. Die Deutsche Bahn versucht dasselbe aktuell auch in Hildesheim. Auch zahlreiche andere private Unternehmen haben bereits eigenwirtschaftliche Anträge gestellt, u.a. auf die Verkehre kommunaler Unternehmen in Leverkusen, Hamm, Gotha, Esslingen und Oldenburg. ver.di spricht von aktuell 1.400 Beschäftigten, die von Arbeitsplatzverlust bedroht sind.

"Der Gesetzgeber macht es Unternehmen mit guten Tarifverträgen und Arbeitsbedingungen, von denen auch die Kunden profitieren, unmöglich, am Markt zu bestehen und schränkt zudem die Entscheidungsfreiheit der Kommunen ein ", kritisiert Behle das Vorgehen und fordert die politisch Verantwortlichen zum Handeln auf. Die Bundesregierung müsse dringend eine Korrektur im Personenbeförderungsgesetz vornehmen.

Im kommunalen Nahverkehr sind über 130.000 Menschen tätig, in den kommenden Jahren wird die Mehrheit der Verkehrsverträge neu vergeben. Kommunale Unternehmen sind aufgrund verhältnismäßig guter Tarifregelungen besonders gefährdet. ver.di warnt vor massiven Arbeitsplatzverlusten und einer weiteren Zunahme des Dumpingwettbewerbs.

ver.di wird am 1. September 2016 auf einer Betriebsrätetagung in Hannover mit dem niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies sowie mit Vertretern von Verkehrsunternehmen und des Deutschen Städtetags über Lösungen diskutieren.

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Quelle:
Presseinformation vom 31.08.2016
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Martina Sönnichsen - ver.di-Bundesvorstand
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2016

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