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INTERNATIONAL/173: Das Foxconn Modell im Umbruch? (spw)


spw - Ausgabe 4/2013 - Heft 197
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Das Foxconn Modell im Umbruch?
Die Restrukturierung der IT-Industrie in China und ihre Folgen für die Beschäftigten

Von Florian Butollo und Boy Lüthje



Seit dem Sommer 2010 ist der Ursprung von iPhones und iPads kein Geheimnis mehr. Eine Serie von Selbstmorden von ArbeiterInnen bei Foxconn in China sorgte weltweit für Schlagzeilen und machte diesen bislang incognito operierenden Schlüssellieferanten über Nacht bekannt. Durch den Foxconn-Skandal wurde greifbar, dass die Arbeit von Millionen von ProduktionsarbeiterInnen in Ländern mit niedrigen Lohnkosten die Grundlage der virtuellen Welt bildet.

Die Ereignisse bei Foxconn reflektieren die Grenzen und die sozialen Kosten des dominanten Produktionsmodells in der IT-Branche, das von scharfem Konkurrenzdruck, hohen Flexibilitätsanforderungen und einer Abwälzung der Risiken industrieller Fertigung auf Kontraktfertiger geprägt ist. Seit der Krise 2008/09 ist dieses vor noch nicht zwanzig Jahren in den USA entstandene Produktionsmodell von erneuten Umbrüchen gekennzeichnet, was sich im Aufstieg neuer Marken, Branchensegmente und Standorte ausdrückt. Im Folgenden werden diese Veränderungen nachgezeichnet und diskutiert, in wie weit daraus Spielraum für Veränderungen der Arbeitsbeziehungen und eine soziale Organisierung der Beschäftigten in den Produktionsbetrieben entstehen könnten. Dieser Artikel stützt sich dabei auf empirische Untersuchungen der Produktionsnetzwerke und der Arbeitsverhältnisse im Perlflussdelta, der bedeutendsten Standortregion der Kontraktfertigung in China.(1)


1. High-Tech und Niedriglohn - das System der netzwerkbasierten Massenproduktion

Foxconn ist heute das wohl weltgrößte Industrieunternehmen mit einer Beschäftigungszahl von über 1,3 Millionen in 2012. Der spektakuläre Aufstieg dieses 1974 in Taiwan gegründeten Unternehmens ist Ausdruck von Umbrüchen in der globalen Elektronikindustrie seit den 1980er Jahren. Produktionskapazitäten der Markenunternehmen wurden großflächig ausgegliedert und an spezialisierte Firmen vergeben, deren Großbetriebe in Niedriglohnregionen aufgebaut wurden. Insbesondere seit der branchenweiten Krise in den Jahren nach 2001 ist China als der weltweit wichtigste Standort hervorgetreten.(2)

Die Symbiose von Apple und Foxconn ist paradigmatisch für dieses Produktionssystem, dessen Hintergrund die am shareholder value orientierte Zergliederung der Produktion auf Seiten der IT-Markenfirmen ist. Apple hat längst jegliche Eigenfertigung aufgegeben und beschränkt sich auf die Kontrolle der immer kürzeren Innovationszyklen, was dem Unternehmen besonders hohe Margen beschert. Foxconn, dessen Aufträge Schätzungen zufolge heute zu etwa 40 Prozent auf die Nachfrage durch Apple zurückgehen (Pun/Chan 2012),(3) ist Spezialist für die flexible Fertigung, einer breiten Palette von IT-Produkten für verschiedene Auftraggeber. Im Gegensatz zu den Markenfirmen an der Spitze der Technologie- und Produktionsketten zielen die Kontraktfertiger auf eine möglichst umfassende Konzentration verschiedener Fertigungsstufen (vertikale Integration), ganz ähnlich den traditionellen industriellen Großkonzernen der fordistischen Epoche. "Foxconn-City", der zentrale Industriepark des weltgrößten Kontraktfertigers in Shenzhen, Südchina, umfasst neben etwa 15 Werkshallen für führende Markenhersteller Grossbetriebe für Metallbearbeitung, Kunststoffspritzguss und Kabelfertigung. Foxconn bietet seinen Kunden damit das Komplettpaket der Fertigung, inklusive supply chain management, Logistik und (in manchen Fällen) Beiträgen bei der Produktentwicklung.

Bei der Beziehung zwischen Auftraggebern und Kontraktfertigern handelt es sich um ein hierarchisches Verhältnis, bei dem aber die ungleichen Partner stark aufeinander angewiesen sind. Aufgrund der Kontrolle von Technologie- und Produktionsnormen schöpfen die oftmals vollständig ohne Eigenfertigung operierenden Markenunternehmen hohe Renditen ab, während die Gewinnmargen in der Kontraktfertigung flach sind. Hoher Konkurrenzdruck, der Wettlauf zwischen unterschiedlichen Produktionsnormen, rasante Umbrüche und sektorale Krisen prägen daher seit Jahren das Bild ihrer Entwicklung. Zudem fungierten die Kontraktfertiger immer wieder als Krisenpuffer für die Markenunternehmen, die in Krisenzeiten ihre Aufträge und die Zahl ihrer Zulieferer abbauen. Das US-Unternehmen Flextronics reduzierte beispielsweise während der Krise 2009 die Belegschaft im südchinesischen Industriepark von 50.000 auf 30.000 Beschäftigte. Mittlerweile wurde die Belegschaft wieder auf etwa 60.000 Beschäftigte ausgeweitet.

Die Anforderung, hochkomplexe IT-Produkte möglichst schnell und kostengünstig zu liefern, wirkt sich auf die Beschäftigungsverhältnisse aus. Das Arbeitsumfeld in solchen Betrieben ist modern, das technologische und organisatorische Niveau gleicht dem in entwickelten Industrieländern. In einigen Bereichen entsteht auch industrielle Facharbeit. Vorherrschend ist jedoch eine massiv tayloristisch ausgerichtete Arbeitsorganisation. Fließbandproduktion mit starker Segmentierung der Arbeitsvollzüge prägt das Bild - insbesondere in Bereichen der Handbestückung und -montage wie z.B. bei Handyschalen oder der Endfertigung von PCs, Computerdruckern oder Spielekonsolen. In China machen sich die Kontraktfertiger die Segmentierung des von massiver Binnenmigration geprägten Arbeitsmarktes zu Nutze. Sie stellen in der Fertigung fast ausschließlich ArbeitsmigrantInnen an, die faktisch einen Gastarbeiterstatus haben. Niedrige Löhne, exzessive Überstunden und eine strikte, personalisierte Kontrolle durch VorarbeiterInnen und AufseherInnen prägen die Arbeitssituation. Interessensvertretungen der Beschäftigten existieren entweder nicht oder werden vom Management kontrolliert. Die Position der Beschäftigten ist auch deswegen schwach, da die Arbeitsgesetze in Regionen mit überwiegend auslandschinesischem Kapital nach wie vor nur lückenhaft überwacht werden.(4)


2. "Made in China by Taiwan" vs. Modell Samsung?

Die Krise 2008/09 offenbarte in drastischer Weise die Risiken des Produktionsmodells der Kontraktfertigung. Die Absatzrückgänge und die schwächelnde Konsumnachfrage aus den Industriestaaten heizten den Konkurrenzdruck unter den Herstellern weiter an und setzten die Firmen einem starken Veränderungsdruck aus. Das Resultat ist ein Verdrängungswettbewerb, der die Struktur der gesamten IT-Branche nachhaltig verändert hat. Die PC-Industrie, das Leitsegment der vergangenen Jahrzehnte, befindet sich im Niedergang, während neue Produktgruppen wie Smartphones und Tablet-PCs starke Absatzzahlen verzeichnen. Traditionell wichtige Hersteller wie Dell, Hewlett-Packard oder Nokia mussten in der Krise Federn lassen. Zugleich kam es zum rasanten Aufstieg neuer chinesischer Hersteller wie Huawei oder ZTE, die das Produktionsmodell aus dem Silicon Valley imitieren und, gestützt auf ihre starke Stellung in China, starke Anteile auf dem Weltmarkt erobern. Auch die chinesischen Newcomer verfügen meist über keine oder geringfügige Eigenkapazitäten in der Fertigung.

Während damit die Kontraktfertigung seit der Krise 2008/09 weiter an Umfang und Bedeutung gewonnen hat, sind die stärksten Konkurrenten von Apple und anderen US-Leitfirmen solche Unternehmen, die eine starke Eigenfertigung und ein breites Spektrum der Forschung und Entwicklung aufrecht erhalten haben. Die Rede ist hier vor allem von den großen vertikal integrierten Herstellern aus Südkorea, Samsung und LG, die heute bei Smartphones und einem breiten Spektrum von IT-Erzeugnissen eine Spitzenstellung auf dem Weltmarkt erreicht haben. Diese Konzerne, die ebenfalls hauptsächlich in China produzieren, verknüpfen integrierte Entwicklung, Produktion und Zulieferung mit niedrigen Löhnen und Produktionskosten. Von Vorteil ist dies gerade in Märkten, in denen ständig ein breites, ständig wechselndes Spektrum unterschiedlicher Produkte verschiedenster Preislagen angeboten werden muss, wie z.B. bei Smartphones.

Das Modell der Kontraktfertigung kommt dadurch gleich von zwei Seiten unter Druck. Zum einen üben die Markenfirmen angesichts des anhaltenden Verdrängungswettbewerbs fortgesetzten Preisdruck auf die Kontraktlieferanten aus, zum anderen müssen diese in puncto Effizienz, Qualität und Zuverlässigkeit mit den marktführenden Konzernen aus Korea mithalten. Unter diesen Vorzeichen sind in den letzten Jahren eine Reihe großer Kontraktfertiger aus den USA und Europa zusammengebrochen, so z.B. Solectron, der einstige Pionier der Branche aus Kalifornien oder Elcoteq. Die verbleibenden Firmen aus Nordamerika wurden von ihren taiwanesischen Konkurrenten überflügelt. Hinzu kommen neue Konkurrenten, u.a. chinesische Firmen, die für lokale Markenunternehmen produzieren.


3. Umbau der Kontraktfertigung in China

Für die verbleibenden, hauptsächlich taiwanesischen Kontraktfertiger hat sich die Kundenstruktur erweitert und zugleich die Vielfalt der Produkte erhöht. Umso schneller müssen die Unternehmen auf technologische Veränderungen reagieren, um ihre Marktanteile auszubauen. In China hat dies in den letzten Jahren zu zwei wesentlichen Veränderungen geführt:

Erstens investieren die Kontraktfertiger massiv in neue Großstandorte vor allem im Landesinneren Chinas. Insbesondere die Städte Chengdu und Chongqing sind Ziel einer Welle von Investitionen fast aller namhafter Unternehmen der Branche, vor allem der technologisch fortgeschrittenen so genannten "ODM"-Firmen aus Taiwan, die ihren Auftraggebern auch umfangreiche Produktdesignangebote liefern. An den neuen Standorten locken nicht nur niedrige Löhne, sondern auch massive Subventionen der lokalen Regierungen, wodurch die flachen Gewinnmargen im regulären Produktionsbereich aufgestockt werden können. Bei den neuen Fabriken handelt es sich primär um sehr große Betriebe oder Industrieparks, die mit den Stammwerken in den Küstenprovinzen vergleichbar sind. Zugleich aber werden die dort bestehenden Anlagen in nahezu unverändertem Umfang weiterbetrieben. Obwohl beispielsweise Foxconn noch 2011 angekündigt hatte, das Stammwerk in Shenzhen zu einem reinen Entwicklungszentrum umzubauen, kündigte das Unternehmen jüngst an, 90.000 ArbeiterInnen für die auftragsstarke Herbstsaison einstellen zu wollen.

Die zweite Tendenz in der Branche ist eine anhaltende Differenzierung der Produktion, um lukrativere Geschäftsfelder zu erschließen. Vor allem will man weg von der großvolumigen Serienproduktion hin zu so genannten "high mix/low volume" Aufträgen. Manche Kontraktfertiger versuchen es auch mit dem Aufbau eines eigenen Markengeschäftes, wie z.B. das inzwischen als Hersteller von Notebooks gut bekannte Unternehmen Asustek. Oft wirken Kontraktfertiger dabei jedoch als Getriebene dieser Entwicklung: sie müssen den Konjunkturen der Branche folgen und gleichzeitig über die jeweiligen Kernfelder ihrer Kompetenz hinausgehen.

Foxconn zeigte sich in den letzten Jahren besonders agil in der Ankündigung strategischer Richtungswechsel: es verortete seine Zukunft als Maschinenbauer, Autozulieferer, Retailer (in einem gescheiterten joint venture mit der deutschen Metro-Gruppe), Eigenmarkenproduzent (im LED Bereich) und ging zuletzt mit dem kriselnden japanischen Sharp-Konzern ein Joint Venture ein. Keiner dieser Ansätze scheint bisher erfolgreich. Auch die Ankündigung von 2011, die Zahl der Arbeitskräfte durch den Einsatz von einer Million im Unternehmen hergestellten Industrierobotern massiv zu senken, wurde bislang kaum in die Tat umgesetzt.

An Foxconn zeigt sich somit ein Widerspruch der Diversifizierungsstrategien in der Branche: die sukzessive technologische Aufwertung der Produktionsbereiche ist überlebensnotwendig, um auf den Märkten zu bestehen, aber der Sprung über das Geschäft mit großen Volumina und niedrigen Margen hinaus gelingt bislang kaum. Der Aufbau neuer Standorte ist Teil dieser krisengetriebenen Entwicklung. Es geht dabei nicht nur um niedrige Löhne, Ausnahmeregeln bei den Arbeitsgesetzen und staatliche Ansiedlungshilfen. Vielmehr setzt sich damit ein Trend zur Kapitalkonzentration fort, welcher die auf eine andauernde Steigerung der Produktionsmengen ausgerichtete Investitionslogik der Kontraktfertigung auf die Spitze treibt. Doch zugleich ist greifbar, dass die quantitative Ausweitung der vergangenen 15 Jahre an ihre Grenzen stößt, da die Märkte in den Industrieländern stagnieren und auch die Binnenmärkte Chinas und anderer großer Schwellenländer zunehmend erschlossen sind.


4. Keine Reform der Arbeitsregimes

Seit der Selbstmordserie bei Foxconn gibt es innerhalb und außerhalb Chinas eine erhöhte Aufmerksamkeit für Arbeitsrechtsverletzungen in der Branche. Selbst die Unternehmensleitung von Apple, die zunächst eher zynisch auf die Vorwürfe von NGOs reagiert hatte, veranlasste 2012 eine umfangreiche Untersuchung bei Foxconn, die erhebliche Arbeitsrechtsverletzungen belegte. In der Öffentlichkeit wird seitdem suggeriert, dass sich die Dinge zum Besseren veränderten.(5)

Die Entwicklungen in der Branche seit der Krise 2008/09 lassen allerdings Zweifel an solch optimistischen Prognosen aufkommen. So ist der Versuch von Foxconn, das in Shenzhen praktizierte Arbeitsregime an die neuen Standorte in den Inlandsprovinzen zu exportieren, von massiven Problemen gekennzeichnet. Innerhalb weniger Monate kam es in mindestens drei neuen Standorten, Wuhan, Zhengzhou und Tayuan, zu massiven Protestaktionen der Belegschaften oder schweren Tumulten in den Betrieben, zumeist gegen die autoritäre Kontrolle durch Vorarbeiter. Hinzu kommt eine Reihe von Konflikten anlässlich der Umstrukturierung von Betrieben. Insgesamt kam es seit Anfang 2012 zu zwölf dokumentierten Streiks bei Foxconn.(6) Das schnelle Herunter- oder Hochfahren von Betrieben sorgt für reichlich Konfliktstoff und unterminiert eine stabile Entwicklung der Arbeitsbeziehungen. Die Erhöhung der Produktionsvolumina potenziert dabei die schleichende Krise des Beschäftigungsregimes: immer mehr junge ArbeiterInnen müssen für die neuen Produktionskomplexe rekrutiert werden. Die zunehmende Aufsässigkeit dieser neuen Generation von ArbeitsmigrantInnen wird für Foxconn & Co zum Dauerproblem.

Unsere eigene, auf Arbeiterinterviews basierende Untersuchung bei drei Zweigstellen von namhaften Kontraktfertigern im Perlflussdelta legt zudem nahe, dass sich die Grundprinzipien der Arbeitsregimes in diesen Firmen kaum verändert haben. Zwar wurden die Mindestlöhne in der Region deutlich angehoben (auf umgerechnet ca. 130-170 Euro pro Monat), so dass auch die durchschnittlichen monatlichen Gesamtverdienste auf ca. 300 Euro anstiegen. Allerdings bleibt es gängige Unternehmenspraxis, ein Basisgehalt nahe dem Mindestlohn anzubieten, während Überstunden und leistungsabhängige Lohnkomponenten in allen Unternehmen über 40 Prozent des regulären monatlichen Einkommens betragen. Exzessive Überstunden von etwa 60 Stunden bei normaler Auftragslage bleiben die Regel, saisonal sind Arbeitszeiten von über 70 oder gar 80 Stunden pro Woche keine Seltenheit. Eklatant ist die extreme Fluktuation der Beschäftigung. In zwei der untersuchten Unternehmen beträgt die durchschnittliche Beschäftigungsdauer unter den befragten ArbeiterInnen weniger als zwei Jahre. In einem Unternehmen wurden sogar über 40 Prozent der Befragten erst nach dem chinesischen Frühjahrsfestival im Februar 2013 angeheuert. Dementsprechend bleibt die Bildung einer Kernbelegschaft von langfristig beschäftigten und gut ausgebildeten Arbeitskräften die Ausnahme. Die durchschnittliche Einarbeitungszeit beträgt in allen Unternehmen nur fünf bis neun Tage. Weniger als 10 Prozent der Produktionsarbeiter erhalten eine Ausbildung, die einen Monat oder länger dauert.


5. Arbeitspolitische Reformen von innen und von unten?

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die seit 2008/09 entstandenen veränderten Konstellationen des chronischen Verdrängungswettbewerbes in der IT-Industrie unter dem Strich zu einer weiteren Expansion der Kontraktfertigung nach China, einer Differenzierung des Produktspektrums und einer Erhöhung des technisch-organisatorischen Niveaus der Branche geführt haben. Die Kontraktfertigung entspricht damit scheinbar jener programmatischen Zielvorstellung von Partei und Regierung in China, die mit dem Begriff des "industriellen upgrading" beschrieben wird. Ausgenommen von diesem "upgrading" bleiben allerdings die Arbeitsbedingungen in den Betrieben und die Arbeitsbeziehungen, d.h. die in entwickelten Industrieländern gemeinhin übliche kollektive Interessenvertretung der Beschäftigten.

Umso mehr bleibt die Elektronikkontraktfertigung in der Region eine Herausforderung für die Ansätze zur Stabilisierung der Arbeitsbeziehungen, wie sie vor allem von der Provinzgewerkschaft in Guangdong vorangetrieben wurden. Diese spricht sich u.a. für die Einführung demokratisch gewählter Betriebsgewerkschaften und Tarifverhandlungen aus. Bislang konnten solche Ansätze in der IT-Industrie jedoch kaum Fuß fassen. Angesichts der Häufung von Arbeitskonflikten entsteht hier ein Feld der Auseinandersetzungen, bei dem ernst gemeinte Ansätze zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung die Unterstützung von internationalen Gewerkschaften und NGOs verdienen.

Ansätze betrieblicher Arbeitspolitik müssen jedoch durch Maßnahmen zu einer wirksamen sozial- und industriepolitischen Regulierung des Sektors begleitet werden. So könnte z.B. die Zulassung von neuen Produkten oder Investitionen an die Einhaltung von Arbeitsstandards gekoppelt werden - eine Forderung, die von kritischen Experten im Westen schon länger erhoben wird.(7) Dabei ist grundsätzlich die Einhaltung bestehender arbeitsrechtlicher Vorschriften in Ländern wie China einzufordern. Nicht nur Foxconn, sondern fast alle in China tätigen IT-Hersteller und -Kontraktfertiger verletzen z.B. die gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich der maximalen Arbeitszeiten. Eine französische NGO hat aus diesem Grund kürzlich vor einem Gericht in Paris eine Klage gegen Samsung eingereicht, zu der auch Zeugen aus China gehört werden. Die US-Stahlarbeitergewerkschaft United Steelworkers hat ähnliche Forderungen in den letzten Jahren zur Gesetzgebung im US-Kongress vorgeschlagen.

Solche Ansätze reichen sicherlich nicht aus, um die sozialen und politischen Machtverhältnisse in den und um die Großbetriebe der Kontraktfertigung in China wirksam zu verändern. Sie weisen aber darauf hin, dass Kontrolle der Arbeitsstandards nicht nur auf Kampagnen gegen einzelne Unternehmen abzielen darf. Gefordert sind vielmehr bindende rechtliche, politische und kollektivvertragliche Regeln. Die Vorschläge der Provinzgewerkschaft Guangdong sind in diesem Sinne sicher wegweisend in China, vor allem hinsichtlich des Aufbaus demokratisch legitimierter Interessenvertretungen der ArbeiterInnen im Betrieb. Die Konkurrenzsituation zwischen den Giganten der Elektronikfertigung und die sich verbreiternde Konkurrenz zwischen verschiedenen Standortregionen im Land schaffen dabei Ansatzpunkte einer übergreifenden Wahrnehmung und Diskussion des Problems auf nationaler Ebene. Eine verstärkte nationale und internationale Regulierung der Branchenkonkurrenz wäre zumindest ein Gegengewicht zur faktischen Zusammenarbeit von globalen Markenfirmen und Kontraktfertigern mit lokalen Regierungen beim Unterlaufen bestehender Gesetze.

Florian Butollo promoviert zum Thema "Harmonische Gesellschaft in der Krise. Staatliche Krisenpolitik und die Veränderung der Arbeitsbeziehungen in der südchinesischen Guangdong Provinz" am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.

PD Dr. Boy Lüthje ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Gastprofessor an der SunYat-Sen Universität in Guangzhou, China.


Anmerkungen

(1) Dieser Artikel basiert auf den Ergebnissen eines Forschungsprojektes, das von Ende April bis Juli 2013 an der Sun Yat-sen Universität in Guangzhou durchgeführt und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Beijing gefördert wurde.

(2) Hürtgen, Stefanie, Boy Lüthje, Wilhelm Schumm und Martina Sproll (2009): Von Silicon Valley nach Shenzhen. Global Produktion und Arbeit in der IT-Industrie, Hamburg: VSA.

(3) So eine jüngere Schätzung in: Pun Ngai und Jenny Chan (2013): The politics of global production: Apple, Foxconn, and China's new working class, in: New Technology, Work and Employment, Jg. 28, nr. 2, S. 100-115.

(4) Hürtgen et al (2009), a.a.O., S. 214-232.

(5) So der jüngste Bericht der von Apple beauftragten Organisation Fair Labor Association (FLA). Arbeitsrechtsorganisationen stellen allerdings die Glaubwürdigkeit der FLA in Frage, die maßgeblich von den Unternehmen der Branche kontrolliert wird. Die von der FLA attestierten Veränderungen betreffen außerdem bislang nicht die Kernfrage der Arbeitszeiten.

(6) Vgl. die Datenbank auf:
http://www.gongchao.org/en/islaves-struggles/list-of-labor-unrest-at-foxconn

(7) Vgl. Smith, Ted, David A. Sonnenfeld und David N. Pellow (2006): Challenging the chip: labor rights and environmental justice in the global electronics industry, Philadelphia: Temple University Press.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2013, Heft 197, Seite 20-25
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2013